Bullenparanoia und das Gefühl vom Paradies


 Michael Wieczorek sprach mit Vertretern des »Kukuk«

Vorgestern ist euer Haus, das »Kukuk« (Kreuzberger Kultur-und Kommunikationszentrum) von einer Hundertschaft Polizisten durchsucht worden. Weitere 2 Häuser wurden ebenfalls durchsucht, ein besetztes Haus - das in der Mittenwalder Straße - sogar geräumt. Als Reaktion auf diese Aktionen tobten gestern erbitterte Straßenschlachten in Schöneberg und Kreuzberg. Die Bilder und Eindrücke sind noch frisch in Erinnerung. Mich würde interessieren, oh die Motive, dieses Haus besetzt zu halten, mit den anfänglichen übereinstimmen, oder haben sie sich mit der Zeit verändert?

Die ursprüngliche Idee war, in diesem Haus ein Zentrum für Besetzer zu schaffen. Dort sollten die Besetzer die Möglichkeit erhalten, Tagungen sowie Besetzerräte abzuhalten, weil sie bisher kaum einen Raum hatten, in dem sie sich treffen konnten. Auch für andere freie Kulturgruppen sollten Räume zur Verfügung stehen. In der Vergangenheit war es unheimlich schwer, solche großen Räume billig zu mieten. Wir wollten den Raum haben, um etwas zu arbeiten, um endlich etwas auf die Beine zu stellen. Das war ein wesentlicher Grund für die Besetzung. Wir brauchten ein Haus, das relativ schnell bewohnbar gemacht werden konnte. Dieses Haus hat eine sehr sehr gesunde Bausubstanz, und trotzdem stand es dreieinhalb Jahre leer. In dieser Zeit sind die leerstehenden Etagen durchgehend beheizt worden. Bis auf das Dach und den Keller war das Haus erstklassig in Ordnung. Nur einige Stromzähler waren abmontiert. Es war leicht, das Haus schnell bewohnbar zu machen.

Das ist eine Riesenschweinerei, so ein Gebäude so lange leerstehen zu lassen und damit Wucher zu betreiben. Der Hausbesitzer wollte das Haus verkaufen. Dazu hat er erst einmal die Mieter, hauptsächlich Gewerbebetriebe, herrausgeklagt. Bei zwei WGs, die hier auch noch wohnten, hat er es bisher nicht geschafft. Er will das Haus leer verkaufen, denn das bringt mehr Geld. Angeblich soll das Haus für 5 Mill. DM verkauft werden.

Der Anwalt des Eigentümers hat uns gesagt, daß die Besetzung des Hauses durch uns 500000 Mark verursacht hat, allein dadurch, daß er das Haus jetzt nicht verkaufen kann. In diesem Zusammenhang hat er auch damit gedroht, daß eine private Schlägertruppe das Haus räumen könnte, wenn das mit der Polizei nicht klappt.

Wir wollten aber auch durch eine neue Besetzung den Senat unter Druck setzen, daß er die am 12. Dezember Festgenommenen freilassen würde. Damals sind massenweise Besetzungen durchgeführt worden, um den Senat unter Druck zu setzen, die Gefangenen freizulassen. Solange wir so stark sind, daß wir das Haus halten können, gibt es im Senat ziemlichen Druck.

Was wir selber hier machen wollten hat sich mit den Bedingungen verändert. Am Anfang gab es ziemlich feste Gruppen, die hierhergekommen sind, um etwas zu machen. Aber durch dieses ständige Auf und Ab, diesen Streß, sind viele Gruppen auseinandergebrochen, haben sich neu formiert für Kurzprojekte. Für die meisten hat sich verändert, wie sie arbeiten wollen. Die meisten arbeiten unmittelbar für eine politische Situation. Wenn zum Beispiel irgendwo ein Straßenfest ist, dann machen sie dazu ein Theaterstück oder sie beteiligen sich direkt über etwas Geschriebenes an den politischen Aktionen. Machen einen Film oder spielen Theater. Irgendwie soll die künstlerische Tätigkeit in die politische Arbeit einfließen.

Wir sind 30 Leute hier. Wir wollen nicht nur für die Bewegung arbeiten und das, was wir an Träumen haben, vergessen und links liegen lassen. Das ist vielleicht ein bißchen hart ausgedrückt. Es ist schon so, daß wir etwas für die Bewegung tun wollen. Aber vor allem möchten wir, daß sich Eigeninitiative entwickelt, daß die Leute aus der Szene selbst etwas tun. Wir wollen hier nicht den Hausmeister spielen oder Putzfrauen sein. Das ist in der letzten Zeit auch wieder besser geworden. Wir sind zu wenig Leute. Die ganze Kraft und Energie werden hier auch irgendwie verschlissen. Aber obwohl ich kaum noch dazu komme, was ich eigentlich machen wollte, Theater etwa, werde ich hier nicht rausgehen. Denn das ganze Haus hier und die Arbeit und der Nerv sind doch letztendlich das einzige, was ich im Augenblick machen will. Ich sehe im Augenblick keine Alternative, obwohl man sich manchmal ganz schön ausgebeutet vorkommt. Wenn man hinter dem Thresen steht und die Leute bedient, die eigenen Leute. Ich meine die, die hierherkommen und rummotzen, wenn das und das soundsoviel kostet und wir ihnen tausendmal erklären müssen, wie schwierig es ist, gerade mal die Unkosten zu decken. Dabei sagen sie immer, sie sind gegen Konsumverhalten und gegen das und gegen das. Und im Endeffekt praktizieren sie das selbst.

Und wie geht ihr gegen das Konsumverhalten eurer eigenen Leute vor?

Irgendwie wollen wir insgesamt so ein Kulturverhalten aufknacken und auch so eine Beteiligung der Leute an den Projekten erreichen. Sie sollen in die Veranstaltungen mit einbezogen werden. Dann entwickeln sich schon gute Ansätze. Aber an manchen Tagen laufen hier schon Tausende durchs Haus, und das sind die Tage, an denen es für uns eben stressig wird. Dann werden die Leute zu einer unpersönlichen Masse, und sie verhalten sich eben auch wie eine unpersönliche Masse. Aber es gibt schon gute Ansätze, vor allem in den Veranstaltungen, die überschaubar sind, wo soviel kommen, daß es echt Spaß macht, daß man untereinander noch eine Beziehung aufbauen kann und daß die Leute selbst etwas vortragen, sich wirklich beteiligen. Dieser Ansatz, daß mal Leute aus anderen Häusern kommen und hier eine Veranstaltung schmeißen oder im Cafe vorbeikommen und sagen: »Eh, kann ich euch mal helfen« oder so, das sind echt schon dolle Ansätze. Das ist das, was wir weiterentwickeln wollen. Es soll bei uns nicht sein wie etwa auf dem UFA-Gelände, wo eine feste Gruppe von Leuten sitzt, die etwas anbietet. Dieses soll ein Haus für die Bewegung sein. Alle sollen hier etwas machen können. Das ist schon schwer, denn hier im Haus ist auch eine Streß-Grenze erreicht, wenn wir zum Beispiel schon den dritten Tag Punk-Musiker hier haben oder vier Theaterveranstaltungen und die entsprechenden Menschen und dann vielleicht noch ein paar Besetzerräte. Dann ist so eine Grenze der Aufnahmefähigkeit erreicht. Dann kommt von uns aus auch manchmal so eine saure Reaktion, wenn die Leute durch unsere Zimmer rasen. Aber insgesamt hat sich dieses Haus, glaube ich, schon zu einer Art Zentrum der Bewegung entwickelt.

