2.3 Wohnungsnot

In Düsseldorf fehlen 1981 nach SPD-Angaben 11.000 Wohnungen. Im gleichen Jahr werden 3.000 Wohneinheiten vernichtet. [937] Die Zahl der Wohnungssuchenden wird in den folgenden Jahren weiter steigen, da ab Mitte der achtziger Jahre der Wohnungsneubau fast vollkommen zum Erliegen kommt. “ Gegenüber den Jahren 1982-1984 ging die Zahl der fertiggestellten Wohnungen 1985-1986 auf die Hälfte zurück. [938] Außerdem steigt der Anteil der Einfamilienhäuser an den Neubauten von 33% auf 50%. Diese Entwicklungen wirken sich verheerend auf die Wohnsituation und den Wohnungsmarkt aus. [939]
Nichtsdestotrotz erklärt der Leiter des Amtes für Wohnungswesen, Harbarth: “ Es gibt keine echte Wohnungsnot. (...) Fast könne man von einem Überangebot sprechen. (...) Höchstens im Falle von Jungverheirateten, Geschiedenen, Ostzonenrückkehrern, Schwerbehinderten und Studenten [Arbeitslosen, AusländerInnen, Alten, SozialhilfeempfängerInnen, Alleinerziehenden, kinderreichen Familien, überhaupt Familien, usw.; d.V.] gibt es einen Engpaß. [940] Zahlen über das Verhältnis von Wohnungssuchenden und freien Wohnungen sind weder im Amt für Wohnungswesen noch im Amt für Statistik erhältlich. [941] Diese “ unbekannte Ausgangslage konnte 1984 aber nicht verhindern, daß die Subventionen für den sozialen Wohnungsbau um ein Drittel gekürzt wurden. [942] Düsseldorfer Initiativgruppen sind jedenfalls fest davon überzeugt, daß der Wohnungsmarkt nicht so reibungslos funktioniert, wie es von städtischer Seite dargestellt wird: “ Letztlich ist ‘Wohnungsnot’ eine Definitionssache, wenn einer 30-40% seines Gehalts für eine 3-Zimmerwohnung ausgibt, in der er mit seiner 4-köpfigen Familie wohnt, dann kann man da auch von Not reden. [943]
Vielen Menschen steht - vor allem durch die steigenden Mieten - immer weniger Geld zur Verfügung. Zumindest beschwert sich 1985 der Einzelhandelsverband, daß die Düsseldorfer Bevölkerung immer weniger konsumiert. Der Stadtrat reagiert umgehend und stellt 800.000 DM für die Imagewerbung der ‘innovativen, internationalen Stadt mit Ambiente’ zur Verfügung. [944]
So einfach kann die Stadt, die “ ihren Bürgern und Besuchern jenes unverwechselbare Flair von Weltoffenheit [945] bietet, das Problem von


