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Die Kleinviehhalter des Christentums sind eigentlich die einzigen, die etwas verdattert dabeistehen. Die Tempel des Einen Gottes werden immer leerer. Ein römisch-katholischer Pfarrer aus der BRD mußte etwas betreten feststellen: "Wenn das so weitergeht, sind wir in fünfzig Jahren bei Null." In den Metropolen ist dieser Punkt schon lange erreicht. "Man kann keine zwei Kirchen für fünfzig Menschen unterhalten," hieß es schon vor Jahren in Amsterdam. Die Industrialisierung, die große Stadt und das Automobil sind Schuld an diesem Glaubensabfall. Arbeiterpriester, Kirchengemeinde und Volkswagenpfarramt: das hat letzten Endes nichts gebracht. Obwohl es eben noch schien, als ob das Wirtschaftswunder vom Glanz einer römisch-katholischen Mobilitätserscheinung umstrahlt würde. Der legendäre Pater Werenfried van Straaten führte eine Kampagne zur Anschaffung von Kapellwagen für Gott, um die ruinierte deutsche Kirchenprovinz katholisch und kapitalistisch zu erhalten. Finanziert mit harten niederländischen Gulden zogen Legionen Opel-Blitz-Kapellwagen durch das deutsche Land, die Jesus-Wagen, die Madonna-Wagen, die Hirten-Wagen, die Passions-Wagen... "Welch einen gewaltigen Eindruck machte, vor allem die ersten Jahre, die 'Sendungsfeier', die Musik der summenden Motoren, das festliche Glockengeläut aus allen Lautsprechern und das dröhnene 'Gott, wir glauben Dir' aus tausenden von Kehlen, als diese Kolonne Gottes jubelnd aufbrach zu den Feldern der geistigen Eroberung!"
Diese Herrlichkeit war nur von kurzer Dauer, denn zur Frist war die Verlockung des sonntäglichen Ausflugs größer als die bequeme Erreichbarkeit von Gemeindekapelle und Gemeindehaus. Die Einsegnung von Automobilen bedeutete freilich die Integration des Mediums in die christliche Lebenssphäre, doch die Priester verloren ihre Kirchgänger. Nur in den Vereinigten Staaten glückte es der Kirche besser, mit dem Verkehr mitzuhalten, durch die Organisation von drive-in-Messen auf großen Parkplätzen. Im Abendland stellte sich der schmale Pfad für die motorisierte Gemeinde als unbegehbar heraus. Eine ökumenische 'Arbeitsgemeinschaft für Verkehrsfragen' versucht mit einer speziellen 'Notfallmappe' mit u.a. 'Gebeten und anderen Stoßseufzern für Autofahrer' noch einen zögernden Annäherungsversuch an die Kirchenaustreter, doch die christlichen Kirchen haben mit ihrer Botschaft schon lange das Nachsehen, wie ein niederländischer traditionalistischer Bischof herausfand, als er eine Reihe Billboards entlang der Autobahn anbringen ließ, mit der erlösenden Botschaft: 'Katholisch, keine schlechte Idee!'. Die prophetische Ansprache der evangelischen Kirche in Frankfurt an eine verstreute Gemeinschaft alter Gläubiger, daß die Grenzen der automobilen Gesellschaft erreicht seien, wurde noch weniger gehört.
Verlegen und stammelnd trachtete der Klerus wieder Anschluß an die abtrünnigen Massen zu finden. Der drohende Konkurs der Institution nötigt zu Milde und Verständnis, doch der Mangel einer christlichen Theologie von Medien und Technik bleibt ein großes Hindernis. Ein noch größeres Hindernis bildet das Vorurteil, die außerkirchlichen Massen wären ungläubig. Bar aller pastoralen Sorge, Katechese und regulären Predigten, haben die Laienmassen anhand eigener Erfahrungen, Überlegungen und Erfindungen die eigene Existenz paranormal als Spiritualität gedeutet. Im Gegensatz zu den akademisch ausgebildeten Theologen wissen die Außerkirchlichen sehr wohl die Technik in ihre Weltanschauung zu integrieren. Alternative Heiler verrichten über das lokale Radio Wunder auf Distanz und man erwartet das Erscheinen des Erlösers auf allen Netzen in einer weltweiten Simultansendung. In ihren Schlafstädten führen die Säkularen verzauberte Existenzen.
