“Die Tatkräftigsten unter den meist
erwerbslosen Wohnungssuchenden begannen, ‘wild zu siedeln’.(...)
Gekauftes, gepachtetes oder einfach ‘genommenes’ Land wurde
ohne behördliche Genehmigung, außerhalb jedes Bauplans der
Stadt, in Selbsthilfe mit oft primitiven Mitteln bebaut .”[288] Nach und nach entstehen an
der Stadtperipherie ganze Siedlungen. Eines der bekanntesten
Beispiele in Düsseldorf ist das 'wilde Heinefeld'.
Ursprünglich hatten im Jahre 1925 obdachlose Familien
leerstehende, ehemalige Munitionsbaracken am Rande der Golzheimer
Heide belegt. Das Gelände war im Besitz des Militärfiskus bzw.
der Stadt.
Im Laufe der Zeit kommen immer mehr wohnungslose Menschen hinzu
und bebauen das noch freie Land zwischen den Baracken. “ Die
Bauweise der Baracken, Holz-, Block-, Erdhütten, Schuppen,
Verschläge und Wohnwagen, war wirr, planlos und verschachtelt,
die Parzellen klein, unregelmäßig und oft ohne daß ein
Unterschied zwischen Wegen und Gärten erkennbar war .”[289]
Die Stadt reagiert zunächst nicht auf das zunehmende ‘wilde’
Siedeln. “So setzte man sich über gewisse Bedenken
rechtlicher oder auch hygienischer Art hinweg und ließ die
Siedler gewähren. ”[290]
Mehrmals kommt es aufgrund der mangelhaften hygienischen
Verhältnisse zum Ausbruch von gefährlichen Krankheiten. Auch
hier bleibt die Verwaltung weitgehend untätig. [291]
Erst 1930 verschickt die Stadt Strafmandate wegen unerlaubten
Bebauens. Die BewohnerInnen ignorieren den behördlichen
Einspruch und die Stadt verzichtet auf weitere Maßnahmen.
Vermutlich hält sich die Stadtverwaltung auch deshalb zurück,
weil man bei der angespannten finanziellen Situation der
Öffentlichen Hand absolut keine Möglichkeit sieht, die
SiedlerInnen anderweitig unterzubringen. Immerhin ist die Anzahl
derer, die auf dem Heinefeld siedeln, im Sommer 1931 schon auf
600 Familien angewachsen.
Gegen Ende 1931 wird die Stadt erst aktiv, nachdem im Rahmen der
3. Notverordnung der Regierung Brüning vom 6. Oktober 1931
finanzielle Mittel für die Unterstützung von
selbstorganisiertem Siedeln bereitgestellt werden. Wohnungs- und
Erwerbslose sollen dazu gebracht werden , “durch eigene
Anstrengungen zu einem einfachen aber gesicherten Wohnen zu
kommen .”[292]
So wird ein eigenes Siedlungsprogramm für fünf Standorte am
Rande der Stadt auf stadteigenem Gelände entwickelt.
1. Thewissen / Kittelbach: 90 Parzellen
2. Torfbruch / Bertastraße: 117 Parzellen
3. Golzheimer Heide / Heinefeld: 200 Parzellen
4. Golzheimer Heide / Rotes Haus: 221 Parzellen
5. Tannenhof: 148 Parzellen
“Die Kriterien für die Wahl der Standorte richteten sich
zuerst nach der Kostenfrage. Ein Ankauf von Land wurde
ausgeschlossen .”[294]
Die SiedlerInnen bekommen städtisches Land kostenlos zur
Verfügung gestellt und erhalten zudem vorgefertigte Baupläne.
Anschlüsse an die öffentliche Energieversorgung, Kanalisation
und Wasserleitungen sind nicht geplant. Selbst die Errichtung von
Straßen sollen die SiedlerInnen eigenständig betreiben. Das
Hauptmotiv der Stadt bei der Auswahl der Standorte läßt sich
jedoch erst beim genaueren Betrachten der Kartenskizze erkennen.