Wie schafft ihr das physisch, einerseits für Hunderte von Besetzern ein Zentrum aufzubauen und dennoch eure Träume verwirklichen zu wollen?

Deswegen haben viele von uns den Job oder ihr Studium geschmissen. Einige, die hier wohnen, arbeiten aber immer noch, das heißt, sie fallen für die Arbeit hier aus. Die arbeiten z. B. als Krankengymnast, Altenpflegerin, Tischler, bei der Post usw. Die müssen früh aufstehen, und man kann nicht von ihnen verlangen, daß sie dann auch noch die Nacht dranhängen. Bei mir ist es so, daß meine Sensibilitätsgrenze immer niedriger sinkt.

Es gibt aber auch eine Menge positiver Sachen. Wenn es zum Beispiel in der Gruppe tolle Erfolgserlebnisse gibt oder einfach wahnsinnig gute Feelings. Wenn du dir zum Beispiel vorstellst, daß da unten irgendwo ein Lagerfeuer brennt auf dem Hof, und die Leute kommen aus Veranstaltungen raus und fühlen sich wahnsinnig gut, und das Kino läuft und das Cafb ist nett, und in der Gruppe ist auch eine tolle Atmosphäre. Wenn das so läuft, gibt es echt so Zeiten, da kann eigentlich alles passieren, da kannst du die ganze Nacht auf der Straße sein und morgens irgend etwas vorbereiten oder so, und da fühlst du dich eigentlich gut.

Wenn du also in der Gruppe so ein Gefühl hast: »wir«. In dem Zusammenleben mit Menschen kannst du ein wahnsinnig tolles Gefühl kriegen, das gibt auch enorme Kraft. Umgekehrt: Je stärker die Spannungen in der Gruppe sind, umso stärker nervt dich auch, was draußen auf dich noch einbricht.

Das ist ja das Verrückte, daß solche Situationen, wie er sie eben beschrieben hat, total schnell wechseln mit dem absoluten Down. Es gibt Tage, da hab ich 10 Hoch- und 10 Tiefpunkte. Wie 'ne Achterbahn.

Ich war jetzt vier Tage weg, und als ich zurückkam, dachte ich, hier sei die totale Paranoia ausgebrochen, mit den Durchsuchungen in den anderen besetzten Häusern. Ich dachte, hier sei alles total zerstört, und alle überlegen: »Halten wir das überhaupt noch aus?« Und vielleicht zerstreuen sich die Leute in alle vier Winde. Aber als ich gestern abend ankam, war eine riesige Freßtafel aufgebaut, in der Ecke saß jemand, und es gab eine liebevolle Begrüßung und ruhige Stimmung: »Hallo, wir sind noch da, ist alles ganz toll, es geht weiter.« Da hatte ich richtig das Gefühl, nach Hause zu kommen. Also wirklich, so ein Paradiesgefühl. So schwierig das teilweise ist, es ist unser Bereich. Manchmal sind immer noch Möglichkeiten da, das zu tun, wozu wir Lust haben. Das ist schon toll.

Für die anderen war das Gefühl sicherlich nicht so toll. Ein paar Stunden vorher habt ihr in der Zelle gesessen. Wie seid ihr dahin gekommen?

Ich hab das erst mitgekriegt, als sie tatsächlich da waren. Da waren wir unten zu zweit im Info-Laden drin, und einer sagte: »He, da draußen stehen die Bullen.« Das war erstmal ein Mordsschreck, und dann hat alles irgendwie ausgesetzt, Gedanken und so. Ich hab nur noch Aktion gemacht und bin hinten durch den Hof gerast und hab überall rumgeschrien: »Aufwachen, die Bullen kommen«, und hab versucht, die ganzen Leute mobil zu machen, was auch teilweise gelungen ist, ein paar andere haben sie aus dem Bett rausgeholt. Und dann waren sie auch schon drin. Wir haben uns alle in Gruppen versammelt, weil wir uns an dem zentralen Treffpunkt nicht mehr treffen konnten, das war schon zu spät. Die Leute aus der WG haben die »Scherben« aufgelegt und das Stück »Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran« gespielt. Hat richtig reingepaßt in diesem Moment. Wir haben uns gegenseitig zugerufen und Radau gemacht, um uns selber ein bißchen Mut zu machen. Und dann sind wir einer nach dem anderen abgeführt worden nach draußen. Da standen schon die Knastwagen, und vorm Knastwagen wurde von jedem ein Polaroidfoto gemacht. Dann sind wir reingekommen in die Dinger und abtransportiert worden. Unter den Leuten waren auch ein Haufen Besucher, bei uns pennen halt viele.

Wart ihr denn vorgewarnt?

Am Abend vorher war jemand vorbeigekommen und hatte gesagt, daß die Bullen sich um ein Uhr nachts und um drei Uhr sammeln müßten und daß zwischen vier und fünf was abgehen soll, aber weil wir halt mit solchen Infos in der letzten Zeit überhäuft wurden, waren wir einfach nicht mehr bereit, das ernst zu nehmen und uns darauf einzustellen, gerade beim Kukuk, immer soviel Hektik zu machen, Leute zu mobilisieren, und dann erlebste halt zum x-tenmal, daß die Leute alle hier sind, und es wird ein anderes Haus geräumt irgendwo ein paar Kilometer entfernt.

Meinst du, Fehlalarme werden, von wem auch immer, bewußt ausgelöst, um euch zu zermürben?

Ja, glaub ich schon. Die haben auch schon die Telefonkette ausgelöst, und über Funk kamen falsche Auslöser.

Und wie lief es dann weiter? Wohin seid ihr gebracht worden? Wie seid ihr behandelt worden?

Da sind wir in die Zellen reingekommen. Bei den Frauen war das so, daß sie zu zweit beziehungsweise auch einzeln in die Zellen gekommen sind, und die Männer in größeren Gruppen. Da haben wir dann eine Weile gehockt, teilweise durften die Leute eine Stunde lang nicht aufs Klo gehen. Wir haben ganz schön Radau gemacht, damit die uns endlich mal pinkeln gehen lassen. Die haben uns ganz schön übel angemacht, da kamen ein paar Bullen vorbei und meinten: »Euch Ratten sollte man gleich in die Löcher stecken.« Und so miese Sachen: »Du stinkst total nach Fotze, du alte Ficksau«, und solche Scherze. Dann kamen wir so nach und nach zur erkennungsdienstlichen Behandlung, mit Foto und Fingerabdrücken und Personenbeschreibung und ähnlichem Blabla und wollten uns dann vernehmen. Und zum Teil sind wir nach vier bis fünf Stunden rausgekommen, einen anderen Teil von den Leuten haben sie erst mal nach Neukölln verlegt. Die kamen so gegen halb acht wieder raus.

Dann waren also etwa vierzehn Stunden vergangen seit der Verhaftung. Stimmt es, daß die Frauen ganz besonderen Schikanen ausgesetzt waren?