Bemerkenswerterweise verfügt die katholische Kirche über die am wenigsten aktuelle Medienpolitik. Kann man immerhin seit Jahr und Tag weltweit über Radio Vatican dem 'Laudate Jesu' lauschen, ist ein römisch-katholischer Fernsehsatellit dagegen bis heute nicht in eine geostationäre Bahn gebracht. Die spektakuläre Medienerscheinung 'Lumen 2000', mit der 20 Jahrhunderte Christentum in eine Bahn rund um die Erde gebracht werden sollte, besteht nur noch aus der Planungsphase. Gute Gründe für die katholische Kirche, mit Sorge der Entwicklung der Medien zu folgen. Der Päpstliche Rat für Soziale Kommunikationsmittel hat sich aus Anlaß des zwanzigsten Geburtstages des Hirtenbriefs Communio et Progressio und mehr als ein Vierteljahrhundert nach der Promulgation des Dekretes des Zweiten Vatikanischen Konzils über Medien 'Inter Mirifica' unter Leitung von Erzbischof John P. Foley in die vorliegende Problematik gekniet. Auffällig an der 1992 produzierten Standpunktbestimmung 'Aetatis Novae' ist die Unbestimmtheit, mit der sowohl über neueste elektronische Medien als auch die traditionellsten katholischen Formen gesprochen wird.
Nur beiläufig wird in einer einzigen Aufzählung die Beschaffenheit, mit der die schnelle technische Entwicklung sich auch in der Kirche zeigt, erwähnt: "Satelliten, Kabelfernsehen, Glasfaserkabel, Videokassetten, Compact Disks, Herstellung von Bildern mit Hilfe von Computer- und anderen digitalen Technologien, und sehr viel mehr". Nur wenige Male fallen die alltäglichen Namen der Apparate und Techniken, um die es hier geht. Man gewinnt den Eindruck, daß die Autoren sich besser mit dem theologischen Jargon auskennen als mit dem Gebrauch von Medien. Auch ist es nicht weniger verblüffend festzustellen, daß der Heiligen Messe - man könnte sagen der medialen Basis der Römisch-Katholischen Kirche - in dieser pastoralen Handreichung noch weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird. Der katholische Ritus wird kurz als ein "traditionelles Mittel" in einer ganzen Reihe von Glaubenspraktiken zitiert, wie z.B. "Zeugnis vom Leben, Katechese, persönlicher Kontakt, Volksfrömmigkeit, die Liturgie und ähnliche Feiern". Aetatis Novae zeigt keine Anzeichen dafür, daß die Mitglieder des Päpstlichen Rats für Soziale Kommunikationsmittel von den pastoralen Problemen durchdrungen sind, welche das Massenerlebnis der Virtual Reality im Gegensatz zum konventionellen Fest der Heiligen Kommunion in steinernen Gewölben hervorruft. Der Inhalt dieses Hirtenbriefs zeigt, daß die Medientheologie der katholischen Kirche wiederum unmodern ist. Vaticanum II liegt in der Tat schon mehr als 25 Jahre zurück. Die Betrachtung mutet daher etwas unwirklich an. Die Medien werden von Rom grosso modo als Mittel der Informationsübertragung gedeutet, die in einer undeutlichen Domäne wie 'Freizeit' stattfindet. Diese beschränkte Interpretation der Medien führt dazu, daß die Rückwirkung der Medienrevolution auf z.B. Arbeit, Krieg und Politik negiert wird.
Beim Lesen dieser kirchlichen Unterweisung vergißt man beinahe, daß die modernen Medien sich sinnlich als eine Proliferation elektronischer Bilder präsentieren. In Aetatis Novae wird noch von 'Radio/Fernsehen' gesprochen, als ob man in Rom zur gesellschaftlichen Realität von Video als Massenmedium noch keinen Rat wüßte. Man bekommt fast den Eindruck, daß sich nach Jahrhunderten der Gegenreformation eine Art mentaler Ikonoklasmus im Vatikan vollzogen habe. Denn dieser Text wendet sich frontal gegen das mediale Bilderreich als Sphäre, auf die das Glaubenserlebnis aufgesetzt werden kann. Gegenüber den audiovisuellen Medien optiert er für die Bildung einer mehr oder weniger medial losgesagten sozialen Gemeinschaft sprechender Gläubiger.
