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Reaktionen in anderen Städten

In der Karlsruher Bewegung machte sich Betroffenheit und Wut breit, als der Tod von Klaus-Jürgen im Zusammenhang mit den Berliner Räumungen bekannt wurde. Wutentbrannt bezeugten zahlreiche Leute ihre Solidarität mit den Berlinern Hausbesetzern. Spät abends errichteten sie aus von der Bevölkerung bereitgestellten brennbaren Materialien (Sperrmüll) eine Barrikade auf einer Hauptverkehrsstraße und entzündeten diese.

Zu einer Spontandemonstration kamen am Dienstagabend in München etwa 2000 Personen zusammen. Nachdem die Grünen, sie hatten den Protestmarsch angemeldet, das Ende der Demonstration bekanntgaben, blockierten Demonstranten zunächst eine Straßenkreuzung, dann entschloß sich die Mehrheit der Teilnehmer, den Zug fortzusetzen. Die Polizei versuchte erfolglos, die Demonstration zu stoppen und beschränkte sich dann zunächst darauf, den Zug zu beobachten. Während die Zahl der Teilnehmer auf mehrere Hundert schrumpfte, gingen einige Scheiben bei Banken und der BILD-Zeitung zu Bruch. Gegen Mitternacht kam es dann zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Nachdem die Demonstration von der Polizei eingekreist worden war, griffen Zivilbeamte gezielt mehrere Demonstranten heraus und zerrten sie in Polizeiautos. Ob sie noch in Haft sind, wußte der Polizeisprecher nicht zu sagen.

Die Nachrichten aus Berlin haben auch in Marburg unmittelbare Betroffenheit ausgelöst. Trotz Semesterferien trafen sich über 50 Leute zu einer nächtlichen Demonstration. Gegen 23 Uhr hallte es in der Oberstadt: "Spekulanten, die erreichen Profite über Leichen". Eingeworfene Glastüren und die lautstarke Aufforderung. "Macht dem Polizeichef Lummer sein ganzes Leben Kummer", zeugten von der Wut über die Berliner Ereignisse. Für Mittwoch nachmittag sind weitere Demonstrationen angekündigt.

Zu einer spontanen Solidaritätsdemo mit den Hausbesetzern in Berlin mit etwa 200 Teilnehmern kam es gestern abend in Hannover. Von der Uni, wo die ersten Scheiben eingeschlagen wurden, ging es in Richtung "Neue Heimat", wo dann das Scheibeneinwerfen fortgesetzt wurde. Hannovers Polizei war unterdessen bemüht, durch besonders provokatives Verhalten die Stimmung möglichst noch mehr anzuheizen.

In Stuttgart ging eine Demo vor das Verwaltungsgebäude des DGB. Die Wut richtete sich hauptsächlich gegen den DGB als Hauptanteilseigner der "Neuen Heimat". Als verschiedene Demonstranten versuchten, die Fassaden des DGB-Hauses zu besprühen und die Schaufenster mit Steinen zu bewerfen, sahen sie sich konfrontiert mit beherzten, selbsternannten "Objektschützern" aus der Gewerkschaftsjugend.

In Amsterdam zogen am späten Dienstagabend etwa 300 Kraaker vor die Büros der deutschen Fremdenverkehrsverbands, der Lufthansa und das Generalkonsulat der BRD, um gegen den Einsatz der Polizei in West-Berlin gegen die Hausbesetzer zu demonstrieren. Sie warfen Rauchbomben und schlugen einige Fensterscheiben ein.

In Frankfurt hatten sich etwa 1000 Leute am Abend von der Uni aus in Bewegung gesetzt, um gegen die Räumung der Berliner Häuser und den Tod von Klaus-Jürgen Rattay zu demonstrieren. Die ersten Steine flogen gegen das Bockenheimer Polizeirevier. Nach kurzem Knüppeleinsatz (die Wirkung des Wasserwerfers ging im Regen unter), ging der Zug dann durchs Westend und wurde dort von der Polizei aufgerieben, wobei es zu zahlreichen Verletzten kam. Einzelne Gruppen zogen durch Bockenheim und das Westend, hier und da einen Scherbenhaufen hinterlassend. Zwei Männer und eine 17jährige wurden wegen Landfriedensbruch festgenommen und sollen heute dem Haftrichter vorgeführt werden.

In Kassel gingen Scheiben bei der Giftmüllfirma Winthershall, der Neuen Heimat und einem Maklerbüro zu Bruch.

Auch in Hamburg schlug das lähmende Entsetzen sehr schnell in Wut und Trauer um. Und die wollten wir unserem örtlichen DGB nicht vorenthalten. Die anschließende Demonstration von ca. 300 Menschen durch die Innenstadt konnte einige Informationen über den Häuserkampf in Berlin vermitteln.

Bevor der Polizeiapparat entsprechend reagieren konnte, löst sich die Demonstration in Gruppen auf. Durch den lärmenden Einsatz eines Hubschraubers und diverser Mannschaftswagen sorgte die Polizei selbst für einen Menschenauflauf, der anschließend streng von ihnen bewacht wurde. Fazit des Abends: 28 kaputte Scheiben, von Banken, Versicherungen und der Firma Hoechst im Büroviertel City Nord; 3 Leute wurden vorläufig festgenommen. "Um Mitternacht war der Spuk vorbei" - so die Pressestelle der Polizei,

Etwa 600 Leute demonstrierten am Dienstag abend spontan in einem Fackelzug vom Bremer Ostertorviertel zur Verwaltung der "Neuen Heimat" in der Innenstadt. So viele Scherben wie dieses Mal hat es bei der "Neuen Heimat" und ihrer 100%-igen Tochterfirma, der Nordwestdeutschen Siedlungsgesellschaft, noch nie gegeben. Beim darauffolgenden Polizeieinsatz wurden die Demonstranten in die Rembertistraße getrieben. Dabei warfen einige Polizisten Steine hinter den davonlaufenden Leuten her, unterstützt von einem Kollegen, der mit gezogener Pistole die Kreuzung sicherte. Als sich die Demonstration auflöste, wurden mehrere Leute festgenommen.

Trotz strömenden Regens versammelten sich in Köln am Dienstag in den späten Abendstunden nahezu 800 Leute in der Innenstadt zu einer spontanen Demonstration. Steine flogen, als der Zug an einem Gebäude der Neuen Heimat vorbeizog. Für Freitag 18 Uhr wurde auf dem Chlodwigplatz eine weitere Demonstration angesetzt. (taz)

Trotz Dauerregens nahmen in der Nacht zu Mittwoch ca. 800 Personen an einem spontanen Fackelzug durch die Freiburger Innenstadt teil. Einmal wurde die Demo aus einem oberen Stockwerk mit Flaschen beworfen und öfters beschimpft. Als gegen 0.30 Uhr McDonald, die Badische Zeitung und einige größere Geschäfte Scheiben lassen mußten und die Spray-Aktivität zunahm, marschierte eine Hundertschaft auf. Zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizisten kam es nicht.

 

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