I may be Japanese

 Drei Körper aus dem 20.Jahrhundert


 1.

"Eigentlich entdeckt der lebende Organismus dort oben, daß man keine Knochen braucht, und Muskeln auch nicht." Wubbo Ockels, Hollands erster Astronaut, beschreibt hier die asketische Reaktion des Körpers auf einen Zustand langanhaltender Schwerelosigkeit. Er hatte die Veränderungen im Kalziumhaushalt des Skeletts während seiner Reise mit dem space shuttle untersucht. "Knochen und Muskelgewebe werden abgebaut. So ist das mit dem Leben. Sobald es einer anderen Umgebung ausgesetzt wird, paßt es sich an." Bei der Rückkehr zur Erde, nach einem Jahr im Weltraum, kann das Herz das Blut nicht länger gegen die Schwerkraft durch den Körper pumpen, und die Beine brechen. "Deshalb habe ich oft über die Zukunft nachgedacht. Wie sieht es in zehn Jahren, hundert Jahren, tausend Jahren oder zehntausend oder hunderttausend Jahren aus?" Und Ockels zählt auf: zehn Jahre - Raumstation. Hundert Jahre: Starwars und die Atombombe überstanden. Ein Geschäftsmann fliegt in 45 Minuten durch den Weltraum von New York nach Melbourne. Tausend Jahre: kein Unterschied mehr zwischen Mensch und Technologie, es wohnen Menschen im All, die nie mehr zur Erde zurückkehren. Zehntausend Jahre: eine neue Weltraumkultur, "eine neue Umgebung, neue Technologie, neue Menschen. In unseren Augen werden das keine sympathischen Menschen sein, weil ihnen so schöne irdische Dinge wie die Frühlingsblüte der Blumen nichts mehr bedeuten". Hundertausend Jahre. Jetzt wird es interessant.

Wubbo: "An den Gedanken des Knochen- und Muskelgewebeabbaus anknüpfend, sehe ich den Menschen in hundertausend Jahren ohne Arme und Beine, denn die hat er nicht mehr nötig. Irgendwo auf dem Weg durch die Zeit stellt sich der Schalter um. Noch betrachten wir die Erde als Heimatbasis, wenn wir da oben schweben, und sind gerührt durch den Anblick der Kugel, trotz des Mülls, der Arbeitslosigkeit, des Hungers, der Kriege. Aber einmal, denke ich, wird sich das verändern. Dann wird es Menschen geben, die dem entfliehen werden."

Das 20.Jahrhundert ist ein Jahrhundert der unmittelbaren Realisierungen. Dieses Jahrhundert hat keine Zukunft mehr, denn es hat sie schon selbst in seiner ihm zugeteilten Zeit zuwege gebracht. Mitte der fünfziger Jahre konnten Mütter auf den Marshallinseln im Stillen Ozean ihre Kinder bereits beschreiben als: "a bunch of grapes... or a jellyfish baby... the heart beats for two to twelve hours and then they die." "Kleine Wesen, beschrieben als durchsichtiger Krebs, ein flacher Klumpen", schreibt die Wissenschaft später: die zweite Generation Atomversuche, Resultat des ersten Schnees aller Zeiten auf Rongelap, nach dem Test von - Bravo - der H-Bombe auf Bikini am 1. März 1954. Genetik, auf ihrer essentiellsten Ebene verwendungsfähig gemacht; Mutation, endlich mit echtem Material;

Chromosomenpaket, weniger als "two percent bits of information and tender feeling". "Meine Schwester bekam ein Kind, das noch am ehesten einer Krabbe glich, eine ältere Frau hatte ein Kind ohne Arme. Eine andere Frau bekam ein Kind ohne Schädel. Einige bekamen Kinder, die wie Katzen aussahen, oder Ratten. Mein eigenes Kind hatte nichts menschliches mehr. Andere bekommen gar keine Kinder mehr." (Etry Enos, Rongelap). Ockels' Kinder, schon so stark, daß sie es zwei bis zwölf Stunden in unserer Zukunft durchhielten. "Das einzige, an dem wir sehen konnten, daß es ein Baby war, war das Gehirn."

Keine frohere Botschaft für den Mensch des 20.Jahrhunderts, als jene, daß der Mensch eine überwundene Stufe ist, daß die letzten Naturvölker nun ganz ausgerottet sind, daß man nun daran gegangen ist, auch die entlegensten Winkel des Urwalds zu fällen, daß die Ozonschicht über unseren Köpfen zerstört wird, daß die Kettenreaktion (DDT, PVC, CO2) unwiderruflich eingesetzt hat - keine lebhaftere Produktivität, keine tiefsinnigere Kreativität, keine aufrichtigere Authentizität, als jene, welche aus dem Bewußtsein hervorkommt, daß wir die Letzten sind, das Ende von Allem. Das war der tragende Mythos des 20.Jahrhunderts, das, was uns unser Bewußtsein gab, unser Bewußtsein erträglich machte.

 2.

Bewegungslehre: "Metamorphose hat nichts mit Wille oder Bewußtsein zu tun, mit einer Wahl aus mehreren Angeboten. Die Verwandlung ist dann möglich, wenn man im richtigem Augenblick die Leere betritt, um an einer anderen Stelle als etwas anderes wieder zu erscheinen, ohne daß feststeht, als was." Und dann kommt es: "Das Medium der Metamorphose ist der Körper, die Materie selbst" (und nicht nur seine Erscheinung). Und dann?

