Auch beim Thema ‘Hausbesetzungen’ scheint der
relative Stillstand, der ab Mitte der achtziger Jahre zu
verzeichnen war, ein Ende gefunden zu haben. Am 12. März 1990
besetzt eine Gruppe von Leuten aus dem linksradikal-autonomen
Spektrum das Haus Erkrather Str. 266, das von der Aufzug-Firma
‘Windscheid & Wendel’ zwei Jahre zuvor gekauft wurde. Es
soll für die Verbreiterung einer Toreinfahrt des Betriebes
abgerissen werden. Die BesetzerInnen fordern die “Instandsetzung
des Hauses durch die Stadt, [die] Erhaltung allen
Wohnraums, [die] Schaffung neuer, billiger und schöner
Wohnungen ”[1522]
sowie den Erhalt der von Abriß bedrohten Häuser der Initiativen
‘Café Rosa’ und ‘Hexenkessel’: “Selbstbestimmte
Schwulen- und Lesbenräume! ”[1523] Einen Tag zuvor hatten Bauarbeiter
damit begonnen, in der Erkrather Str. 266 Fußböden und Fenster
zu zerstören, die Besetzung ist also eher ein symbolischer Akt.
Nach ergebnislosen Gesprächen mit Firmen-VertreterInnen
verlassen die BesetzerInnen das Haus nach einigen Stunden
freiwillig. [1524] In der
Öffentlichkeit wird die erste Besetzung des Jahres überwiegend
positiv aufgenommen. Die meisten Medien stellen eine Verbindung
zwischen der zunehmenden Wohnungsnot und der Hausbesetzung her: “Erste
Hausbesetzung 1990 - ‘Der Kampf geht weiter’” betitelt
die BILD-Zeitung ihren Bericht am nächsten Tag und weist darauf
hin, daß “in Düsseldorf (...) 14.000 Wohnungen fehlen,
5.000 leerstehen oder als Büro zweckentfremdet werden. ”[1525] Auch in der EXPRESS ist
zu lese n “Wohnungsnot: 15 Jugendliche besetzen Mietshaus ”.[1526]
In den folgenden Monaten macht die Gruppe mit mehreren
spektakulären Aktionen und ‘happenings’ auf sich aufmerksam.
Im Frühjahr 1990 wird für zwei Tage ein städtisches Haus auf
der Kalkumer Straße besetzt, das einer Begradigung der
Straßenbahngleise zum Opfer fallen soll. [1527] Die BesetzerInnen sind von der letzten
im Gebäude verbliebenen Mieterin - einer älteren,
alleinstehenden Frau - zu Hilfe gerufen worden. Nachdem die
Polizei erscheint, wird die improvisierte Besetzung beendet. Die
standhafte Rentnerin wird von den Behörden in ein Altenheim
eingewiesen. Am 4./5. Mai findet ein ‘sleep-in’ gegen
Wohnungsnot vor dem Rathaus statt. In dem Aufruf heißt es: “Wir
wollen den Politikern in dieser Stadt zeigen, daß wir
Wohnungslosen bereit sind, uns öffentlich zu zeigen, um auf
unsere Forderungen aufmerksam zu machen .”[1528] Die Gruppe erstellt eine
Leerstandsliste und arbeitet inhaltlich vor allem zur
Umstrukturierungspolitik der Stadt, die sie als
Stadtzerstörungspolitik bezeichnet. Schwerpunkte sind Aktionen
und Demonstrationen zu städtischen Großprojekten wie dem IHZ
oder dem Rheinufertunnel - aber auch zu den Etatkürzungen im
Sozial- und Kulturbereich. Außerdem wird ein ‘autonomer
Stadtrundgang’ veranstaltet und einige Gruppenmitglieder
versuchen, auf den bundesweiten ‘Häuserkampftagen’ vom 22.
bis 25. Juni 1990 in Hamburg ihre Erfahrungen und Vorstellungen
mit Menschen aus anderen Städten zu diskutieren. [1529]
Die Gruppe versteht sich als “politisch ‘voll motiviert’,”
d.h., sie betrachtet ihre Aktionen und die “Besetzung
als Teil eines breiten Widerstands gegen die HERRschende Politik
und nicht nur als Wohnraumbeschaffungsmaßnahme ”.[1530] Dies kommt u.a. in
Solidarisierungen mit Häuserkämpfen in anderen Städten - z.B.
