Von Disko und Diskurs |
Annäherungen an die Wolken |
Am Anfang schuf Gott keine Wolken. Sein Geist schwebte über den Wassern. Gott war Wolke. Dieses Vage, die über der Feuchtigkeit liegt, war die eine und alle kreative Potenz. Unser Gott wohnt noch immer in den Wolken, zusammen mit seinem Sohn und seiner Frau, den Engeln, toten Babies, geschlachtetem Vieh und gestorbenem kriechenden und wilden Getier, nach ihrer Art. Seit der Verstoßung von Wotan und Donar hat er nun schon 2000 Jahre das Reich für sich. Daher ist Macht unlöslich mit der Wolke verbunden. Das Machtstreben ist eine Form des auf Wolken Schwebens und wird darum auch Theorie genannt. Daran ist nichts Kompliziertes. Es ist jedem gewährt, sich der Leere der Düsternis hinzugeben. Nachdenken ist nicht okkult, faschistisch oder evangelisch reformiert. Sinnieren, bzw. überlegen, bzw. grübeln, bzw. brüten, bzw. tagträumen, bzw. epibrieren entwickelt sich weg von Engagement oder Bezug zur Praxis. Es ist ein Schweben in der Welt, das nicht von dieser Welt ist. Vorausgesetzt sind jedoch ein summender Ofen, ein bequemer Sessel, ein liebender Ehepartner (m/w), eine beruhigende Aussicht und rauschende Blätter, die es ermöglichen, ein störendes Objekt seinen Gang übers Firmament gehen zu lassen. Das Objekt quillt auf und fliegt in einem ungelenkten Gedankenstrom dahin, um durch eine ebenso imposante wie diffuse Erscheinung ersetzt zu werden. Das Resultat all diesen Sinnierens ist, daß man weiß, aus welcher Richtung der Wind weht und daß erst Sturm und dann wieder schönes Wetter im Anzug ist. Diese Nasse-Finger-Technik ist die einzige Weise, einer kostbaren Erkenntnis teilhaftig zu werden. Bei einer Sache wie dem Angeln etwa wird dieses Streben nach Allmacht geschützt und getarnt. Im Ried stehend starrt der Angler auf einen ungekräuselten Wasserspiegel, in dem der Himmel auf Erden sichtbar wird. Die Illusion kann nur von einem guten Biß durchbrochen werden.
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Die Aufklärung hat es auf die Wolken abgesehen. Auf der Seite des Lichts stehend, hat sie den Kampf gegen die Düsternis aufgenommen. Dieser Dualismus macht aus den Wolken einen störenden Faktor, von dem man unter den Laborbedingungen des reinen Denkens abstrahiert. Rationalismus ist ein subtropisches Badeparadies, wo eine behagliche Klarheit unter kontrollierten Bedingungen regiert. So ist man in der Lage, zu sehen und gesehen zu werden. Nicht die Beherrschbarkeit der Natur ist das ausschlaggebende Kriterium, sondern die Möglichkeit, sie im rechten Licht erscheinen zu lassen. Das Ausschalten des verwischenden Hauchs zwischen den Dingen ist die heimliche Absicht des rationalen Diskurses. Ohne den Nebel von Nebenumständen, Aberglaube, Niedergeschlagenheiten, Temperamenten, Begegnungen, Konflikten und Sinnenfreuden wird die Rationalität eine Tyrannei. Die Despotie wird hinterlistig mit Bildsprache, Nuancierung, Abschweifung, Konkretisierung und Veranschaulichung kaschiert. Die kontrollierte Inszenierung von Vernünftigkeit bietet Raum für Assoziationen, Tabus, Vorurteile, Immoralität und andere private und soziale Obsessionen. Die Rationalität bildet notwendigerweise ihren eigenen Nebel von Hintergedanken, Praktiken und Zufälligkeiten. Solchermaßen betrachtet ist sie ein konstruiertes Alibi für ein gestattetes Eintauchen in die Wolken. Aufklärung ist Schwimmen im Bruststil.
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Um der drückenden Wolkendecke zu entkommen, hängt der Tourist lustlos an sonnenüberfluteten Stränden des Mittelmeers. Der Tourist, der die Sonne aufsucht, scheut das Licht derart, daß er, einmal auf dem sinnenübergossenen Strand ausgestreckt, die Augen schließt, um unbemerkt zu verbrennen. Doch auch mit geschlossenen Augen ist immer noch der Geruch von Sonnenbrand allgegenwärtig, wie auch die Wolke aus dem Stimmengewirr der übrigen Sinnesanbeter. Verurteilt zur eigenen Innenwelt, sinnt der Badegast auf Lustbefriedigung. Der Aufenthalt am Strand ist ein Zeitvertreib, der dem nächtlichen Discobesuch vorausgeht. Der Sonnenurlaub dreht sich um das Nachtleben, in dem die flimmernde Atmosphäre sich im Blitz und Donner der Tanzfläche entlädt. Durstig machendes Wetter bietet einen für alle Teilnehmer durchsichtigen Vorwand für das Zusichnehmen alkoholischer Getränke, auf daß man forsch und benebelt werde. Der Rausch der Erwartung ist die Wolke, die zwischen den Geschlechtern driftet. Wenn die Vermischung tatsächlich einen Höhepunkt ereicht, ist das ein unerwarteter Zufallstreffer ohne moralische Implikationen; ein Traum wird Wirklichkeit und fügt sich zur Komplikation, die üblicherweise nur Kater heißt. Der romantische Nachdurst wird morgens früh mit denselben Mitteln bekämpft wie Kopfweh, Übelkeit und Schwächegefühl. Die Mixtur von Alkohol und Pharmazeutika nimmt man in der Abgeschlossenheit der Standard-Betonhöhlen zu sich, damit man beim Aufziehen der Gardinen das grelle Tageslicht wieder vertragen kann.
