»Wir wollten eine Hütte«


Das Gespräch mit Kreuzberger Rockern führte Stefan Aust

Was seid ihr für ein Club?

Also zu verbreiten, Phönix, was das ist, und tralala, dazu haben wir überhaupt keinen Nerv. Normalerweise haben wir was gegen Schreiberlinge, Fotografen und Filmreporter. Wir haben einfach schlechte Erfahrungen gemacht.
Na, man kann schon sagen, wir sind Rocker. Ein Club, den es, schon ziemlich lange gibt. Wir legen aber keinen Wert drauf, daß bekannt wird, wo wir zu erwischen sind.

Wieso ist denn das so interessant für dein Schriftstück da, daß da mal Rocker ein Haus besetzt haben?

Na ja, wir sind ja auch anders.

Inwiefern?

Weißte, wir sind ja nicht hierhergezogen, weil wir die dicke Politik machen wollten. Wir wollten 'ne Hütte haben. Wo wir zusammen wohnen können, 'ne Werkstatt zusammen machen können. Weil das hier langsamen gwird. Wird unheimlich schwierig, Wohnungen zu finden, und ein großer Teil von, uns kommt hier aus Kreuzberg, ist hier auch aufgewachsen. Irgendwo haben wir uns dann halt an die ganze Geschichte rangehängt, und dann haben wir halt ein Haus gesucht, und:: haben uns auch extra ein Haus ausgesucht, was nascht so 'ne Luxushöhle ist, sondern ein Haus, das sowieso nicht interessant ist. Also 'ne halbe Ruine.

Wie seid ihr denn auf den Gedanken gekommen?

Na, wir sind praktisch gleichzeitig draufgekommen. Ist bloß keiner mit rausgekommen am Anfang. Das hat man dann so erst mal in persönlichen Gesprächen mitgekriegt.
Wir wollten halt was gemeinsam machen. Irgendwas, was uns auch nützt. Hat 'ne Weile gedauert, bis wir dann auf den ' Trichter gekommen sind. Ursprünglich haben wir auch darüber debattiert, ein Haus eventuell zu kaufen. Aber zum einen ist das sehr schwierig. Und dann haste ein Haus, und, dann haste da Mieter drin, die kannst du doch nicht alle an die oft setzen. Und es wär auch eine Frage der Finanzen gewegen. Zwei Jahre hätten wir gebraucht. Dann hätten wir vielleicht 80- bis 100000 Mark gehabt. Dann hätten wir aber ganz schön schuften müssen.

Und der Ausgangspunkt dabei war, daß ihr nicht unbedingt was zum Wohnen braucht, sondern daß ihr gemeinsam irgendwo wohnen wolltet?

Zum Wohnen brauchten wir auch was. Also einige brauchten unbedingt was zum Wohnen, andere hatten auch keinen Bock, alleine irgendwo in 'ner Ein-Zimmer-Bude zu hausen und morgens ackern zu gehen. Und dann laufend Streß mit den Nachbarn, ich meine, hier in Kreuzberg, da geht das ja noch, aber in anderen Gegenden, wenn du bekannt bist als Rocker, haste auch Schwierigkeiten im Haus.
Du kriegst auch irgendwo das kalte Kotzen. Wenn du hier oben aufs Dach gehst und kiekst dir die Gegend an und siehst dann hier schon überall die Neubauten, die sich hier so langsam reingebuddelt haben - das geht ja nicht nur um die Häuser. Das geht ja zum Beispiel auch um die Lokale. Zum Beispiel kommen wir kaum in Kneipen oder Discos oder so, in anderen Bezirken. Und wenn uns jetzt hier noch der letzte Kiez, wo wir noch überall reingehen können, auch noch kaputtgemacht wird, dann können wir uns eines Tages nur noch im Freien besaufen. Dann pennen wir nur noch auf der Parkbank, oder was weiß ich.

Glaubst du, daß sich das mit den Kneipen sehr stark verändert, wenn die Neubauten hier reingesetzt werden?

