Das Fazit der neunziger Jahre kann zwangsläufig
nur ein unvollständiges sein.
Insgesamt ist in diesem Jahrzehnt für BürgerInnenbewegungen,
linke Parteien und Gruppen eine Situation rückläufiger
Aktivitäten zu konstatieren - und zwar in quantitativer und
qualitativer Hinsicht. Weltweit herrscht nach dem vorläufigen
‘Sieg’ neoliberaler Ökonomie-Modelle Ratlosigkeit darüber,
was soziale Bewegungen, linke Parteien etc. dem entgegensetzen
können.
Objektiv verschlechtert sich die soziale Situation in allen
Ländern und die Kluft zwischen ‘Reich und Arm’ wird immer
größer. Arbeitslosigkeit und Marginalisierung sind auch in der
BRD längst zu Massenerscheinungen geworden. Ebenso wie in allen
anderen sozialen Bereichen hat sich die Situation auf dem
Wohnungsmarkt in den letzten Jahren beständig verschlechtert.
Niemals zuvor hat es in der BRD nach der Mitte der fünfziger
Jahre abgeschlossenen Wiederaufbauphase so viele Obdachlose und
Wohnungssuchende gegeben und nie war der Anteil der Miete am
ausgabefähigen Einkommen höher.
Gleichzeitig ist in den vergangenen Jahren die Gegenwehr gegen
Wohnungsnot und Umstrukturierung immer weiter zurückgegangen.
Die Situation in Düsseldorf unterscheidet sich in diesen Punkten
nicht grundsätzlich von der in anderen Städten. Trotzdem gibt
es immer wieder Versuche von betroffenen BürgerInnen,
StudentInnen oder anderen Gruppen, einer städtischen Politik,
deren Primat erklärtermaßen die Wirtschaftsförderung ist,
etwas entgegenzusetzen.
Hausbesetzungen spielen dabei auch in der ersten Hälfte der
neunziger Jahre eine Rolle, allerdings kann nicht mehr von der
Existenz einer HausbesetzerInnenbewegung gesprochen werden.
Insgesamt sind in Düsseldorf seit Januar 1990 sieben
Hausbesetzungen zu verzeichnen, von denen allerdings nur zwei (‘Pempel
15’ im November/Dezember 1990 und Kaiserswerther Str. 290 am 4.
Februar 1995) in der Öffentlichkeit relativ bekannt wurden und -
teilweise - weitergehende politische Auswirkungen hatten. Wir
werden uns nun diese beiden Besetzungen etwas genauer anschauen [1593] und einer Bewertung
unterziehen.
Bei der Besetzung spielten vor allem zwei Ziele
eine Rolle:
Daß letzten Endes das erste Ziel immer stärker
in den Vordergrund trat und das zweite vernachlässigt wurde, hat
viel mit der politischen Herkunft der BesetzerInnen zu tun. Ein
großer Teil von ihnen stammte aus einem politischen Spektrum,
das sich selber als linksradikal-autonom bezeichnet. Gerade
dieser Teil legte mehr Wert auf die subjektive Verwirklichung
bestimmter Vorstellungen von Autonomie/Selbstbestimmung, als auf
die Analyse der politischen Situation in Düsseldorf und - daraus
folgend - die Erarbeitung einer Strategie, in der die
Hausbesetzung zwar eine wichtige Rolle spielen kann, jedoch nicht
als Mittelpunkt der politischen Aktivitäten begriffen wird.
Diese Einschätzung wird auch in einem Szene-internen
Diskussions- und Kritikpapier vertreten, in dem die zentrale
These aufgestellt wird, “daß sämtliche Fehler während der
Besetzung im wesentlichen auf zwei Ursachen zurückzuführen
sind: mangelnde Analyse der Situation, in der die Besetzung
stattfand, sowie ein offensiv vertretenes, subjektivistisches
Politikverständnis, das eine solche Analyse zugleich unnötig
erscheinen ließ und unmöglich machte .”[1594]
Dieser Subjektivismus rückte das besetzte Haus in den
Mittelpunkt aller Überlegungen und war der Auslöser einer immer
stärker werdenden ‘Räumungsparanoia’, die ein “starker
Lähmungsfaktor [war]. Bei der Besetzung selbst führte
diese Angst dazu, daß die ‘politischen Ziele’ nahezu unter
den Tisch fielen .”[1595]
Als ein Beispiel für die mangelnde Analyse der Situation kann
angeführt werden, daß noch nach Tagen völlig unbekannt war,
wer EigentümerIn des Objektes war und wie lange es leerstand.
