Peter-Paul Zahl

EISBRECHER,
MITTEN IN DEN STRASSEN,
VOLLDAMPF VORAUS


1
Die Klotzköpfe und ihre gemieteten Huren in den Medien, Kopflanger des Kapitals, reden eine deutliche Sprache: Drauf! Abgesessen und drauf! Leberwurststrategie, Stacheldraht, Haare ab, Arbeitslager!

Die zierlichen Mittelstandskaninchen ringen die Hände, versuchen sich, vergeblich, an Synchronübersetzungen, fallen der Gewalt nicht in den Arm, besichtigen ihre Nabel statt der Städte, beschwören den Untergang, wenn nicht den ihrer Klasse,

dann den der Welt; klammheimlich sind sie verliebt in die neuen Barbaren - o Geräusch der Befreiung, klirrende Fensterscheibe! - raufen sich die schütterer werdenden Haare, beklagen den Mangel an Anstand, Sitte, Benehmen der Barbaren; Gehälter zwischen drei- und achttausend Mark und Wohnungen voller kostbaren Trödels in besseren Vierteln, gewaltfreie Nischen in einer gewalttätigen Umgebung verstopfen ihre Ohren: Ach, wenn man doch nur mit ihnen reden könnte, ach wären sie doch artikulationsfähig, die Barrikadenbauer, Steineschmeißer, aber weh, sie sprechen überhaupt keine Sprache. Wenigstens nicht unsre!

2
Westberlin ist ein Misthaufen. Gewiß.
Auf Misthaufen gedeihen die schönsten Rosen.

3
Das ist die eine Seite: die verdorbene und verderbte Stadt, Schaufenster des Freien undsoweiter, alternde Hure, ausgehalten und ausgehöhlt von ihren Freiern in Blankenese, Bonn und Washington, D. C.; Kalte Krieger, Rentnerberg, Klein-Istanbul, Spiel, Spaß, Spannung unter Bürgermeister

Grieneisen; verwaltet von Pietät, Ruhe Sanft, Noske und Lettow-Vorbeck GmbH und Co. KG; wo Müllabfuhr und auch boothill Domänen und Pfründe sind von ÖTVern (Parteibuch über drei Generationen hinweg, mindestens); mauergegürtet, unterkapitalisiert und wütend fleißig. FreakCity im doppelten Sinne des Wortes.

4
Die andere Seite der Stadt wird fast immer, auch von Seiten der Linken, verschwiegen oder runtergespielt: ihre Schönheit, ihre Urbanität, ihr Rhythmus, ihr Tempo, ihre Ausstrahlungskraft, ihre Faszination, ihr Überangebot an Möglichkeiten sozialer, politischer und, vor allem, kultureller Art, es ist schwer, von diesem wüsten Steinhaufen, gebettet in Wälder und Seen - Berlin, nicht Amsterdam oder Venedig, ist die brückenreichste Stadt Europas - nicht in den Bann gezogen zu werden. Sieben von zehn jungen Leuten, die es zu Arbeit, Gammeln, Studium oder, nicht zuletzt, dem Wehrdienst zu entgehen, in diese Metropole treibt, bleiben hier. Der echte Berliner, das ist immer der Zugezogene,

 
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