Das war bei uns nicht, das war in der Mittenwalder Straße, da mußten sich die Frauen ausziehen, zwei- oder dreimal komplett ausziehen. Die sind total gefilzt worden. Und die haben erzählt, die Bullen hätten vor den Gucklöchern gestanden und hätten sich da ihren privaten Porno reingezogen. Also das muß ziemlich übel gewesen sein.

Wie habt ihr das Haus nach der Durchsuchung vorgefunden?

Die hatten etliche Spielchen gemacht, zum Beispiel im vierten und fünften Stock sämtliche Türen aufgebrochen, obwohl wir ihnen gesagt hatten, sie können die Schlüssel haben, da brauchen sie nicht rumzurandalieren. Das hatten sie aber nicht nötig und haben teilweise Türen mitsamt Türrahmen rausgerissen. Dann haben sie unten im Cafb einen Kühlschrank aufgemacht und die Milchtüten und Safttüten angestochen und das ganze Zeug auf den Boden laufen lassen, ein paar Eier hinterhergeklatscht. In einem Zimmer haben sie ein Loch in die Wand gehauen und eine Blockflöte in Lackfarbe getaucht und die Lackfarbe quer übern Schreibtisch geschmiert und Blumentöpfe umgeschmissen. Mit den Blumentöpfen hatten sie es besonders, die haben keinen heil gelassen, und Müll über irgendwelche Klamotten und auf den Boden gekippt, also total, ja ich würd schon sagen, faschistische Methoden, nur um uns was reinzuwürgen. Also es ging nicht um die Sache selber, wie man bei einer Durchsuchung erwarten würde, Ausweise zum Beispiel haben sie unbeachtet liegenlassen.

Während des Verhörs haben sie gesagt: »Am besten machen Sie keine Aussagen, weil wir sowieso nicht wissen, wonach wir fragen sollen.« Das hat so ausgesehen, als ob sie da ein Würfelspiel machen, dem einen haben sie Nötigung dazugegeben, dem andern eben Sachbeschädigung, aber im Endeffekt wußten sie überhaupt nicht, was sie hier sollten.

Bei mir hat der Kriminalbeamte auch gefragt, als ich reinkam, ob ich aus der Mittenwalder wäre. Ich hab nein gesagt. Wo ich denn herkäme, meinte er. Ich: Wüßte ich nicht, er müßte es ja wissen. Und dann ist er rausgegangen und hat sich erkundigt, warum ich überhaupt da sitze. Dann hat er erfahren, daß ich aus dem »Kukuk« bin, und da wollte er mich auf Hausfriedensbruch verhören, ich hatte aber Nötigung angehängt bekommen. Da meinte er: »Tut mir leid, Fräulein, ich weiß nicht, warum ich Sie verhören soll, verweigern Sie am besten die Aussage.« Und damit war die Sache vom Tisch. Der eine Kriminalbeamte hat mir erzählt, er wär um fünf Uhr hierherbestellt worden und hätte nicht gesagt bekommen, warum, hätte sich nur dahin setzen müssen und auf uns warten. Also mein Kriminalbeamter war ein echt freundlicher Mensch, muß ich sagen.

Also ich hab so ziemlich das Gegenteil von dem erlebt. Der Beamte wußte wohl Bescheid, um was es ging, und hat zwanzig Minuten lang versucht, mich zu Äußerungen zu provozieren, die mich irgendwie festnageln sollten. Das fing also damit an, ich wäre wohl nur nach Berlin gekommen, um mich vorm Bund zu drücken, würde Bafög einstreichen und auf die Straße gehen, Randale machen. Das setzte sich dann fort, daß er sagte, es würden wohl bald wieder Arbeitslager eingeführt werden, und endete dann damit, daß er sagte, wenn er mir mal privat auf der Straße begegnen würde, dann würde das ganz anders ablaufen. Dann käme ich nicht so leicht davon. Als ich gar nicht reagierte, hat er nach 20 Minuten abgelassen und nur noch mal, kurz bevor ich ging, gesagt: »Wir sehen uns wieder.«

Bei uns haben sie auch so angefangen: »Ihr Schweine, jetzt kriegt ihr mal eine saubere Zelle und was Warmes zu fressen. Die nächsten drei Jahre habt ihr das dann.« Sie wollten richtig Angst machen. Das war eigentlich ein sehr gutes Feeling unter den Leuten im Knast, wir haben ganz gut gekontert, daß wir nach drei Jahren wieder frei sind und sie ein Leben lang in der Kacke drinsitzen. Und die vierzehn Stunden in der Zelle, das war immer so, daß wir Kontakt gehalten und gesungen haben. Nach vierzehn Stunden haben wir erst erfahren, daß wir wieder zurückgehen können. Vorher dachten wir, das Haus ist geräumt. Da waren wir auch dementsprechend sauer die vierzehn Stunden über.

Hat die politische Situation durch den Senatswechsel eure Befürchtungen verstärkt, daß geräumt wird? Oder spielt das weniger eine Rolle bei euch, was sich im Rathaus Schöneberg abspielt?

Ja, ich hab gedacht, jetzt geht es erst richtig los und wahrscheinlich auch ein bißchen brutaler als unter diesem doch irgendwo noch taktierenden SPD-Senat. Aber Fakt ist ganz einfach: Dies Haus ist ein Privathaus, und es wird sich kein Senat leisten können gegenüber der sogenannten Öffentlichkeit - den Wählern -, das Recht auf Privatbesitz antasten zu lassen von »chaotischen Besetzern«, wie es immer so schön heißt. Von daher war für mich klar, daß auf jeden Fall geräumt wird. Es ist eine andere Kiste mit den Häusern, die in städtischem Besitz sind oder städtischen Sanierungsgesellschaften gehören, da ist der Mißstand vielleicht auch offenkundiger und auch für die Politiker leichter einzugestehen, als das bei Privathäusern def Fall ist. Da müßten sie die Kritik an ihren eigenen Besitzverhältnissen dann auch als gerechtfertigt anerkennen, und das würde eine fundamentale Säule unseres Staates zum Einsturz bringen. Diese ganzen Möchtegern-Volksvertreter sind eigentlich für mich so der gleiche Brei. Nur daß jetzt unter so einem Weizsäcker der Terror gegen uns schon offener geführt wird. Also was dieser Vogel-Senat immer so wollte, oberflächlich einem von 'ner politischen Lösung erzählen und nachts auf den Straßen die Leute zusammenknüppeln und in den Knast fahren lassen und damit Angst und Spaltung fördern, indem er etwa solche Angebote macht, um die ganze Sache zu trennen: Gewalttäter, die im Knast vergammeln sollen oder irgendwann mal auf offener Straße erschossen werden, wie wir's halt schon mal hatten, und die, die eben die engagierten jungen Bürger innerhalb des Systems sind, die Häuser herrichten und auf einen sozialen Mißstand aufmerksam machen.

Trennung in Idealisten und Krawallmacher?

Ja. Obwohl - ich halte die Krawallmacher eigentlich für die ernster zu nehmenden Idealisten. Aber ich seh diese Trennung auch nicht. Die versuchen, sie durch solche Horror-Urteile wie zweieinhalb Jahre in den Knast einfahren oder so in die Köpfe der Leute reinzukriegen. Daß halt die Leute, die noch nicht so einen Punkt von Verzweiflung erreicht haben, da irgendwo doch Angst bekommen und drauf warten: Vielleicht gibt es in diesem Staatssystem doch noch irgendwo eine helfende Hand, wo wir nicht nur der letzte Dreck sind oder so. Aber diese Illusion zerbricht laufend mehr. Das ist das, was vielleicht der Weizsäcker-Senat durch den offeneren Terror jetzt an Lernprozessen vermitteln kann: daß dieses Anbiedern bei denen da oben, die den ganzen Mist gemacht haben, überhaupt nichts bringt.