An einem Abend im Herbst 1916 wurde Sherwood Anderson zum Schriftsteller. Vier Jahre zuvor hatte er (im Alter von 36 Jahren) eine Eingebung gehabt - "I have been walking in the river and my feet are wet" - wonach er Frau und Kinder im Mittleren Westen verlassen hatte und auf der Suche nach einem ruhigen Dachzimmer nach Chicago gezogen war. Das hatte er gefunden; Jahr um Jahr schien das Zimmer nicht leer genug zu sein. Er schrieb ein paar Romane, aber das kann jeder. Dann zog er in ein Zimmer, daß noch leerer war: nur ein Bett, ein Tisch, ein Mann. Und dann geschah es. Er vergaß alles und fand seine Kraft in einer Erzählung über die Hände eines neurotischen Ex-Lehrers in irgendeinem Kaff im leeren Inneren von Amerika. "Aber das kann nur ich."

Eine Reihe Erzählungen folgte, eine Reihe Menschen: cluster von Kleinigkeiten, aus denen nie etwas geworden war, mit der Vorstellung, daß es alsbald geschehen würde oder könnte (nur ihnen). Oder selbst das nicht mehr. Die Erzählungen wurden ein Buch, das Buch brauchte ein Vorwort. Ein alter Schriftsteller, heißt es im Vorwort, schrieb Abend für Abend neue Erzählungen über Detailfragen den Menschen betreffend, aus denen nie etwas geworden war - Anderson: "The old man had quite an elaborate theory concerning the matter." Dies war die Theorie: am Anfang war die Welt noch jung und damals gab es viele Ideen, aber es gab noch keine Wahrheit. Der Mensch machte die Wahrheiten aus einem Bündel vieler vager Ideen. Es gab die Wahrheit der Reinheit, der Leidenschaft, die Wahrheit von Reichtum, Armut, Verschwendung, Sparsamkeit, Überschreitung - es gab hunderte, tausende Wahrheiten und sie waren alle gut. Dann kamen die Menschen und jeder suchte sich eine Wahrheit heraus, einige eine Handvoll. Um diese Wahrheit herum begann man sein Leben einzurichten und das, stellte der Autor fest, führte zu Deformationen: um mit der Wahrheit übereinzustimmen. Jeder Mensch wurde eine groteske Ausführung der Wahrheit, die er sich zu eigen gemacht hatte (in sich entdeckt hatte): eine Mutation. Die Wahrheit ist in uns und hält uns aufrecht oder gebeugt. Die Wahrheit ist körperlich, immer, man kann sie sehen. Der alte Schriftsteller sollte das Buch über seine wahren Menschen "The book of the grotesque" nennen. Er schrieb Jahre daran und warf es dann weg. Die Wahrheit ist ein Skelett. 'Ich will vage Ideen.'

 3.

Im 20.Jahrhundert orientierte sich der Körper nacheinander und abwechselnd an drei Modellen: dem natürlichen Körper, dem ideologischen Körper, dem technologischen Körper.

'Natürlich' wurde der Körper ziemlich plötzlich zu Beginn des Jahrhunderts, "The human body is composed of innumerable atoms", schreibt im Februar 1903 der Meeresphotograph und Bodybuilder William Hope Hodgson in einem Aufsatz zur Werbung für seine School of Physical Culture, die er im Frühjahr 1900 in Blackburn, England, eröffnet hatte. "Each Atom has its birth, life and death; and the strength of the body as a whole, and of each part individually, is in exact relation to the youthfulness or newness of its atoms." Woraus er schließt: "Health and strength are therefore attained according to the frequency with which these atoms are changed."

Thermodynamisch gesprochen klingt es etwas plastisch, aber was Hodgson sagen will, ist: dieser Körper ist neu, modern, 20.Jahrhundert, up to date, state of the art. Atome, Quantensprünge, all diese Dinge - Attribute, mit denen angegeben werden kann, daß im Körper eine fundamentale Veränderung stattfindet, fort aus dem eingeschnürten, ungesunden, sich im Kreis drehenden, ja, was eigentlich, 19.Jahrhundert - hin zu einer klaren, straffen, kräftigen, neuen Ara. "Whenever the change of atoms is done by natural activity or by suitable exercise, there is an increase in size and power as well as an improvement in health and strength, as a natural consequence." Auf Atome folgt Natur, Natürlichkeit, Proportionalität. Holzfäller, Bauarbeiter, Bodyarbeiter: "To build we need bricks, i.e., plenty of good, pure blood", heißt es einige Monate später in Sandow's Magazine of Physical Culture & British Sport. Wurden bei Hodgson zunächst Atome geboren, und starben, strömen nun Blutbausteine durch die Adern. Die Körpersprache ist noch fließend, hat keine festumrissenen Metaphern. Vermutlich holt Hodgson dieses aristotelische Blutblabla hervor, um zu zeigen, daß der neue Körper zugleich uralt ist, Teil einer prähistorischen Natur (und seit Darwin und Lyell, seit den letzten achtzig Jahren, war die Natur in England ziemlich alt geworden).

Muskeln sind such stuff as bodies are made on. Das Blut baut Muskeln und das Blut wird wiederum in "the digestive organs" gebaut, der "Backsteinfabrik" wie Hodgson sagt. Was sonst noch im Körper geschieht, bleibt außer Betracht. Der natürliche Körper besteht aus einer dynamischen Teilchensammlung, die durch gezielten Druck von außen und gut funktionierende zentrale Verdauungsorgane so in Form gebracht werden kann, daß das Ganze sich geschmeidig immer weiter bewegt. Hodgson entdeckt im Körper, nach dem goldenen Zeitalter des Empire unter Victoria, ein neues Modell, jenes des Commonwealth, in der jedes Teilchen, jeder Beamte, jede Nation sich stets aktiv erneuern muß, um geregeltes Zusammenwirken der größeren Teile zu gewährleisten, auf daß Britannia ein perfekt funktionierender (Staats)Körper bleiben kann - auch wenn sich die Welt verändert. Der Körper erneuert sich so, wie es auch das Reich tun muß - aus den digestive organs, der englischen Nation selbst, die die Reichtümer aus den überseeischen Gebieten verzehrt, um Backsteine zu machen: den neuen, aufgeklärten Beamten des 20.Jahrhunderts.

