bloß zu zischen, doch noch nicht zu brülln, befindet sich auf der gewölbten, vom harten Licht beinahe weißen Fläche des Hofes hinter dem Eisengitter kein Mensch. Nur weit entfernt hockt ein Mädchen. Es lehnt an gleißenden Kletterstangen und redet auf eine Puppe ein. Es ist eine Gliederpuppe. Die Gliederpuppe hat es bis an den Hals im Sandkasten vergraben. Keiner bewegt sich. Mir wird kalt. Denn das Wechselspiel der Sonne streift die stahlverzinkten Spitzen wie ein wartendes Gespenst.

Und erst nach einem kurzen Zögern beginnen die Versammelten unter der stillgelegten Hochbahn - mit einer vagen Geste unter dem Baldachin aus Stahl - erst eigenartig zu blöken, bitter, beinahe erschrocken zu schrein. Er, der Feldherr, über den Besiegten, im dritten Stock auf dem Balkon. Der Scheitel immer akkurat. Zu hoch für einen Steinwurf. Und die Gewißheit, daß ohne die Zustimmung des DGB die Neue Heimat niemals hätte räumen können, daß ohne die Neue Heimat, sechs der acht Häuser gehören ihr, weder die Bullen noch der Senator, noch der Bürgermeister, ein silbergraues Wichsgesicht, hätten räumen können.

Noch treten die Bullen auf der Stelle. Trotzdem beginne ich zu zittern. Ich beiße die Zähne zusammen. Aber es nützt nichts. Mir wird noch kälter. Obwohl die Sonne scheint. Ich habe gedacht: Ich muß rennen.

Ich habe Kai gesehn, neben ihm Manuela. Ich habe gesehen, wie Kai einem Lederjackenträger eine Hand vor dessen Brust stößt, habe, eilig schon, gesehen, wie ihn Manuela - »laß doch!« - von dem Lederlackenträger, einem Zigarettendreher, wegziehn will, habe mich gesehen: feige, furchtsam, schon auf Zehenspitzen - warte, hat Manuela gesagt. Laß mich, hab ich gemurmelt, wohin müssen wir fliehn?

Und während der kleine Innensenator, fast verloren vor der Fassade, es ist gerade Mittagszeit, lautlos Lippen und Zunge gegen das Brüllen brav bewegt, beginnen die Bullen - Schild, Schlagstock, Helm, ihr Klopfen: Holz auf Plexiglas - zu Anfang langsam, sehr bald schneller gegen die Versammelten unter der Hochbahn vorzurücken, die Menge vor dem geräumten Haus auf die Fahrbahn abzudrängen, Richtung Potsdamer Straße.

Und ich werfe, obgleich ich zittere, was ich in den Händen halte, hastig auf die vorrückenden Helme der Phalanx.

Das Singen der Steine am Stahl der Pfeiler - Ej, ruft Kai, nur 'n Moment noch, reißt sich - Schulter, Arm mit Jacke - von ihr, Manuela, los. Klammert, Hände in zwei Taschen, Steine, ihr Schweine, während ein entsetztes Pärchen atemlos - sie kriegen dich - auf ein Absperrgitter zurennt und verfolgt von einem Jäger - großer Bulle, schlank und schnell - angestrengt, dennoch vergeblich hofft, ihm zu entkommen, »bitte, halt mich fest«.

Aber er, der flinke Freund, springt über das weiße Gitter, sie, die schmale Freundin, läuft erschöpft davor. Knickt dann in der Hüfte ab, brüllt, bevor der Bulle zuschlägt, auf die feinen, weißen Finger, auf die Hände überm Kopf - schreit, wenngleich nutzlos, und wird wieder still.

Bevor sich Manuela umdreht und versucht, Kai vom Typ in Lederlacke: RAFft euch auf! RAFft euch zusammen, wegzuzerren - Du, ich kenn den, der ist harmlos, also komm!« -, ruckt Kai vor, Gute ins Töpfchen, schießt auf, Schlechte in das Kröpfchen, jenen Zigarettendreher, der ihn ängstlich ansieht, zu. Zwischen Gold und gelbe Haare fällt ein blondes Licht aus Glas. Leise tickt die laue Luft. Umsichtig verteilten Schlägen folgen spitze Schreie und ein bißchen Blut.

Als die Frau am Absperrgitter sich weich wie Bananenschalen um die weißen Stangen legt, packt Kai, bloß ein rascher Ruck, sich den Zigarettendreher vorn, »ej!«, an der Lederjacke, so daß Tabak - kleine Krümel, Filter mit Papier, die Packung - vor ihm auf die Straße fällt, zwischen dessen Füße, während Jochen flieht.

Du kennst das aus dem Kino: erst schlägt man zu, dann ruckt der Kopf in Zeitlupe nach hinten - Kai: »Bist du nich der von gestern ?« - »Is dir nich gut, du Arsch ?«

Gestern. Während der mit fixen Fingern, Augen auf Papier und Tabak, mit verwinkelt kleinen Händen, etwas abgebogen, krumm, rot auf schwarzer Lederjacke: RAFft euch auf! RAFft

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