3.4 Die Besetzung der ‘Pempel 15’

Auch beim Thema ‘Hausbesetzungen’ scheint der relative Stillstand, der ab Mitte der achtziger Jahre zu verzeichnen war, ein Ende gefunden zu haben. Am 12. März 1990 besetzt eine Gruppe von Leuten aus dem linksradikal-autonomen Spektrum das Haus Erkrather Str. 266, das von der Aufzug-Firma ‘Windscheid & Wendel’ zwei Jahre zuvor gekauft wurde. Es soll für die Verbreiterung einer Toreinfahrt des Betriebes abgerissen werden. Die BesetzerInnen fordern die “Instandsetzung des Hauses durch die Stadt, [die] Erhaltung allen Wohnraums, [die] Schaffung neuer, billiger und schöner Wohnungen [1522] sowie den Erhalt der von Abriß bedrohten Häuser der Initiativen ‘Café Rosa’ und ‘Hexenkessel’: “Selbstbestimmte Schwulen- und Lesbenräume! [1523] Einen Tag zuvor hatten Bauarbeiter damit begonnen, in der Erkrather Str. 266 Fußböden und Fenster zu zerstören, die Besetzung ist also eher ein symbolischer Akt. Nach ergebnislosen Gesprächen mit Firmen-VertreterInnen verlassen die BesetzerInnen das Haus nach einigen Stunden freiwillig. [1524] In der Öffentlichkeit wird die erste Besetzung des Jahres überwiegend positiv aufgenommen. Die meisten Medien stellen eine Verbindung zwischen der zunehmenden Wohnungsnot und der Hausbesetzung her: “Erste Hausbesetzung 1990 - ‘Der Kampf geht weiter’” betitelt die BILD-Zeitung ihren Bericht am nächsten Tag und weist darauf hin, daß “in Düsseldorf (...) 14.000 Wohnungen fehlen, 5.000 leerstehen oder als Büro zweckentfremdet werden. [1525] Auch in der EXPRESS ist zu lese n “Wohnungsnot: 15 Jugendliche besetzen Mietshaus ”.[1526]
In den folgenden Monaten macht die Gruppe mit mehreren spektakulären Aktionen und ‘happenings’ auf sich aufmerksam. Im Frühjahr 1990 wird für zwei Tage ein städtisches Haus auf der Kalkumer Straße besetzt, das einer Begradigung der Straßenbahngleise zum Opfer fallen soll. [1527] Die BesetzerInnen sind von der letzten im Gebäude verbliebenen Mieterin - einer älteren, alleinstehenden Frau - zu Hilfe gerufen worden. Nachdem die Polizei erscheint, wird die improvisierte Besetzung beendet. Die standhafte Rentnerin wird von den Behörden in ein Altenheim eingewiesen. Am 4./5. Mai findet ein ‘sleep-in’ gegen Wohnungsnot vor dem Rathaus statt. In dem Aufruf heißt es: “Wir wollen den Politikern in dieser Stadt zeigen, daß wir Wohnungslosen bereit sind, uns öffentlich zu zeigen, um auf unsere Forderungen aufmerksam zu machen .”[1528] Die Gruppe erstellt eine Leerstandsliste und arbeitet inhaltlich vor allem zur Umstrukturierungspolitik der Stadt, die sie als Stadtzerstörungspolitik bezeichnet. Schwerpunkte sind Aktionen und Demonstrationen zu städtischen Großprojekten wie dem IHZ oder dem Rheinufertunnel - aber auch zu den Etatkürzungen im Sozial- und Kulturbereich. Außerdem wird ein ‘autonomer Stadtrundgang’ veranstaltet und einige Gruppenmitglieder versuchen, auf den bundesweiten ‘Häuserkampftagen’ vom 22. bis 25. Juni 1990 in Hamburg ihre Erfahrungen und Vorstellungen mit Menschen aus anderen Städten zu diskutieren. [1529]