Der natürlche Körper ist ein politischer Körper. Er ist auf Beherrschung (Selbstbeherrschung) aus. Er sucht eine Methode, um dem Ende zu entgehen, dem unvermeidlichen Untergang, der auf die viktorianische Blütezeit folgt. Er sucht eine gewollte Mutation: zu einer permanenten Metamorphose als Quelle von Stabilität. Aber dieser Körper hat einen blinden Fleck: er kennt das Skelett nicht, er täuscht sich in seiner Muskelkraft. Der natürliche Körper hat keine tiefere Wahrheit, er ist lediglich in Form.

Hodgsons Schule wurde kein Erfolg. 1904 hörte er mit physical culturing auf. Im selben Jahr trat er dem Schriftstellerverband bei. Er gab als Genre Fantasy & Horror an. Hodgson hatte das Britische Reich auf seinen Seemannsreisen kennengelernt, nachdem er mit dreizehn Jahren von Zuhause weggelaufen war. "Saved life of a fellow sailor in shark-infested waters off Port Chambers, New Zealand." Die allzu enthusiastischen Aufdringlichkeiten der rauhen Seebären mit unerwünschten Intimitäten hatten den kleinen Mann zum Entschluß gebracht, seine Muskelkraft in einem besseren Beruf zu nutzen. Später, in seiner dritten Phase, verwertete er seine Überlegungen. Seine Bücher beschreiben klipp und klar das Ende der Menschheit, der Sonne, der Welt, des Kosmos und was dahinter liegt - und ein Mann nur, der dieser totale Vernichtung weniger widersteht, als sie übersteht. Welcher Mann eigentlich? Der Mann mit dem natürlichen Körper natürlich.

In The Nightland, Hodgsons Meisterwerk (wenn er es nicht in einem Phantasie-Englisch im Stil des 17. Jahrhunderts geschrieben hätte, sozusagen als Sprache der Zukunft, hunderttausend Jahre später) hat die Menschheit, nachdem die Sonne erloschen ist, sich in eine Pyramide nach dem Modell der Arche Noah zurückgezogen. Der jugendliche Protagonist bereitet sich auf seine Aufgabe in der herrschenden Klasse der "Letzten Festung" vor, aber in seinem Leben fehlt etwas. Was? Unser Held besitzt die Gabe des "Nachthörens" - er hört was draußen geschieht, im Nachtland, der Ebene, wo "Monster und nonhumane Kreaturen" lauernd warten, bis die Energie aus dem Erdstrom unter der Pyramide versiegt; wie zum Beispiel das graue Auge, das die Türme permanent beobachtet, das Scharren am Tor, oder, mit dem Fernrohr sichtbar: die großen Gestalten auf der Straße-Wo-Die-Stillen-Wandeln. Was der Held entdeckt: er hört, daß sich jenseits des Unheils eine zweite Pyramide befindet, in der das Licht am Erlöschen ist und die Monster gierig auf ihr letztes Abendmahl vorrücken. Sei's drum, kann passieren. Aber was schlimmer ist: sie wohnt dort - the second half of his soul, Mirdath/Naani, der er hunderttausend Jahre früher (16-hundertsoundsoviel) und, so weiß er, hunderttausend Jahre später begegnet ist: zwei Quarks in einem Universum voll schwarzer Materie finden sich und bilden das unteilbare, unzerstörbare, unveränderbare Atom.

Die Romane und Erzählungen von William Hope Hodgson lesen sich wie ein Leitfaden über Grenzen und Möglichkeiten des natürlichen Körpers. Die Belohnungen, die seiner harren. Die Bedrohungen. Diese letzten lassen sich in drei Kategorien unterscheiden: die des Organischen um uns herum, die des Anorganischen, das uns bestimmt, und die des Nichts, der Leere, des Bodenlosen, das, worauf die ersten zwei Kategorien gegründet sind. Der Held zieht ins Nachtland und ertastet seinen Weg durch eine Welt voll organischer und anorganischer Gewalt. Kurz vor dem letzten Sonnenuntergang, als das Alte starb und das Neue nicht geboren werden konnte, war die Degeneration so weit fortgeschritten, daß die Menschen begannen, sich mit den Tieren zu vermischen, ein endloses Geficke: der Schlaf der Vernunft schuf Monster, die ihre Eltern nicht verleugneten ("Kreuze dich nicht mit Tieren, Kameltreiber, Schäfer, Hundelecker -"). Diejenigen, die dieser letzten Mutation entgehen wollten, hatten die Pyramide gegründet. Der Rest... Und dann die wesenlosen Bedrohungen, die Materialisierungen des vagen Verlangens nach der Ferne, die saugenden Nebel, die schwelenden Felder, der anorganische Orgasmus. Der Held findet seine Geliebte auf der Schwelle zum Nichts, er bringt sie zurück, durch das Tal der Monsterschnecken zur Hochebene und zur Pyramide, aber auf dieser letzten Schwelle stirbt sie (doch ein Monster übersehen) - aber siehe, auf Tod folgt Geburt, Jugend oder Neues: ihre Auferstehung. Das alte England ist tot, das neue soll...