Das klingt so, als oh ihr an eine politische Lösung nicht glaubt. Wie wird der neue CDU-Senat denn konkret in der Frage der Hausbesetzungen und allgemein in der Sanierungspolitik verfahren? Wie sind eure Prognosen für die Zukunft? Ich kann mir vorstellen, daß man wenige Häuser stehen lassen und den Leuten Mietverträge geben wird. Dann hat man irgendwo eine politische Lösung geschaffen, die kann man vorzeigen. Und Mietverträge, das weiß ja jeder, sind auch irgendwann wieder kündbar, das haben ja auch die Mieter gemerkt, die vorher in den Häusern gewohnt haben - und man verschiebt das Problem einfach um zwei, drei Jahre. Bis wieder Ruhe im Land herrscht. Und der Senat kann sich auf die Fahnen schreiben, daß er das geschafft hat, und gleichzeitig kann er auch fürs Kapital weiterarbeiten und dafür sorgen, daß doch durchgezogen wird, was durchgezogen werden soll.

Das geht auch nicht. Die müssen, wenn sie räumen, in ganz, ganz langen Zeitabständen räumen. Denn die Leute müssen ja irgendwo bleiben. Das war nach der Räumung Fraenkelufer so. Die Leute sind ja immer noch da. Solange es noch andere Häuser gibt - o. k., dann tauchen die da irgendwo wieder auf, das heißt, daß sie immer noch oder sogar verstärkt die Unruhestifter sind. Und wenn sie sehr viele Häuser auf einmal räumen, heißt das, daß die Leute ständig irgendwo rumrennen werden - wo sollen die hin? Die können nur entweder in andere besetzte Häuser, wo noch Platz ist, oder die müssen auswandern oder auf dem Kudamm kampieren.

Ich glaub auch, daß die damit rechnen, daß die Leute nicht Ruhe halten werden und daß gerade, wenn sie aus den Häusern draußen sind und auf der Straße stehen, sie sich weiterhin wehren müssen und was erkämpfen müssen. Für mich sind die ganzen Durchsuchungen, die jetzt laufen, gar keine Durchsuchungen, sondern vorbeugende Maßnahmen. Was läuft denn da ab: Personalienfeststellung, Registrierung der Leute, damit in dem Fall des Falles, wo hier wirklich noch viel stärker die Bambule losgehen wird, die Leute leichter identifiziert werden können und mit dem entsprechenden Vorstrafenregister für längere Zeit erst mal mundtot gemacht werden. Ich glaube, daß sie das bewußt einplanen. Mich würde wirklich nicht wundern, wenn hier jeden Tag zwei oder drei Häuser geräumt würden. Und bei 160 Häusern wären das dann 50 Tage oder anderthalb Monate, wo hier alles durchgezogen wird, und dann landen vielleicht 1000 Leute im Knast, und der Rest gibt vielleicht auf. Das könnte ich mir genausogut vorstellen, daß sie den Weg gehen. Das schlimme ist einfach für mich, wo ich jetzt schon seit einem Jahr dabei bin und quasi jede Woche eine neue Theorie oder neue logische Gedankengänge produziere, um in den Griff zu bekommen, was die da oben eigentlich jetzt denken: Jedesmal fall ich damit auf die Schnauze. Jedesmal passiert etwas, das ich mir nicht erklären kann. Einmal hab ich das Gefühl, wir sind total stark, das nächste Mal hab ich das Gefühl, wir sind wirklich so schwach, daß es besser ist, man schenkt Berlin der DDR und wandert aus. Das ist sehr vertrackt.

Ich glaube, im Moment bestimmen die total unser Handeln und nicht mehr so, wie das vor ein paar Monaten war, wir deren Handeln. Im Moment läuft das ja so ab: Die durchsuchen oder räumen, und abends machen wir dann das, was die 'von uns erwarten, wir gehen auf die Straße. Und das immer zu Zeitpunkten, die man sich vorher ausrechnen kann, wenn nämlich die Dunkelheit einbricht.

Ich würde sagen: Sie bestimmen insofern unser Handeln, als wir gezwungen werden, immer wieder auf deren Repression zu reagieren, und auch in der Art, wie sie uns gegenübertreten. Irgendwie folgt auf den Bullenknüppel zwangsläufig der Pflasterstein. Auf Pflastersteine haben die meisten überhaupt keinen Bock, ich würde zum Beispiel viel lieber meine Phantasie und meinen Ideenreichtum dazu benutzen, hier wirklich mal ein paar Aktionsformen zu finden, die irgendwie lustig sind und viel mehr vermitteln können den Leuten auf der Straße, als hier nachts über die Straßen zu ziehen und Krawall zu machen. Aber das ist ganz klar eine Sache, die uns aufgezwungen wird.

Konkret heißt das für mich, wenn ich ein Haus besetze, dann will ich mir einen Raum schaffen, in dem ich eine Lebensform praktiziere, die nicht so festgefügt ist, wie das in dieser Gesellschaft aussieht, mit morgens sechs Uhr Wecker und Frühstück und in die U-Bahn setzen, arbeiten gehen, abends nach Hause kommen und das Geld, das ich verdient habe, in der Form zu verleben, daß ich es ausgebe und fernsehe, also diese Ersatzbefriedigungen konsumiere.

Es geht mir darum, daß ich mir selbst als Mensch mit anderen Menschen zusammen irgendwie näherkomme und meine wahren Bedürfnisse und Fähigkeiten entwickeln und auch finden kann.

Aber was hier im Augenblick wirklich läuft, das ist Nachtwache, das ist auf der Straße sein und Öffentlichkeitsarbeit machen.

Die Angriffe gegen uns sind eigentlich auch ganz verständlich. Unsere Aktionen sind ein Angriff auf ihr System. Das wird an diesem Häuserkampf ganz deutlich. Wir haben in ein Wespennest gestochen. An diesem ganzen Bau- und Abriß- und Sanierungsgeschäft wird einfach deutlich, wie unmenschlich dieses System funktioniert.

Auch unsere neuen Lebensformen und die Tatsache, daß wir uns aus ihrem Arbeitsprozeß ausgliedern, sind allein schon eine Gefährdung für das System. Denn das, was wir machen, reizt zur Nachahmung. Andere sehen das und sagen sich: Eh, die leben ja ganz toll, leben auch deswegen ganz toll, weil sie Rechtsübertretungen ganz bewußt in Kauf nehmen.