Die Gruppe versteht sich als “politisch ‘voll motiviert’,” d.h., sie betrachtet ihre Aktionen und die “Besetzung als Teil eines breiten Widerstands gegen die HERRschende Politik und nicht nur als Wohnraumbeschaffungsmaßnahme ”.[1530] Dies kommt u.a. in Solidarisierungen mit Häuserkämpfen in anderen Städten - z.B. im Zusammenhang mit den bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen bei der Räumung der Mainzer Straße in Berlin am 14. November 1990 - zum Ausdruck. Außerdem wird die ‘Wiedervereinigung BRDDR’ kritisch betrachtet und dem wiederentstehenden ‘großdeutschen’ Nationalismus auf etlichen Flugblättern der Kampf angesagt: “Deutschland halt’s Maul! [1531]
Für den 24. November 1990 wird zu einer Demonstration ‘Kampf den Baggern und Kränen’ aufgerufen. Im Demonstrationsaufruf werden die Wohnungsnot in Düsseldorf und ihre Ursachen so analysiert: “Profitierende sind die Wirtschaftsbosse mit ihrem Stab von StadtplanerInnen, PolitikerInnen und SozialarbeiterInnen, die aus Düsseldorf einen internationalen Umschlagplatz für Waren und Dienstleistungen machen wollen, um der Stadt einen Spitzenplatz im EG-Binnenmarkt zu sichern. (...) Am Düsseldorfer Aufstieg zur ‘Weltstadt’ verdienen nur die, die sowieso schon alles haben! [1532] Aus dieser Demonstration, an der 150 bis 250 Menschen teilnehmen, heraus wird schließlich das seit schätzungsweise zehn Jahren leerstehende [1533] Haus Alt Pempelfort 15 (genannt ‘Pempel 15’) besetzt. [1534] Das Gebäude befindet sich im Eigentum einer Privatperson, die nicht an die Öffentlichkeit tritt und sich durch einen Generalbevollmächtigten, den Diplom-Kaufmann Heinz Lappe, vertreten läßt. Der Abrißantrag für die ‘Pempel 15’ ist bereits gestellt: Dort sollen in einigen Jahren neue Büros gebaut werden.
Die Besetzung war von der Gruppe gut vorbereitet worden, so daß genügend Baumaterial zur Verbarrikadierung des Hauses zur Verfügung steht. Findige ElektrikerInnen kümmern sich um die Stromversorgung, das Haus wird vom gröbsten Müll befreit und Schlaf- bzw. Gruppenräume werden eingerichtet. AnwohnerInnen werden mit großem Erfolg [1535] zu Kaffee, Besichtigung und Diskussion eingeladen, Pressekonferenzen abgehalten und Kontakt zu anderen politischen Gruppen, ASten, Initiativen etc. gesucht und gefunden. Dreieinhalb Wochen lang ist in den Medien fast täglich etwas über die Besetzung zu lesen, zu hören, zu sehen - und neben den GRÜNEN, den ASten von Fachhochschule und Heinrich-Heine-Universität sowie unzähligen anderen Gruppen und Einzelpersonen schicken sogar die Jusos eine Solidaritätsadresse und fordern Oberstadtdirektor Karl Ranz (SPD) auf, konstruktive Gespräche mit den BesetzerInnen aufzunehmen und sich seiner Verantwortung nicht zu entziehen. [1536] Die BesetzerInnen haben schon nach wenigen Tagen “eine Kneipe (Veranstaltungsraum), einen Infoladen, einen Frauenraum, eine Bildhauerwerkstatt und Konzerträume [1537] eingerichtet. Fast täglich wird in der ‘Volksküche’ billiges Essen für BesucherInnen und BewohnerInnen des Hauses gekocht. “Noch eine große Leistung waren die zwei bis drei Plena TÄGLICH und der gigantische Wachplan, der (...) zu enormem Schlafentzug geführt hat. [1538] Während der Besetzung treten über 20 Bands in der ‘Pempel 15’ auf, besuchen Hunderte von neugierigen, interessierten Jugendlichen, AnwohnerInnen, ‘normalen’ PassantInnen etc. das Haus.