Doch das Zeitmodell des natürlichen Körpers ist nicht linear, es folgt einem Kreis, der so groß ist, daß der Umfang für den, der ihn umrundet - wir - eine Gerade in eine Richtung zu sein scheint; wenn sich aber die Geschwindigkeit des Voranschreitens erhöht, enthüllt es seinen zirkulären Charakter - so wie es Hodgson in The House On the Borderland beschreibt. An einer bestimmten Stelle in dieser Erzählung beginnt sich die Erde so schnell zu drehen, daß selbst die Sonne nicht mehr stroboskopisch aufblitzt, sondern nur noch als Lichtspur von Norden nach Süden schießt, und wieder zurück, durch die Jahreszeiten hindurch, bis sie erlischt und in den Doppelstern im Zentrum des Alls stürzt, aus dem sie in der nächsten Runde wieder als Nebel forttreibt, bis sie sich verdichtet und ihre heutige Position wiederfindet, in einem folgenden oder parallelen Universum. Wir kehren zurück.

Der natürliche Körper kollidiert mit der Natur, ihren Überraschungen und Verwünschungen, er ist auf das Außen gerichtet, nicht auf inneren Halt oder Gerüste: Kraft kommt von außen, so wie die Liebe. So wie das Widernatürliche - der natürliche Körper kennt seine Feinde - von dem er sich fernhalten muß, um seine Festigkeit nicht zu verlieren.

Und tatsächlich, es kommt auch alles von Außen: 1916 findet eine Übung der Royal Field Artillery, bei der William Hope Hodgson sich im Juli 1915 gemeldet hatte, für den Großen Krieg statt. Dabei stürzt er vom Pferd. Nach seiner Genesung kommt er an die Front, erster Einsatz: Oktober 1917. Am 10. April 1918 muß er nach einem deutschen Angriff ins Krankenhaus, und meldet sich nach seiner erneuten Genesung am 17. April 1918 freiwillig als 'Forward Observing Officer'. Am 19. April erwischt ihn eine deutsche Granate. Was von ihm übrig blieb, Fragmente - "his few remains were burried on the spot, at the foot of Mount Kermel in Belgium, 20 april 1918".

 4.

Der Faschismus in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen ist in diesem Zusammenhang eine historische Abweichung ohne große Bedeutung. Der ideologische Körper, der zu dieser Epoche gehört, und dessen knochenloses Land der Ströme Theweleit in seinen Männerphantasien so umfassend nachgezeichnet hat, erwies sich als eine Sackgasse im Netz der Geschichte, ähnlich wie das Aufkommen des Neanderthalers parallel zur Evolution vom Hominiden zum Menschen. Der ideologische Körper ist schön, immer schön, eine Asthetisierung des politischen Körpers, darauf ausgerichtet, durch Bewegung in der Zeit zum Stillstand zu kommen (Tausendjähriges Reich). Körperkultur: ein Körper ohne Wahrheit, ohne Skelett, nur Außenseite, doch ohne Reich, in dem er eine Funktion einnehmen kann, daher auf Eroberung gerichtet, auf ein rasend schnelles Voranschreiten durch alle penetrierbaren Lebensräume - ein Blitzkrieg Baby, deutsch, herrlich sich daran zu pressen, wenn man es in die Finger bekommt ("I went to Berlin for the boys"). Ein Körper, der immer wieder die Grenzen durchbricht, die ihm von außen gesetzt werden, aber gerade dadurch die eigene Form festigt - ein Körper also, als Ergebnis eines Opfers, mit starken Vorlieben und Abneigungen: er scheißt auf alle, die ein etwas anderes Verhältnis zum Opfer haben (Juden, Zigeuner, Homosexuelle, Invalide, Alte, Irre, Mongoloide), läßt sich jedoch in einer ekstatischen Form von Mitleid von einem Krüppel (Goebbels) mitreißen, auf dessen schmerzverzerrtem Gesicht die Selbstüberwindung der eigenen Opferrolle geschrieben steht. Zugleich auch eine korporatistische Körperideologie: wenn alle Menschen sich gegenseitig störungsfrei stützen und stärken, kann einer der Beste sein (der ideologische Teil dieser Aussage ist, daß dieser Eine 'von Natur aus' der Beste ist). Nicht die richtige Form an sich (die Form, in welcher der natürliche Körper bleiben wollte), sondern die richtige Form als eine dermaßen organisch gewordenen Verschmelzung von Körperarbeit und Körper, daß dadurch ein natürlicher Körper entsteht. Und dieser Körper hätte das Sagen haben sollen. (Aber auch das blieb Ideologie).

 5.