Es wird jeden Tag klarer, daß es um mehr geht, als bloß ein Haus zu halten. Darum sind auch die Ängste in den Häusern nicht so groß, wenn eine Räumung droht. Es ist eben kaum Angst vor dem »Besitzverlust« des Hauses vorhanden. Wir betrachten die Häuser eben nicht als unseren Besitz, vor dessen Verlust wir Angst haben müßten. Denn wenn wir so ein Besitzdenken entwickelten, dann wären wir schon wieder in derselben Kiste wie unsere Gegner. Zumindest wir, die Leute hier, hätten auch nach einer Räumung noch genug Power, um weiterzumachen. Wir wissen eben, daß es um mehr als um ein Haus geht. Wir haben hier so viele gute Erfahrungen gemacht, so ein gutes Gefühl bekommen, nicht nur immer von der Revolution gelabert, sondern konkret etwas in die Hand genommen, was erprobt und praktiziert. Das hat mit der ganzen Alternativbewegung angefangen. Wir haben versucht, einfach ein Stück von den Sachen zu realisieren, die wir im Kopf hatten, so Ideale oder so. Wie man gern leben würde, und daß man nicht darauf wartet, daß es irgendwann sein kann, wenn man genug agitiert hat, sondern daß man es einfach selber tut, nach dem Motto: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.

Und wir haben gesehen, daß es geht. Wir können so ein Haus instandhalten, wir können einen Betrieb aufrechterhalten, wir können zusammen leben, wir können unsere Arbeitsplätze selber schaffen. Das gibt ein Gefühl der Stärke. Während dieses System die Leute vereinzelt und isoliert und verwaltet und entmündigt, den Leuten immer zeigt, wie klein und ohnmächtig sie sind. Und wir zeigen, daß wir doch etwas auf die Beine kriegen, daß wir ganz schön stark sein können, wenn ein paar Leute wirklich wollen. Und manchmal denk ich mir: Von mir aus können die sich ihre Scheiß-Häuser an den Hut stecken, dann sollen sie uns die doch wegnehmen, wenn das weiter so geht und wir uns im Endeffekt nur aufreiben, nur noch am Hin- und Herrennen sind und uns nur noch wehren aus Prinzip, dann können sie ihre Häuser haben. Das ist mir dann schnuppe. Ist doch klar: Ich hab vorher irgendwas gemacht, und ich werde hinterher irgendwas machen. Es gibt genug Mißstände, die mir eigentlich fürchterlich stinken und gegen die ich auch weiter irgendwas machen werde. Auf der anderen Seite wird natürlich die Zusammenarbeit wieder irrsinnig schwierig, wenn dann die Leute alle vereinzelt in Wohnungen hocken.

Ich sag mir auch: Wenn das so weitergeht, sollen sie sich die Häuser nehmen. Die Perspektive, die ich hatte, bevor ich hier in das Haus kam, und die ich jetzt hab, ist eine grundverschiedene. Ich hatte vorher im Kopf »Friede, Freude, Eierkuchen« und Landleben, Happiness. Das ist jetzt nicht mehr meine Perspektive, weil ich dadurch, daß ich das Haus mit besetzt habe und hier lebe, irgendwo Mißstände mitgekriegt hab: Ob das jetzt Leute im Knast sind, wovon ich vorher nie betroffen war. Aber seit ich in das Haus gekommen bin, muß ich damit rechnen, daß ich irgendwann selber mal in den Knast kommen werde. Dadurch war für mich eine Notwendigkeit da, mich mit dem Leben von Leuten im Knast auseinanderzusetzen, Informationen drüber zu bekommen und auch ein gewisses Wissen zu sammeln, um selbst damit klarzukommen, wie das für mich mal sein wird. Und egal was ich machen werde in Zukunft: Ich weiß, daß für mich eine Idylle nicht mehr drin ist. Ich will jetzt kämpfen, um zu leben. Und vorher wollte ich nur leben, um zu leben. Aber das geht halt nicht. Ich muß mir meine Freiräume erkämpfen. Und das kann ich auch. Für mich wär es nicht mehr drin, alleine zu leben oder mit jemandem zu zweit. Aber für mich,ist das nicht hier an das Haus gebunden. Ich kann auch politische Arbeit machen, wenn ich legal wohne.

Zur Repression: Wenn du also fünf Monate hier gelebt hast und weißt, daß du ständig von ein paar Leuten mit Ferngläsern und Kameras beobachtet wirst, daß du mit Richtmikrofonen abgehört wirst, und wenn du mit dem Auto losfährst, gleich in die nächste Kontrolle rein und kriegst da wieder eins abgedrückt, weil irgendwo ein Reifen nicht sauber ist, denkst, du gehst auf eine Demo, und plötzlich stürmen von allen Seiten Bullen auf dich ein und prügeln dich total zusammen - mal voll zusammengeprügelt worden zu sein, ist schon eine ganz schöne Erfahrung. Ja, und jeder Linke redet wahnsinnig viel von dieser Überwachung und von diesem ganzen Computersystem und von der CIA und was da alles drinsteckt - und plötzlich ist es nicht mehr so ein Gelaber davon, sondern du spürst es jeden Tag. Du gehst irgendwo hin, und du weißt, du wirst überwacht, und plötzlich kennst du auch mal ein paar Leute, die dich überwachen, denn die siehst du immer wieder. Das sind so Gefühle. Oder auch, daß hier plötzlich CIA-Beamte eingeflogen werden, um mit der Sache klarzukommen, daß Zusatz-Staatsanwälte eingesetzt werden, daß Leute aus dem Knast von Berlin rausgeflogen werden, damit Platz für uns ist. Wenn du das alles so durchlebst - also ich hab wahnsinnige Angst vor Knast, und ich hab auch keinen Bock auf Prügel. Aber auch dann zu merken, man kommt mit der Angst klar. Du lebst mit der Angst, aber du lebst bewußt mit der Angst. Und du weißt eigentlich ziemlich, was dich erwartet. Seit wir jetzt im Knast vierzehn Stunden waren, wissen wir wieder ein Stück mehr, was uns erwartet. Und du kannst es irgendwo kalkulieren. Das geht dann bis in deine Träume rein, du träumst auch davon. Ich glaub, wenn ich diese ganzen Erfahrungen; allein gemacht hätte, dann hätte ich mir schon längst eine Kugel in den Kopf geschossen. Oder ich wär ausgewandert. Aber wenn du es mit Leuten mitkriegst, manchmal init;, 40000 auf der Straße oder eben nur mit 30 hier im Haus, dann kann es einen alles nicht mehr so bedrohen, weil es eben Sachen gibt, die einem viel wichtiger sind. Dafür riskiert man dann auch, den Schädel eingeschlagen zu bekommen oder zwei, drei Jahre im Knast zu sitzen. Dieses Gefühl, was so auf der Straße rüberkommt, wenn da viele sind, eben sich stark und nicht mehr ohnmächtig fühlen, das ist wahnsinnig toll. Und irgendwas von der Verwirklichung seiner Träume auch konkret zu erfahren, das gibt einem schon wahnsinnig Kraft. Wir haben soviel Phantasie und soviel gelernt, daß wir andere Möglichkeiten finden werden, auch wenn wir das Haus nicht mehr haben. Aber irgendwie möchte ich es nun doch an diesem Haus festmachen. Denn ich brauche einfach einen Raum oder ein Haus, wo ich all die Dinge machen kann, die ich machen will. Ich krieg am besten den Bezug zu den Dingen, wenn ich die selbst produziere. Und dazu brauch ich auch eine Werkstatt, um mit Holz arbeiten zu können, oder eine Töpferscheibe. Was wir hier machen, ist ja eine Art von Verweigerung und eine Art von Ausstieg aus der Gesellschaft, aus den Lebensformen, die die Gesellschaft uns eigentlich aufzwingen will. Wir versuchen hier schon, unsere eigene Welt aufzubauen, und die kann von mir aus gerne auch mal ein bißchen illusorisch sein oder an der Realität vorbeigehen, dagegen hab ich gar nichts. In meiner Einzimmerwohnung hab ich auch meine eigene Welt gehabt, nur der Unterschied war, daß ich dort immer hineingeflüchtet bin und eigentlich mehr so auf den Plattenspieler und das Dope abgefahren bin, aber diesen kleinen Freiraum nicht genutzt habe, um für mich produktiv was aufzubauen, so daß ich Stück für Stück die Leiter erklimmen kann bis hin zu dem von mir erträumten Paradieszustand oder so. Ich hab zwei Jahre vorher in einem Cafe-Kollektiv gearbeitet, und da konntest du gewisse Freiräume erkämpfen, das ging ganz gut, ohne Chef zu arbeiten und die Kohle so zu verteilen, wie man es braucht, und soviel zu arbeiten, wie man eigentlich Lust hat oder Geld einfach braucht. Aber da hast du auch ziemlich schnell klargekriegt, wo die Grenzen deiner Freiräume sind - eben durch diese tausend Gesetze und tausend Ämter, die da reinschneien, und die Strafen, die du kriegst, die dir echt dein Projekt kaputtmachen können. Und da leben dann 13 Leute teilweise mit Kindern davon, und das setzt du nicht so schnell aufs Spiel. Für mich war schon ein Schluß daraus: Um weitere Freiräume zu haben, muß ich eigentlich ein Stück illegal werden, muß einfach bewußt gegen Gesetze verstoßen, auch auf die Gefahr hin, daß ich dafür bestraft werde. Und das war dieser Schritt Hausbesetzung, wo ich wirklich bewußt einen illegalen Schritt gemacht habe, um mir meinen Lebensraum zu erkämpfen, weil es für mich ein Wahnsinn ist, daß jedes Stück Wiese jemandem gehört, jedes Stück Wald, sogar das Meer jetzt aufgeteilt wird. Und daß das alles Leuten gehört, die da nicht leben und die trotzdem drüber bestimmen, wie das ausschaut. Das hier ist für mich eine Zurückeroberung von Lebensraum. Wir müssen also gegen Regeln verstoßen. Ich kann mich nicht so einfach in meine Privatwelt - auch mit 30 Leuten - zurückziehen und verpissen und sagen, ich hab mit den anderen Leuten nichts zu tun: Wenn die die Preise hochsetzen oder einen Krieg machen, oder wenn die Atombomben hier reinstellen oder Atomkraftwerke hier aufbauen, hab ich damit was zu tun.