Ja, natürlich. Dann gibt's nur noch moderne Betonkneipen, so Schickeriakneipen, wo du drei Mark fuffzig für einen Halben bezahlst, und dann sind das alles Zugereiste aus anderen Bezirken und aus Westdeutschland. Und da kannste sowieso nicht hin, mit denen hast du nichts zu tun. Wenn du dann da reinkommst mit deinen ölverschmutzten Jeans und dreckigen Pfoten, dann dauert es schon mal 'ne halbe Stunde, bis du dein Bier kriegst, und irgendwann flippst du wahrscheinlich aus. Dann knallt es.
Das sind ja nicht nur die Kneipen, das sind ja die ganzen Zusammenhänge. Also ich geh hier die Straße rauf und runter, und dann dauert das 'ne halbe Stunde, dann hab ich lauter Leute getroffen, die ich kenne, und überall ein bißchen rumgehört, dann brauch ich mir schon gar keine Zeitung mehr zu ' kaufen. Die Kneipen gehören dazu: Die Leute, die man kennt, die Sachen, die die Leute machen, das ist wichtig. Du brauchst hier nicht tausend Jahre zu suchen, bis du mal irgendeine Werkstatt findest oder irgend jemand, der was kann. Da kennste halt irgend jemanden, der mauern kann, irgend jemand, der schrauben kann. Da brauchste nicht im Branchenbuch nachzusuchen. Wenn man woanders wohnt, dann fällt einem auf, daß einem da was fehlt. Und ich würd auch sagen, Rocker hin und her, daß das einfach so am wichtigsten ist, daß wir hier lange wohnen. Daß wir keinen Bock haben, daß hier Haus für Haus abgerissen wird und uns ne fremde Lebensweise aufgezwungen wird. Weil, das ist für mich fremd, so Neubau und zwei Meter hohe Decken, da komm ich mir immer als Riese vor.
Die sind meistens bloß einen Meter fünfundsiebzig! Und hier haste drei fuffzig.
Genau. Bei meine Mutter ist zwei Meter. Wenn du dich streckst, dann kannste an die Decke fassen, jedenfalls bei meine Olle zu Hause. Die wohnt in der Gropiusstadt. Und ich . hab da auch sieben Jahre gewohnt. Als ich fünfzehn war, bin ich ausgezogen. Erst nach Neukölln, und dann hierher nach Kreuzberg.

Wie besetzt man denn nun so ein Haus? träuft man rum und sucht sich eins aus?

Zum einen, wenn du hier eine Wohnung gesucht hast vor einem dreiviertel Jahr, war schmale Kelle. Weil, es wurde überall entmietet. Es gab keine Wohnungen, es gab wirklich keine Wohnungen. Fabriketagen hättste noch kriegen können, aber dazahlste 3000 Mark Miete. Ich bin grad erst ausgezogen aus einer Fabriketage, darauf hatt ich keinen Bock mehr. Und dann kiek dir die Schlangen an, die am Zoo stehen und auf die Zeitung warten. So einer wie icke ist nicht so sonderlich solide, verstehste, wenn du antrabst zum Vermieter und sagst, die Wohnung, dann kotzt der, sucht sich lieber 'nen andern.
Vor drei Jahren war ich schon am Heinrichplatz, wo jetzt das Besetzereck drin ist. Da waren zwei Etagen leer. Ich hab versucht, da eine Wohnung zu kriegen - nichts zu machen.

Wie hast du denn das gemacht?

Na, erstmal sieht man ja, wenn was frei ist. Keine Gardinen mehr, gehst mal hoch und klingelst, machst das ein paarmal, und dann rufste bei der Gesellschaft an, sagst Straße, Hausnummer und Stockwerk: Nein, wir vermieten nicht mehr. Damit ist der Fall dann erledigt.
Na ja, dann haben wir uns also überlegt: Haus besetzen, das wär 'ne Möglichkeit. Dann haben wir rumgehorcht und uns auch ein anderes Haus angekiekt, das haben wir dann nicht genommen, weil der Dachstuhl nicht in Ordnung war. Für das Haus hier haben wir einen Tip gekriegt. Da hatten viele Leute Interesse, daß ein Haus besetzt wird, weil, die drei Häuser sollten abgerissen werden, dieses und die Nebenhäuser rechts und links. Da wohnten noch Leute drin. Dieses Haus ist seit fast anderthalb Jahren entmietet, obwohl zum Beispiel der Typ, der hier diesen Laden hatte, wo wir jetzt drin sitzen, nie gekündigt worden ist. Aber er hat auch keine Miete bezahlt, von daher war's ziemlich egal. Der Laden stand bloß voller Gerümpel, da war x-mal eingebrochen worden, da war kaum noch was von zu gebrauchen. Der kam dann hier noch mal an und hat sich ein paar von seinen Sachen abgeholt. Da haben wir echt 'n Anfall gekriegt, als der uns sagte, er hat noch einen Vertrag und ist noch nicht mal gekündigt. Aber sie hatten das Haus schon lange zugemacht, verstehste, und hinten alles in Arsch gemacht, die ganzen Leitungen kaputtgemacht, unten im Keller war mit so 'ner Quetsche das Wasser abgeklemmt, Fenster rausgerissen, damit schön die Feuchtigkeit reinkommt und das Haus möglichst schnell verrottet. Die Häuser nebenan waren bloß teilweise entmietet, da wohnten noch ein paar Familien, aber nur Türken.
Und dann sind wir hier eingezogen: reingekommen übers ' Dach, vom Nebenhaus rübergetigert und haben uns die Hütte erst mal angeguckt. Mit sechs oder sieben Mann sind wir da rin. Bißchen hin und her überlegt, und dann gesagt, o. k., wir ' machen das. Das ist zwar sehr kaputt, aber die Ofen waren . zum Beispiel fast alle noch in Ordnung, und das war im Winter unheimlich wichtig.
Ein Zimmer haben wir ja schnell warm gekriegt, was? Ich hab nämlich am ersten Tag gleich einen Zimmerbrand veranstaltet. Ich hab 'nen heißen Ziegelstein ins Bett gepackt, bloß der war zu heiß. Dann bin ich in 'ne Kneipe gegangen, als ich wiederkam, war das Zimmer gleich verräuchert.
Vor allem hier kannste doch nicht die Feuerwehr rufen, und, wir hatten zu der Zeit keinen Wasseranschluß.

