84
 

Kleine Polemik über die Geschichte des Hauses Hermsdorfer Str. 4

1960 war das im Krieg ausgebombte und nach dem Krieg mit Steuergeldern wiederaufgebaute Haus Hermsdorfer Str. 4 wieder bezugsfertig. Fünf Jahre später wurde der Abriß des Hauses vorprogrammiert: das Grundstück und der ganze Block wurden als Gewerbegebiet ausgewiesen. 1966 begann die systematische Entmietung fast aller Häuser des Blocks. Ab 1970 schlug die Abrißkugel zu. Guterhaltene Wohnhäuser wurden zerstört, die Mieter in alle Winde zerstreut und in Betonsilos gepackt. Kein Skandal, sondern der Normalfall der Berliner Sanierungspolitik.

Das Haus Hermsdorfer Str. 4 sollte einem Parkplatz für die AEG weichen. Die Gewerbe-Siedlungs-Gesellschaft (GSG) als senatseigener Sanierungsträger bekam den Auftrag, das Haus bis Ende 81 "abzuräumen". Im Februar 80 erhielt sie die Entmietungsgenehmigung und begann mit ihrer unmenschlichen Umsetzarbeit.

Im Herbst erwachte das Interesse der Parlamentarier für das Haus: Ein CDUler im Abgeordnetenhaus erkundigte sich im Oktober beim Senat, warum das guterhaltene Wohnhaus abgerissen werden soll und im November beauftragte die Weddinger BVV das Bezirksamt, sich für den Erhalt des Hauses einzusetzen. Damals hieß es, das Haus solle nach Wohnungszusammenlegungen vorrangig an kinderreiche. Familien weitervermietet werden. An sich kein schlechter Vorschlag, nur die folgenden Taten passen nicht zu den sozialen Worten!

Am 22.1.81 erteilte das Bezirksamt die Abrißgenehmigung. Eine Woche vorher hatte der Senat noch einmal klargestellt, daß das Wohnen im Haus unzumutbar sei, da Industrie und Gewerbe das Haus (zumindest in der Planung) umgrenzen. Aber anstatt solch eine nicht gerade menschenfreundliche Zusammenballung von Industrie und Gewerbe noch einmal zu überdenken, denkt der Senat nur an die Interessen der Industriellen und Gewerbetreibenden, denn für die wäre ein Wohnhaus im Gewerbegebiet ein Dorn im Auge. Sie müßten sich verstärkt um den Umweltschutz kümmern, und das kostet viel Geld. Damit schien alles gelaufen, doch die Besetzung am 24.1.81 schob dem erstmal einen Riegel vor: am 28.1.81 erklärte das Bezirksamt die Abrißgenehmigung für vorläufig unwirksam.

Am 31.7.81 erdreistet sich Bausenator Rastemborski zu behaupten, die Besetzer stünden einer wohnungswirtschaftlich sinnvollen Nutzung der Hermsdorferstr. 4 im Wege. Er verweist dabei auf den BVV-Beschluß vom November 80, der nach der Räumung in die Tat umgesetzt werden solle. Aber: von Wohnungszusammenlegungen ist nicht mehr die Rede, die kinderreichen Familien sollen sich in platzarmen Wohnungen tummeln. Nur der Abriß des Hauses ist weiter in Planung, nämlich dann, wenn sich ein gewerblicher Nutzer für das Grundstück gefunden hat.

Zwei Tage nach der Räumung wird plötzlich öffentlich, was schon lange bekannt, aber bewußt verschwiegen wurde: noch nicht mal die Finanzierung für die Renovierungsarbeiten ist gesichert. Aus der Verbitterung über den Verlust unseres Hauses und aus der Wut über die vielen Lügen und Heucheleien heraus wird uns immer klarer: Es geht ihnen nicht darum, "Wohnraum für kinderreiche Familien" zu schaffen, es geht ihnen darum, uns aus unserem Lebensbereich zu vertreiben, weil unsere Formen des Widerstands gegen ihre unmenschliche Wohnungs- und Sanierungspolitik ihre Lügen immer deutlicher werden läßt.

 

Seite 83   Seite 85