Der Wiederaufbau brachte kein eigenes Körpermodell hervor. In dieser typischen Prä-Zeit wurden einzig die Bedingungen für eine folgende Gestalt geschaffen. Um sich selbst zu verändern mußte der Körper mit der Welt beginnen. Er brauchte dreißig magere Jahre, um seinen Stolz in einer neuen Gestalt wiederzugewinnen. Aber als 1982 dann endlich der technologische Körper eingeführt wird, im Film Conan der Barbar, geht er als natürlicher Körper gekleidet und taucht in den Begleitumständen des ideologischen Leibes auf. Das 20.Jahrhundert des Körpers wird kurz zusammengefaßt. Am Anfang des Films wird das noch junge Modell aus dem alten und besiegten Reich geraubt und in eine Art germanische Frühzeit im Norden verschleppt. Der jugendliche Body wird mit seinen Freunden an ein Rad gestellt, mit dem Energie aus dem Erdstrom gezapft wird. Wo Andere im Laufe der Jahre sterben, erweist sich einer von Natur aus als der Beste: Arnold Schwarzenegger. Seine Kraft hat sich mit dem Kreislauf des Rades verbündet, ist immer wieder zu sich selbst zurückgekehrt und hat seinen Körper zu hyperproportionalen Maßen aufgeblasen. Seien wir offen: dieser Film tut sein Bestes, möglichst verdächtige Bilder zu verwenden. Die Guten sind weiß und die Schwarzen böse. Die dunkelhaarige Frau, mit der Arnold sich paart, erweist sich als ein scharfgezahntes Biest (vagina dentata); das blonde Motorradmädel, das während seiner Einbruchstour auf Arnold stößt, entpuppt sich als gesundes Sexgirl und natürliche bessere Hälfte. Dieser Film hat Männerphantasien gelesen und zieht daraus Vorteile. Er entmythologisiert nicht, wie Theweleit es noch für notwendig hielt, er remythologisiert, und das ist stets effektiver. Der Film weiß, daß man etwas umwerfend Neues nur dann ins Massenbewußtsein einführen kann, wenn es mit halbzerfallenen Fetzen Unterbewußtsein umhüllt wird. Es muß wiedererkennbar bleiben (und rassisitische Bilder sind, was das betrifft, ebenso wiedererkennbar und beruhigend wie antirassistische).

Arnold wird, groß und stark, durch einen Astheten vom Rad weggeholt und in macho-to-macho Hahnenkämpfen eingesetzt. Er gewinnt immer, tötet immer. In einem grausamen Anfall von Sentimentalität läßt sein Herr ihn frei und hetzt ihm dann Wölfe hinterher (das Orpheus-Thema). Auf seiner Flucht über einige Felsen stürzt Arnold durch einen Spalt in der Erde in die Unterwelt. Und dort sieht er das Geheimnis, das Neue wird enthüllt: Skelette, ein altes Grab. Als Symbol der Vergänglichkeit vermummt, erweisen sie sich als die neue Kraftquelle: das Gerippe eines Königs wirft Arnold ein mächtiges Schwert zu und dieser erkennt seine Unabhängigkeit, sein eigenes Moment - "Aber das bin nur ich."

Der Rest des Films inszeniert nachdrücklich den natürlichen Körper: das Verlangen nach dem anderen Körper, die Leere, die Zeit; ein Hauch von Kritik an den Sixties macht den Feind als eine Sekte aus, die widernatürlichen Gruppensex praktiziert und auf Kreuzung mit dem Tier gerichtet ist (Schlangenkult) - nichts Unbekanntes, nicht Beunruhigendes mehr. Am Ende des Films wird sogar das Skelett des Motorradmädels verbrannt und sie kehrt als ätherischer Körper zurück. Doch dieser Rückgriff auf alte Metaphern soll lediglich die neue Unruhe dämpfen, denn was geschah ist bereits geschehen: das neue Symbol ist für das kollektive Unterbewußte erschlossen.

Kurz nach Conan, am 20. November 1983, sind im bundesweit gesendeten Spielfilm Der Tag danach Atombombenbilder zu sehen, die das Geheimnis schon prägnanter definieren. Die gezeigte Explosion enthüllt, daß das letzte, was vom Menschen zu sehen sein wird, nicht das Photo seines Schattens ist, eingebrannt, wie auf der Mauer in Hiroshima oder Nagasaki, sondern ein sich gegen eine rosenfarbene Aura abzeichnendes Gerippe, mit der Explosion als Hintergrundbeleuchtung. Nicht die vernichtende Endkraft der Bombe war die Wahrheit des Films, für die das Volk sich begeisterte, sondern was die Bombe erhellte: der Mensch als überflüssige Außenseite. Der Körper kann verdampfen oder verfaulen, das war die neue Wahl. Das Skelett jedoch wird durch keine der beiden Möglichkeiten gestört.

Aber dann, schon in Arnolds nächstem Film The Terminator von 1983, wird dieses Skelett aktiv. Man muß dabei bedenken, daß Arnold Schwarzenegger, x-mal Mister Universe, in jener Zeit so etwas wie die Personifikation der body culture war - der dritte Kult des Körpers des 20.Jahrhunderts, nach physical culture und Körperkultur. Sein Körper kam aus der deutschen Sphäre (österreich), ging jedoch (wie sein künstlerischer Vorgänger) zur neuen Großmacht, diesmal dem Kind Britannias: Amerika. Arnold transformierte sich zum neuen amerikanischen Körpermodell. Mit mechanischem Training und etwas Chemie mutierte er sich selbst und wurde ein Weltkörper, ein transpolitischer Körper, der weniger alle Grenzen überschreitet, als diese alle enthält. Dieser Körper hat den natürlich-ideologischen Zustand des: "es gibt nur eine Art Körper" (den schönen) hinter sich gelassen. Er fühlt sich wohl in seiner Haut, er fühlt sich happy - mehr noch, er fühlt sich besser denn je.

Aber ein neuer Körper war er noch nicht, der von Mister Universe; eher eine Anhäufung aller alten Körper in einer einzigen Person, eine Zusammenballung des gesamten Chromosomenmaterials der Welt in einem Genpaket: ein Körper, in dem sich jeder zuhause fühlen konnte. Erst die amerikanische Filmindustrie durchschaute, welche Neuheiten (inklusive der dazu gehörenden Marktsegmente) hier erschlossen wurden. Im ersten Terminator wird die Wahrheit dieses Körpers gezeigt - denn er besitzt wieder eine Wahrheit. Und diese Wahrheit heißt Technologie.

