4.2 Fazit

Das Fazit der neunziger Jahre kann zwangsläufig nur ein unvollständiges sein.
Insgesamt ist in diesem Jahrzehnt für BürgerInnenbewegungen, linke Parteien und Gruppen eine Situation rückläufiger Aktivitäten zu konstatieren - und zwar in quantitativer und qualitativer Hinsicht. Weltweit herrscht nach dem vorläufigen ‘Sieg’ neoliberaler Ökonomie-Modelle Ratlosigkeit darüber, was soziale Bewegungen, linke Parteien etc. dem entgegensetzen können.
Objektiv verschlechtert sich die soziale Situation in allen Ländern und die Kluft zwischen ‘Reich und Arm’ wird immer größer. Arbeitslosigkeit und Marginalisierung sind auch in der BRD längst zu Massenerscheinungen geworden. Ebenso wie in allen anderen sozialen Bereichen hat sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt in den letzten Jahren beständig verschlechtert. Niemals zuvor hat es in der BRD nach der Mitte der fünfziger Jahre abgeschlossenen Wiederaufbauphase so viele Obdachlose und Wohnungssuchende gegeben und nie war der Anteil der Miete am ausgabefähigen Einkommen höher.
Gleichzeitig ist in den vergangenen Jahren die Gegenwehr gegen Wohnungsnot und Umstrukturierung immer weiter zurückgegangen.
Die Situation in Düsseldorf unterscheidet sich in diesen Punkten nicht grundsätzlich von der in anderen Städten. Trotzdem gibt es immer wieder Versuche von betroffenen BürgerInnen, StudentInnen oder anderen Gruppen, einer städtischen Politik, deren Primat erklärtermaßen die Wirtschaftsförderung ist, etwas entgegenzusetzen.
Hausbesetzungen spielen dabei auch in der ersten Hälfte der neunziger Jahre eine Rolle, allerdings kann nicht mehr von der Existenz einer HausbesetzerInnenbewegung gesprochen werden. Insgesamt sind in Düsseldorf seit Januar 1990 sieben Hausbesetzungen zu verzeichnen, von denen allerdings nur zwei (‘Pempel 15’ im November/Dezember 1990 und Kaiserswerther Str. 290 am 4. Februar 1995) in der Öffentlichkeit relativ bekannt wurden und - teilweise - weitergehende politische Auswirkungen hatten. Wir werden uns nun diese beiden Besetzungen etwas genauer anschauen [1593] und einer Bewertung unterziehen.

4.2.1 Die Besetzung der ‘Pempel 15’

Bei der Besetzung spielten vor allem zwei Ziele eine Rolle:

  1. Ein Haus zur Verwirklichung von Autonomie-Vorstellungen zu erkämpfen.
  2. Auf Wohnungsnot, Leerstand von Häusern, Spekulation und Umstrukturierung aufmerksam zu machen sowie die Aktion einzubetten in eine umfassende politische Analyse und Strategie.

Daß letzten Endes das erste Ziel immer stärker in den Vordergrund trat und das zweite vernachlässigt wurde, hat viel mit der politischen Herkunft der BesetzerInnen zu tun. Ein großer Teil von ihnen stammte aus einem politischen Spektrum, das sich selber als linksradikal-autonom bezeichnet. Gerade dieser Teil legte mehr Wert auf die subjektive Verwirklichung bestimmter Vorstellungen von Autonomie/Selbstbestimmung, als auf die Analyse der politischen Situation in Düsseldorf und - daraus folgend - die Erarbeitung einer Strategie, in der die Hausbesetzung zwar eine wichtige Rolle spielen kann, jedoch nicht als Mittelpunkt der politischen Aktivitäten begriffen wird.
Diese Einschätzung wird auch in einem Szene-internen Diskussions- und Kritikpapier vertreten, in dem die zentrale These aufgestellt wird, “daß sämtliche Fehler während der Besetzung im wesentlichen auf zwei Ursachen zurückzuführen sind: mangelnde Analyse der Situation, in der die Besetzung stattfand, sowie ein offensiv vertretenes, subjektivistisches Politikverständnis, das eine solche Analyse zugleich unnötig erscheinen ließ und unmöglich machte .”[1594]
Dieser Subjektivismus rückte das besetzte Haus in den Mittelpunkt aller Überlegungen und war der Auslöser einer immer stärker werdenden ‘Räumungsparanoia’, die ein “starker Lähmungsfaktor [war]. Bei der Besetzung selbst führte diese Angst dazu, daß die ‘politischen Ziele’ nahezu unter den Tisch fielen .”[1595]
Als ein Beispiel für die mangelnde Analyse der Situation kann angeführt werden, daß noch nach Tagen völlig unbekannt war, wer EigentümerIn des Objektes war und wie lange es leerstand. Diese offensichtliche Inkompetenz und mangelnde Information war jedenfalls “nicht gerade geeignet, (...) das eine oder andere über Wesen und Ziel spekulativen Leerstandes zu vermitteln .”[1596]
Zu der ursprünglichen Gruppe waren im Verlauf der dreiwöchigen Besetzung viele neue, vor allem junge Leute hinzugestoßen. Nach der Räumung des Hauses wurden noch einige Anstrengungen unternommen, die Gruppe zusammenzuhalten. Dies gelang jedoch nur für kurze Zeit. Die Gründe für die Auflösung der Gruppe sind unserer Meinung nach vor allem in der Frustration nach der Räumung zu suchen. Die Versuche, im Haus zumindest ansatzweise die eigenen Autonomievorstellungen zu verwirklichen, wurden mit der Räumung beendet. Da es zu wenig Überlegungen und Diskussionen darüber gegeben hatte, ob mit der Besetzung noch andere Ziele verbunden waren, fehlte die Motivation, weiterzumachen. Die Gruppe löste sich auf.

