1.3 Die Wohnungssituation in der Bundesrepublik

1.3.1 Obdachlosigkeit

Die Wohlfahrtsverbände schätzen, daß es 1994/95 in der Bundesrepublik zwischen 1,1 und 1,3 Millionen Menschen gibt, die keinen festen Wohnsitz haben, also obdachlos sind.
In seinem Buch ‘Wohnen in Deutschland’ gibt der SPD Bundestagsabgeordnete Peter Conradi die Zahl derjenigen Menschen, die allein im Westen der Bundesrepublik bei Freunden, Verwandten oder Bekannten leben - die also keine eigene Wohnung haben - mit 2,576 Millionen an. Nimmt man nun die Obdachlosen und diese quasi Obdachlosen sowie die Menschen, die in absolut unzumutbaren Wohnverhältnissen vegetieren müssen, dann leben in der Bundesrepublik rund vier Millionen Menschen in akuter Wohnungsnot oder sind obdachlos. [1360]

1.3.2 Die Situation in der ehemaligen DDR

In der ehemaligen DDR herrscht seit dem Beitritt zum Staatsgebiet der BRD eine besonders dramatische Situation auf dem Wohnungsmarkt. So bestimmt der ‘Einigungsvertrag’, daß die rund vier Millionen volkseigenen und genossenschaftlichen Wohnungen der DDR dem eigentlich nur bei privaten Wohnungen gültigen ‘Gesetz zur Regelung der Miethöhe’ unterworfen werden, obwohl “diese Wohnungen mit öffentlichen Mitteln gebaut worden sind und ihnen deshalb der Status von Sozialwohnungen zustehen müßte .”[1361] Durch Verordnungen der Bundesregierung werden bis 1994 die zu DDR-Zeiten extrem niedrigen Mieten und Mietnebenkosten auf das sechs- bis achtfache angehoben. “Die Wohnkosten-Belastung überschreitet vielfach trotz Wohngeld ein sozial verträgliches Maß .”[1362] Schließlich verheißt die für 1995 angekündigte Einführung des Vergleichsmietensystems für die fünf neuen Bundesländer eine weitere Verschärfung der Situation.


1.3.3 Mangel an bezahlbaren Wohnungen

In der Bundesrepublik fehlen 2,5 bis 3 Millionen Wohnungen. Jedes Jahr müßten 500.000 bis 600.000 Wohnungen gebaut werden, um die Wohnungsnot mittelfristig zu beseitigen. [1363]
“Auf absehbare Zeit ist (...) mit einem Auseinanderklaffen von Angebot und Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt zu rechnen [1364], erklärte jüngst ein Funktionär des Bonner Städtebauinstituts, einer von der Wohnungswirtschaft finanzierten Einrichtung. Die Ware Wohnraum ist knapp in der Bundesrepublik - die Nachfrage ist entsprechend groß. Dieser ständig vorhandene Nachfrageüberhang führt dazu, daß alles, was mit Wohnungsbau und Wohnen zu tun hat, weit über dem Produktionspreis am Markt angeboten wird. Direkte Folge davon ist eine scheinbar unaufhaltsame Explosion der Mieten.
Die Wohnungsmieten steigen weiterhin viel schneller als die allgemeinen Lebenshaltungskosten: In den ersten neun Monaten des Jahres 1994 zogen die Mieten in Westdeutschland um 4,7 % und in Ostdeutschland sogar um 10,1 % an. Die Lebenshaltung verteuerte sich demgegenüber lediglich um 3,1% (West) bzw. 3,4% (Ost). Aber damit nicht genug: In Ballungsräumen sind Mietsteigerungen um 30 Prozent keine Seltenheit. Lediglich in den ‘höheren Preisregionen’ kann von einer Entspannung des Marktes die Rede sein: Bei Objekten jenseits von 20 DM Kaltmiete pro Quadratmeter existiert ein genügend großes Angebot [1365].
Allerdings bestehen in der BRD sehr deutliche regionale Unterschiede bei der Wohnraum-Versorgung. So wird im Raumordnungsbericht 1994 vor allem für die Städte München, Stuttgart, Frankfurt/Main und Düsseldorf eine “zugespitzte Lage in der Wohnungsversorgung mit gravierenden Auswirkungen auf [die] Miethöhe [sowie] Zugangsprobleme[n]”[1366] beschrieben.