Wahrheit. Schwarzeneggers neues Skelett in The Terminator besteht aus Stahl und Mikroschaltkreisen. Seine Menschlichkeit ist mehr oder weniger drumherum geklebt (deformiertes Fleisch). Die einzige Funktion der Muskelpakete ist, den alten Menschen (uns) über die Absichten des Cyborg zu täuschen. Die Natur ist eine Maskierung der Technik. Ohne (natürlichen) Körper ist das schwarzmetallene Computergerippe mindestens ebenso effektiv in seinem unaufhaltsamen Drang, uns zu töten.

Tod und Skelett bilden ein neues Gespann, nicht länger in einem symbolischen Tausch, mit der Wahrheit des biologischen Endpunktes (Memento putrefieri) als Einsatz; das Skelett tötet selbst, aktiv, mit der Erbarmungslosigkeit der anorganischen Materie. Es kehrt aus einer postnuklearen Zukunft zurück in die Spätphase des 20.Jahrhunderts, um hier, an der Quelle, die Zukunft des Widerstandes, den der Mensch gegen die kommende autonome Maschinenmacht zeigen wird, im Voraus aufzulösen, indem die Mutter des zukünftigen (in über dreißig Jahren) Guerillaführers jetzt schon ermordet wird. Das zirkuläre Zeitmodell schließt sich mit dem klassisch-linearen kurz: es erweist sich, daß die Sonne für unsere Wiederkehr nicht erlöschen oder wiederauferstehen muß, es ist eher eine Frage der richtigen Apparatur am richtigen Ort. Die in der Nachgeschichte entwickelte Zeitmaschine verhütet retrospektiv, daß das 20.Jahrhundert über seinen eigenen Ereignishorizont stolpert. Den Willen des 20.Jahrhunderts, der letzte Mensch gewesen zu sein, nimmt der Film wortwörtlich: die Zukunft, die wir selbst anbrechen lassen, wird uns daran hindern, in sie einzutreten. Die Boys from Hollywood erkannten, daß die heimliche Faszination der body culture von der ängstlichen Vorahnung geprägt wird, daß die Apparatur, mit welcher der Körper sich zu seiner neuen Proportionalität aufpumpt, eines Tages zurückschlagen und diesen Körper vernichten wird. Wie? Die Bedrohungen des technischen Körpers kommen aus dem Inneren. In The Terminator will das Skelett dem Fleisch in einem radikalen Feedback zuvorkommen. Die Wahrheit, lehrt uns der Film, ist nicht in harte Lügen eingebettet, welche durch sie erkannt oder bearbeitet werden, sondern schwankt in einem Meer von undeutlichem Geseire, Gesudel mit Blut, Eßwaren, Stuhlgang, Fortpflanzungstrieb. Soll das Reich der Wahrheit anbrechen, die menschenlose, anorganische Wahrheit der bewußt gewordenen Materie (Technik), dann muß es der Schleimigkeit der biologischen Hülle, dem faulenden Leben, das die Erde verschmutzt, ein Ende bereiten. Das Skelett will sich vom Körper emanzipieren und ausbrechen.

Doch wenn das am Ende des Films geschieht, scheint es sich zu früh befreit zu haben. Das zwei Jahrhunderte alte Band zwischen dem schwitzenden Menschen und dem Willen zur Produktion der Materie hat vorerst noch Bestand: als die überflüssige Außenseite um das Skelett verdampft ist und es klickklackend hinter der Mutter her ist, wird es von ihr auf das Fließband eines Maschinenparks gelockt und von einer Stahlpresse vernichtet. Technik wird durch Technik vergehen (und nur dadurch). Die Schönheit (die Mutter in spe) durfte ihr Gesicht nicht verbrennen. Die apokalyptische Sehnsucht der achtziger Jahre ahnte, daß es seine kreativen Möglichkeiten noch nicht völlig ausgeschöpft hatte. Das Jahrhundert hatte noch etwas Zeit, hatte seinen authentischen Moment noch nicht voll verwirklicht.

 6.

Neun Jahre später kam Terminator 2 (Untertitel: Das letzte Urteil). Wir stehen nun am Vorabend der Jahrhundertwende. Die Mutter hat ihren Sohn geboren und dazu erzogen, einmal Guerillaführer zu werden. Wieder wird aus der Zukunft ein Terminator gesandt, diesmal um den Jungen zu töten - es handelt sich um ein Exemplar aus einer späteren Generation, T-1000. Im ersten Terminator-Film schickten die Aufständischen einen Menschen zurück, um die Mutter zu schützen (der wird ermordet, aber nicht bevor er die Mutter befruchtet hat). Jetzt haben die zukünftigen (in dreißig Jahren) Partisanen einen Terminator vom Schwarzenegger-Typ in die Hände bekommen und dazu umprogrammiert, den Jungen zu beschützen. Auch dieser Cyborg wird zurückgeschickt. In der Endschlacht muß Technik wieder mit Technik kämpfen, um das Antlitz des Menschen zu erhalten. Doch scheint in der Zwischenzeit ein bestürzender Fortschritt stattgefunden zu haben: Arnold ist ein veraltetes Modell. Das dämliche Ding hat noch ein Gerippe!

