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Dienstag, 16.Dezember 1980 (Tagesspiegel)
Wieder Krawalle und Verletzte auf dem Kürfürstendamm
Mehrere Festnahmen nach neuen Ausschreitungen bei Demonstrationen
Tsp. Berlin. Die Krawalle vom Wochenende um Hausbesetzungen in Kreuzberg
fanden gestern abend erneut am Kürfürstendamm eine Fortsetzung.
Symphatisanten der Hausbesetzer hatten zu einer Kundgebung aufgerufen,
um gegen die Verhaftungen bei den Zusammenstößen am Freitag
und Sonntag zu protestieren. Einige der rund 3000 Demonstranten reagierten
dann mit Steinwürfen auf die Aufforderung der Polizei, den Kurfürstendamm
zu räumen. Es gab zahlreiche Verletzte auf seiten der Polizei und
bei den Demonstranten. Nach Angaben der Polizei wurden mehrere Teilnehmer
der nicht angemeldeten Demonstration festgenommen.
Gegen 19 Uhr hatte sich die Menge zum Beginn der Demonstration auf dem
Breitscheidplatz versammelt. Aufrufe der Polizei, den Platz zu räumen
wurden nicht befolgt. Festnahmen aus der Menge heraus hatten eher eine
aufstachelnde Wirkung.
Gegen 19 Uhr 20 waren die Demonstranten in Richtung Bleibtreustraße
den Kurfürstendamm entlanggezogen.
Gegen 21 Uhr hatte die Polizei an der Uhlandstraße die zwischen
Breitscheidplatz und Bleibtreustraße mehrfach hin- und herlaufenden
Demonstranten mit einer Sperrkette gestoppt. Unter Einsatz von Schlagstöcken
und Tränengas wurden die zumeist Jugendlichen in Richtung Fasanenstraße
gedrängt. Gegen 21 Uhr 30 war die Versammlung dann gesprengt.
Im Verlauf der Krawalle stürzten Demonstranten in Höhe der
Fasanenstraße einen privaten PKW um. Vor dem Hotel Kempinski rissen
Demonstrantendas Pflaster des Gehwegs auf, um sich mit Steinen zu bewaffnen.
Im Bereich des Hotels wurden Schaufensterscheiben und auf dem Kurfürstendamm
mehrere Vitrinen eingeworfen. Eine von Demonstranten in der Fasanenstraße
errichtete Barrikadewurde von der Polizei wieder abgeräumt. Ein
Teil der Demonstranten setzte sich im Laufe des Abends wieder aus der
City ab und fuhr Richtung Kreuzberg.
Plünderungen - Bauwagen umgestürzt
Etwa 600 Demonstranten zogen am späten Abend über den Nollendorfplatz
in Richtung Kreuzberg. Unterwegs stürzten sie einen Bauwagen um
und errichteten eine Barrikade, die von schwerem Räumfahrzeug der
Polizei beseitigt wurde. An der Potsdamer Ecke Bülowstraße
zertrümmerten die Jugendlichen einen Lebensmittel-Supermarkt. Nach
Angaben eines Polizeisprechers kam es dabei zu Plünderungen. Die
Polizei meldete am Abend allein aus einer Einsatzabteilung 17 verletzte
Beamte.
Drei Demonstranten wurden offenbar schwerer verletzt auf der Straße
liegend gesehen. Ein Beamter wurde von einem Pflasterstein in den Unterleib
getroffen. Die Polizei hatte starke Kräfte zusammengezogen, um den
Kurfürstendamm zu sichern. Annähernd 2000 Beamte waren im Einsatz
beziehungsweise in Bereitschaft. Auch Wasserwerfer wurden bereitgehalten.
Besonders zahlreiche Geschäfte, die bei vorangegangenen Ausschreitungen
Ziel von Zerstörungen waren, wurden sowohl durch Mannschaftswagen
der Polizei als auch durch Polizeibeamte geschützt, die mit Schilden
und Helmen ausgerüstet waren. Auch das Amerikahaus am Zoo war durch
Polizeifahrzeuge und Gitter abgeriegelt. Geschäftsleute hatten die
Auslagen aus den Schaufenstern genommen, die Weihnachtsbeleuchtung war
ausgeschaltet, die U-Bahn-Stationen mit Stahlgittern verschlossen.
Zu der Demonstration hatten die Hausbesetzer in einem Flugblatt aufgerufen,
in dem unter anderem die sofortige Freilassung aller bei den vorangegangenen
Ausschreitungen Festgenommenen und die Aufhebung aller Haftbefehle gefordert
wurde. "Sollte das nicht geschehen, tragen Innensenator Ulrich und
Polizeipräsident Hübner dafür die Verantwortung, daß
in Berlin Weihnachten nicht nur die Weihnachtsbäume brennen."
(Siehe auch Seite 12)
300 Scheiben zu Bruch, 67 Autos kaputt
rb. Berlin, 17. Dezember
Es war schlimmer als am Wochenende - als die Chaoten am Montag um Mitternacht
den Kudamm wieder verließen, waren wieder 300 Schaufensterscheiben
zerschlagen, 20 Vitrinen geplündert worden. Vierzig blutende
Polizeibeamte mußten mit tiefen Fleischwunden, Quetschungen, ausgerissenen
Haaren und Rippenprellungen in Krankenhäusern behandelt werden. 106
Polizisten sind jetzt insgesamt verletzt, etwa 70 Demonstranten. 17 Einsatzwagen
der Polizei mußten demoliert in die Werkstatt, bei 50 Privatwagen
wurden Scheiben eingeschmissen, Türen und Kotflügel eingetreten,
Reifen zerstochen. 23 Krawallmacher wurden von der Polizei festgenommen,
zehn bekamen Haftbefehle. Unter ihnen sind auch vier Polit-Rocker aus
der Schweiz, die extra angereist waren. Experten über die Schadenssumme:
"Wieder mindestens eine Million." Die Berliner haben Angst vor
einer neuen Schlacht - die meisten kritisieren aber auch die Wohnungspolitik
des Senats (siehe unten).
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