4.2.2 Die Besetzung der Kaiserswerther Str. 290

Bei den BesetzerInnen der Kaiserswerther Str. 290 existierten drei Ziele:

  1. Die Realisierung eines selbstverwalteten Wohnprojekts. Damit war in erster Linie billiges, kollektives Wohnen gemeint. Außerdem sollte Raum geschaffen werden für alternative Kultur und Politik sowie für soziale Initiativen/Selbsthilfegruppen. Im Hintergrund stand hierbei also auch der Gedanke eines linken Zentrums.
  2. Anhand des leestehenden und von Abriß bedrohten Hauses exemplarisch auf Wohnungsnot hinweisen und gegen die Wohnungspolitik der öffentlichen Hand protestieren.
  3. Die Besetzung in eine politische Gesamtkonzeption einordnen, die sich auf eine linke, nicht nur kommunal bezogen, Analyse und Strategie stützt. Dabei spielte auch die Überlegung eine Rolle, in Zeiten der Schwäche von linken und BürgerInnenbewegungen, politisch offensiv zu werden und über die Besetzung neue Leute zu politisieren.

Dem ersten und dritten Ziel war gemein, daß zu ihrer Realisierung zunächst der Erhalt des Hauses bzw. aller vier Häuser durchgesetzt werden mußte. Dies ist auch der einzige Punkt, an dem ein klarer politischer Erfolg erzielt werden konnte, quasi als ‘Abfallprodukt’ der Besetzung: Die vier Häuser blieben im Eigentum der öffentlichen Hand und sollen als Sozialwohnungen vermietet werden.
Hingegen wurde das erste Ziel, die Verwirklichung eines selbstverwalteten Wohnprojekts, nicht erreicht.
Das zweite Ziel, auf das im Gegensatz zur ‘Pempel 15’ wurde diesmal mehr Wert gelegt wurde, konnte zum Teil erreicht werden: Es gelang immerhin teilweise, in der Öffentlichkeit weitergehende Forderungen und Kritik an den katastrophalen Zuständen auf dem Wohnungsmarkt zu vermitteln.
Bereits lange vor der Besetzung wurde allerdings immer deutlicher, daß die öffentliche Diskussion, vermittelt vor allem über die Presse, sich auf den Protest gegen den Abriß der Häuser konzentrierte. Dieser Protest wurde von vielen Seiten als ‘berechtigtes’ Anliegen der Initiative und der BesetzerInnen anerkannt.
Diese Tendenz wurde durch die Form der Öffentlichkeitsarbeit der BesetzerInnen unterstützt, die sich ebenfalls immer mehr auf den Erhalt der Häuser selbst konzentrierte. Der Preis für eine breite politische Zustimmung für die - von der Öffentlichkeit so wahrgenommene - angebliche Hauptforderung der Initiative und der BesetzerInnen war also, daß grundsätzliche inhaltliche Kritik weitgehend ‘unter den Tisch’ fiel.
Es bleibt die Frage, ob angesichts der quantitativen, organisatorischen und theoretischen Schwäche der Gruppen und Menschen, die an der Besetzung teilnahmen, eine solche Vermittlung überhaupt möglich war.
Ob das Ziel, über ein besetztes Haus neue Leute zu politisieren, erreicht wurde, kann von uns zu diesem Zeitpunkt nicht klar beantwortet werden. Klar ist nur, daß neue Leute über die Besetzung als solche nicht angesprochen oder für die Mitarbeit in politischen Gruppen gewonnen werden konnten. Das war aufgrund der kurzen Dauer der Besetzung nicht möglich. Über die weiteren Auswirkungen der Besetzung - etwa im Zusammenhang mit den Prozessen gegen die BesetzerInnen oder der Arbeit der ‘Initiative Kaiserswerther Straße’ - können wir an dieser Stelle keine Aussagen machen.
Nach der Besetzung löste sich weder das BesetzerInnen-Bündnis noch die ‘Initiative Kaiserswerther Straße’ auf. Während die Initiative jedoch weiterhin wuchs - was ihr vor allem Dank der guten Anbindung an die Sozialwesen-Fachbereiche und viel Öffentlichkeitsarbeit gelang - war die Bündnis-Arbeit überwiegend auf die Prozeßvorbereitung ausgerichtet.


[1593] Um zu erklären, wie die Verfasser dieser Arbeit an bestimmte interne Informationen vor allem über die Besetzung der Kaiserswerther Straße gelangten, sei hier auf das Vorwort hingewiesen: Einer der Verfasser nahm an der Besetzung teil, beide waren an vorbereitenden Diskussionen beteiligt.
[1594] Pempel-Diskussion I, vermutl. 12/90, S. 1.
[1595] Terz, 1/93, S. 15.
[1596] Pempel-Diskussion I, vermutl. 12/90, S. 2.


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