Und dann habt ihr euch jeder einen Raum gesucht?

Ne, alle erstmal oben rin, da war noch am meisten heil. Denn die ganzen alten Möbel zusammengesucht und zerkloppt, daß wir Holz hatten, und dann erst mal zwei Räume klargemacht. Da haben wir denn so ein Heerlager aufgemacht: Nur Bettgestelle rin, die haben wir mitgebracht, und da erst mal, gepennt. War ein bißchen muffig hier. Und die ganze Bude lag voller Gerümpel: alles, was die Vormieter hier dringelassen hatten, die ganzen Möbel, Abfall, Hausmüll, der ganze Dreck. Das waren 60 Kubikmeter, ach noch mehr, denn einen Teil haben wir ja verheizt. 60 Kubikmeter haben wir noch über Sperrmüllabfuhr vom Hof gekriegt.

Das haben die dann auch geholt?

Da haben wir mit der Stadtreinigung verhandelt, und die haben das gemacht. Spenmüll holen sie ja sowieso kostenlos ' ab, mußte bloß anmelden einfach aus Hygienegründen, weil, sonst sich überall in den Höfen hier der Müll türmen würde., Das haben wir gemacht, klar.

Und wie lange habt ihr da dran gearbeitet, das alles rauszukriegen?

Weiß ich nicht, ich hab hier irgendwo ein Stundenbuch, da; könnt ich's dir genau sagen. Wir waren jedenfalls reichlich beschäftigt.

Habt ihr immer eingetragen, wer wieviele Stunden gearbeitet hat?

Nicht wer wieviel Stunden, aber wir haben so übern Daumen die Stunden, die wir hier verwendet haben für solche Geschichten, aufgeschrieben. Fünfzehn Mann haben ungefähr mitgearbeitet. In drei, vier Tagen hatten wir die Hütte soweit klar. Und dann haben wir die Fenster vernagelt. Die Scheiben waren alle kaputt. Hinten im Treppenhaus waren die Fensterrahmen fein säuberlich rausgenommen und danebengestellt. Die haben wir wieder reingesetzt. Verglast haben wir auch, zwei Drittel haben wir schon geschafft.

Wo holt ihr das Glas her?

Altglas. Wir haben alte Rahmen vom Glaser geholt, Glas raus, zugeschnitten, eingeglast, und solche Sachen. Im Moment haben wir dummerweise bloß ganz dickes Glas, das hab ich auf Arbeit besorgt, so kaputte, große Schaufensterglasscheiben.

Und das kriegt man umsonst?

Das kriegste so, klar. Was soll er damit, einglasen kann er das nicht mehr, weil das Glas nicht mehr die Qualität hat, und das ist auch schon zerkratzt.

Was hat es denn mit diesem Materialtelefon auf sich?

Das ist vom Mieterladen, die haben das angeleiert, und zwar haben sie ein Flugblatt geschrieben, wer Instandbesetzer unterstützen will, der kann Material spenden, und dann haben die einen Telefondienst gemacht, da konnte man also anrufen, wenn man was abzugeben hatte. Und dann wurde 'ne . Kartei angelegt, und die Instandbesetzer können da hingehen, sich die Karteikarten durchgucken, gucken, was sie brauchen können, und dann da anrufen und das abholen. Wir haben auf die Weise zum Beispiel vier'Herde abgestaubt, 'ne ganze Menge Holz, Türen und tausend Kleinigkeiten, die man halt so braucht. Die haben alles gespendet: Kabel, Farbe, Betten, Matratzen - zum Teil haben wir sogar Sachen gekriegt aus Buden, wo modernisiert wird: Badewannen zum Beispiel, die sind da rausgerissen worden und standen auf dem Hof rum, da konnten wir sie uns abholen.