im Zusammenhang mit den bürgerkriegsähnlichen
Auseinandersetzungen bei der Räumung der Mainzer Straße in
Berlin am 14. November 1990 - zum Ausdruck. Außerdem wird die
‘Wiedervereinigung BRDDR’ kritisch betrachtet und dem
wiederentstehenden ‘großdeutschen’ Nationalismus auf
etlichen Flugblättern der Kampf angesagt: “Deutschland halt’s
Maul! ”[1531]
Für den 24. November 1990 wird zu einer Demonstration ‘Kampf
den Baggern und Kränen’ aufgerufen. Im Demonstrationsaufruf
werden die Wohnungsnot in Düsseldorf und ihre Ursachen so
analysiert: “Profitierende sind die Wirtschaftsbosse mit
ihrem Stab von StadtplanerInnen, PolitikerInnen und
SozialarbeiterInnen, die aus Düsseldorf einen internationalen
Umschlagplatz für Waren und Dienstleistungen machen wollen, um
der Stadt einen Spitzenplatz im EG-Binnenmarkt zu sichern. (...)
Am Düsseldorfer Aufstieg zur ‘Weltstadt’ verdienen nur die,
die sowieso schon alles haben! ”[1532] Aus dieser Demonstration, an der 150
bis 250 Menschen teilnehmen, heraus wird schließlich das seit
schätzungsweise zehn Jahren leerstehende [1533] Haus Alt Pempelfort 15 (genannt ‘Pempel
15’) besetzt. [1534] Das
Gebäude befindet sich im Eigentum einer Privatperson, die nicht
an die Öffentlichkeit tritt und sich durch einen
Generalbevollmächtigten, den Diplom-Kaufmann Heinz Lappe,
vertreten läßt. Der Abrißantrag für die ‘Pempel 15’ ist
bereits gestellt: Dort sollen in einigen Jahren neue Büros
gebaut werden.
Die Besetzung war von der Gruppe gut vorbereitet worden, so daß
genügend Baumaterial zur Verbarrikadierung des Hauses zur
Verfügung steht. Findige ElektrikerInnen kümmern sich um die
Stromversorgung, das Haus wird vom gröbsten Müll befreit und
Schlaf- bzw. Gruppenräume werden eingerichtet. AnwohnerInnen
werden mit großem Erfolg [1535]
zu Kaffee, Besichtigung und Diskussion eingeladen,
Pressekonferenzen abgehalten und Kontakt zu anderen politischen
Gruppen, ASten, Initiativen etc. gesucht und gefunden.
Dreieinhalb Wochen lang ist in den Medien fast täglich etwas
über die Besetzung zu lesen, zu hören, zu sehen - und neben den
GRÜNEN, den ASten von Fachhochschule und
Heinrich-Heine-Universität sowie unzähligen anderen Gruppen und
Einzelpersonen schicken sogar die Jusos eine Solidaritätsadresse
und fordern Oberstadtdirektor Karl Ranz (SPD) auf, konstruktive
Gespräche mit den BesetzerInnen aufzunehmen und sich seiner
Verantwortung nicht zu entziehen. [1536] Die BesetzerInnen haben schon nach
wenigen Tagen “eine Kneipe (Veranstaltungsraum), einen
Infoladen, einen Frauenraum, eine Bildhauerwerkstatt und
Konzerträume ”[1537]
eingerichtet. Fast täglich wird in der ‘Volksküche’
billiges Essen für BesucherInnen und BewohnerInnen des Hauses
gekocht. “Noch eine große Leistung waren die zwei bis drei
Plena TÄGLICH und der gigantische Wachplan, der (...) zu enormem
Schlafentzug geführt hat. ”[1538] Während der Besetzung treten über 20
Bands in der ‘Pempel 15’ auf, besuchen Hunderte von
neugierigen, interessierten Jugendlichen, AnwohnerInnen, ‘normalen’
PassantInnen etc. das Haus.