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Wird jemals jemand die Frau in den Wolken in seine Arme schließen? Die Frau in den Wolken ist ein weißer Spuk, der in der Phantasie herumgeistert. Sie ist bereit, uns überallhin zu begleiten, aber sie wird niemals ihren Schleier lüften. Ihre Zurückhaltung bildet ihre geheime Kraft. Sie ist der Rorschachtest für den Pornographen, die verführerische Erscheinung am Himmel, welche die Dichter inspiriert. Biegsamer als jeder Schlangenmensch ist sie die Verkörperung der permanenten Metamorphose. Nie hören wir auf, von ihr gefesselt zu sein, denn bevor wir sie uns gut angeschaut haben, ist sie schon wieder eine andere. Das einzige, woraus sie besteht, ist ihre Vermummung. Ihrer modischen Kleidung und auffälligem Makeup entledigt, spricht sie geradewegs zu unserem Herzen. Ihre kühle Haut wärmt sie an der Sonne, ohne daß sich je der Teint verändert. An dunklen Tagen erninnern wir uns ihrer auf grobkörnigen Schwarz-Weiß-Fotos und undeutlichen Abbildungen in alten Druckwerken. Die Wolken sind das pornographische Medium par exellence. Als die Schulen noch nach Geschlechtern getrennt waren und Mattglas die Aussicht verstellte, konnte der Schüler sich immer noch in Wolken verlieren. Mit dem Lesen lernen wurde auch Pflichtunterricht in Pornoschreiben erteilt. Unter dem Druck des Feminismus hat dieses Tagträumen in gesunden und gut beleuchteten Klassenzimmern Unterricht in Benimmregeln und sexueller Aufklärung weichen müssen. Leider bleiben auch die sternlosen Nächte unter dem sittsamen Regime der gleichmäßig blauen Lüfte. Darum preise die Schönheit der verschleierten Frau, denn Männer haben es mit den Wolken.
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Die Nuancierung schafft keine Undeutlichkeit, sondern enthüllt den meterologischen Aspekt der Theorie. Als Entkräftung deutlicher Aussagen und klarer Zusammenhänge präsentiert, nähme die Nuancierung der Theorie die Brille ab. Schwache Relativierungen und schlappe Beispiele lösen die Theorie nur scheinbar auf. Nur im amorphen Verband des Holismus kann alles angeführt und zugefügt werden, ohne daß es etwas ausmacht. Die Nuance gilt als der größte Feind des Holismus. Sie vermeidet die gewalttätige Konfrontation des Widerspruchs oder des Paradox und zeigt keine Ahnlichkeit mit Satire und Humor. Nuancierung ist eine vernünftige und milde Methode, zu der man nicht nein sagen kann. Sie lockt den Theoretiker in ein Gäßchen, der auch noch um ein Eckchen biegen will und dann den Weg zurück nicht mehr finden kann. Die Theorie droht durch die Nuancierung unvermeidlich ihre Richtung und Gestalt in einem meterologischen Malstrom neuer Gedankenbildung zu verlieren. Die Nuancierung führt eine unvorhersehbare Variable in die Theorie ein, die sich unter keinen Vorbedingungen, Axiomen oder Epistemen beherrschen läßt. Ein solider Diskurs kann durch eine kleine Nuance eine völlig unvorhergesehene Wendung nehmen: verdampfen, danach sonnig oder schwarz werden. Solange der Verführung zum Faseln wiederstanden werden kann, wird die Theorie nie Teil der mystischen Cloud of Unknowing ausmachen. Normale wissenschaftliche Betätigung, mit ihren exponentiell ansteigenden Fakten und ihrer Erkenntnisproduktion, wird niemals eine größere Vorhersagbarkeit erreichen, genausowenig wie noch mehr Meteosat-Daten die Wettervorhersage verläßlicher macht. Die Nuance läßt den Text dampfen.