Die Kommunalwahlen am 30. September 1984 erregen nicht nur durch die niedrigste Wahlbeteiligung seit 1946 großes Aufsehen. [948] Die CDU bleibt mit 43,6 Prozent der Stimmen stärkste Fraktion im Stadtrat. Die SPD erreicht 40,1 Prozent und die FDP gerade noch 5,2 Prozent. Die Grünen ziehen mit 10,2 Prozent der Stimmen als drittstärkste Fraktion erstmals in den Düsseldorfer Stadtrat ein. Da sich die Parteien auch im 2. Wahlgang nicht einigen können, wird Klaus Bungert (SPD) per Los Oberbürgermeister. Sein Kontrahent Josef Kürten (CDU) wird Bürgermeister. [949]
Bei den nächsten Kommunalwahlen am 1. Oktober 1989 verlieren alle ‘alten’ Parteien - teilweise sogar erheblich - an Stimmen. Fünf Kandidaten der rechtsradikalen ‘Republikaner’ ziehen in den Stadtrat ein und bilden nun das ‘Zünglein an der Waage’. [950]
Sowohl die niedrige Wahlbeteiligungen als auch die Abkehr von den großen ‘Volksparteien’ können als Indiz für die Unzufriedenheit großer Teile der Düsseldorfer Bevölkerung gewertet werden. Viele BürgerInnen müssen immer öfter enttäuscht feststellen, daß die Stadt augenscheinlich unter dem ‘Wohlbefinden und Glück’ ihrer EinwohnerInnen etwas anderes versteht, als sie selbst. [951]
Über Jahre hinweg hat sich in Düsseldorf eine ausschließlich an Wirtschaftsinteressen und Wachstum ausgerichtete Stadtpolitik herausgebildet: “ Ökonomisches Wachstum im Sinne der Steigerung des Bruttosozialprodukts und der Zahl der Arbeitsplätze, demographisches Wachstum im Sinne einer zunehmenden Bevölkerungszahl und in deren Folge eine Ausweitung der Städte ins Umland, also Wachstum der genutzten Flächen .”[952] Diese traditionelle Wachstumspolitik Düsseldorfs ist gekennzeichnet durch Wirtschaftsförderung und Investitionsanreize. [953]
Die Stadt bemüht sich um eine verstärkte Anbindung an das nationale und internationale Verkehrsnetz [954] und die naturwissenschaftlichen Zweige der Hochschulen werden gestärkt. So wird am 6. Juli 1983 der Neubau der Fachhochschule für Architektur und Design an der Josef-Gockeln Straße seiner Bestimmung übergeben [955] und die Heinrich-Heine-Universität [956] plant die Einrichtung einer wirtschaftswissenschaftlichen [957] und juristischen [958] Fakultät.
Mit großen Investitionen in die Messe und das Kongreßzentrum können zahlreiche Messen an den Standort Düsseldorf gebunden werden. Den BürgerInnen wird suggeriert, daß am Wachstum der Stadt alle teilhaben. Tatsächlich wird ein Teil der Einnahmen [959] für soziale und kulturelle Zwecke verwendet. Zwischen 1983 und 1990 werden “ in relativ großer Zahl [960] Altenheime, Kinder- und Jugendzentren und Kulturbauten [961] eröffnet. Diese erfreulichen Neueröffnungen decken den Gesamtbedarf in der Stadt jedoch nicht ab. [962]
Um die Attraktivität Düsseldorfs für Unternehmen auch in Zeiten einer wachsenden ökonomischen Krise zu sichern, weitet die Stadt in den achtziger Jahren insbesondere die ‘weichen Standortfaktoren’ aus, indem sie in Kunst, Kultur und Wohnqualität investiert. So öffnen zum Beispiel zahlreiche Museumsneubauten - wie die Kunstsammlung NRW im März 1986 und der Aquazoo am 10. Juli 1987 - ihre Pforten. Nicht ohne Stolz präsentiert Düsseldorf ‘die Kunstachse zum Rhein’. [963] Auf dem Gebiet der etablierten Kunst und Kultur erhält Düsseldorf internationale Anerkennung.
Wenn die Bestandspolitik im Sinne einer Stärkung der Konkurrenzfähigkeit ortsansässiger Betriebe erfolgreich ist, trägt sie in der Regel zur Rationalisierung und damit zum Arbeitsplatzabbau bei. Führt die Modernisierung zur Expansion, kann eine Verlagerung über die Gemeindegrenzen hinweg der Fall sein. Auswege aus diesem Dilemma gibt es für die kommunale Wirtschaftsförderung nicht. [964]
Eine Wachstumspolitik gegen den Trend der Wirtschaftssituation hat also zwangsläufig eine negative Konsequenz und beeinträchtigt langfristig die Perspektiven der Entwicklung der gesamten Stadt entscheidend. “ Die Konzentration der geringer gewordenen Mittel einer Stadt auf die Wachstumsbereiche bedeutet unter heutigen Bedingungen, faktisch die Spaltung der Stadt zu betreiben [965]
Die Stadt wird gespalten in

Die ‘Stadtväter und -mütter’ versuchen, die wachsende Armut ‘wegzureden’, um ein ‘optimistisches Klima’ zu erzeugen. Dadurch soll dem sich ausbreitenden Pessimismus von Unternehmen und Bevölkerung entgegengesteuert werden.
Arbeits- und Wohnstätten werden aufgrund steigender Mieten weiter ‘auseinanderdriften’. Es entsteht ein Verkehrschaos, da

