3.3 Die ‘wilde Siedlung’ Heinefeld

“Die Tatkräftigsten unter den meist erwerbslosen Wohnungssuchenden begannen, ‘wild zu siedeln’.(...) Gekauftes, gepachtetes oder einfach ‘genommenes’ Land wurde ohne behördliche Genehmigung, außerhalb jedes Bauplans der Stadt, in Selbsthilfe mit oft primitiven Mitteln bebaut .”[288] Nach und nach entstehen an der Stadtperipherie ganze Siedlungen. Eines der bekanntesten Beispiele in Düsseldorf ist das 'wilde Heinefeld'.
Ursprünglich hatten im Jahre 1925 obdachlose Familien leerstehende, ehemalige Munitionsbaracken am Rande der Golzheimer Heide belegt. Das Gelände war im Besitz des Militärfiskus bzw. der Stadt.
Im Laufe der Zeit kommen immer mehr wohnungslose Menschen hinzu und bebauen das noch freie Land zwischen den Baracken. “ Die Bauweise der Baracken, Holz-, Block-, Erdhütten, Schuppen, Verschläge und Wohnwagen, war wirr, planlos und verschachtelt, die Parzellen klein, unregelmäßig und oft ohne daß ein Unterschied zwischen Wegen und Gärten erkennbar war .”[289]
Die Stadt reagiert zunächst nicht auf das zunehmende ‘wilde’ Siedeln. “So setzte man sich über gewisse Bedenken rechtlicher oder auch hygienischer Art hinweg und ließ die Siedler gewähren. [290] Mehrmals kommt es aufgrund der mangelhaften hygienischen Verhältnisse zum Ausbruch von gefährlichen Krankheiten. Auch hier bleibt die Verwaltung weitgehend untätig. [291]
Erst 1930 verschickt die Stadt Strafmandate wegen unerlaubten Bebauens. Die BewohnerInnen ignorieren den behördlichen Einspruch und die Stadt verzichtet auf weitere Maßnahmen. Vermutlich hält sich die Stadtverwaltung auch deshalb zurück, weil man bei der angespannten finanziellen Situation der Öffentlichen Hand absolut keine Möglichkeit sieht, die SiedlerInnen anderweitig unterzubringen. Immerhin ist die Anzahl derer, die auf dem Heinefeld siedeln, im Sommer 1931 schon auf 600 Familien angewachsen.
Gegen Ende 1931 wird die Stadt erst aktiv, nachdem im Rahmen der 3. Notverordnung der Regierung Brüning vom 6. Oktober 1931 finanzielle Mittel für die Unterstützung von selbstorganisiertem Siedeln bereitgestellt werden. Wohnungs- und Erwerbslose sollen dazu gebracht werden , “durch eigene Anstrengungen zu einem einfachen aber gesicherten Wohnen zu kommen .”[292]
So wird ein eigenes Siedlungsprogramm für fünf Standorte am Rande der Stadt auf stadteigenem Gelände entwickelt.


[293]

