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Offener Brief an die
Bürger Berlins!


Viele von Euch sind ängstlich oder wütend wegen dem, was in den letzten Wochen und Monaten in Berlin passiert ist. Getreu den Parolen aus BZ und Bild werden wir, die Besetzer und ihre Unterstützer beschimpft als Chaoten und Kriminelle, dreckig und arbeitsscheu. Ihr wettert über zerbrochene Scheiben und einige kaputte Autos, und Ihr vergeßt dabei alles andere, was vorher war.

Es ist doch nicht die reine Zerstörungswut, die uns zu den Steinen greifen läßt, sondern ohnmächtige Wut gegenüber dem militärischen Apparat. Was sind Steine gegen Tränengas, Panzerwagen und bewaffnete Truppen? Ihr habt Angst um Euer Auto. Gut, versteht Ihr dann, um wieviel mehr Angst wir um unsere Häuser haben? Als wir sie besetzten, ging es um mehr als nur um den Erhalt von Wohnraum. Wir wollten wieder zusammen leben und arbeiten. Wir wollten der Vereinzelung und der Zerstörung des Zusammenlebens Einhalt gebieten. Wer in dieser Stadt kennt sie nicht, die quälende Einsamkeit und Leere des Alltags, die entstanden ist mit immer weiterer Zerstörung der alten Zusammenhänge, durch Sanierung und sonstige Stadtzerstörung? Diese hat mehr Leute aus ihren Wohnungen vertrieben als der Krieg.

Viele von uns haben in den besetzten Häusern zum ersten Mal eine wirkliche Heimat gefunden. Viele, die sonst vielleicht kaputt gegangen wären: an Drogen oder Selbstmord oder Strich. Wir versuchen in den Häusern das zu leben, was in der Gesellschaft nicht mehr geht: Zusammenhänge und Hoffnung.

Träumt Ihr nicht auch von Zusammenhängen und Liebe, anstatt des alltäglichen Einerleis? Ihr sagt, wir wollen nicht arbeiten. Abgesehen davon, daß fast keiner von uns sein Geld geschenkt bekommt und deshalb arbeiten muß; wer von Euch hat nicht auch schon geschimpft über die tägliche Plackerei für den Profit anderer? Es stimmt: Wir wollen, wenn's geht, nicht mehr arbeiten für Dinge, die keinen Sinn haben. Wir wollen aber arbeiten für uns selbst. Und es soll sinnvolle Arbeit sein. Sei es
 

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