Die christliche Religion wird als eine Religion präsentiert, die sich wie keine andere durch die Sprache offenbart. Den multisensorischen Medien nähert sich die Kirche mit einer linguistischen Theologie. "Hier, im fleischgewordenen Wort, ist Gottes Selbstkommunikation definitiv. In Jesus Worten und Taten ist das Wort für die gesamte Menschheit befreiend, erlösend. Diese liebevolle Selbstoffenbarung Gottes, kombiniert mit der gläubigen Antwort der Menschheit, bildet einen tiefen Dialog." Die Sorge wegen des negativen Effekts der Medien übersetzt sich in eine Angst vor der Verdrängung der Sprache als Medium. "So kann de facto Personen und Gruppen, denen die Medien keine Beachtung schenken, Schweigen auferlegt werden; und selbst die Stimme des Evangeliums kann auf diese Weise geschwächt, wenn auch nicht gänzlich zum Schweigen gebracht werden." Gegen diese Macht der Medien stellt die Kirche die Gemeinschaft der Gläubigen als Gesprächsgruppe auf, die Gelegenheit zu "Diskussionen über Filme und Radiosendungen" bietet.
Freilich wird in Aetatis Novae behauptet, daß "heute der Gebrauch von Medien in Evangelisierung und Katechese essentiell ist" und daß es notwendig sei "die Botschaft selbst in diese 'neue Kultur' zu integrieren, die durch die moderne Kommunikation geschaffen wurde", aber das Medium des Christentums ist ein anderes. Konsequent werden die Medien als 'soziale Kommunikationsmittel' bezeichnet, wohl wissend, daß die modernen Medien weder sozial sind noch Kommunikation zwischen Menschen ermöglichen. Diese Handhabung einer sozialen Terminologie drückt Widerstand gegen eine Entwicklung aus, in der "menschliche Interaktion durch den Gebrauch von Medien ersetzt (wird)" und soziale Bande der "Verbundenheit mit fiktiven Figuren" weichen müssen. Es stellt sich die Frage, ob diese mediale Askese der Römisch-Katholischen Kirche die nach Glauben verlangenden Massen in einer Weltordnung, die nicht zuletzt auf den elektronischen Medien beruht, ansprechen wird.
Die amerikanischen evangelischen Christen haben mit den Medien die wenigsten Probleme. Einst standen Auseinandersetzungen über Medien am Urspung großer Schismen. Im Gegensatz zur korrupten päpstlichen Bilderanbetung propagierte die Reformation Bildersturm, Buchdruckkunst und Alphabetisierung. Die reformatorischen Kirchen zeigten sich Jahrhunderte lang prinzipiell dem Bild abgeneigt und wiesen jegliche Vermittlung außer dem offenbarten Wort ab. Diese mediale Monomanie ist der Grund, daß viele Reformierte bis heute aufgrund ihrer orthodoxen Haltung das Fernsehen ablehnen. Das Radio ist, biblisch gesehen, etwas weniger problematisch, Sonntags allerdings ist im kleinen Kreise die Programmauswahl eingeschränkt. Seit der Wiederenteckung der Vereinigten Staaten hat ein Revival der reformatorischen Christenheit stattgefunden. Die Medienabneigung strammer Protestanten kehrte schlagartig ins Gegenteil um. Nach dem Vorbild amerikanischer reformatorischer Missionskirchen brachte eine kleine Gruppe Pfarrer in einem Bereich der 'Schwarzstrumpf'- Kirchen eine mediale Erweckung zuwege. Seither ist die segmentierte öffentliche Medienordnung in den Niederlanden durch einen aktivistisch-reformatorischen Rundfunk bereichert, auch wenn dieser Sendebevollmächtigte noch ein lauer Abklatsch der Reli-Korporationen ist.