1. Thewissen / Kittelbach: 90 Parzellen
2. Torfbruch / Bertastraße: 117 Parzellen
3. Golzheimer Heide / Heinefeld: 200 Parzellen
4. Golzheimer Heide / Rotes Haus: 221 Parzellen
5. Tannenhof: 148 Parzellen
“Die Kriterien für die Wahl der Standorte richteten sich zuerst nach der Kostenfrage. Ein Ankauf von Land wurde ausgeschlossen .”[294]
Die SiedlerInnen bekommen städtisches Land kostenlos zur Verfügung gestellt und erhalten zudem vorgefertigte Baupläne. Anschlüsse an die öffentliche Energieversorgung, Kanalisation und Wasserleitungen sind nicht geplant. Selbst die Errichtung von Straßen sollen die SiedlerInnen eigenständig betreiben. Das Hauptmotiv der Stadt bei der Auswahl der Standorte läßt sich jedoch erst beim genaueren Betrachten der Kartenskizze erkennen. Vier der fünf Standorte liegen in unmittelbarer Nähe der großen 'wilden Siedlung' Heinefeld. “ Offensichtlich wollte man eine weitere Ausdehnung der wilden Siedlungen durch ein ‘Einfassen’ mit den städtischen Siedlungen verhindern .”[295]
Die im ersten Bauabschnitt des Programms - am ‘Roten Haus’ und am ‘Tannenhof’ - Siedelnden sind überwiegend arbeitslose Bauhandwerker. Die Erklärung für diesen Umstand ist plausibel: “(...) die Zahl der Erwerbslosen im Baugewerbe [war] besonders hoch .”[296] Auch der Anteil anderer Facharbeiter ist überdurchschnittlich hoch. Die übrigen Berufe sind vergleichsweise gering vertreten. [297]
Das Siedlungsprogramm ist innerhalb der Stadt sehr umstritten. Die KommunistInnen bezeichnen das Projekt als 'Leimrute'. " So würde für 70.000 Erwerbslose die Unterstützung gekürzt, während 280 Siedler an den Stadtrand abgeschoben würden ."[298] Ganz anderer Art ist die Kritik, die ein Teil der Lohauser BürgerInnen und der Wirtschaftsbund, die Partei der HauseigentümerInnen, artikulieren. Sie bemängeln, daß die Qualität des vorgesehenen Baulandes nicht geeignet sei, um dort Gärten anzulegen. " Der eigentliche Grund für den Widerstand gegen die Siedlungsplanung war die Sorge, daß die Grundstücke und damit auch der Hausbesitz durch die entstehende Nachbarschaft ... entwertet würde ."[299]
Insgesamt entstehen so, durch Reichsdarlehen finanziert, lediglich 336 legale Häuser. Ein weiteres Siedeln mit Hilfe der Stadt und dem Reich kommt nicht zustande.
Obwohl das Reichsprogramm für Vorstädtische Kleinsiedlungen (VKS) eine Sanierung der 'wilden' Siedlungen ausdrücklich ausschließt, wächst deren Anzahl stetig. Anfang April 1933 schätzt man die Anzahl der auf dem Heinefeld 'wild' Siedelnden auf 3.000 Personen. “ Familien..., Alleinerziehende mit Kindern, Alleinstehende, Dauerarbeitslose, meist bitter arme, junge Leute, die ihre Mieten nicht mehr bezahlen konnten und die nicht in die Obdachlosenasyle ziehen wollten.” [300] Ein Teil der DüsseldorferInnen ist von dieser Siedlungsform fasziniert, andere sind schlicht angewidert. Die häufig geäußerte Vermutung, viele der Heinefeld-BewohnerInnen seien kriminell, beruht weniger auf Tatsachen, als auf den Vorurteilen zahlreicher BürgerInnen. Die SiedlerInnen entwickeln in ihrem ‘Ghetto’ vor den Toren der Stadt einen ausgeprägten Gemeinschaftssinn.
Weder die Lehr´sche [301] Stadtverwaltung noch die nationalsozialistische vermochte das Heinefeld tatsächlich in den Griff zu bekommen. [302]
1935/36 räumen die Faschisten schließlich das Gelände. Alle BewohnerInnen des ‘Heinefeldes’ werden zwangsweise ‘erbbiologisch’ untersucht, etliche von ihnen - vor allem Sinti und Roma - werden in Vernichtungslager deportiert und dort ermordet [303].


[288] Jachmann, H., Düsseldorf in der Weltwirtschaftskrise, S. 340.
[289] Weidenhaupt, H., Düsseldorf-Geschichte, Band 3, S. 391.
[290] Jachmann, H., Düsseldorf in der Weltwirtschaftskrise, S. 340 ff.
[291] Vgl. Novy, K., u.a.., Reformführer NRW, S. 330.
[292] Jachmann, H., Düsseldorf in der Weltwirtschaftskrise, S. 342.
[293] Ebenda, S. 343.
[294] Ebenda, S. 343.
[295] Ebenda, S. 343.
[296] Ebenda, S. 347.
[297] Vgl. ebenda, S. 347.
[298] Ebenda, S. 347.
[299] Ebenda, S. 347.
[300] Weidenhaupt, H., Düsseldorf-Geschichte, Band 3, S. 391.
[301] Dr. Robert Lehr, national-liberaler Düsseldorfer Oberbürgermeister von Juni 1924 bis April 1933 vgl. Weidenhaupt, H., Kleine Geschichte der Stadt Düsseldorf, S. 252 .
[302] Weidenhaupt, H., Düsseldorf-Geschichte, Band 3, S. 391.
[303] Vgl. Novy, K., u.a., Reformführer NRW, S. 329 ff.


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