Da das Gebäude, dessen Nutzung nach städtischen Angaben als ‘Gewerbe’ ausgewiesen ist, sich in Privatbesitz befindet, fühlen sich weder Verwaltung noch RatspolitikerInnen verantwortlich: “Die Stadt ist mit dem Problem überhaupt nicht befaßt. Es ist ein privates Haus(...). [1539] Die BesetzerInnen fordern die Stadt trotzdem auf, die von ihnen vorgenommene ‘Enteignung der Pempel 15’ anzuerkennen und die Besetzung abzusichern , “indem sie die vorherigen BesitzerInnen formell enteignet und uns das Haus vorbehaltlos überläßt ”.[1540]
Von den im Stadtrat vertretenen Parteien unterstützen lediglich die GRÜNEN die BesetzerInnen vorbehaltlos und fordern Oberbürgermeister Bungert (SPD) auf, zwischen BesetzerInnen und dem Bevollmächtigten der Besitzerin zu vermitteln sowie eine polizeiliche Räumung nicht zuzulassen. Zumindest ein Teil der SPD setzt ebenfalls auf Verhandlungen und erklärt in der Öffentlichkeit, eine Räumung abzulehnen: “Wir setzen auf den bewährten Düsseldorfer Weg. [Wir] wollen keine Verhältnisse wie in Hamburg und Berlin! [1541] Erwähnenswert ist auch eine Presseerklärung des ‘Kreisverbandes der Deutschen Polizeigewerkschaft’, in der ein ‘berechtigtes Interesse’ der BesetzerInnen bei ihrem Protest gegen Wohnungsnot erkannt wird. Zwar seien “Besetzungen von Häusern illegetim [1542], (...) was immer gerne vergessen [1543] werde, aber “sind in Düsseldorf nicht schon Besetzungen, um des lieben Frieden willens, in rechtmäßige Verhältnisse übergeleitet worden? (...) Es geht nicht an, daß Polizeibeamte ihren Rücken für Spekulationen von Privatleuten hinhalten müssen. [1544]
Der Rat nimmt jedoch am 13. Dezember 1990 mit der Mehrheit von CDU, FDP und ‘Republikanern/Konservativen’ einen Antrag an, in dem die Hausbesetzung als Rechtsbruch bezeichnet wird, den die Demokratie nicht hinnehmen könne. [1545]
Unter dem Eindruck der Räumung der Mainzer Straße und den ersten ‘gesamtdeutschen’ Wahlen am 2. Dezember 1990, bei denen die konservative CDU/FDP-Regierungskoalition deutlich bestätigt wird, kommt bei den BesetzerInnen eine immer stärker werdende ‘Räumungsparanoia’ auf. Die Angst, daß eine Räumung unmittelbar bevorstehe, nimmt nach dem Ablauf eines Ultimatums der Besitzerin am 13. Dezember immer mehr zu und bestimmt die Diskussionen im Haus. Der Generalbevollmächtigte der Besitzerin hatte den BesetzerInnen das Angebot gemacht, bei einer freiwilligen Räumung auf rechtliche Schritte zu verzichten und ihnen das Geld zukommen zu lassen, das für die Durchführung einer polizeiliche Räumung benötigt würde.
Dieses Angebot wird abgelehnt. Mit verschiedenen Protestaktionen im Rathaus und Demonstrationen soll stärkerer Druck auf die Stadt ausgeübt werden, der jedoch aufgrund der von dieser Seite immer wieder betonten ‘Nicht-Verantwortlichkleit’ ins Leere geht.