Die Amerikaner scheuen das Spektakel beim Verkünden ihres Glaubens an den Herrn nicht, wirklich neu sind diese Protestanten jedoch nur auf methodologischem Gebiet. Die Glaubenslehre wird durch die Verwendung von Medien nicht wirklich angetastet, höchstens tritt eine maßstabsgetreue Vergrößerung im Glaubenserlebnis ein: von 'coast to coast' sind wir Zeuge, wie Star-Evangelist Jimmy Swaggart seine schweren Sünden - Untreue und Umgang mit Prostituierten - bekennt. Die Protestanten unterscheiden sich durch den Erfindungsreichtum in der Anwendung der Medien. Inzwischen ist die Floppy-Bibel schon aus keiner Pfarrei mehr wegzudenken. Ohne Bibelstudienprogramme wie HyperBible, Illuminated Scriptures oder Bible Master findet die Bibelgruppe nicht statt. Im organisatorischen Bereich stärken die christlichen Gemeinden mit Church Management Software ihre Effizienz und Einkommensposition. Die Seelsorge wird kundengerechter mit Hilfe von Preaching Aids und Church Productivity Software. Auf der Computerbörse Credobit '94 in der BRD konnte man Bekanntschaft mit der ganzen Breite des Angebots machen. Europa ist nur noch bezüglich christlicher Freizeitparks stiefmütterlich behandelt.
Der historische Ballast alter Kirchengebäude verhindert vorläufig noch, daß schnell christliche Vergnügungs- und Bekehrungszentren entstehen. Die Gemeinschaft der Gläubigen versammelt sich schon lange nicht mehr in Kirchen. Das architektonische Erbe bildet ein wachsendes Vermögensverwaltungsproblem für die Kirchengesellschaften. Aufgrund der rückläufigen Anzahl von praktizierenden und zahlenden Gläubigen müssen die Kirchengebäude abgestoßen werden. Kapellen und Kathedralen fallen der Abrißbirne zum Opfer oder werden nach einem Intermezzo als Teppichhalle zum Handels- und Party-Zentrum oder einfach zu einer Moschee umgebaut. Die Kirche verläßt die Architektur und zieht in die Medien ein. Außerhalb des Regimes der obligatorischen sonntäglichen Kirchgänge verortet, schafft die elektronische Kirche einen neuen Typus von Gläubigen. Das Anwachsen der Legion von nicht-christianisierten Christen fördert die Entstehung neuer spektakulärer Formen des Glaubensausdrucks. Der wiedergeborene Christ der Zukunft wird ein Analphabet sein, der in seinem Sessel sitzend glaubt und dessen religiöses Handeln im Gebrauch der Fernbedienung seines Fernsehers besteht. Dem müssen die Pfarrer und Priester Rechnung tragen.
Nun, da der Unterhaltungswert eines Pfarrers die Kraft des Glaubens bestimmt, entstehen neue Funktionsansprüche an den Klerus. In den sechziger Jahren meinte mancher Pastor, er könne den Anschluß an die Jugend halten, indem er Beat-Messen organisierte. Zwischen der Welt der Popmusik und der Verkündung des Evangeliums klaffte ein Loch, das die untalentierte, in die Jahre gekommene Geistlichkeit nicht zu überbrücken vermochte. Ein Modell für eine Wiedererweckung wurde aus dem Showbusiness in Form des Musicals 'Jesus Christ Superstar' geliefert. Es sollte allerding noch Jahrzehnte dauern, bevor ein Papst sich für vital genug hielt, um sich nach den neuen Verhaltensweisen der Popmusik zu richten. Erst Johannes Paul II schaffte es, mit Joggen, Weltreisen und einem Videoclip ('Ein Mann des Friedens' - DM 49,95) die Phantasie anzusprechen. Bedrängt von Mördern aus eigenen und fremden Kreisen machte er, so Gott will oder nicht, seinen Aufstieg zum Priesteridol: jung im Herzen, aber reaktionär in den Sitten.
Der Erfolg von JP II ist die am stärksten auffallende Manifestation der zunehmenden Episkopalisierung der Römisch- Katholischen Kirche. Im Fernsehen erscheint der höchste zur Verfügung stehende kirchliche Machthaber, um vom Standpunkt der christlichen Kirche Zeugnis abzulegen. Der Dorfpastor und der eigene Pfarrer mußten gegen die mediale Ausstrahlung populärer Prälaten und Prediger abfallen. Das Priesterdefizit, das durch rückläufige Berufungen, zunehmende Austritte und Kirchensteuerhinterziehung entstand, hat die traditionellen Kirchen vielerorts zu Laienbewegungen verkommen lassen. Außerhalb der elektronischen Kirche und ihren inzidentiellen Massenmanifestationen in Fußballstadien haben sich neue Volkskirchen gebildet. Basisgemeinde, Charismatische Bewegung und New Age-Christentum sind nur einige Bezeichnungen für dieses diffuse Konglomerat. Der Aufstieg dieser mystischen Bewegungen und die Mediatisierung der traditionellen Kirchenorganisationen fließen in den Pressesprechern der Römisch-Katholischen Kirche zusammen. Joaquin Navarro-Valls, 'Direttore della Sala Stampa della Santa Sede' ist nicht nur Sprecher von JP II, sondern auch Mitglied der Laienorganisation Opus Dei. Der Sprecher des Erzbischofs von Paris, Dominique Ferry, ist Teil der Charismatischen Gemeinschaft von Chemin-Neuf.