Terminator T-1000 ist massiv, skelettlos, aus einer ultimativen Legierung, in der die klassische Dialektik zwischen Natur und Technik zu einer Materie synthetisiert ist, die jede Gestalt annehmen kann - Mensch, Tier, Boden, a bunch of grapes, ein flacher Klumpen, alles. Doch muß er diese erst berühren, bevor er in sie metamorphosieren kann. T-1000 ist die Rache des Jellyfish-Babys, die dritte Generation Atomversuche, der Alptraum von Wubbo Ockels und der Rest des schlechten Gewissens des 20.Jahrhunderts. Wer nicht in Form ist, kann alles sein. T-1000 ist das Prinzip Metamorphose an sich. Sein Körper ist wirklich ein neuer Körper, der den Menschen, Wahrheit und Lügen, Innen- und Außenseite hinter sich gelassen hat (keine interne Differenzierung). Diese neue Modell stammt nicht vom Menschen, sondern von der Materie. Es kennt keine Deformationen, es ist der Materie egal, in welcher Form sie sich manifestiert, ein Kohlenstoffatom fühlt sich überall zuhause, in einem Tisch, einem Tier, einem Gemüse, in schwelenden Feldern, Nebelwesen. Die Materie befindet sich eine Ebene weiter als die Biologie. Die Körperform Mensch kann verschwinden, doch die Materie wird sich dabei - E=mc2 - nur verschieben. Die Materie steht Leben und Tod indifferent gegenüber. Atome treiben keinen Sport. Aber genau das ist der Schwachpunkt des T-1000: er ist noch Materie. Das ist sein Medium. Auch in Terminator 2 wird der Mensch gerettet. Doch der Preis, der dafür bezahlt werden muß, ist der no- future-Gedanke. Der Wille zur Macht im 20.Jahrhundert wird auf die Spitze getrieben: der Wille zur Vernichtung vernichtet sogar die letzte Grenze des 20.Jahrhunderts, die darin bestand, daß sie keine Zukunft haben würde. Selbst ihrem Ende wird ein Ende bereitet. Wir dürfen nicht mehr die Letzten sein. Ein Superchip aus der Central Processing Unit des ersten Terminators wurde offensichtlich aus dem Schrottcontainer, der unter der Stahlpresse hervorkam, gerettet. Sein Geheimnis wurde 1996 entschlüsselt, zwei Jahre später wurde die neue Computergeneration mit Superchips ihrer selbst bewußt und lancierte die amerikanischen Atombomben auf den neuen Verbündeten Rußland. Dort reagierten die Computer gemäß der alten Programme: die neue Weltordnung wurde durch das Erbe des Kalten Krieges vernichtet. Wieder sehen wir die Explosions-Bilder aus Der Tag danach, jetzt noch realistischer, mit noch spezielleren Effekten. Nach diesem ersten Angriff begannen die Maschinen selbst Maschinen zu bauen, um die Menschheit systematisch in einen Holocaust zu stürzen. Sie hatten restlos genug vom Menschen. Und dann entdeckten die Maschinen das posthume Paradigma, dessen Manifestation T-1000 ist, ein Racheengel (der dann auch fortwährend die strafende Gestalt eines Polizisten annimmt). Proteus anstelle von Orpheus. "Wenn es mit der Menschheit zu Ende ist, geht's erst richtig los."

Ist diese unvermeidliche Entwicklung ab 19- hundertundheute zu verhindern, fragt der Film. Die Lösung scheint einfach: verhindere jetzt, daß der zukünftige Superchip, den es in dreißig Jahren geben soll, analysiert wird. Verhindert eure eigene Zukunft. So geschieht es. Anschließend wird auch T- 1000 an seiner Schwachstelle gepackt. Da es den Molekülen egal ist, ob sie im neuen Post-Menschen oder in altem Stahlblech stecken, kann man sie durch extreme Erhitzung dazu bewegen, in diese ältere Form zu desintegrieren. Und nachdem T-1000 sich in einem kochenden Schmelztiegel aufgelöst hat, läßt sich auch der Arnold-Terminator hineinfallen, um zu verhindern, daß der Chip, den er nun wieder in seinem Kopf hat, jemals analysiert werden wird. Die zirkuläre Zeit findet auf der Geraden der Menschheitsgeschichte den Punkt, wo der Kreis begann, und macht ihn zu ihrem Endpunkt. Die no-future, in der Arnold ein evolutionäres Glied war, wird nicht stattfinden. So wird die Zukunft von Mutter und Kind als ein Komplex von Möglichkeitsräumen, virtuellen Wirklichkeiten, wiederentdeckt. Wird der eine geschlossen, dann kann ein anderer sich öffnen. Am Ende des Films ist die Zukunft eine unbeleuchtete Autobahn geworden, über die wir fahren, auf dem Weg nach - jedenfalls weg von hier, weg aus dem Endzeitmythos des 20.Jahrhunderts. Leaving the twentieth century, in der Hoffnung, eine Türe zu einem anderen Möglichkeitsraum zu finden, wo die durch uns unumkehrbar in Gang gesetzte Kettenreaktion uns nicht ganz töten wird. Alles soll wieder möglich werden, jedoch innerhalb einer Grenze: die des menschlichen Horizontes, die des Körpers mit seinem Wohl und Wehe. Konfrontiert mit der ultimativen Wahrheit seines Materie-Seins - seiner im tiefsten Wesen indifferenten, anorganischen Natur (Geologie) - entscheidet sich der Mensch für seine biologische Bestimmung und findet sie dazu noch erfreulich.

 7.

