Der große Treck gen Cyberspace

 Die Technokultur der Westküste


An der Westküste erreicht das Projekt der Moderne, geographisch gesehen, seine äußerste Grenze. Überquert man den Pazifik, kommt man vom Westen in den Osten. Dem Mythos der last frontier gelang es das gesamte 20.Jahrhundert hindurch, den nordamerikanischen Traum von unentdeckten Gebieten voranzutreiben. Mit dem Ende des Trecks gen Westen als geopolitischer Bewegung ist es den Nachkömmlingen der Pioniere gelungen, die vitale Energie der Entdecker des Unbekannten in eine medienpolitische Bewegung zu transformieren. Coppolas Rumble Fish dokumentiert die klassische Interpretation des mythischen Schemas, indem Hollywood als Ort des Entkommens aus dem festgefahrenen Zug nach Westen dargestellt wird. Der filmische Raum war das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, in welchem die Immigranten ihre Träume nähren konnten. Daß Coppolas Film so von Nostalgie durchdrungen ist, kommt dadurch, daß die traditionelle Cinematographie durch die Hände der Computertechnik Silicon Valleys gelaufen ist, die neue electronic frontier. Will ein Hollywoodfilm noch weltweit Publikum anziehen, dann müssen die special effects aus dem Computer stammen.

Will man den klassischen weißen psychologischen Komplex retten, ziehe man gen Norden, ins Seattle des Grunge oder in die Douglasien-Wälder von Twin Peaks. Hier treffen sich die Post-Europäer, mit allen damit verbundenen katastrophalen Folgen. Im Nordwesten biegt man die Bewegung in eine ungewisse Zukunft zu den ewigen Angsten und Begierden zurück, welche die amerikanische Modernität aus Europa mitgenommen hatte. Die Authentizität, mit der man an der Grenze zu Kanada so sehr ringt, hebt sich kraß vom aufgedrehten Enthusiasmus ab, mit dem die kalifornische Technokultur rücksichtslos das Unpluggen der letzten territorial gebundenen Wurzeln vorantreibt, um in jede neue Welt, die sich bietet, einzuziehen. Psychedelica, Underground, Body Culture, Virtual Reality, New Age, Multimedia, elektronische Musik: je künstlicher, desto besser. Stößt man in L.A. oder San Francisco auf eine radikale Zusammenschaltung von Körper und Technik, dann feiert man das dort auch so extrem wie möglich. In der Buchhaltung der Bewußtseinserweiterer kommen keine Verlustposten vor, man macht nur Gewinn. Die plastic gadgets, Pillen, Therapien, do-it-yourself-Handbücher werden nicht als Spekulationsgeschäfte betrachtet, sondern in die eigene Tradition der Erstlinge gestellt, die alles schon vor Jahrzehnten wußten: Ken Kesey und die Merry Pranksters, die schon 1965 Houseparties veranstalteten, Morton Heiligs Sensorama von 1962 als Urmodell der VR, die psychedelischen Pilze, die schon im Neolitikum als bewußtseinserweiterndes Mittel gebraucht wurden. Wenn man geographisch nicht mehr weiter kommt, sollte man sich nicht niederlassen, sondern die mentale Reise jenseits der "inner and outer limits of human experience" in die Gehirne und ihre Extensionen verlegen. Wo Planwagen und Auto stecken bleiben, fährt the mind einfach weiter. "Are you a transhuman?"