Der neue Klerus besteht aus Spotlight-Pfarrern, die von Klöstern, Krankenhäusern und Außenstellen aus operieren, welche als Studios für religiöse Erfahrung fungieren. Mutter Theresa fand in Kalkutta die optimale Kulisse für den Aufbau des charitativen Image der Römisch-Katholischen Kirche. Das Sterbehaus am Ganges ist nun ein Zentrum für religiösen Tourismus: sieh' das Sterben deines Nächsten mit eigenen Augen. Pater AbbÄ Pierre dramatisiert für die französische Nation den Begriff 'Gewissen' und liefert Gesprächsstoff für vernünftige Talkshows über Auftrag und Zeit. Klöster und religiöse Lebensgemeinschaften sind Versandhäuser für Video- und Toncassetten mit dem medialen Anklang von Armut und vergeistigtem Leben in der Klause. "Wenn nichts mehr hilft", zeigt die CD mit gregorianischen Gesang der Mönche des Benediktinerklosters von Santo Domingo de Silos, daß man damit auch gut Geld verdienen kann.
Die amerikanischen Protestanten haben Satan wiederentdeckt. Mittels Inszenierung und Aufdeckung pseudo-satanischer Netzwerke dramatisieren sie die verborgene Realität des Übels. Die extremistischen Protestanten verstehen es, ihre bürgerliche Moral als Kampf gegen den Satanismus verkleidet, durch Zeigen von viel Sex und Gewalt des Gegners, an die Medien zu verkaufen. Die Rückkehr des Satans ins christliche Glaubensleben wurde notwendig durch den massiven Aufstieg eines zeitgenössischen Heidentums. Magie, Meditation und Zauberpraktiken haben sich den Zugang zur postmodernen Kultur des Abendlandes unter dem Namen New Age erobert. Die Bewegung des Neuen Zeitalters ist eine ernstzunehmende Herausforderung für die christlichen Kirchen, weil sie auf Wissenschaft und Technik basieren will. Als 'Kreationisten' versuchen die Evangelikalen die wortgetreue Wahrheit der Schöpfungsgeschichte nachzuweisen, kümmern sich dann aber nicht um die weltanschaulichen Implikationen der Halbleitertechnik und DNA-Forschung. Die virulente Kampagne gegen das satanische Komplott, das hinter der transchristlichen Metaphysik von New Age stecken soll, bietet ein ergreifendes Schauspiel. Im Gegensatz zu den multimedialen Heiden sehen die Protestanten schwach aus mit ihrem Kult um die Schrift. Selbst aus einer Medienrevolution hervorgegangen fürchtet man, in dieser neuen Reformation unterzugehen. Traditionelle Anhänger und Gegner des Films, wie die Surrealisten und Katholiken, waren sich wohl bewußt, daß die Einführung des neuen Mediums eine revolutionäre Situation schuf. Das neue Medium könnte ein Träger einer neuen Religiösität werden. Deshalb nahmen die Christen den Kampf gegen die 'Kinogefahr' auf. Die zeitgenössische pastorale Panik bezüglich der Gefahren von 'Cyberspace' kommt aus derselben theologischen Sorge hervor. Beängstigend für die Theologen ist dabei vor allem, daß freischwebende spekulative Denker ihre östlichen Träume auf die neuen Medien und die auf wissenschaftlichem Weg erschlossene Wirklichkeit loslassen. Die Heiden wohnen nicht mehr nur in der Dritten Welt, sondern verkehren einfach unter uns, und ihre Vordenker sind solide ausgebildete Wissenschaftler. Die Rechristianisierung Europas ist nicht, wie Wojtilas Adepten meinen, ein Kampf gegen den Geist des Materialismus, sondern ein verzweifelter Versuch, der immateriellen Technik noch nachträglich eine christliche Spiritualität aufzuzwingen. In den neuen, durch Technik eroberten Gebieten manifestiert sich immerhin ein virulentes Heidentum. Die eigentliche Volksreligiösität ist durchdrungen von einer Technomystik. Das Abendland muß noch ohne die Elektrizitätsreligion der japanischen Denshinkyo-Sekte auskommen, die in Edison sowohl den Erfinder als auch den Spiritisten verehrt. Aber viele schenken den Fähigkeiten der Aura-Scanner Glauben. Berührungspunkte des esoterischen spekulativen Denkens bilden bekannte, aber in ihren Finessen unbekannte Theorien, Technologien und Forschungsgebiete: Quantenmechanik, Holographie, Chaostheorie, artificial life. In den Traktaten der 'Neues Zeitalter'-Bewegung wimmelt es nur so von Verweisen auf kosmische Vibrationen, Energien, Strahlungen, Paradigmen und Formeln. New Age bewegt sich vor allem auf dem Terrain der angewandten Wissenschaften. Mit Vorliebe bedient man sich imposanter Apparate, um Lebensfragen zu lösen und um das Unmögliche zu erwirken. Brainmachines zum Beispiel, um sich selbst mit Brille und Kopfhörer eine Instant-Gehirnwäsche zu verabreichen, zwecks automatischer Meditation oder schlafend zu lernen. Alte Wissenschaften wie die Astrologie erleben ein Revival als Folge der sich auf dem Markt verbreitenden Astro-Software.