Also gibt es eine Einlösung unserer Vorstellungen nur im Angriff gegen das, was läuft. Und das wird eigentlich ein ewiger Kampf, weil das Dimensionen annimmt, das geht in die weltweiten Kisten rein. Ich hab auch keinen Bock, mir eine Bombe auf den Kopf schmeißen zu lassen, wenn die Nato oder der olle Reagan jetzt irgendeinen Mist anzetteln, muß ich das ausbaden. Also ist das auch was, wogegen ich kämpfen muß.

Aber was du sagst, das betrifft eigentlich immer nur die Ebene des Kampfes gegen den Staat. Wie ist denn das eigentlich mit dem Kampf »für uns«? Also das kann ich eigentlich überhaupt nicht so nachvollziehen, da hab ich überhaupt nicht das Gefühl, daß ich da viel auf die Reihe kriege, weil ich denke, daß dieser Raum oder diese Welt, die wir jetzt hier haben, irgendwie in Korrespondenz zu der Welt draußen steht, aber in einer dermaßen verzerrten Weise: Bullenknüppel oder halt diese Auseinandersetzung mit den Bullen - ich bin einfach nicht fähig dazu, mich jetzt hier mit dir hinzusetzen und unsere Feelings oder so rüberkommen zu lassen und Wärme und so, wenn wir die Nacht durchgemacht haben und laufend Kaffee gesoffen und Zigaretten geraucht haben und der Körper eigentlich sowieso schon total im Arsch ist bis zum Scheintod, dann also noch was zu entwickeln so für mich. Für mich heißt weiterkommen zu einem neuen Leben, auch tiefer in mich selbst hineinzukommen und mal zu wissen, was eigentlich mit mir los ist: dieser ganze Müll, der sich so aufgetürmt hat jetzt auf mich zum Beispiel als Mann. Was meine Sensibilität zu meinem Körper anbetrifft und so. Das kann ich hier in den Verhältnissen, in denen wir zur Zeit leben, überhaupt nicht aufbauen, sondern im Gegenteil, das wird noch zugeschüttet.

Vor gut einem Jahr gab es hier in Westberlin kaum 30 besetzte Häuser. Heute sind es schon über 150. Worauf führt ihr diese Entwicklung zurück/ Liegt es an der Stärke der Hausbesetzerbewegung, und wenn - wodurch zeichnet die sich aus?

Ich weiß nicht, woran ich die Bewegung messen soll. Ich will sie nicht daran messen, daß sie funktioniert, indem mal wieder eine gute Straßenschlacht gelaufen ist. Ich bin allmählich soweit, daß ich mir sag, die Bewegung besteht darin, daß das gemeinsame Ziel erstmal das ist, daß es so nicht weiterlaufen kann. Irgendwas muß sich verändern. Ich würd schon sagen, daß jedes Haus sein eigenes Charakteristikum hat. Da gibt es Häuser, die sich hauptsächlich um Knastarbeit kümmern, oder andere, die sich nur um das Haus kümmern und halt das Leben innerhalb des Hauses auf die Reihe zu kriegen versuchen. Andere Häuser kümmern sich nur um Instandsetzung und so weiter. Das ist ein sehr breites Spektrum. Ich würde sagen: Die Bewegung zeigt sich darin, daß eine ganze Menge Leute da sind, denen irgendwas stinkt, die keinen Bock drauf haben, wie das bürgerliche Leben funktioniert. Und egal, wie weit die in ihren Entwicklungsschritten sind, wie weit sie sich gegen Repression von außen wehren - das will ich nicht beurteilen.

Ich hab im Kopf, daß eine Zeitlang immer von der Hausbesetzer-Bewegung geredet wurde. Und jetzt hört man eher resignative Töne. Also ich glaub, die Euphorie kam daher, daß das gemeinsame Ziel da war: Die Leute müssen aus dem Knast. Ich spreche jetzt nur für mich. Aber das gemeinsame Ziel hat meines Erachtens auch eine ziemliche Stärke gegeben unter den Leuten und einen gewissen Zusammenhalt. Das gemeinsame Ziel »die Leute müssen aus dem Knast« ist nicht verwirklicht worden, weil die Leute halt nicht raus sind. Das hat man auch an den einzelnen Sachen gesehen, wie zum Beispiel, als das Papier »Treuhand-Vertrag« aufkam: was da doch für eine Spaltung durch die Reihen ging. Da kam raus, daß der gemeinsame Konsens, solange nicht zu verhandeln, bis die Leute aus dem Knast sind, weg war, weil einige Leute echt nicht mehr daran glaubten, daß diese Forderung durchsetzbar sei. Und dann sind halt auch ziemlich viele Durchsuchungen gelaufen zu der Zeit, als das Treuhandmodell rauskam, und einige Leute hatten echt Angst um ihre Häuser. Und sie haben versucht, die zu sichern, indem sie meinten, sie müßten auf das Treuhandpapier eingehen. Ich würd nicht sagen: einen Schritt zurückgehen, aber für sich klarzumachen, bis hierher konnten wir gehen und nicht weiter.