Was anderswo eine spezialisierte Technik ist, in Laboratorien und Testgeländen verschlossen, wird in Kalifornien in eine kulturelle Bewegung eingefügt, in welcher counterculture, visionäre Chaostheoretiker, Software-Giganten, Filmindustrielle, muscle beach boys, dopeheads, Verschwörungstheoretiker, New Agers, Gentechnologen, Künstler, Neurophysiologen, Quantenmechaniker und ökoaktivisten auf einer metaphysischen Ebene zusammenkommen. Hier geht es nicht um eine politische Koalition mit einem klaren Gegner. Was diese heterogenen Grenzgänger zusammenbringt ist das Motto: Hauptsache es ist abgefahren genug. Die Technokultur hat Werkstattcharakter, in dem die verfügbaren Mittel unmittelbar in Betrieb genommen und auf den Markt gebracht werden. Nur die Zukunft ist interessant, Gegenwart und Vergangenheit sind obsolete Ideen. Der "edge of the planet" hat die Erde zum Raumschiff erklärt und die Basis verlassen. Die Westcoast ist keine Region unter anderen. Man macht nicht Teil einer reichschattierten global culture aus, man ist sie. Die Ideologie des multikulturellen Zusammenlebens muß nicht verbreitet werden, da man sie selbst verkörpert. Für die Beatgeneration gab es noch fremde Länder, die einen Besuch wert waren. So reiste Burroughs fort in den Süden: Mexiko, Kolumbien, Marokko. Ginsberg saß im buddhistischen Asien und die gewöhnlichen beats gingen nach Indien. Wer in Amerika blieb, wie Kerouac, wurde Alkoholiker. Nach den siebziger Jahren verlor der Welt jedoch ihren letzten Rest von Anderssein und man konnte Zuhause bleiben, um alles zu erleben. Einen anderen Kontinent zu besuchen wurde für Amerikaner ein Ausflug in die Geschichte. "Europe tries to be so modern, but the effort always sort of, well... flops. Germany is higher-tech than the inside of a CD player, but their platform toilets are like a torture devise out of the Inquisition. France has never heard of sunday shopping. And in Belgium I saw a nuclear tower with moss growing on its convex northern slope. Modern?" (Douglas Coupland)

McLuhans Behauptung, daß wir von einer schriftbasierten Kultur zu einem an Bildern orientierten global village übergegangen sind, bildet die Grundlage des Optimismus der Technokultur. Im Gegensatz zu Lacan und Chomsky, die das Bewußtsein für sprachlich halten, betrachten die Vordenker der Westcoast den menschlichen Geist als eine Ansammlung interferierender und metamorphosierender Bilder. Die ganze Welt begreift die Bildsprache von Hollywood bis Cyberspace. Psychedeliker verstehen Wörter als Objekte, die von Mündern zu Ohren fliegen, Bilder also (Gottfried Benn wußte das schon 1943: "Endogene Bilder sind die letzte uns gebliebene Erfahrbarkeit des Glücks"). Die treibende Kraft hinter der Computerindustrie ist, die Bilder unter Kontrolle zu bekommen, damit sie in Realtime manipuliert, gespeichert und unter der gesamten Menschheit distribuiert werden können.

Es geht dabei nicht nur darum, das Bildangebot stromlinienförmig zu machen. Das Geheimnis der Bilder liegt irgendwo in der Hirnschale gespeichert und die Maschinen sollen direkten Zugang zu dieser Schatzkammer vermitteln, ohne Umwege gebrauchen zu müssen. Das ultimative Mensch-Maschine-Interface liefert Bilder nicht mehr auf einen Schirm, wir müssen nicht mit unseren Augen schauen und sie interpretieren, um sie begreifen zu können. Das Versprechen ist, daß wirkliche, nicht-symbolische Kommunikation möglich ist, wenn Gehirne direkt aneinander angeschlossen werden. Es geht darum, direkten Einblick in den Bewußtseinsinhalt voneinander zu bekommen. "The VR technology can be used to create a toolkit for the construction of objects made of visual language. These objects would be experienced in the VR mode as three-dimensional things; manifolds devoid of ordinary verbal ambiguity. VR may hold the possibility of an icon-based visual language that could be universally understood while being a much more wide spectrum in its portrayal of emotions and spatial relationships than is even theoretically possible for spoken language." (Terence McKenna) "Too modern for words"? Diese Zukunftsperspektive bildet kein Hindernis für die Textproduktion. Die Technokultur von Morgen existiert par exellence in Büchern, Zeitschriften, Filmen, Musik, Videos, Performances, Spielen und exklusiven Drogen. Sie kann auch ohne Maschinerie erlebt werden. Die Mythen, welche die Technokultur am laufenden Band hervorbringt, sind interessanter als die Hard- und Software, die sie anpreist. Zwar ist eine Rakete auf dem Mond gelandet, aber Space Age hat nie abgehoben. Das Cyberspace-Programm hat alles, damit ihm dasselbe Schicksal widerfährt. "Möglich, aber nicht bezahlbar", und warum auch? Ist es schlimm, daß wir keine Raumstation auf dem Vulcanus haben? Star Trek ist darum nicht weniger beliebt. Und ebenso erfreut man sich an Mondo 2000, Wired, REsearch, Boing-Boing, Gibson, Sterling, Shirley, Rucker, Vinge, Mason, Lilly, Stapledon, Sheldrake, Haraway, Wilson, Laurel oder Kroker. Sie berichten über die unerhörten interaktiven Erfahrungen, die auf uns warten, wenn die technischen und finanziellen Probleme erst einmal überwunden sind.