Die Bereicherung des transzendentalen Marktangebots hat auch Theologen genötigt, ihren christlichen Mix zu vergrößern. Als JP II mitte der achtziger Jahre die große Verwirrung unter den Katholiken bezüglich der Existenz von Engeln zur Sprache brachte, hatte er die Lacher auf seiner Seite. Dieser Tage ist die Rede von einem Engel-Boom und der Papst scheint Recht bekommen zu haben mit seiner Behauptung, daß ihre Existenz lediglich von Materialisten und Rationalisten geleugnet werde. Man denke an Wenders, Liebeskind, Benjamin, von Aquin, Rilke, Cacciari. Schon 1979 weihte das britische Oberhaus der UFO- Problematik eine Debatte. In liberal-christlichen Kreisen gewinnt der New Age-Gedanke Terrain, ebenso unter zweifelnden Agnostikern, die sich als religiöse Humanisten bezeichnen. Es wird unter diesen milden Geistern sogar über die Bildung einer Koalition gegen die moderne 'Leere' nachgedacht, unter dem Slogan: "Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde." Freudig konstatiert man, von der Marketingagentur FCB/Leber Katz bis Luise Rinser, daß uns ein neues religiöses Zeitalter erwartet. Ionesco: "Das 21.Jahrhundert wird religiös sein oder es wird gar nicht sein." Warum müssen wir nun auf einmal wieder glauben? Der glaubensschwere Bürger hungert nach neuer Beseelung. Mit dem Fortschreiten der Wissenschaft wächst nicht nur das Wissen über die Menschheit im Allgemeinen, sondern vor allem die Unwissenheit von Scharen einfacher Seelen im Besonderen. Eine direkte Folge des Entstehens neuer Erkenntnisse unter Experten ist das Verharren der unzulänglich gebildeten Massen in Unkenntnis. Wissenschaftliche und technische Erkenntnisse zirkulieren in großem Umfang als Wahnvorstellungen, Phantasien, Gerüchte und Romantisierungen. Eine Wolke dürftiger Assoziationen, unangemessener Vorstellungen und vagen Unterstellungen bilden die Grundlage unseres Weltbildes. Quantenphysik kennen wir nur vom Hörensagen und Laser gehört zu einer Houseparty daheim und DNA ist praktisch, um die Identität eines Vergewaltigers herauszubekommen. Religion nimmt diese Unwissenheit als anthropologisch gegeben hin und manipuliert vages Unverständnis, indem sie es mit noch größerem Unsinn strukturiert. Phantastischen Vorstellungen über Sachverhalte ist eine große Zukunft beschieden. Noch nie zuvor war es so einfach gewesen, eine Weltanschauung zu stiften. Die Bibliotheken und Museen quellen über von akkumulierten historischen und ethnologischen Erkenntnissen über die Religionen und Kosmologien versunkener Zivilisationen. Die Wiedereinführung verschwunden geglaubter religiöser Riten und magischer Praktiken liegt im Rahmen von jedermanns Fähigkeiten. New Age, Satanismus, Archaic Revival haben Propheten, Sehern und paranormal Begabten eine neue Chance gegeben. Innerhalb dieser beseelten Zusammenhänge sind begabte Wirrköpfe bevollmächtigt, alte und neue Kulte mit bekannten Namen zusammenzupfuschen: Wicca, Psychochirurgie, Erdstrahlen, Irisdiagnose, Harnschau. Als Volksglaube ist New Age eine demokratische Bastel-Religion. Jeder kann seinem Mitmenschen einen Dienst erweisen, indem Fragen in Mystifikation erstickt, windige Geschäfte angeboten und erlösende Nebenwirkungen hervorgerufen werden. Wir schielen doch alle gern hinter die alltäglichen Erscheinungsformen der Dinge, und warum sollte man in diesem Fall nicht gleich freie Sicht auf Ewigkeit und Weltall fordern?