Vier der fünf Standorte liegen in unmittelbarer Nähe der
großen 'wilden Siedlung' Heinefeld. “ Offensichtlich wollte
man eine weitere Ausdehnung der wilden Siedlungen durch ein ‘Einfassen’
mit den städtischen Siedlungen verhindern .”[295]
Die im ersten Bauabschnitt des Programms - am ‘Roten Haus’
und am ‘Tannenhof’ - Siedelnden sind überwiegend arbeitslose
Bauhandwerker. Die Erklärung für diesen Umstand ist plausibel: “(...)
die Zahl der Erwerbslosen im Baugewerbe [war] besonders
hoch .”[296] Auch der
Anteil anderer Facharbeiter ist überdurchschnittlich hoch. Die
übrigen Berufe sind vergleichsweise gering vertreten. [297]
Das Siedlungsprogramm ist innerhalb der Stadt sehr umstritten.
Die KommunistInnen bezeichnen das Projekt als 'Leimrute'. " So
würde für 70.000 Erwerbslose die Unterstützung gekürzt,
während 280 Siedler an den Stadtrand abgeschoben würden ."[298] Ganz anderer Art ist die
Kritik, die ein Teil der Lohauser BürgerInnen und der
Wirtschaftsbund, die Partei der HauseigentümerInnen,
artikulieren. Sie bemängeln, daß die Qualität des vorgesehenen
Baulandes nicht geeignet sei, um dort Gärten anzulegen. " Der
eigentliche Grund für den Widerstand gegen die Siedlungsplanung
war die Sorge, daß die Grundstücke und damit auch der
Hausbesitz durch die entstehende Nachbarschaft ... entwertet
würde ."[299]
Insgesamt entstehen so, durch Reichsdarlehen finanziert,
lediglich 336 legale Häuser. Ein weiteres Siedeln mit Hilfe der
Stadt und dem Reich kommt nicht zustande.
Obwohl das Reichsprogramm für Vorstädtische Kleinsiedlungen
(VKS) eine Sanierung der 'wilden' Siedlungen ausdrücklich
ausschließt, wächst deren Anzahl stetig. Anfang April 1933
schätzt man die Anzahl der auf dem Heinefeld 'wild' Siedelnden
auf 3.000 Personen. “ Familien..., Alleinerziehende mit
Kindern, Alleinstehende, Dauerarbeitslose, meist bitter arme,
junge Leute, die ihre Mieten nicht mehr bezahlen konnten und die
nicht in die Obdachlosenasyle ziehen wollten.” [300] Ein Teil der
DüsseldorferInnen ist von dieser Siedlungsform fasziniert,
andere sind schlicht angewidert. Die häufig geäußerte
Vermutung, viele der Heinefeld-BewohnerInnen seien kriminell,
beruht weniger auf Tatsachen, als auf den Vorurteilen zahlreicher
BürgerInnen. Die SiedlerInnen entwickeln in ihrem ‘Ghetto’
vor den Toren der Stadt einen ausgeprägten Gemeinschaftssinn.
“Weder die Lehr´sche [301]
Stadtverwaltung noch die nationalsozialistische vermochte das
Heinefeld tatsächlich in den Griff zu bekommen. ”[302]
1935/36 räumen die Faschisten schließlich das Gelände. Alle
BewohnerInnen des ‘Heinefeldes’ werden zwangsweise ‘erbbiologisch’
untersucht, etliche von ihnen - vor allem Sinti und Roma - werden
in Vernichtungslager deportiert und dort ermordet [303].
[288] Jachmann, H., Düsseldorf in der Weltwirtschaftskrise,
S. 340.
[289] Weidenhaupt, H., Düsseldorf-Geschichte, Band 3, S.
391.
[290] Jachmann, H., Düsseldorf in der Weltwirtschaftskrise,
S. 340 ff.
[291] Vgl. Novy, K., u.a.., Reformführer NRW, S. 330.
[292] Jachmann, H., Düsseldorf in der Weltwirtschaftskrise,
S. 342.
[293] Ebenda, S. 343.
[294] Ebenda, S. 343.
[295] Ebenda, S. 343.
[296] Ebenda, S. 347.
[297] Vgl. ebenda, S. 347.
[298] Ebenda, S. 347.
[299] Ebenda, S. 347.
[300] Weidenhaupt, H., Düsseldorf-Geschichte, Band 3, S.
391.
[301] Dr. Robert Lehr, national-liberaler Düsseldorfer
Oberbürgermeister von Juni 1924 bis April 1933 vgl. Weidenhaupt,
H., Kleine Geschichte der Stadt Düsseldorf, S. 252 .
[302] Weidenhaupt, H., Düsseldorf-Geschichte, Band 3, S.
391.
[303] Vgl. Novy, K., u.a., Reformführer NRW, S. 329 ff.