Es gab einige in der Bewegung, die sprachen von Verrat?

Ja, das hört sich so an wie ein Fußballverein. Ich würd nicht von Verrat reden, weil wir alle Individuen sind, und das möchte ich auch klarhaben, daß wir Leute sind, die alle verschiedene Ideen haben. Und das, was zum Beispiel uns im Haus hier zusammengeführt hat, war eigentlich, daß wir zusammen Kulturarbeit machen wollten. Wir kannten uns vorher nicht und wollten zusammen was auf die Reihe kriegen. Manchmal finde ich das ganz gut, wenn ein gemeinsamer Konsens ist, wenn's darum geht, gegenüber Politikern gemeinsam aufzutreten. Aber wenn wir immer auf einer gemeinsamen Linie wären, wie bei den etablierten Parteien, käme auch keine Veränderung zustande. Dann würde ich sagen: Die Bewegung ist kaputt. Weil sich nichts mehr bewegt.

Aber wenn ich so an die Jusos oder die Jungdemokraten denke, die besetzen auch leerstehende Häuser? Wäre eine Mitarbeit in einer solchen Organisation denkbar?

Für mich ist eine Mitarbeit in so einer Schwachsinnsgruppe wie beispielsweise den lusos überhaupt nicht drin. Ich kann nicht auf der einen Seite gegen Berufsverbote sein und auf der anderen Seite gezwungen sein, dem Schmidt nicht ans Bein zu pinkeln. Das ist ein Unsinn, ein Widerspruch in sich. Für mich ist es sehr wichtig, damit ich überhaupt politisch arbeiten kann, daß ich mir bestimmte Leute aussuchen kann, zum Beispiel auch gegen andere Leute in der Bewegung was sagen darf. Und das ist sehr angenehm, daß man sich da nicht nur politische Leute aussucht, sondern auch Leute, mit denen man zusammenleben möchte. Also, wenn einem das Lebensziel in dem einen Haus nicht gefällt, daß man sich durchaus nach einem anderen umsehen kann, ohne irgendwo einen Rückhalt zu verlassen, und daß man auch politisch in dem Haus, in das man reinkommt, auf einer Linie ist, die irgendwo nicht ganz der Linie entspricht, die ein anderes Haus hat, und daß man sich in der Fraktion auch mit anderen Ideen auseinandersetzen kann, aber daß auf jeden Fall die Diskussion zwischen einzelnen Gruppen nicht abgewürgt wird. Also durch eine mächtige Partei oder so.

Das ist ja auch so eine Sache wie Minderheitenschutz. Wenn so eine Pression käme, wenn andere Leute andere Entscheidungen träfen, wäre das ja schon wieder eine Form von Staat: wo eine Mehrheit was machen will, und wenn die Minderheit nicht mitzieht, kriegt sie Druck. Und zu unseren Vorstellungen gehört eben auch ein Minderheitenschutz. Wir machen zum Beispiel auch keine Abstimmungen, sondern reden so lang, bis ein Konsens da ist oder nicht da ist, und dann fällt halt das Ding flach. Also, wenn jetzt so eine Direktive käme, daß ein paar sagen: Wir wollen verhandeln, und die anderen wollen nicht Verhandeln, daß die dann Repressionen kriegen, das nicht.

Da muß ich dir aber ganz schön widersprechen. Ich meine, wir sagen zwar immer, wir wollen Minderheitenschutz, aber wenn irgendwo Diskussionen sind, kommt es oft so raus, daß die, die am lautesten schreien, durchkommen. Das sind so Sachen, die wir gerade aufarbeiten, aber die bei uns noch längst nicht o. k. sind.

Für die rebellierende 68er-Generation hatten Theoretiker wie Marx, Reich, Marcuse eine wesentliche Bedeutung. Sind die für euch tot und wenn ja, gibt es andere Leitbilder, an denen ihr euch orientiert?

Die haben in unserer eigenen Geschichte und Entwicklung vielleicht eine Bedeutung gehabt. Im Moment haben sie für mich zum Beispiel keine Bedeutung mehr. Es gibt auch ganz wenig Sachen an Büchern oder auch Theater und Musik, die das ausdrücken, was ich im Moment fühle oder wo ich so Hilfen krieg. Und das ist auch so ein Punkt, den wir immer im Auge hatten: das, was jetzt da ist, auch selbst auszudrücken, also eben zu versuchen, ein anderes Theater oder neue Lieder zu machen und auch selbst was zu schreiben. Wir kommen im Moment kaum dazu. Aber ich glaub, daß da von uns noch viel kommen wird zu dem, was uns so in den Köpfen rumgeht. Denn entweder es gibt dazu nichts, oder du kriegst so was eben kaum. Nur so kleine illegale Raubdrucke oder so. Man kann ja eigentlich auch vom Staat nicht erwarten, daß er uns die Literatur gibt, wie man ihn bekämpft.

Also bei uns im Haus ist schon so eine Entwicklung da. Wenn ich so seh, was wir zu Anfang gemacht haben: Sehr viel im Haus, wir haben uns sehr drauf spezialisiert, das Kulturzentrum zu machen. Und das hat sich mit der Zeit verlagert, daß wir mehr politische Sachen machen. Politisch mein ich jetzt: Straßenkampf, Öffentlichkeitsarbeit, Knastarbeit, Demos in Westdeutschland, die wichtig sind - da gibts tausend Sachen. Das hat sich also verlagert. Ich würd nicht sagen, daß bei uns oder bei mir der militante Weg vorgeschrieben ist. Das ist er nämlich nicht bei mir, denn ich weiß immer noch, was ich will, ich hab meine Träume, und ich weiß, wie weit ich gehe. Wo meine Ängste halt größer werden als mein Mut. Für mich ist das ganz wichtig, daß ich immer weiß, was will ich, was hab ich im Kopf, wofür bin ich hier. Manchmal muß ich mich auch hinsetzen und mir das noch mal zurückrufen, damit ich mich nicht verliere in dem ganzen Wust an Arbeit, der da ist, in der ganzen Hektik. Mir ist mal bei einer Straßenschlacht passiert, daß sie da Leute zusammengeprügelt haben, und ich stand hinter den Bullen. Und auf einmal rasen ein paar Leute los, es stehen vier Bullen allein, und da rasen ein paar Leute los und ich mit. Da haben wir die vier Bullen zusammengewichst. Aber ich hab nicht mehr überlegt, ich hab nur noch gehandelt. Und nachher zu Hause hab ich mir überlegt: Was hast du denn eigentlich gemacht, ist das noch das, was du willst? Also ich hatte echte Gewissenskonflikte, was ich eigentlich nicht gedacht hätte. Ich weiß da echt nicht, wie ich vorgehen soll, denn bei mir ist immer noch im Kopf: Ich brauch einem Schwein nicht auch als Schwein zu begegnen. Irgendwo denk ich immer, ich brauch mich nicht auf dieselbe Stufe zu setzen wie jemand anders. Aber ich weiß nicht, wie ich den Konflikt geregelt krieg Wenn ich mich nämlich nicht auf dieselbe Stufe setze wie die, dann muß ich andere Aktionsformen finden. Aber die hab ich noch nicht gefunden. Das ist immer so: Knüppel - Pflasterstein, immer dasselbe Raster. Da möcht ich gern rauskommen.