Trotz der lauten Verkündungen, daß der Zerfall der Ideologien einen neuen Triumpf für die Religion einläute, basiert unser System nicht auf einer Religion. Das religiöse Erleben befindet sich an der Periferie der Betriebsamkeit, in der freien Zeit. Der Sonntag mag als religiöser Festtag wohl eingebüßt haben, dem steht gegenüber, daß immer öfter Ferien der geistigen Vertiefung gewidmet werden. Weihnachten, Ostern und Pfingsten geben dem touristischen Verkehrsstrom, den viele nicht einmal mehr als Wallfahrt erleben, eine kirchliche Weihe. Eine wachsende Anzahl Touristen stellt sich die Frage nach dem Ziel der Reise. Diesem weltanschaulichen Problem begegnet der leichtgläubige Urlauber durch Konsultation eines Reiseführers. Die gebildete Mittelschicht sucht ihre Antworten in literarischen Reiseberichten einer ersten Generation bewußter Touristen, die sich schriftlich an ein Publikum von Daheimbleibern richtet. Der Trend zur Reiseliteratur kann die Motivationskrise nur kurzzeitig aufschieben. In Salzburg widmete sich die österreichische Tourismusindustrie schon besorgt der Problematik des verblassenden 'Leitbildes für die Urlaubsträume'.
Das Universum ist so gebaut, daß Himmel und Erde sich erst am Horizont treffen. Dort hinter dem Horizont strahlen die Kontaktpunkte zwischen der Sphäre des Göttlichen und unserem weltlichen Bereich. Alldort befinden sich die Quellen des Lebens, die heiligen Plätze, die wundersamen Schreine und ihre Hüter, die Mystiker und Kenner der geheimen Lehre. Der Pilger ist die Urgestalt des Touristen. Reisen war ursprünglich eine religiös motivierte Ortsveränderung. Im Islam ist die Reise einer der Pfeiler des Glaubens. Die religiöse Komponente ist in der periodischen Urlaubslust nicht verschwunden.
Eingebettet in den säkularen Verkehr bewegen sich immer noch Pilger und Suchende entlang der Heerstraßen. Als Tagesausflüge nach Kevelaer und Reisen mit Vollpension nach Rom und Lourdes getarnt, bilden die organisierten Pilgerreisen ein eigenes Marktsegment der Tourismusindustrie.
Die traditionellen Kirchen in Europa probieren seit Jahr und Tag, Interesse für den christlichen Glauben zu wecken, indem sie die touristische Qualität von Kirchengebäuden anpreisen. Bekannte Heiligtümer werden von den Touristen überrannt. Jährlich betreten ungefähr vier Millionen Touristen die Kapelle des Heiligen Franziscus in Assisi. Kirchliche Aktivität wird selbst ein touristisches Spektakel, wenn die Zuschaueranzahl bei Prozessionen und Wallfahrten die der Teilnehmer weit übertrifft. Die missionarische Geschäftsführung all diesen Interesses stagniert allerdings. Verlegen bittet Kardinal Danneels von Brüssel die Touristen, seine historischen Kirchen nicht nur als Museen zu betrachten: "Seien Sie nicht unempfänglich für diese Atmosphäre, sondern öffnen Sie ihr Herz dem spirituellen Reichtum dieses Ortes: auch Ihnen hat Gott etwas zu sagen."