  1. dem Individualverkehr immer noch der Vorrang eingeräumt wird, und
  2. den Städten das Geld zum Ausbau und der Erweiterung des öffentlichen Personennahverkehrs fehlt. [967]

Diese und viele weitere Punkte listen Hartmut Häußermann und Walter Siebel 1987 in einem Szenario über die verfehlte Wachstumspolitik einer fiktiven Stadt auf [968]. Für Düsseldorf ist dieses Szenario am Ende der achtziger Jahre bereits weitgehend Realität.


[937] Vgl. Schwarzbuch, 1981, S. 98.
[938]1987 wurden nur noch gut 800 Wohnungen gebaut. ” Weidenhaupt, H., Kleine Geschichte der Stadt Düsseldorf, 10. Aufl., S. 240.
[939] Vgl. ebenda, S. 240 ff.
[940] Viertausend, 1/85, S. 5.
[941] Vgl. ebenda, S. 5.
[942] Ebenda, S. 5.
[943] Ebenda, S. 5.
[944] Viertausend, 4/85, S. 5.
[945] Allein für diesen Soll-Image-Slogan bekommt die Werbeagentur über 60.000 DM, vgl. ebenda, S. 5.
[946] Im Jahre 1987, vgl. Weidenhaupt, H., Kleine Geschichte der Stadt Düsseldorf, 10. Aufl., S. 237.
[947] Landeshauptstadt Düsseldorf, Haushaltsplan 1991, Anlage.
[948] Vgl. Weidenhaupt, H., Kleine Geschichte der Stadt Düsseldorf, 10. Aufl., S. 244.
[949] Vgl. ebenda, S. 244.
[950] Vgl. ebenda, S. 244.
[951] Vgl. Galbbraith, J.K., Die Zukunft der Städte, S. 22.
[952] Häußermann, H., Siebel, W., Neue Urbanität, S. 121.
[953] Vgl. ebenda, S. 123 ff.
[954] Vgl. C. II. 2.7. (Wohnraumvernichtung durch verkehrspolitische Planungen in Düsseldorf.
[955] Vgl. Stadtarchiv Düsseldorf, Düsseldorf 1945-1994, S. 126.
[956] Nach langen Querelen um die Namensgebung verleiht am 19.6.89 Ministerpräsident Johannes Rau der Düsseldorfer Universität den Namen ‘Heinrich-Heine-Universität’, vgl. ebenda, S. 157.
[957] Am 9.10.89 nimmt diese vierte Fakultät den Lehrbetrieb auf, vgl. ebenda, S. 159.
[958] Diese wird vom Senat im Februar 1992 beschlossen, vgl. Weidenhaupt, H., Kleine Geschichte der Stadt Düsseldorf, 10. Aufl., S. 242.
[959]Trotz der hohen Erwerbslosenzahlen stieg das Gewerbesteueraufkommen von 1983 ab stetig auf 988 Millionen im Jahre 1990. ”, ebenda, S. 237.
[960] Ebenda, S. 241.
[961] U.a. eröffnet am 27.4.84 das ‘ZAKK’, Zentrum für Aktion, Kultur und Kommunikation, an der Fichtenstraße. Vgl. Stadtarchiv Düsseldorf, Düsseldorf 1945-1994, S. 129.
[962] Weidenhaupt, H., Kleine Geschichte der Stadt Düsseldorf, 10. Aufl., S. 241.
[963] Schauspielhaus, Opernhaus, Kunsthalle, Landesgalerie, Kunstakademie, Tonhalle, Kunstmuseum im Ehrenhof, vgl. ebenda, S. 241 ff.
[964] Häußermann, H., Siebel, W., Neue Urbanität, S. 137.
[965] Ebenda, S. 138.
[966] Vgl. ebenda, S. 138 ff.
[967] Ebenda, S. 119 ff.
[968] Ebenda, S. 119 ff.


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