Die Wohnungsnot stand in Düsseldorf in den
Jahren von 1919 bis 1933 im Zentrum heftiger politischer und
juristischer Auseinandersetzungen. Wohnungslosigkeit war keine
vereinzelte Erscheinung, sondern ein existentielles Problem
tausender Menschen.
Wir konnten nicht quantifizieren, wieviele der von Wohnungsnot
und Obdachlosigkeit Betroffenen sich durch bewußte politische
Aktionen und Protest gegen Stadtverwaltung und HausbesitzerInnen
zur Wehr setzten. Wir fanden jedoch vereinzelte Hinweise auf
Haus- bzw. Wohnungsbesetzungen und Mietstreiks. Wir gehen davon
aus, daß diese Aktionen nicht die Regel, sondern eher die
Ausnahme darstellten.
Der größte Teil der Wohnungslosen zog mangels Alternativen an
die Ränder der Städte und ließ sich dort meist in ‘wilden’
Siedlungen nieder. Dabei spielte die Selbstversorgung mit
Lebensmitteln eine zentrale Rolle.
Viele der SiedlerInnen haben sicherlich durch den Bau von etwas
‘Eigenem’ eine Lebensperspektive in ihrer unermeßlichen Not
gesehen. “ Wir waren aber das Nichtstun leid, wir wollten
nicht stumpfsinnig werden, wir wollten zeigen, daß wir arbeiten
konnten, wenn man uns nur Arbeit gibt.(...) Siedeln schuf bei den
Arbeitslosen Selbstbewußtsein, Mut und Lebenssinn. ”[319] Das Siedeln am Stadtrand
hatte keinesfalls etwas Idyllisches, auch wenn viele versuchten,
“ mit ihren Behausungen kleine Idyllen zu schaffen; (...) [es]
war von vielfältigen menschlichen Katastrophen begleitet. ”[320]
Die SiedlerInnen, überwiegend arbeitslose ArbeiterInnen und
HandwerkerInnen mit ihren Familien, verschwanden einfach aus den
Städten. Für die meisten PolitikerInnen und die Verwaltung
waren sie schlicht nicht existent.
Es wäre interessant gewesen, Positionen der linken Parteien, KPD
und SPD, zum ‘Problem’ der SiedlerInnen zu untersuchen. Diese
lagen uns jedoch nicht vor. Auch die Frage, ob und wieviele
SiedlerInnen in linken Parteien organisiert waren, konnte anhand
der vorhandenen Quellen nicht überprüft werden.
Die meisten SiedlerInnen waren jedenfalls nicht mehr für ‘revolutionäre
Umtriebe’ zu haben. Sie “ waren eben mit dem Bau ihrer
...Unterkünfte beschäftigt ."[321] Der permanente Existenzkampf in den
wichtigsten Bereichen der Reproduktion - Wohnen und Ernährung -
ließ ihnen kaum Raum für politische Aktivitäten
Die Gründung ‘wilder’ Siedlungen wie dem ‘Heinefeld’
waren - genauso wie das (halb)legale Siedeln in
Kleingartenvereinen - in erster Linie existenzsichernde
Eigeninitiativen von ausgegrenzten und pauperisierten ‘VerliererInnen’
der Wirtschaftskrisen.
Subjektive Faktoren, wie die Gestaltung von Freiräumen oder das
Ausprobieren neuer Lebensformen, spielten bei dieser ‘Flucht
aus den Städten’ praktisch keine Rolle. Auch liegen keine
Berichte über primär politisch motivierte Landbesetzungen bzw.
‘wilde’ Siedlungsprojekte vor.
Eine Ausnahme bildete die von Anarcho-SyndikalistInnen
durchgeführte Landbesetzung in den ‘Hildener Banden’ mit dem
Siedlungsprojekt ‘Freie Erde’. Die AnarchistInnen waren stark
von Gustav Landauers Ideen von der Gründung ‘freier Siedlungen’
und der partiellen Überwindung kapitalistischer Produktion und
Kultur m ‘Hier und Jetzt’ inspiriert. Sie verstanden ihr
Projekt als gesellschaftsverändernd [322] und propagierten die Aufhebung der
Trennung von ‘privaten’ und ‘politischen’ Bereichen. Es
ging ihnen nicht ausschließlich um die Beschaffung von Wohnraum
und die Sicherung der Nahrungmittelversorgung, sondern auch um
die Erprobung einer sozialistisch/anarchistischen Utopie in einer
kapitalistischen Gesellschaft.
4.2.2 Kommunale Maßnahmen zur Beseitigung der Wohnungsnot
Trotz der großangelegten Wohnungsbauprogramme ab 1929 gelang es
der Stadtverwaltung nicht, genügend preiswerten Wohnraum für
Arbeitslose und andere Menschen mit geringen finanziellen
Möglichkeiten zu schaffen. Ausschlaggebend für das Ende der
Bauvorhaben war, wie beschrieben, die einsetzende
Weltwirtschaftskrise, die die finanziellen Spielräume der
Kommune drastisch einschränkte und zugleich die Zahl der
Arbeits- und Wohnungslosen in die Höhe schnellen ließ.
“In den Folgejahren der Weimarer Republik nahm dann die
Bautätigkeit sehr beachtlich zu, so daß, wenn das
Wohnungsbautempo von 1928/29 weitere zwanzig Jahre angedauert
hätte, der Wohnungsnot ein Ende bereitet worden wäre.
Wenn...aber wir befinden uns in einer kapitalistischen
Gesellschaft, und so entwickelte sich der Wohnungsbau in dem
letzten Jahrzehnt vor dem zweiten Weltkrieg: Während der
Krisenjahre 1930/32 sank der Wohnungsbau schnell ab, und die so
manches versprechende zweite Hälfte der zwanziger Jahre wurde
von einer neuen rapiden Verschlechterung der Wohnverhältnisse
abgelöst. ”[323]
Durch die Abschaffung der ‘Wohnraumzwangswirtschaft’, die von
den Interessenverbänden der WohnungseigentümerInnen entschieden
bekämpft wurde, wurde 1927 ein wichtiges Instrument zur
Regulierung des Wohnungsmarktes beseitigt.
Angesichts der katastrophalen ökonomischen Rahmenbedingungen
halten wir es für relativ unwahrscheinlich, daß die Kommune alleine
mit dem Problem der Wohnungsnot hätte fertig werden können.
[319]Weidenhaupt, H., Düsseldorf-Geschichte, Band 3, S. 390.
[320]Ebenda, S. 392. (Eine Frau, die ihre Wohnung räumen
sollte, tötete in ihrer Verzweifelung ihre drei Kinder und
beging anschließend Selbstmord)
[321] Ebenda, S. 275.
[322] Dieser Ansatz wurde alledings auch innerhalb der FAUD
sehr kontrovers diskutiert.
[323] Kuczynski, J., Geschichte des Alltags des deutschen
Volkes, Band 5, S. 387.