April 1989


Die »taz« verkündete voller Triumph, wie friedliebende Demonstranten sich mit Militanten anlegten und ihnen die »Schlagwerkzeuge« wegnahmen, und ich stellte mir das vor, ganz gewaltfrei, und erinnerte mich an ähnliche Situationen, die ich selbst erlebt hatte, nicht nur als Zuschauer. Denn was hier als Fortschritt und Neuheit angepriesen wurde, war ja eigentlich alt wie Abrahams Bart, nämlich daß der Konflikt um die Frage der politischen Gewalt von beiden Seiten aggressiv ausgetragen wurde, auch von der »gewaltfreien«. Ich wußte, wenn ich mit diesen Menschen reden würde, denen jede Gewalt ein Greuel war, würden sie sich redlich bemühen, mir zu erklären, was Gewalt war und was nicht, immer unter der Prämisse, daß das, was sie selbst anderen antaten, keine Gewalt war.

Die Schlüssel klirrten, die Tür öffnete sich, und rein kamen drei Schließer und bauten sich vor mir auf. Sie sahen ziemlich angriffslustig aus.

»Da ist ein Telegramm für Sie gekommen «, sagte der eine, »wir können's hochbringen und Ihnen vorlesen und wieder mitnehmen oder es geht übern Richter.«

Er schien eigentlich sagen zu wollen: »Ein falsches Wort, und die Fresse ist dick.« Und die beiden Kollegen machten per Gesichtsausdruck deutlich, daß sie eigentlich seit mindestens fünf Minuten Feierabend hatten. Ich riet ihnen, es dem Richter zu überlassen. Sie ließen die Kiefer mahlen und verabschiedeten sich. Das nenne ich gewaltfrei.

Ich versuchte, nicht an diese mäßig netten Zeitgenossen und ihr unproblematisches Verhältnis zur Gewalt zu denken. Ich dachte lieber an Anna, die jetzt auf irgendwelchen Vollversammlungen oder sonstigen Veranstaltungen sitzen würde und der das gar nicht gefallen würde, denn sie mochte das nicht so, im Rampenlicht zu stehen und viel reden zu müssen. Aber die Zeiten waren eben andere, heute rannten die Leute nicht von selbst los, wenn sie sich für etwas interessierten, sondern sie mußten begeistert werden; oder aber sie setzten sich in kleinen Zirkeln zusammen, die wichtig daherredeten, aus den Gedanken der Menschen verschwanden und sich irgendwann in Wohl- oder Mißgefallen auflösten. Es gab eben nicht »die Bewegung « wie Anfang der Achtziger, mit Aufruhr, Revolte, Befreiung und chaotischen Beziehungen und vor allem mit dem Bewegungsgefühl, das viele Menschen gemeinsam nach vorne trieb, zu Besetzerräten, Treffen, Versammlungen, ohne daß politische Inhalte und Sprachformen vorher genau katalogisiert werden mußten. Viele der damals Aktiven waren heute passiv und abgetörnt, weil alles so schwierig und zäh geworden war, nichts mehr von selbst zusammenpaßte und so viel Zeit mit Selbstdemontage verbracht wurde. Aber etliche rackerten sich auch weiterhin fleißig ab und hatten alte Erfahrungen mitzuteilen, die nur leider nicht gehört wurden, genau wie wir damals die Erfahrungen der 68er verhöhnt hatten. Anna war irgendwo dazwischen steckengeblieben, so ähnlich wie ich, nur hatte sie meistens mehr Geduld und ein erstaunliches Durchhaltevermögen. Das war jetzt auch notwendig, denn alle naselang fuhren die Leute in den Knast ein und verschwanden erst mal, und übrig blieb'en ein paar da draußen, die sich kümmerten, und das bedeutete ja nicht nur Briefe schreiben und ein Jahrespaket schicken, sondern auch für Öffentlichkeit sorgen und so weiter. Nach ein paar Monaten hatten die Medien den Fall vergessen, die Namen der Verhafteten standen auf irgendwelchen Flugblättern »Freiheit für ...«, aber wie ging es weiter? Irgend jemand mußte ja auch mal sagen, wieso es nicht in Ordnung war, daß da welche im Knast waren.

Annas Stimme hatte ich ganz dünn und schrill hören können, als sie jenseits der Mauern standen mit ein paar hundert Leuten und Lärm machten und Gefangene grüßten und lange, langweilige, unverständliche Reden hielten, deren Inhalt aber doch eigentlich in Ordnung war, nur war die Form so ungeeignet. Sie hatte nichts Derartiges vorgetragen, sondern nur Grüße, und es war erstaunlich, ihre Stimme ohne trennende Glasscheibe hören zu können. Sie kam wie ein Vogel über die Mauer geflogen, wenn auch nur ganz klein, und dann war nichts mehr zu verstehen; nur ein Knacki brüllte »Lauter!« Dann schlugen die Leute draußen gegen die Stahlgitterstäbe, die noch außerhalb der Mauern waren, und wir drinnen machten auch etwas Lärm. Das erinnerte mich an alte Knastdemos mit etwas mehr Leuten und etwas weniger Gerede, nur hatte ich damals selbst von außen gegen diese Gitter geschlagen, und das war die angenehmere der beiden Positionen, auch wenn danach Bullen mit Hunden auf uns losgingen.

Damals war Knast noch etwas ziemlich Fremdes gewesen, eine Art Drachen, der im fernen Moabit lauerte und ab und zu Opfer forderte, die uns entrissen wurden von seinen willigen Dienern im Amtsgericht Turmstraße und deren Bütteln mit Helm und Knüppel, alles war mehr oder weniger eine graue Masse. Und vielleicht war es ja auch wirklich so; es kommt nur auf den Standpunkt an. Von drinnen besehen, war es eine Masse.

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