Diese offensichtliche Inkompetenz und mangelnde Information war
jedenfalls “nicht gerade geeignet, (...) das eine oder
andere über Wesen und Ziel spekulativen Leerstandes zu
vermitteln .”[1596]
Zu der ursprünglichen Gruppe waren im Verlauf der dreiwöchigen
Besetzung viele neue, vor allem junge Leute hinzugestoßen. Nach
der Räumung des Hauses wurden noch einige Anstrengungen
unternommen, die Gruppe zusammenzuhalten. Dies gelang jedoch nur
für kurze Zeit. Die Gründe für die Auflösung der Gruppe sind
unserer Meinung nach vor allem in der Frustration nach der
Räumung zu suchen. Die Versuche, im Haus zumindest ansatzweise
die eigenen Autonomievorstellungen zu verwirklichen, wurden mit
der Räumung beendet. Da es zu wenig Überlegungen und
Diskussionen darüber gegeben hatte, ob mit der Besetzung noch
andere Ziele verbunden waren, fehlte die Motivation,
weiterzumachen. Die Gruppe löste sich auf.
Bei den BesetzerInnen der Kaiserswerther Str. 290
existierten drei Ziele:
Dem ersten und dritten Ziel war gemein, daß zu
ihrer Realisierung zunächst der Erhalt des Hauses bzw. aller
vier Häuser durchgesetzt werden mußte. Dies ist auch der
einzige Punkt, an dem ein klarer politischer Erfolg erzielt
werden konnte, quasi als ‘Abfallprodukt’ der Besetzung: Die
vier Häuser blieben im Eigentum der öffentlichen Hand und
sollen als Sozialwohnungen vermietet werden.
Hingegen wurde das erste Ziel, die Verwirklichung eines
selbstverwalteten Wohnprojekts, nicht erreicht.
Das zweite Ziel, auf das im Gegensatz zur ‘Pempel 15’ wurde
diesmal mehr Wert gelegt wurde, konnte zum Teil erreicht werden:
Es gelang immerhin teilweise, in der Öffentlichkeit
weitergehende Forderungen und Kritik an den katastrophalen
Zuständen auf dem Wohnungsmarkt zu vermitteln.
Bereits lange vor der Besetzung wurde allerdings immer
deutlicher, daß die öffentliche Diskussion, vermittelt vor
allem über die Presse, sich auf den Protest gegen den Abriß der
Häuser konzentrierte. Dieser Protest wurde von vielen Seiten als
‘berechtigtes’ Anliegen der Initiative und der BesetzerInnen
anerkannt.
Diese Tendenz wurde durch die Form der Öffentlichkeitsarbeit der
BesetzerInnen unterstützt, die sich ebenfalls immer mehr auf den
Erhalt der Häuser selbst konzentrierte. Der Preis für eine
breite politische Zustimmung für die - von der Öffentlichkeit
so wahrgenommene - angebliche Hauptforderung der Initiative und
der BesetzerInnen war also, daß grundsätzliche inhaltliche
Kritik weitgehend ‘unter den Tisch’ fiel.
Es bleibt die Frage, ob angesichts der quantitativen,
organisatorischen und theoretischen Schwäche der Gruppen und
Menschen, die an der Besetzung teilnahmen, eine solche
Vermittlung überhaupt möglich war.
Ob das Ziel, über ein besetztes Haus neue Leute zu politisieren,
erreicht wurde, kann von uns zu diesem Zeitpunkt nicht klar
beantwortet werden. Klar ist nur, daß neue Leute über die
Besetzung als solche nicht angesprochen oder für die
Mitarbeit in politischen Gruppen gewonnen werden konnten. Das war
aufgrund der kurzen Dauer der Besetzung nicht möglich. Über die
weiteren Auswirkungen der Besetzung - etwa im Zusammenhang mit
den Prozessen gegen die BesetzerInnen oder der Arbeit der ‘Initiative
Kaiserswerther Straße’ - können wir an dieser Stelle keine
Aussagen machen.
Nach der Besetzung löste sich weder das BesetzerInnen-Bündnis
noch die ‘Initiative Kaiserswerther Straße’ auf. Während
die Initiative jedoch weiterhin wuchs - was ihr vor allem Dank
der guten Anbindung an die Sozialwesen-Fachbereiche und viel
Öffentlichkeitsarbeit gelang - war die Bündnis-Arbeit
überwiegend auf die Prozeßvorbereitung ausgerichtet.
[1593] Um zu erklären, wie die Verfasser dieser Arbeit an
bestimmte interne Informationen vor allem über die Besetzung der
Kaiserswerther Straße gelangten, sei hier auf das Vorwort
hingewiesen: Einer der Verfasser nahm an der Besetzung teil,
beide waren an vorbereitenden Diskussionen beteiligt.
[1594] Pempel-Diskussion I, vermutl. 12/90, S. 1.
[1595] Terz, 1/93, S. 15.
[1596] Pempel-Diskussion I, vermutl. 12/90, S. 2.