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Die Räumung der Hermsdorfer Str. 4

Die durch die Räumungsandrohung mobilisierte öffentliche Unterstützungs- und Sympathiebewegung ließ bei uns die Hoffnung aufkommen, doch noch eine Möglichkeit zu haben, die Räumung zu verhindern. So waren bei uns ab Sonntag abend bis zu dreihundert Leute im Haus. In dem abendlichen Plenum wurde die Räumung vorbereitet, um auf einen gemeinsamen Nenner im Verhalten bei der polizeilichen Aktion zu kommen. Tagsüber wurden die Arbeiten organisiert, die für eine so große Gruppe nötig sind (aufräumen, kochen, einkaufen etc.). Überall wurde geredet, Musik gemacht, man richtete sich ein. Montag abend spielte das Kabarett des Westens, was uns ein wenig half, den Grund, weswegen wir zusammen waren, zu vergessen, und uns Spaß und Freude brachte, trotz der andauernden Gerüchte über den tatsächlichen Räumungstermin. Diese Termine wurden bewußt von der Geheimpolizei (Zivis), Innensenat und anderen Dienststellen des Apparats in die instandbesetzten Häuser gestreut (Psychoterror).

Den ganzen Tag über war Hektik im Haus, so daß die meisten müde ins Bett fielen.

Am Dienstag morgen hatten wir gerade gefrühstückt, als das erste Gerücht kam - 2000 B ... an der Philharmonie - kurz nach zehn Uhr kam der zweite Bote: In der Wiesenstr. und Liesenstr. stehen Wannen. Alles ging plötzlich sehr schnell, die Leute im Hof stürmten ins Haus, die Tür war gerade verschlossen, da waren die ersten B... auf dem Hof und bauten sich auf. Die Türen wurden mit Sprießen gegeneinander verbarrikadiert. Zur gleichen Zeit konnte aus dem Fenster der kriegsmäßige Aufzug der B... beobachtet werden. Im Umkreis von ca. 500 Metern waren sämtliche Straßen abgesperrt (entweder mit spanischen Reitern oder mit Stacheldraht). Auf der Freifläche (wo auch mal gute alte Häuser standen), auf dem Hof und auf dem nebenliegenden Parkplatz standen B... in Kriegsausrüstung mit Hundestaffeln und Wannen und natürlich auch ein Knastbus. Nachdem uns fünfzehn Minuten Zeit gelassen wurde, versuchten sie, die Haustür zu öffnen. Sie benötigten etwa eine Stunde dafür.

Mit etwas mehr Intelligenz wären sie in fünf Minuten drin gewesen. Nun begann der Abtransport der einzelnen Leute. Insgesamt dauerte die Räumung ca. zehn Stunden. Einhundertacht Personen wurden am Ort polizeilich überprüft, fotografiert und dann zur erkennungsdienstlichen Behandlung abgekarrt. Die letzten von uns kamen erst nach Mitternacht aus den Zellen heraus.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen alle 108 Personen wegen Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, Nötigung, Freiheitsberaubung und Widerstand gegen die Staatsgewalt.

Mit diesen Ermittlungsverfahren versucht der Staat uns und unsere Unterstützer abzuschrecken, zu isolieren und als Kriminelle abzuurteilen. Hieran wird uns auch wieder klar, daß eine konsequente politische Arbeit zwangsläufig mit Knast bestraft und unterdrückt wird.

 

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