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Wolken sind die Visitenkarte des Wetters. Amateurmeterologen pflegen geschlechtslose Wolkenanstarrer zu sein, die aus den Wolkenformationen eine Wetteraussicht ablesen. Eine Einleitung in die Meterologie widmet daher der Wolkenkunde viel Aufmerksamkeit. Uns wird eingeprägt, daß Wolken, eingedenk der dreigeteilten Ideologie von Georges DumÄzil, eine Dreiteilung kennen. In der Wolkenlehre benutzt man eine Einteilung in hoch- , mittel- und tiefliegende Bewölkung. In der Wolkentaxonomie erkennen wir das gesellschaftliche Schichtenmodell wieder. Das ist eine befremdliche Vorstellung der Dinge, weil Wolken miteinander nicht in gespannten Beziehungen stehen. Die Projektion von Mythologien auf Wolken ist verständlich, weil Wolken den hervorstechendsten Aspekt eines höchst unvorhersagbaren Phänomens bilden: des Wetters. Das Wetter kümmert sich nicht um die herrschende Weltordnung. Die Zwei- Welten-Theorie des Wetters einerseits und der menschlichen Wirklichkeit andererseits spiegelt sich in der Tagesschau wieder. Diese unterteilt sich in die Nachrichten und den Wetterbericht. Selten überschneiden sich die beiden. Manchmal ist das Wetter Nachricht, nämlich wenn das Wetter die geplante Fortsetzung der Realität verhindert oder die Realität in Gestalt von Schlammströmen, Wirbelstürmen, Sturzregen, Trockenheiten und Sturmfluten zerrüttet wird. Der Sturmgipfel von Malta, welcher das Ende des Kalten Krieges einläuten sollte, war ein erfolgreicher Versuch in diese Richtung. Noch weniger oft wagen sich die Nachrichtenredaktionen, Nachrichten als Wetter zu präsentieren. Vorläufig müssen Sie noch auf internationale Wetterverhandlungen in Genf, eine Livereportage über das Wetter in Washington (Befürworter und Gegner), die Gedenkfeier für 50 Jahre Unwetter 1940-1945, auch bekannt als die Jahre des Blitzkrieges, und den europäischen Wolkenbruch über Maastricht verzichten. Schade, daß Sie zur Zeit auch noch ohne den kurzen Block Nachrichten auskommen müssen, in dem Montagen von Satellitenfotos mit der Politiklage der vergangenen 24 Stunden und Politikvorhersagen für die kommenden Tage zu sehen sind. Ein Kompromiss könnte sein, daß Aufmerksamkeit nicht nur den Wasserwolken, sondern auch den Staubwolken des Harmattan und dem unaufhörlichen Blutregen geschenkt wird.
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Die Wolke wird akzeptiert, solange sie eine homogene Wolke ist, bestehend aus unschuldigen kleinen Wasser- und Eisteilchen. Sobald mehr darin herumschwebt und -wirbelt als nur Wasserdampf, geht es schief. Rauchwolken sind besorgniserregende Erscheinungen, die bekämpft werden müssen, mit Umweltgesetzten oder durch Retouchierung des Bildmaterials. Die drohende Wolke ist total tabu, seit sie sich unsichtbar gemacht hat. Transparenter Smog über der besseren Weltstadt, radioaktive Wolken aus Tschernobyl und unmeßbare Konzentrationen von Nervengas während Desert Storm fungieren als heraufziehende Bedrohungen. Sie reduzieren Regenwolken zu friedlichen Imagos. Die schmutzige Wolke ist ein ökologisches Problem, das die Wissenschaft in Verlegenheit bringt, denn sie hat Mühe mit allem Durcheinander, Anhäufungen von undeutlichen Dingen und zufälligem Wirrwarr. Das Gewimmel ist eine Beleidigung für die Wissenschaft, weil es jeder Institutionalisierung und Kategorisierung vorausgeht. Eine interdisziplinäre Arbeitsweise versandet, wenn ein Zustand selbst auf politischem Niveau nicht provisorisch gedeutet werden kann. Das Nebeneinanderexistieren von Erscheinungen, ohne daß von Interferenz oder Gleichgewicht gesprochen wird, wird höchstens in einem Vorwort oder einer Widmung erwähnt. Die Reinheit des wissenschaftlichen Textes besteht aus mehr als seiner thematischen, methodologischen und rhetorischen Homogenität. Es sitzen keine Grillen in Nietzsches Werk, bei Foucault kocht nie die Milch über und Habermas kann man nicht anmerken, daß er sich wieder einmal das Schienbein gestoßen hat. Der Zufall als regulierender Aspekt fehlt: der wissenschaftliche Diskurs ist kahl wie eine weißgetünchte protestantische Kirche. Einzelne wagen sich an Illustrationen oder einen wissenschaftlichen Film, aber die tabula rasa bleibt der am meisten geschätzte Hintergrund, um davor das eigene Werk zu präsentieren. Die wahre Welt, in die wir treten, ist eine der Koexistenzen ohne Kommunikation oder Störung, eine überraschende Wolke von Gerüchen, Klängen, Genüssen, Vorkommnissen, Größen und Gedanken. Eine seltsame Anhäufung, die darum noch kein Raritätenkabinett oder keine Wunderkammer ist, eher ein Trödelladen oder eine Müllkippe: ein Zusammentreffen von Vorkommnissen, Strukturen und Verhältnissen, deren nicht aufzuspürende Diversität wir bis auf weiteres hinnehmen werden müssen.
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