Steine

Null-Nummern der "Tageszeitung" erklärte, sie wolle das Instandbesetzen zu einer Massenbewegung machen, lächelten Freund und Feind mitleidig. Noch weniger öffentliche Resonanz fand eine zweite Besetzung kurz danach, die die Besetzer in einem Flugblatt so erklärten wir saßen mal wieder in der Kneipe und haben uns vor Langeweile angeschissen, da kamen wir auf die Idee, ein Haus zu besetzen...

Die - gleiche - Wohnungsbaugesellschaft reagierte kulant. Da sie den Abriß des Hauses ohnehin erst in einiger Zeit plante, überging sie den Frontalangriff auf den Rechtsstaat und ihr Eigentum schlicht, in der stillen Hoffnung, die Besetzer würden zum Verfall des Hauses einen ähnlichen Beitrag wie der Leerstand leisten. Mittlerweile ist das Haus freilich von der Abrißliste gestrichen, und die Besetzer haben es weitgehend instandgesetzt. Aber das war eine lange Geschichte.

Diese beiden, durchaus unterschiedlichen sozialen und politischen Ansätze bilden die zwei Grundkomponenten einer "Kreuzberger Mischung", die sich im Laufe der kommenden beiden Jahre als äußerst explosiv erweisen sollte. Im Laufe des Jahres 1980 wurden allenthalben im "hinteren Kreuzberg" Häuser besetzt. Aber unruhig wurden beide Seiten dieses Spieles nur langsam. Der sozialdemokratische Senat hoffte, daß diese "Modeerscheinung" sich schon wieder legen würde. Die Scene war vornehmlich mit Anti-AKW Ausflügen nach Brokdorf, Bonn und Gorleben beschäftigt oder auch mit grundsätzlichen wie taktischen Auseinandersetzungen um die Gründung einer "Alternativen Liste" und den Einstieg ins parlamentarische Geschäft. Als "Zweite Kultur" ließen sich "die Alternativen" vom sozialdemokratischen Dialogstrategen Peter Glotz bauchpinseln, um sich zugleich neckisch zu verweigern.

Neidvoll und ein wenig schuldbewußt blickte man auf die brennenden Barrikaden in Zürich und Amsterdam, die dem traditionellen Avantgarde-Selbstbewußtsein der Berliner Scene schwer zu schaffen machten. Warum um alles in der Welt blieb es hier immer noch ruhig?

Erst im Herbst 1980, nachdem der Senat kurz vor den Wahlen mit Räumungen gedroht hatte und die eine oder andere Besetzung polizelich verhindert wurde, kam langsam action in die Bewegung. Die damals neun besetzten Häuser bildeten einen "Besetzerrat", Demos wurden organisiert und die Reibereien mit der Polizei dabei heftiger.

Auch dem Senat wurde langsam klar, daß der Spuk wohl nicht von selbst wieder verschwinden würde. Er entwickelte das, was später als "Berliner Linie" (im Unterschied zur "Nürnberger", wo 149 Jugendliche auf einen Schlag verhaftet wurden) zum Konsens der Vernunft der Herrschenden werden sollte. Außerdem bot er Verhandlungen an und wollte das Besetzervölkchen nun durch Anerkennung statt des nicht mehr möglichen Totschweigens in den Griff bekommen. Dies nicht nur aus pädagogischen Überlegungen, sondern vor allem deshalb, weil die Bau- und Wohnungspolitik ihm auch anderweitig schwer zu schaffen machte. Da waren die Mieterorganisationen, die gegen die geplante Aufhebung der Mietpreisbindung breite Front machten. Da waren aber auch die sich häufenden Skandale um Filz und Subventionsbetrug. Der größte Skandal um einen gewissen Herrn Garski, der 120 Millionen Steuermark in den Wüstensand von Saudi-Arabien gesetzt hatte, wurde im Dezember 1980 ruchbar.

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