Da das Gebäude, dessen Nutzung nach städtischen Angaben als ‘Gewerbe’
ausgewiesen ist, sich in Privatbesitz befindet, fühlen sich
weder Verwaltung noch RatspolitikerInnen verantwortlich: “Die
Stadt ist mit dem Problem überhaupt nicht befaßt. Es ist ein
privates Haus(...). ”[1539]
Die BesetzerInnen fordern die Stadt trotzdem auf, die von ihnen
vorgenommene ‘Enteignung der Pempel 15’ anzuerkennen und die
Besetzung abzusichern , “indem sie die vorherigen
BesitzerInnen formell enteignet und uns das Haus vorbehaltlos
überläßt ”.[1540]
Von den im Stadtrat vertretenen Parteien unterstützen lediglich
die GRÜNEN die BesetzerInnen vorbehaltlos und fordern
Oberbürgermeister Bungert (SPD) auf, zwischen BesetzerInnen und
dem Bevollmächtigten der Besitzerin zu vermitteln sowie eine
polizeiliche Räumung nicht zuzulassen. Zumindest ein Teil der
SPD setzt ebenfalls auf Verhandlungen und erklärt in der
Öffentlichkeit, eine Räumung abzulehnen: “Wir setzen auf
den bewährten Düsseldorfer Weg. [Wir] wollen keine
Verhältnisse wie in Hamburg und Berlin! ”[1541] Erwähnenswert ist auch eine
Presseerklärung des ‘Kreisverbandes der Deutschen
Polizeigewerkschaft’, in der ein ‘berechtigtes Interesse’
der BesetzerInnen bei ihrem Protest gegen Wohnungsnot erkannt
wird. Zwar seien “Besetzungen von Häusern illegetim [1542], (...) was immer
gerne vergessen ”[1543]
werde, aber “sind in Düsseldorf nicht schon Besetzungen, um
des lieben Frieden willens, in rechtmäßige Verhältnisse
übergeleitet worden? (...) Es geht nicht an, daß Polizeibeamte
ihren Rücken für Spekulationen von Privatleuten hinhalten
müssen. ”[1544]
Der Rat nimmt jedoch am 13. Dezember 1990 mit der Mehrheit von
CDU, FDP und ‘Republikanern/Konservativen’ einen Antrag an,
in dem die Hausbesetzung als Rechtsbruch bezeichnet wird, den die
Demokratie nicht hinnehmen könne. [1545]
Unter dem Eindruck der Räumung der Mainzer Straße und den
ersten ‘gesamtdeutschen’ Wahlen am 2. Dezember 1990, bei
denen die konservative CDU/FDP-Regierungskoalition deutlich
bestätigt wird, kommt bei den BesetzerInnen eine immer stärker
werdende ‘Räumungsparanoia’ auf. Die Angst, daß eine
Räumung unmittelbar bevorstehe, nimmt nach dem Ablauf eines
Ultimatums der Besitzerin am 13. Dezember immer mehr zu und
bestimmt die Diskussionen im Haus. Der Generalbevollmächtigte
der Besitzerin hatte den BesetzerInnen das Angebot gemacht, bei
einer freiwilligen Räumung auf rechtliche Schritte zu verzichten
und ihnen das Geld zukommen zu lassen, das für die Durchführung
einer polizeiliche Räumung benötigt würde.
Dieses Angebot wird abgelehnt. Mit verschiedenen Protestaktionen
im Rathaus und Demonstrationen soll stärkerer Druck auf die
Stadt ausgeübt werden, der jedoch aufgrund der von dieser Seite
immer wieder betonten ‘Nicht-Verantwortlichkleit’ ins Leere
geht.