In Kalifornien weiß man, daß, wenn man diese Technoträume realisieren wollte, alle gesellschaftlichen Anstrengungen auf die Einrichtung von Cyberspace gerichtet werden und alle Gelder, die jetzt in die materielle Infrastruktur gesteckt werden, in die Entwicklung des Computernetztes überführt werden müßten. Daher seien die ersten Zeichen des Abbaus des Zivilen, Sozialen und Politischen Hinweise darauf, daß Cyberspace realisiert werde. Diese positive Interpretation der Apokalypse führt zu einer unbekümmerten Fröhlichkeit angesichts der Desintegration der westlichen Zivilisation. Gangs, organisiertes Verbrechen, Hacker, Privatviertel hinter hohen Hecken, Drogengelder, Privatpolizei, Datenpiraten, Waffenbesitz, Sekten, Guerillastreitkräfte, der Zerfall der Innenstädte, Erdbeben, Obdachlose, das Auseinanderfallen der USA, die ungeheure Umweltverschmutzung, die Ohnmacht des Staates, die Rückkehr der Stämme, meltdowns und hoher fallout sind die Elemente der Gegenwart aus einem aufreibenden Dekor, in dem sich die Technokultur erst richtig entfalten kann. Vor dieser Lust am Untergang wird jetzt schon von den heutigen Bewohnern des Netzes gewarnt: "Focus on the media distracts from the real life problems. The real life circumstances need all the attention we can give them."(Wired)

Eine Weltmacht wie Amerika hat die Möglichkeit und die technischen Mittel, eine eigene Mythologie des 20.Jahrhunderts hervorzubringen (Elvis, JFK, Marylin Monroe, Bob). Burroughs brach zu Beginn der fünfziger Jahre mit der Annahme der Lost Generation der Vorkriegszeit, daß die europäische und amerikanische Kultur zu einer neuen Blüte des Paideuma verbunden werden müsse. Daher die Anziehungskraft von Paris (als Hauptstadt des 19.Jahrhunderts) für Menschen wie Stein, Anderson, Hemmingway, Nin und Miller. Wir finden die letzten Reste dieser alten Ursprungsidee in Polanskis Bitter Moon. T.S. Eliot ging nach London, Pound nach Venedig, um schließlich in Mussolinis Rapallo hängenzubleiben. Die Modernisten mußten zurück ins Land ihrer Vorväter, um zu entdecken, was der vollbrachte Zug gen Westen für das eigene amerikanische Bewußtsein gebracht hat. Burroughs dagegen schuf als erster eine eigene amerikanische Götterwelt, mit Hilfe von pulp science fiction: Nova Police, Außerirdische. "We are here to go" und "Language is a virus from outer space." Die alteuropäischen, chtonischen Schöpfungsgeschichten wurden so durch neue galaktische Mythen ersetzt. Die Jahre, die Burroughs in London verbrachte, werden durchgängig als verlorene Zeit betrachtet: er hatte dort nichts mehr zu suchen.

Thomas Pynchon ließ Europa in Gravity's Rainbow verdampfen, um den Ursprung des Space Age (der in Nazi-Deutschland lag) per V-2 in die Neue Welt zu schicken, wo die Rakete mit etwa anderthalb Kilometern pro Sekunde auf das Dach eines alten Kinos stürzt und damit einen Punkt hinter das klassische Hollywooddrama setzt. Jahre später tauchte Pynchon wieder in Vineland, Kalifornien auf, wo er die Generation der Sixties mitten ins Fernsehen und in die Computerwelt der achtziger Jahre plazierte. Der Cyberpunk dieser Zeit modernisierte die amerikanische Mythologie, indem er den Raum Raum sein ließ, und den Kosmos in den Computer verpflanzte. Die terrestrische Kultur wurde ein Überbleibsel, aus dem Gestalten im Cyberspace auftauchten. Drachen, Voodoogötter, Ritter, Zwerge, arische Halbgötter, Samurai, Krieger, sumerische Könige mitsamt allen Hollywoodstars und Science Fiction-Helden sind die Bewohner eines imaginären Raumes, die als recyclete Grundstoffe bereits auskristallisierte Masken liefern, von denen die neue Gestalt des Hacker/Cyberpunk in seinem Spiel umgeben ist. Während in den Legenden des Cyberpunk die materielle Welt zusammenbricht, ziehen die immateriellen Kulturgüter ins Netz, aber sie fungieren nicht länger als Archetypen, die den Benutzer-als- Mensch an seinen Ursprung erinnern sollen. Diese immateriellen Inkarnationen, welche man auf dem Softwaremarkt kaufen kann, sind (nach McLuhan) die Klischees, aus denen durch Verdrehung neue Muster konstruiert werden können.