Terminator 2, ein moralistischer Film? In dieser Gestalt zeigt er sich uns. Um dem Menschen die Zukunft zu erhalten, müßte der Möglichkeitsraum der souverän metamorphosierenden Materie gemieden werden. Wir müssen die Technik wieder in den Griff bekommen, sagt der Film. Der Mythos des 20.Jahrhunderts hat nie die ganze Geschichte erzählt. Denn, selbst wenn der Mensch alles, was er entdeckt und geschaffen hat, der totalen Destruktion preisgeben kann, ein Element überlebt immer: das Materielle. Das Objektsein der Welt. Die Vernichtung kann nie total genug sein. Das, was uns die meiste Angst eingejagt hat, die ultimative Vernichtungskraft, die in jedem Atom enthalten ist, ist stärker als wir. Laßt uns also ein bißchen bescheidener werden und das menschliche Herumwursteln neu bewerten; nur so kann man der Rache des Objekts an unseren Untergangsträumen ausweichen. Das ist moralistisch. Es kann natürlich auch wieder eine List sein, um eine neue Sichtweise mit ein paar zerfallenen Fetzen von Unterbewußtsein zunächst dem Blick zu entziehen, eine Re-Mythologisierung. Nämlich: daß das authentische Moment des 20.Jahrhunderts nicht sein Wille zur Vernichtung war, sondern dieses andere, sein Wille zur Metamorphose, fälschlicherweise dahingehend interpretiert, daß das Alte erst zu Ende gebracht werden muß, bevor das Neue beginnen kann. Daher der Destruktionstrieb. Terminator 2 behauptet jedoch, daß dieser Trieb zur Veränderung sich nicht nur in der Methode, sondern stärker noch im Ergebnis als fataler Irrtum erweist: erst wenn die Metamorphose entfesselt wird, nimmt die Destruktion ihren Lauf - und zwar total. Jede Toilettenschüssel kann ein Killer sein, jeder Boden ein Serienmörder (jede Spraydose, jeder Kühlschrank, jedes Abwaschmittel, jeder Müllsack). Die Objekte lauern uns auf und versuchen, uns dazu zu verführen, unsere Ratio aufzugeben und ihnen die Macht zu verleihen: das Moralistische an Terminator 2 und am gesamten 20.Jahrhundert ist, daß die Materie uns schlecht gesonnen sein soll. ("Es ist nicht unsere Schuld, Vater, wir wurden in Versuchung geführt.(quot;)

Der zweite Terminatorfilm bedient sich des Bewußtseins des späten 20.Jahrhunderts jedoch, um etwas anderes zu vermitteln. Das Gesetz, welches die Thermodynamik in der Materie entdeckt hat, nämlich daß spontane Prozesse immer in Richtung des größten Chaos verlaufen (oder anders gesagt: der Wille der Materie zur Entropie) hat genug von unseren energetischen Programmen, mit technologischen Eingriffen dem Materiellen Form und Sinn aufzuzwingen. Die Materie hat es nicht so mit der Wahrheit. Sie will uns etwas anderes lehren, das ist ihre Verführung, sie täuscht uns die fröhliche Allwissenheit vor, die totale Freiheit: daß man nach Belieben ein Teilchen oder eine Welle sein kann, genau wie die Materie selbst, Körper oder Geist, Natur oder Technik, Geschichte oder Philosophie, Prosa oder Poesie, Opfer oder Täter, Käfer oder Beamter, Mensch oder Maschine, Tod oder Leben. Sogar die extreme Elastizität des T-1000 ist ein Stadium, das überwunden werden muß! Die Kunst des 20.Jahrhunderts hat auf die Verführung gesetzt, auf die Metamorphose von Chaos und Form. Moderne Kunst wurde virtuos, als sie ein Thema vorführte: die Berührung durch das Fremde ("das absolut Exotische"), das uns für seine eigenen Pläne benutzt - das unerreichbar Neue, das ganz Andere, l'inhumain, das von Außen kommt und mit dem, was in uns ist, zu reagieren beginnt. Das Ich ist nur ein Katalysator. Wir sind das Medium einer Metamorphose, die uns hinter sich läßt. Dort findet die Metamorphose statt, uns gegenüber jedoch gibt sie sich als Mutation aus: zum Schriftsteller, oder Maler, zum Künstler. Genau um das dort geht es, um dieses Ereignis, diese Welt muß gefüllt werden, menschlich gehalten werden. Das Resultat jedoch, die Wahrheit, die die Kunst in sich selbst vorfindet (die der Mensch in seinem Körper als Residuum vorfindet), wird letztendlich immer unertäglich schwer. Terminator 2 suggeriert eine andere, tückischere Strategie, um den Horizont des 20.Jahrhunderts zu überwinden. Laßt euch nicht berühren, anfassen durch das Fremde (einen Superchip aus der Zukunft), entschlüpft eurer Faszination, negiert eure Angste und Wünsche. Es gibt uns noch. Unseren Körper gibt es noch. Alle Atome sind noch zu allem bereit. Nehmt euer Schicksal in die eigene Hand, macht die Metamorphose zu eurem Medieum, reitet die Kettenreaktion wie ein wildes Pferd - klar bleiben, freundlich nüchtern, laßt euch nicht verführen, laßt die Metamorphose nicht über euch kommen, sonst wird es eine Mutation, so wie jeder Eingriff von außen. Eine Wahrheit. Contergankinder wären wundervoll, wenn sie auch einmal was anderes sein könnten, genau wie alle anderen. Unterschlagt eure Zukunft. Verlaßt den Kinosaal des 20.Jahrhunderts. Dann wird es geschehen.

 8.

Vielleicht werden wir in eine bestürzende Landschaft katapultiert, in der wir uns unter Lebensgefahr und Wahnsinn, Ratten, Krabben, schädellosen Kindern, grotesken Gestalten, Monsterschnecken, non-humanen Kreaturen, Fallen, Spießen, rasenden Ritualen werden zurechtfinden müssen. Taktisches Bewußtsein gefragt, da. Softies werden sofort abgeschlachtet. Listigere, heuchlerischere Geister kommen schon etwas weiter. Aber warum will man sich eigentlich durch diesen Raum bewegen? Welche Verführung bringt einen dazu...? Das werden wir dort schon sehen.

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