Diese Gesellschaft ist ein riesengroßer Knast


 Göttinger Hausbesetzer über sich selbst

Wenn sich die Öffentlichkeit für uns interessiert, dann nicht deshalb, weil wir sie als Menschen interessieren, sondern deshalb, weil wir Krawalle machen. Wir sind interessant, weil das als Skandal zu verbraten ist. Unsere wirklichen Interessen, was Wohnung und so weiter angeht, die haben wir schon vor Jahren formuliert in Bittbriefen und Resolutionen, haben damals noch Gespräche mit der Stadtverwaltung und irgendwelchen Parteifunktionären geführt, und das hat die Öffentlichkeit nicht interessiert, sondern wir sind immer wieder eingemacht worden.

Und dann haben wir eben angefangen, Häuser zu besetzen und haben das im letzten Jahr noch ganz friedlich gemacht. Es gab eine irrsinnige Sympathiewelle aus der Bevölkerung, und wir sind trotzdem rausgeräumt worden. Und irgendwann heißt es dann für uns: Jetzt ist Schluß. Jetzt müssen wir uns wehren, jetzt müssen wir auch zurückschlagen. Nicht weil wir Spaß dran hätten, sondern weil sich gezeigt hat, daß offensichtlich nur der Pflasterstein ein Argument ist, das in dieser komischen bundesrepublikanischen Gesellschaft noch Beachtung findet.

Wir sehen uns vor der Situation, daß diese vielbeschworenen demokratischen Regelmechanismen, mit denen man also größere oder kleinere Gruppen von Interessen vertreten kann, nur durchgesetzt werden können nach dem Motto »Jeder kann ja hier seine Meinung sagen« - das ist auch richtig, man kann sie vielleicht grade noch sagen -, aber es zeigt sich eben für uns, daß wir gar keine andere Wahl haben als entweder aufzustecken, oder uns mit härteren Methoden unserer Haut, das heißt in diesem Falle unserer Lebensbedingungen, zu wehren. Mal weg von den Krawallen möchte ich mal sagen, warum wir überhaupt hier wohnen und nicht woanders: In Göttingen sieht es so aus, daß es sehr viele neue Wohnungen gibt, also es werden überall Betonklötze aus dem Boden gestampft, die man wirklich nur als Wohngaragen bezeichnen kann. Unserer Meinung nach ist das Leben in solchen Häusern einfach nicht menschenwürdig. Wir sind nicht bereit, die Situation hinzunehmen und uns mit frommen Sprüchen und Hinweisen auf die demokratischen Spielregeln noch weitere zwanzig, dreißig Jahre hinhalten zu lassen, bis das Leben dann endlich an uns vorbeigegangen ist.

Wir sitzen hier und machen diese ganzen Aktionen, weil wir uns nicht abfinden wollen mit einer Welt, die aus Beton besteht und Städten, aus denen das Leben weicht. Wir haben auch keine Lust, uns alle heimlich, still und leise aufs Land zu verpissen. Wir wollen in solchen Häusern wie diesem hier, in selbstverwalteten Kommunikationszentren leben, wir wollen unser Leben leben, unsere Werkstätten aufziehen und unsere selbstverwalteten Lebensmittel-Kooperativen. Wir wollen zusammenleben und nicht jeder einzeln im Wohnklo um seine Existenz kämpfen, beim Chef ducken. Wir wollen versuchen, aus diesen besetzten Häusern heraus anders zu leben als es uns von dieser ach so tollen Industriegesellschaft geboten wird.

Wir sind vor anderthalb Wochen rausgeräumt worden aus zwei Häusern, und zwar mit einem riesigen Polizeiaufgebot. Und unter dem Schutz dieses Polizeiaufgebots sind dann die Häuser völlig zerstört worden, obwohl das eine unter Denkmalschutz steht, sinnlos kaputtgeschlagen. Die Häuser sind also für uns verloren. Und deshalb sind wir hier in die Innere Medizin, in den Mitteltrakt rein, weil die Leute, die da gewohnt haben, irgendwo wohnen müssen. Das sind nicht nur Studenten, sondern das sind Leute aus allen Schichten, die da versucht haben, zusammen in Gruppen zu leben: nicht vereinzelt, nicht isoliert.

Das gleiche mit den Häuserzerstörungen hat stattgefunden bei einem andern Haus, was besetzt worden ist, was ausgerechnet einer Baugesellschaft hier in Göttingen gehört, einem Ratsmitglied, dem FDP-Chef. Der hatte tatsächlich keine Hemmungen, aus dem Haus, kurz nachdem es geräumt worden ist, die Fußbodenbretter rauszureißen und vor die Fenster zu nageln und das Haus konsequent zu zerstören. Außerdem werden die Mieter quasi unter Druck gesetzt, daß sie rausziehen sollen, obwohl das Haus im Prinzip in Ordnung ist. Bei solchen Dingen ist es für uns einfach unmöglich, den Politikern noch irgendwas zu glauben. Der Mann steht hier in Göttingen in der Politik zentral drin.

Wohnungskampf ist für uns eine Möglichkeit, gegen die gesamtgesellschaftliche Situation anzukämpfen, wo Politiker dabei sind, gegen jegliche Vernunft unsere Zukunft zu zerstören, wo Atomkraftwerke gebaut werden, wo Hochsicherheitstrakte gebaut werden, Neutronenbomben angeschafft werden. Es geht eben wirklich um unsere Zukunft. Und da ist Wohnungskampf eine Möglichkeit, aktiv Widerstand zu leisten.

Für mich ist diese Gesellschaft hier ein riesengroßer Knast. Wenn ich in einen Betrieb geh, dann werde ich in dem Betrieb von meinem Chef unterdrückt und muß vierzig Jahre die verblödetste Arbeit machen, daheim die Frauen müssen idiotische Hausarbeit machen, ich soll mich von dem idiotischen Fernsehprogramm jeden Abend vollabern lassen und soll mich nur passiv dieser Konsumscheiße hingeben. Und wenn dann mal jemand aufsteht, dann kommt er eben in den richtigen Knast. Und wenn er im richtigen Knast immer noch nicht die Schnauze zumacht, dann kommt er in den Hochsicherheitstrakt. Ich hab die Nase gestrichen voll von diesem Land hier, und da gibt's nur Kampf, mit dem Rücken gegen die Wand.

Die einzelnen Gruppen hier haben sich aber nicht nur aus politischen Motiven zusammengefunden, sondern deshalb, weil wirklich hier von Leuten, die tagsüber arbeiten gehen, über Leute, die keine Lehrstelle bekommen, bis hin zu politisch Engagierten und Studenten eine unheimlich gute Kommunikation stattfindet. Man bekommt wirklich Kontakt zu Leuten, an denen man draußen vorbeiläuft. Es geht vielen hier nicht um politische Hintergründe, sondern um die totale Vereinsamung in unserer Gesellschaft, die wir als Jugend auf jeden Fall aufzuheben versuchen.

Aber selbst wenn uns im Schutze der Dunkelheit und der Polizei das Dach überm Kopf abgerissen wird, dann bleibt trotzdem das, was wir aufgebaut haben, lebendig. Denn Ideen sind stärker. Und diese Ideen haben Strukturen gebildet. Und diese Strukturen sind geographisch unabhängig, mobil und transportabel.

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