Arthur Kroker, einer der wenigen Kritiker des "will to virtuality", der selbst den Cyberspace betreten hat, sieht die Wiederbenutzung der alten Bilder als kennzeichnende Eigenschaft der "recombinant culture" am Ende des 20.Jahrhunderts, die nicht imstande ist, etwas Neues hervorzubringen. Die Sehnsucht, den Körper durch ein ahistorisches Konglomerat aus scanner eyes, nose spasms, floating tongues, cyber ears, techno- gills und andere Organe ohne Körper zu ersetzen, betrachtet Kroker als typische Sehnsucht des hysterischen Mannes, der in einem Zustand permanenter Panik von "sex without secretions" träumt. Ihm zufolge ist die Technokultur kein progressives Projekt, sondern ein "recline of Western civilization", Richtung "retro fascism", im Sinne von Avital Ronell's "return of fascism (we didn't say a return to fascism)."

Kroker kritisiert Virtual Reality nicht nur wegen ihrer zerstörerischen Wirkung auf die Unterschicht der non-virtual world, sondern vor allem wegen ihres Anspruchs, einen neuen imaginären Raum erschlossen zu haben. Den Treck gen Cyberspace als dem neuen Westen betrachtet er als eine zynische Bewegung, um der Gewißheit des Todes zu entrinnen. Eines der immer wiederkehrenden Themen in der Cyberpunkliteratur ist die kybernetische Unsterblichkeit. Kroker sucht Methoden, um in der mediascape, vor der es kein Entrinnen gibt, ironische Anwesenheit und kritische Distanz zu kombinieren. "Cruising the electronic frontier at hyperspeed with a copy of Nietzsche's Will to Power in your virtual hands." Die einzige Weise, der Verführung der totalen Bildmachung zu widerstehen, ist, immer wieder das Erbe der Gutenberg Galaxis zu Rate zu ziehen. Die Digitalisierung unseres Erlebens stammt aus einer Geringschätzung des Körpers und könnte auf eine Extermination der Erde und ihrer Bewohner hinauslaufen. Genau die Tatsache, daß Selbstdenken in Worten und nicht in Bildern geschieht, gibt Kroker zufolge Einblick in das, was die Medien mit uns vorhaben.

Der Metaphysiker der Technokultur und Heidegger- Schüler Michael Heim respektiert zwar diese Kritik, aber er faßt sie als ein Problem auf, das durch pragmatische Eingriffe behoben werden kann. Die positive Einstellung der Westcoast arbeitet zumindest daran, anders als negative Denker wie Baudrillard, Virilio und Kroker. Heim: "It's true that we may leave a part of the population behind, as we move into cyberspace. The crises are there, at the same time they are magnified. But what we can do, is to energize our society towards the technology. I don't think there is any way in which we can say, let's take our dollars back and invest it in the society, and hope we don't have to involve any further technologically." Es stehen keine gesellschaftlichen Kräfte hinter der Entwicklung der VR, keine Biopolitik, keine Macht, kein Komplott, weder des Militärs noch der Industrie. Die Technolkultur ist unser Schicksal, dem wir nicht zu entgehen versuchen sollten, sondern das wir zusammen zu füllen suchen sollten. Die Freiheit, welche die technischen Apparate bieten, ist die, daß man zu ihren Möglichkeiten ja sagen kann. Heim: "We have to go towards something we love, Augustine would say, be driven from the heart of our civilisation. We have to be aware of the need to expand the base of technology, to bring the technological human being alive, everywhere, as much as possible, so that we become selfconsciously technical, technological beings and don't leave people behind. So that we don't fall back in nationalisms and ethnic groups. We need to realize our technological destiny."