Die Vereinigten Staaten sind uns im reli-touristischen Unternehmertum ein gutes Stück voraus. Die meisten Karteileichen der besteuernden Kirchen sind unter keinen Umständen dazu zu bewegen, zum Kirchentag, zu einem Wochenende Volkshochschule oder zu einer Buswallfahrt an die lokalen Wallfahrtsorte zu gehen. Eine Fahrt zum jährlichen Jugendlichentreffen in Taize ist einer leidenschaftlichen Minderheit vorbehalten. In den Vereinigten Staaten weiß man das Glaubensfeuer in großen evangelischen Freizeitparks besser anzufachen. Das alte Europa lernt jedoch stetig von dieser missionarischen Herangehensweise. Es wird, und sei es von unchristlicher Seite aus, an der Entwicklung der spirituellen Unterhaltungsindustrie gearbeitet. Das 'Maharishi Veda Land' soll irgendwo auf einem zugigen holländischen Polder ein Unterhaltungspark werden, wo neben dem Intellekt und den Gefühlen auch die "tiefsten Ebenen des menschlichen Geistes" angesprochen werden sollen. "Maharishi Veda Land GmbH erarbeitet dazu viele neue Attraktionen, bei denen magische Illusionstechnik mit high-tech Unterhaltungstechnologie kombiniert wird." Die Planung dieser spirituellen Ziele steht noch auf gespanntem Fuß mit einem weitverbreiteten Vorurteil bezüglich religiöser Geographie. Das Zuschreiben magischer Qualitäten an Orte ist ein Axiom, von dem der Reli-Tourismus lebt.
Der religiöse 'Drang nach Osten' der nach Indien trampenden Hippies war der Beginn eines spirituellen Massentourismus. Bhagwan Shree Rajneesh lehrte uns, wie sich ein Arrangement, das zwischen einer Urlaubsliebe auf Ibiza und Sextourismus in Thailand einen spirituellen dritten Weg bietet, kräftig auszahlen kann. Die Vermarktung des mystischen Ostens ist so lukrativ geworden, daß der Osten in den Westen gezogen ist. Der Transfer des Ashrams der Bhagwanbewegung aus Poona in ein Wüstendorf in Oregon war ein spektakuläres Beispiel institutioneller Verpflanzung, die in weit größerem Maßstab stattfindet. Gegenwärtig kann man in Schottland in einem tibetischen Kloster verweilen. Verlassene Schlösser, Klöster und Bauernhäuser verwandeln sich in Freizeitorden, spirituelle Zentren und Tempel. Die Landflucht, die in den siebziger Jahren mit der Niederlassung einer Generation alternativer Bauern begonnen hatte, mündete in die Entwicklung einer esoterischen Infrastruktur. Das französische Städtchen Castellane darf sich zum Beispiel an der Ankunft eines Messias innerhalb ihrer Gemeindegrenzen freuen, der die Einheit der Weltreligionen predigt und seine Vision eines Neuen Zeitalters in Tierskulpturen, Buddhafiguren und der eigenen körperlichen Erscheinung aus 1100 Tonnen Beton materialisiert.
Man muß nicht weit reisen, um ins spirituelle Kraftzentrum Weris zu kommen, das 'Stonehenge von Belgien', woselbst man ein informatives Wochenende mit Meditation und Rauchzeremonie unter der Leitung eines zeitgenössischen Druiden verbringen kann. Oder wie wäre es mit einem freieren Arrangement in Form einer Segelwoche unter dem Motto 'Atem und Intimität'. In Südfrankreich kann man gesunde Wochen mit energetischer Massage und sensory awareness erleben. Spanien bietet die Gelegenheit zur Entdeckung Ihres tiefsten Wesens. "Die Einweihungen finden an sehr alten heiligen Orten statt, z.B. Grotten in einem prächtigen, ursprünglichen Berggebiet an der Costa Blanca, das energiereichste Gebiet der Welt." Als Element kultureller Wiederverwendung in der Freizeit kehrt die Verzauberung zurück, um den überreizten Stadtmenschen inmitten von Naturgewalt, zeremoniellem Firlefanz und metaphysischen Rätseln zur Ruhe kommen zu lassen. Die Intensivierungsriten der 'Vacances du IIIeme Millenaire' führen die Cyberadepten kurzzeitig zurück in eine fakultative kosmische Ordnung. Transzendenz ist, eben ganz auf einen spiritullen Aktivurlaub aus sein.
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