Am Morgen des 17. Dezember 1990 wird das Haus, in dem sich zu
diesem Zeitpunkt etwa 30 BesetzerInnen aufhalten, von 50 bis 100
gutausgerüsteten SEK- und Bereitschaftspolizisten gestürmt. Die
Besitzerin hatte einen Räumungstitel erwirkt, allerdings keine
Strafanzeige gestellt, um “eine unnötige Kriminalisierung
der Besetzer zu verhindern. ”[1546] Die BesetzerInnen werden vor die
Alternative gestellt, das Haus ‘freiwillig’ und ohne
Personalienfeststellung zu verlassen, oder von der Polizei
gewaltsam herausgetragen zu werden. [1547] Kurz nach dem Abzug der 30
BesetzerInnen wird das Haus von der Polizei durchsucht und danach
sofort von einem anrückenden Bautrupp unbewohnbar gemacht.
Wenige Tage später wird es abgerissen - das Grundstück wird
noch über zwei Jahre lang leerstehen. 1995 wird schließlich das
geplante Bürogebäude fertiggestellt.
Noch am selben Abend demonstrieren in Düsseldorf ca. 600
Menschen gegen die Räumung des Hauses.
Die BesetzerInnen sowie zahlreiche SympathisantInnen und
UnterstützerInnen treffen sich noch für einige Monate einmal
wöchentlich zur ‘Volxküche’ (auch: ‘Pempel im Exil’) in
den Räumen der ‘Arbeitslosen Selbsthilfe’ (ALSH) an der
Oberbilker Allee 1, um die “Nachbereitung der 3 Wochen
Pempel [und] die Entwicklung einer gemeinsamen Plattform
für weitere Besetzungen/Aktionen ”[1548] vorzunehmen. Dies gelingt jedoch nicht,
weil in der Gruppe völlig unterschiedliche politische
Vorstellungen herrschen, die jetzt offen zu Tage treten. Der
Ausbruch des Golfkrieges am 16. Januar 1991 führt “zu einem
wilden Aktionismus, der (...) die Diskussion über die
gemeinsamen Ziele als (ehemalige) BesetzerInnengruppe ”[1549] blockiert. Nach dem Ende
der Antikriegsbewegung lösen sich schließlich auch die
Überreste der ‘Pempel im Exil’ auf.
[1522] Flugblatt ‘Guten Morgen!’, 3/90
[1523] Ebenda.
[1524] Vgl. Express, 13.03.90.
[1525] Bild, 13.03.90.
[1526] Express, 13.03.90.
[1527] Die BesetzerInnen vermuten jedoch, daß die wahren
Gründe für den Abriß die Erweiterung des Parkplatzes eines
Aldi-Supermarktes sowie die Beschleunigung des Individualverkehrs
von der Innenstadt zum Flughafen sind.
[1528] Flugblatt ‘sleep in’, 4/90.
[1529] Vgl. Terz, 1/93, S. 15.
[1530] Ebenda, S. 15.
[1531] Flugblatt ‘Die Häuser denen...’, 11/90.
[1532] Ebenda.
[1533] Die Angaben über den Leerstand der ‘Pempel 15’
schwanken zwischen 8 und 18 Jahren...
[1534] Vgl. RP, 26.11.90.
[1535] Etliche solidarische AnwohnerInnen spenden den
BesetzerInnen Verpflegung, Decken und alte Möbelstücke.
[1536] Vgl. Pempel-Reader, 12/90, S. 43
[1537] Ebenda, S. 2.
[1538] Terz, 1/93, S. 15.
[1539] Sozialdezernent Paul Saatkamp in einem WDR-Interview,
12/90, zit. nach: Videobeitrag ‘Hausbesetzungen in Düsseldorf
1990’ in Videomagazin ‘Clipper’, Nr. 16, 21.3.91.
[1540] Pempel-Reader, 12/90, S. 15.
[1541] SPD-Ratsherr Peter Gaida, in: BILD, 27.11.90.
[1542] Bemerkenswert ist hier die Formulierung ‘illegetim’,
die ein eher moralisches Kriterium beschreibt - im Gegensatz zu
der juristisch korrekteren Formulierung ‘illegal’.
[1543] Pempel-Reader, 12/90, S. 41.
[1544] Ebenda.
[1545] Vgl. NRZ, 14.12.90.
[1546] RP, 18.12.90.
[1547] Vgl. Pempel-Reader, 12/90, S. 34.
[1548] Terz, 1/93, S. 16.
[1549] Ebenda, S. 16.