Mondo 2000 und Wired sind die Zeitschriften der Technokultur der Westküste, die sich am deutlichsten auf dem Markt profilieren. Mondo 2000 ist nur an den kulturellen Implikationen der neuen Medien interessiert, und nicht an den Apparaten selbst. Im magischen Jahr 1989 verband es den Hype um Virtual Reality mit seinem eigenen Hacker-Hintergrund voller Psychedelica, UFOs, conspiracy, Rock, post-Industrial, Cyberpunk und Underground. Man widmet viele Seiten extremen Theoretikern wie Kathy Acker, Brenda Laurel (von "Computers as Theatre"), Avital ("It's for you") Ronell, dem Techno-Foucault der Ostküste Manuel DeLanda, Allucquere Rosanna Stone ("I think transsexuals invented VR"), vieux combatants wie Barlow, Burroughs und Leary, founding fathers wie Myron Krueger und Ted Nelson und musikalischen Helden wie The Residents, Brian Eno, David Byrne, Psychic TV, Iggy Pop und The Disposable Heroes of Hiphoprisy. Mondo 2000 ist kein Lifestyleblatt wie The Face, Actuel oder Max, mit Clubadressen, Modefragen und Galerien. Es wird kaum etwas erklärt und man tritt mitten zwischen die Ideen, den Jargon, die Musik und den 2-D-Glanz von Bildern aus dem Cyberspace, als ob man sie schon seit Jahren kenne. Mondo schreibt einem nicht vor, wie man denken soll und bietet Anfängern und irrenden Seelen keine helfende Hand. Es geht von zwei kalifornischen Stilregeln aus: "(a) There is a Better Way, and (b) I Can Do It Myself." (Rudy Rucker) Die Experimente mit Konzepten und Maschinen werden nie in den Kontext zurückgestellt, aus dem sie aufgetaucht sind, sondern auf der atopischen hyperrealen Ebene miteinander gekreuzt, auf der die new-edge- Technokultur sich verortet. Nichts deutet darauf hin, daß das Blatt aus Kalifornien kommt. Während die Ostküste ins Selbstbild der Skyline von Manhattan verstrickt ist, existiert an der Westküste keine urbane Landschaft, die als Identitätsdekor fungiert. Falls sich Mondo 2000 überhaupt irgendwo lokalisiert, dann in der Zukunft. Europa existiert ganz einfach nicht. Alles was davon übriggeblieben ist, sind Nietzsche und ein paar französische Denker. Auch Japan als Technoparadies ist kein exotischer Ort, sondern der Lieferant der gadgets. Während man in Europa stolz ist auf die Kosmopolis, in der man verwurzelt ist, führt Mondo die Deterritorialisierung konsequent durch, auch wenn man dem Blatt ansieht, daß es nur von der Westküste kommen kann. Diese Herkunft wird weder angegeben noch verleugnet und ebensowenig mit globalen Ersatzstücken kompensiert. Mondo 2000 betrachtet sich selbst als Teil der Great Work, in der mit Mensch- Maschine-Interfaces mit dem alten politischen Stil der Machtausübung abgerechnet wird. Dieser Prozeß ist so umfassend, daß das Ganze noch nicht zu überschauen ist. Es sind jedoch schon sonderbare Elemente erkennbar.

Das Monatsblatt Wired vertritt die liberale, corporate Fraktion, die sich in der Gegenwart verortet, und nur daran interessiert ist, was die Apparate alles können. "Reality Check: You've heard the hype. We asked the Experts. Here's the real Timetable." Wired ist mit dem exponentialen Wachstum des Netzes und dem Boom des Multimedia-Business groß geworden. Als Computerblatt bietet Wired keine Besprechungen der neuesten Hard- und Software, sondern beleuchtet die Interessen hinter der Computerindustrie. Die Technokultur, die es skizziert, besteht aus Jargon Watch, der gadget-Rubrik Fetish, Bürgerrechte im Cyberspace, Netsurf, wo es um auffällige Stellen im Internet geht, und dem Kampf der Titanen zwischen Microsoft, Nintendo, Sega, IBM, Apple, AT&T und MCI. Es geht Wired nicht um die digitalen Implikationen des Digital Age und ebensowenig um die bewußtseinserweiternden Potentiale. Sollte es sie geben, kommen sie schon von selbst. Der Unterschied zwischen Mondo 2000 und Wired geht zurück auf die Debatte von 1989/90, über die Frage, was Cyberspace ist: ein Traum, der durch science fiction und Computerkultur gespeist wird, oder das existierende Telefonnetz plus Computer, in denen man schon verkehren kann. Obwohl nun klar wird, daß Virtual Reality noch lange in einem experimentellen Stadium verharren wird, ist das für Mondo 2000 kein Hindernis dafür, weiterzuphantasieren. Für Wired ist es der Grund, kaum Interesse für VR zu zeigen: man macht nur Ausflüge in Spielhallen und Freizeitparks wie Luxor Las Vegas, wo man die Apparatur bestaunen kann.