Am Morgen des 17. Dezember 1990 wird das Haus, in dem sich zu diesem Zeitpunkt etwa 30 BesetzerInnen aufhalten, von 50 bis 100 gutausgerüsteten SEK- und Bereitschaftspolizisten gestürmt. Die Besitzerin hatte einen Räumungstitel erwirkt, allerdings keine Strafanzeige gestellt, um “eine unnötige Kriminalisierung der Besetzer zu verhindern. [1546] Die BesetzerInnen werden vor die Alternative gestellt, das Haus ‘freiwillig’ und ohne Personalienfeststellung zu verlassen, oder von der Polizei gewaltsam herausgetragen zu werden. [1547] Kurz nach dem Abzug der 30 BesetzerInnen wird das Haus von der Polizei durchsucht und danach sofort von einem anrückenden Bautrupp unbewohnbar gemacht. Wenige Tage später wird es abgerissen - das Grundstück wird noch über zwei Jahre lang leerstehen. 1995 wird schließlich das geplante Bürogebäude fertiggestellt.
Noch am selben Abend demonstrieren in Düsseldorf ca. 600 Menschen gegen die Räumung des Hauses.
Die BesetzerInnen sowie zahlreiche SympathisantInnen und UnterstützerInnen treffen sich noch für einige Monate einmal wöchentlich zur ‘Volxküche’ (auch: ‘Pempel im Exil’) in den Räumen der ‘Arbeitslosen Selbsthilfe’ (ALSH) an der Oberbilker Allee 1, um die “Nachbereitung der 3 Wochen Pempel [und] die Entwicklung einer gemeinsamen Plattform für weitere Besetzungen/Aktionen [1548] vorzunehmen. Dies gelingt jedoch nicht, weil in der Gruppe völlig unterschiedliche politische Vorstellungen herrschen, die jetzt offen zu Tage treten. Der Ausbruch des Golfkrieges am 16. Januar 1991 führt “zu einem wilden Aktionismus, der (...) die Diskussion über die gemeinsamen Ziele als (ehemalige) BesetzerInnengruppe [1549] blockiert. Nach dem Ende der Antikriegsbewegung lösen sich schließlich auch die Überreste der ‘Pempel im Exil’ auf.


[1522] Flugblatt ‘Guten Morgen!’, 3/90
[1523] Ebenda.
[1524] Vgl. Express, 13.03.90.
[1525] Bild, 13.03.90.
[1526] Express, 13.03.90.
[1527] Die BesetzerInnen vermuten jedoch, daß die wahren Gründe für den Abriß die Erweiterung des Parkplatzes eines Aldi-Supermarktes sowie die Beschleunigung des Individualverkehrs von der Innenstadt zum Flughafen sind.
[1528] Flugblatt ‘sleep in’, 4/90.
[1529] Vgl. Terz, 1/93, S. 15.
[1530] Ebenda, S. 15.
[1531] Flugblatt ‘Die Häuser denen...’, 11/90.
[1532] Ebenda.
[1533] Die Angaben über den Leerstand der ‘Pempel 15’ schwanken zwischen 8 und 18 Jahren...
[1534] Vgl. RP, 26.11.90.
[1535] Etliche solidarische AnwohnerInnen spenden den BesetzerInnen Verpflegung, Decken und alte Möbelstücke.
[1536] Vgl. Pempel-Reader, 12/90, S. 43
[1537] Ebenda, S. 2.
[1538] Terz, 1/93, S. 15.
[1539] Sozialdezernent Paul Saatkamp in einem WDR-Interview, 12/90, zit. nach: Videobeitrag ‘Hausbesetzungen in Düsseldorf 1990’ in Videomagazin ‘Clipper’, Nr. 16, 21.3.91.
[1540] Pempel-Reader, 12/90, S. 15.
[1541] SPD-Ratsherr Peter Gaida, in: BILD, 27.11.90.
[1542] Bemerkenswert ist hier die Formulierung ‘illegetim’, die ein eher moralisches Kriterium beschreibt - im Gegensatz zu der juristisch korrekteren Formulierung ‘illegal’.
[1543] Pempel-Reader, 12/90, S. 41.
[1544] Ebenda.
[1545] Vgl. NRZ, 14.12.90.
[1546] RP, 18.12.90.
[1547] Vgl. Pempel-Reader, 12/90, S. 34.
[1548] Terz, 1/93, S. 16.
[1549] Ebenda, S. 16.


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