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Offener Brief der Besetzer der
Knobelsdorffstraße 40/42


13.9.81 (vor der Räumungsdrohung)


An Herrn
Weizsäcker,
regierender Bürgermeister von Berlin.


Herr Weizsäcker!

Wir rechnen damit, daß unsere Häuser in nächster Zeit geräumt werden sollen. Das ist schmerzlich für uns, da wir eine Räumung nur ohnmächtig über uns ergehen lassen können. Aber danach werden wir wieder am Zuge sein.

Vielleicht können wir Ihnen mit diesem Brief am besten begreiflich machen, was eine Räumung für Sie und uns bedeuten würde. Die tieferen Gründe für die Besetzung unterer Häuser gehen oft unter in oberflächlichen Diskussionen über Wohnungspolitik. Wir leben hier zusammen in einer menschlichen Gemeinschaft. Hier können wir, viele zum ersten Mal, unseren eigenen menschlichen Grundbedürfnissen nach Geborgenheit und Liebe nachgehen, die uns Ihre Gesellschaft und unsere davon geprägten Eltern nicht geben konnten.

Überall in den Städten wächst die Vereinsamung und Verzweiflung der Menschen, gedeihen die Neurosen. Und das nur, weil Ihre Gesellschaft die Einsamkeit und die Neurosen der Menschen braucht, um weiter bestehen zu können. Aber mit dieser Unmenschlichkeit hat Ihr System in uns z.B. selbst Menschen geschaffen, die sich wieder daran erinnern, daß wir alle (oder?) zuerst Menschen sind - sehr lange, bevor wir etwas anderes, z.B. Deutscher oder Parteimitglied, sind. Und unser Menschsein ist das einzige, was uns wirklich verbindet, und lhre unmenschliche Gesellschaft die einzige, was uns trennt Das haben wir erkannt, deshalb wird es nach einer Räumung ein Zurück in den Augangszustand nie mehr geben. Denn das hieße für jeden einzelnen von uns: Zurück in sauteure und trostlose Einzimmerwohnungen, in Isolation und Neurose. Wir sind mit unserem Zusammenleben dem Sinn des Menschseins ein großes Stück näher gekommen. Das werden wir nicht mehr hergeben. Deshalb werden wir dranbleiben und wir werden zusammenbleiben. Und falls uns bald nur noch die Straße bleibt, werden wir sie voll ausnutzen, und immer wieder da aufzutauchen, wo es Ihnen am wenigsten paßt. Das ist keine Stein- und auch keine Bombendrohung, denn wir haben noch Phantasie, die Sie nicht haben. Deshalb können wir Ihnen in Ihrer Computer- und Paragraphenwelt nur unser Mitleid aussprechen - allerdings nur soviel, wie Sie selbst noch fähig sind, Mitleid zu empfinden (sollten Sie dabei ziemlich schlecht wegkommen, so ist uns das scheißegal).

Unser Handeln aus menschlichen Bedürfnissen heraus macht uns stark und läßt uns nie daran zweifeln, daß unter Weg der richtige ist. Und wir wissen, daß Ihre Gesellschaft schwach ist. Ihr Fundament besteht nuraus Geldscheinen und - wo die nichts mehr nützen - aus brutaler Gewalt. Deshalb werden wir schließlich siegen, auch wenn wir morgen unser Haus verlieren. Das alles sollte Ihnen vor einer Räumung klar sein.

In unseren Häusern führen wir ein zufriedenes Leben, und wir akzeptieren jeden und lassen jeden in Ruhe, der uns akzeptiert und in Ruhe läßt. Es ist auch sinnlos uns vorzuhalten, wir würden fremdes Eigentum besetzen. Häuser gehören den Menschen, die darin wohnen, und nicht irgendwechen unsozialen Subjekten, für die menschliche Grundbedürfnisse nichts weiter als eine Profitquelle bedeuten.

Und wenn Menschen in ein leerstehendes Haus einziehen, ist das nur normal und natürlich - nach menschlichen Gesetzen; und das sind solche, die man nicht aufzuschreiben braucht, weil sie in jedem Menschen drin sind - auch wenn viele sie nicht mehr finden, weil sie vor Paragraphenpauken nie gelernt haben, in sich selbst hinein zu fragen. Trotzdem - sie sind drin!

Und da sind sie sehr viel mehr wert als ein paar tote Blätter bedruckten Papiers. Sie werden uns ein sehr viel spontaneres Handeln ermöglichen, als Sie und Ihre GeseIlschaft es drauf haben. Je mehr Schläge Sie an uns verteilen lassen, desto mehr Grund werden Sie haben, sich zu fürchten.

Respektlos
die Bewohner
der Häuser Knobelsdorffstraße 40/42
 

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