"Why Wired? Because in the age of information overload the ultimate luxury is meaning and context." Wired schickt regelmäßig Cyberpunkschriftsteller an einen Ort, um sie wieder einmal in Kontakt mit der aktuellen Wirklichkeit zu bringen: William Gibson in Singapur, Bruce Sterling in Moskau und Neal Stephenson in Shenzhen. Die Schriftsteller berichten über die Probleme, die die verschiedenen Gegenden mit der Einführung der neuen Medien haben. Um die Zielsetzung "Get Wired!" zu erreichen, muß das Blatt Cyberspace reterritorialisieren. Die lokalen Bedingungen und market opportunities sind der Schlüssel zum mondialen Anschluß ans Netz. Daher rät Wired der Digital Generation, welche Konferenzen sie besuchen, bei welchen Firmen sie sich bewerben soll, woher man die Info im Netz bekommt, was wired und was tired ist. Was die journalistische Arbeitsweise des Periodikums interessant hält, ist die zugrundeliegende Sicherheit, daß alle existierenden Medien schließlich auf einem digitalen Standard konvergieren werden. Es erweckt bei den Modernisierungsgewinnern den Optimismus, daß es im digitalen Goldraush noch enorme Gewinne zu machen gibt. Das Blatt berichtet über Technokultur, will diese jedoch nicht selbst verkörpern, was Mondo 2000 wiederum wohl tut. Das letztendliche Ziel von Wired ist die Weltherrschaft mittels des Netzes. The Great Work der Mondoids wurde von Wiredos "re-invented", als Eroberung des Weltmarkts.

So wie die neuere Traumfabrik Hollywood von europäischen Filmfans als Bedrohung unserer eigenen Filmzivilisation bekämpft wird, während die Studiofilme von vor 1955 als Höhepunkte des Mediums bewundert werden, droht nun die explosiv wachsende Computerkultur als eine Ansammlung debilisierender Kinderspielchen und Pseudokommunikation im Netz abgelehnt zu werden, auf die wir in zwanzig Jahren als Sillicon Valleys Blütezeit nostalgisch zurüchschauen können. Der Spaß am remote Empfang der Westcoast in Europa ist jedoch, daß man in Kalifornien ohne jede Hemmung die heutigen technischen Entwicklungen unmittelbar durchdenkt und dann ernst nimmt. Sie interessiert sich für die Möglichkeit, in jeder neuen Entdeckung die ganze Welt einer Metamorphose zu unterziehen. Es herrscht ein Glaube an die Machbarkeit der Neuen Welt und es wird sich schon zeigen, wo das Schiff landet. Zweifel an der Wichtigkeit ihrer kuriosen Entdeckungen und Trends kommen ihnen nicht. Die Kraft des Westcoast-Mythos ist, daß man sich an der Front der westlichen Zivilisation befindet und der Rest der Welt schon hinterherziehen wird. Dort passiert es, anderswo ist man noch damit beschäftigt, die Überbleibsel der Nachgeschichte aufzuräumen. Weil die Westcoast eine solche Mischung aus heterogenen Elementen ist, kann man herausholen, was einem gefällt, und sich sowohl kaputtlachen über ihren Retro-Faschismus, als auch sich maßlos über ihren unerhörten Optimismus aufregen. Dieser Beitrag zur Weltkultur wird vom Rest der Menschheit mit Interesse verfolgt und zwischen tausende andere Programme, die auf Erden laufen, eingefügt.

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