1.3.4 Wohngeld und andere Subventionen [1367]

Wenn der freie Markt die Nachfrage nach preiswertem Wohnraum nicht decken kann und will, bleibt nur noch der Staat mit sozialem Wohnungsbau und Miethilfen - dem Wohngeld - übrig. Aber auch hier zeichnet sich die Katastrophe schon seit längerem ab: Die Regierungskoalition aus CDU und FDP hat die Subventionen für den sozialen Wohnungsbau in den letzten Jahren immer weiter reduziert. Nach Berechnungen der IG Bau-Steine-Erden gehen 92% der Subventionen für Wohnungsbau und -kauf (1994 immerhin rund 75 Milliarden Mark) in Form von staatlichen Steuergeschenken an die, welche bereits Immobilien besitzen bzw. ein so hohes Einkommen haben, daß sie auch ohne staatliche Unterstützung bauen könnten. Der Rest, lediglich 8 Prozent, bleibt für Wohngeld und sozialen Wohnungsbau übrig [1368]. Seit der letzten Erhöhung des Wohngeldes im Jahre 1990 sind die Mieten in Westdeutschland um durchschnittlich 22 Prozent gestiegen, Neuvertragsmieten sogar um 30 bis 50 Prozent. Nach Angaben des Deutschen Mieterbundes muß heute jedeR zweite WohngeldempfängerIn eine Miete zahlen, die durch die Höchstbeträge des Wohngeldes nicht mehr abgedeckt ist. [1369]
Im Jahre 1994 beträgt der Anteil der Sozialwohnungen am allgemeinen Bestand (aufgrund des Auslaufens der Sozialbindung) nur noch etwa 2,5 bis 3 Millionen Wohneinheiten, das sind magere 11 Prozent. [1370] Die neuesten Überlegungen - vor allem der FDP - sehen vor, die staatlichen Subventionen für den sozialen Wohnungsbau völlig einzustellen und statt dessen kommunale Belegungsrechte in Privathäusern zu erwerben. Diese geplanten ‘Belegungsrechte’ stellen den Versuch dar, private HauseigentümerInnen noch viel unverblümter, direkter durch Steuermittel zu subventionieren. Allerdings ist dieser Vorschlag schon deshalb nicht praktikabel, “weil die Kassen der kommunalen Gebietskörperschaften nicht nur absolut leer sind, sondern weil sie darüber hinaus in der Regel noch höher verschuldet sind als Bund und Länder .”[1371]


[1360] Vgl. Ebert, W., Wohnungsnot in der Bundesrepublik, aus: Marxistische Blätter 2/95, S. 58.
[1361] PDS/Linke Liste im Bundestag, Wohnen ist Menschenrecht, S. 14.
[1362] Ebenda, S. 14.
[1363] Das entspricht einem Netto-Zugang von ca. 200.000 Wohnungen, da bundesweit von einem jährlichen Abgang - durch Abriß, Umwandlung etc. - von 300.000 bis 400.000 Wohnungen ausgegangen werden kann, vgl. ebenda, S. 17 ff.
[1364] WZ, 19.11.1994.
[1365] Vgl. ebenda.
[1366] PDS/Linke Liste im Bundestag, Wohnen ist Menschenrecht, S. 19.
[1367] Wohngeld ist unserer Auffassung nach in erster Linie eine zusätzliche Subvention für die VermieterInnen von Wohnraum: MieterInnen, die Wohngeld erhalten, haben den gesamten individuellen bürokratischen Aufwand zu leisten, während das Wohngeld selbst bei den HausbesitzerInnen landet.
[1368] Vgl. Ebert, W., Wohnungsnot in der Bundesrepublik, aus: Marxistische Blätter 2/95, S. 62.
[1369] Vgl. ebenda, S. 60.
[1370] Noch 1971 betrug dieser Anteil mit 7 Mio. Sozialwohnungen (von insgesamt 25 Mio.) zwischen 25 und 30%, vgl. PDS/Linke Liste im Bundestag, Wohnen ist Menschenrecht,
S. 25.
[1371] Ebert, W., Wohnungsnot in der Bundesrepublik, aus: Marxistische Blätter 2/95, S. 61.


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