Haben denn auch die gemeinnützigen Gesellschaften Bescheid gesagt?

Ne, die natürlich nicht. Bei uns waren es die Bauarbeiter, und ansonsten auch über Mieter in den Häusern, wo modernisiert wird. Was wir nicht gekriegt haben? Badeöfen zum Beispiel, da waren wir sehr hinterher. Das hat nicht geklappt. Also schreib in dein Buch, wir brauchen mindestens vierzehn Badeöfen.

Braucht ihr denn nicht erst mal Wasser?

Ne, Wasser haben wir ja. Wir könnten das aus dem Laden hochlegen, aber der Querschnitt von der Zuleitung ist so dünne, daßwirkeinenvernünftigenWasserdruckhinkriegen. Und wenn wir dann wirklich offiziell einen neuen Wasseranschluß kriegen, müssen wir alles wieder rausreißen. Deswegen haben wir uns davor gedrückt. Wir haben sogar die Rohre schon da, die haben wir gekriegt über 'ne Netzwerk-Spende. Warum habt ihr euch denn nun für dieses Haus entschieden? Zum einen, weil es halt ziemlich kaputt war. Das ist ein Haus, was im Grunde für keinen interessant ist, außer für uns. Wir sind ja davon ausgegangen, daß wir nicht ewig hier in so einem illegalen Zustand leben, sondern daß das irgendwann mal was läuft mit Legalisierung. Und wir wollten das Haus auch machen, aber eben alleine, und so, daß du das dann mit der Miete verrechnest oder weiß der Geier wie, spielt ja keine Rolle. Das Haus kann nicht saniert werden, weil es zu kaputt ist. Von daher ist es für jeden offiziellen Sanierungsträger uninteressant, weil die Sanierung nicht 70 Prozent der Neubaukosten übersteigen darf. Aber wir kämen lange mit der Knete hin.

Also ihr habt euch gedacht, ihr fliegt nicht so schnell wieder raus, wenn das sonst für niemanden von Interesse ist?

Richtig.

Habt ihr denn irgendwelche Gespräche geführt, um das zu legalisieren?

Ja, dann war das ja so, daß erst mal vom Besetzerrat die Forderung da war: keine Verhandlungen, bevor nicht die, Leute aus dem Knast raus sind. Das lief ne ganze Zeit lang, und im Prinzip haben wir das auch erst mal unterstützt, haben gesagt o. k., wenn damit was zu erreichen ist, stehen wir dahinter. Aber denn war klar: Damit ist nichts zu erreichen, da läßt sich kein Druck mehr ausüben, und da haben wir denn angefangen zu meckern. Da sind wir zum Besetzerrat und haben gesagt, wir haben die Schnauze voll. Das bringt uns nichts, das ist uns zu doof, Neuwahlen stehen auch noch vor der Tür, jetzt muß was passieren. Dann haben wir versucht, erst mal so 'ne Zwischenlösung auf die Beine zu kriegen, so daß den Gesellschaften erst mal die Verwaltung der Häuser abgenommen wird, damit wir erstmal so einen quasi legalen Status haben und die Häuser gesichert sind, und daß schon mal kleinere Beträge in die Häuser fließen, wie bei jeder normalen Hausverwaltung, die sich um Instandhaltung kümmern muß. Na, das Ding ist nun geplatzt. Als dann einigermaßen absehbar war, daß das nicht mehr zu Potte kommt, weil die Zeit zu knapp ist vor der Wahl, haben wir uns noch um einen Sanierungsträger bemüht. Wir haben auch einen, der aber wahrscheinlich das Geld gar nicht dafür kriegt, das Haus zu kaufen. Das ist so ein Ableger von der Arbeiterwohlfahrt.
Da hat es eigentlich noch viel Hin und Her gegeben in den Häusern, weil im Prinzip fanden wir das auch an mancher Stelle nicht so richtig: Eigentlich mußt du ja erst mal das eine fordern und dahinterstehen und das machen. Da sind wir aber insofern etwas übler dran als die andern Häuser, denn wir brauchen viel mehr Geld. Und über andere Finanzierungsmöglichkeiten außer einem Sanierungsträger - dazu reicht das Geld nicht. Ich hab inzwischen ne Schätzung gemacht über rund 100000 Mark Materialkosten. Das ist alles hier im Blockraf. beredet worden: Blockrat, das ist hier aus den drei Blöcken so im wesentlichen aus den besetzten Häusern, aber auch andere Leute sind dabei, von den Initiativen, vom Kinder-Bauernhof und auch normale Mieter - so ein Gremium, was eben solche Sachen klärt. Da wurde dann gesagt, o. k., unser Haus und die 52, weil die auf Abriß steht, weil die sind dann erst mal gesichert.

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