Also ich glaub nicht, daß wir auf derselben Stufe stehen. Auch wenn wir gezwungen werden, ähnlich zu handeln und auch wenn so ein Weg in eine militantere Richtung gehen, würde, das wär immer noch ein Handeln aus Bewußtsein und Überzeugung, und nicht, um jemandem weh zu tun. polizisten sind eben Leute, die den Auftrag haben, jemandem weh zu tun, die das teilweise ungern machen, teilweise aber auch wahnsinnig gern. Sie wollen uns in das kriminelle Raster reinhaben, wo wir ganz aktiv irgendwelche - ich sag jetzt mal kriminelle Aktion machen. Da können sie uns bekämpfen. Aber ich weiß nicht, wie ich das regeln soll. Ich hab manchmal total Angst, weil ich denke, daß Schaufenster einschmeißen überhaupt nicht soviel nützt, daß man wesentlich konsequenter vorgehen müßte, um wirklich was kaputtzumachen und was klarzumachen auch. Da reicht das echt nicht, nur Schaufensterscheiben einzuschmeißen. Auf der anderen Seite wird mir schon schwummrig, wenn ich nur dran denke, wirklich Scheiben einzuschmeißen. Weil ich das Ding irgendwo auch noch drinhab, ich mach echt was kaputt. Das ist mir so anerzogen worden. Wenn es klirrt, dann stehen mir echt die Haare zu Berge.

Da gibt es viele Leute, die sagen, warum schmeißt ihr denn Scheiben ein und prügelt euch mit den Bullen, ihr müßt die richtigen erwischen. Das denk ich mir auch manchmal. Ich mein, bei den Bullen sind echt auch Schweine, wo ich keine Gewissensbisse hab, aber ich denk mir auch, vielleicht erwischst du absolut den falschen. Du müßtest die richtigen treffen. Aber erst mal ist schon mal ganz schwer klar zu kriegen: Wer sind die richtigen? Das ist so ein Wust von Verwaltung und Abhängigkeiten und austauschbaren Stellen, die da eigentlich nur noch so Marionetten sind. Und dann die richtigen zu erwischen - das geht in eine Richtung, wo ich nicht unbedingt Bock hab im Moment, die einzuschlagen. Da müßte ich einfach anders leben, und ich weiß nicht, ob ich das Leben noch vermitteln kann. Und ich will eben auch mein Leben vermitteln können, ich will nicht nur vermitteln, daß die Leute in der Zeitung lesen, daß irgendwas hochgesprengt wird und daß irgendwo Scheiben eingeschlagen werden. Ich will, daß die auch sehen, wie ich leb. Daß nicht wie aus der RAF so Monster gemacht werden, die man gar nicht mehr beerdigen darf. Ich möcht einfach vermeiden, daß die aus uns so Monster machen. Aber du wirst teilweise einfach zum Monster gemacht, du kannst mit niemand mehr reden, weil du immer Angst haben mußt, daß der dich irgendwo kascht oder so. Und ich möcht so leben können, daß die Leute sehen, daß ich leb, und sich mein Leben angucken können. Was wir hier machen mit dem öffentlichen Haus: daß die Leute reinkommen können. Und daß das nicht irgendwo hinter Tüchern und Masken verhüllte Monster sind, die nur Bock haben, irgendwas kleinzuschlagen. Das sind wir einfach nicht.

Wobei ja auch irre ist, daß die glauben, daß wir wegen der Masken nicht dahinterstehen, daß wir die Masken deswegen aufhaben, damit wir nicht erkannt werden, weil wir hinter den Sachen, die wir machen, nicht stehen, daß den Bürgern nicht vermittelt wird, daß das Schutz ist. Da hab ich wirklich Schwierigkeiten, das meiner Mutter mal zu erklären.

Diskutiert ihr eigentlich in der Gruppe, wieweit die Militanz in der aktuellen Auseinandersetzung gehen kann, oder macht das jeder für sich selbst klar. Wo sind da überhaupt Grenzen oder verändern die sich sogar mit der Zeit?

Angefangen hat bei mir die Politisierung vor anderthalb Jahren, als ich nach Berlin gekommen bin. Vorher hab ich in Westdeutschland eifrig Kunstgeschichte und Philosophie studiert. - In meiner Wohngemeinschaft, da ging es grad um die Chamisso-3-Besetzung, da sitzen die um den Tisch, total konspirativ. Ich hatte richtige Angst: Das ist doch illegal und so. Also ich war total unpolitisch. Ich wollte bloß meine Kunst machen und sonst überhaupt nichts wissen. Und dann waren das gute Freunde, wo ich auch meine Bedenken äußern konnte, ohne verarscht zu werden. Wir haben drüber geredet, ich bin mit rein in die Chamisso 3, und wir haben Unterstützer gemacht und sind von den Bullis rausgeworfen worden nach ein paar Tagen. Der nächste Punkt war, daß ich aktiv eine Besetzung vorbereitet hab, die dann in die Hosen gegangen ist, weil sie einen Tag zuvor Umsetzmieter reingesetzt haben. Und dann hat sich unheimlich viel auf politischem Niveau abgespielt, in der Gruppe - ich war bei einer freien Theatergruppe -, wir haben ziemlich viele Diskussionen geführt auch wegen der Stücke, wo der anarchistische Grundgedanke eben auch drin war. Und wir haben als Gruppe beschlossen, ein Kulturzentrum zu besetzen. Die erste Debatte ging dabei ums Kerngehäuse, wo wir gesagt haben, das können wir beides nicht schaffen, die nächste war dann die Anhalter Straße, wo wir als Gruppe reingegangen sind und wo ich mir über die Konsequenzen auch noch nicht so klar war. Da waren vorher die Auseinandersetzungen am 12. Dezember, wir sind von einer Tournee zurückgekommen und gleich auf die Straße gegangen, und das war ein echt einschneidendes Erlebnis. Vorher hab ich das alles bloß in der Zeitung gelesen. Als wir dort hingegangen sind, sind wir auch tierisch zusammengeknüppelt worden, sind wirklich fünf Stunden rumgetrieben worden, wir sind nur noch gelaufen. Und was ich da erlebt hab, das hat sich bei mir eigentlich unheimlich festgesetzt. Das ist die entscheidende Wende gewesen, was die Konsequenz anbelangt bei mir selbst, was ich mache, ab ich jetzt ein Haus besetze oder das als Betrachter mitvollziehe. Und dann bin ich hier reingekommen und hab die Entwicklung in dem Haus mit durchgemacht. Was bei uns im Haus unheimlich toll ist: daß es militantere gibt und weniger militante, aber daß die Leute total offen sagen können, sie können noch keine Fensterscheiben einschmeißen. Oder wenn sie wisseri, es gibt Krawall, sie können da noch nicht hingehen. Daß das total akzeptiert wird, wenn jemand einfach nicht hingehen kann, weil er zuviel Schiß hat, und weil er noch nicht soweit ist. Du machst eine Entwicklung durch: von der Wut und wie du diese Wut umsetzt, ob du dich jetzt mehr in den Öffentlichkeitsbereich begibst, indem du sagst, ich mach die Öffentlichkeitsarbeit und die andern gehen mehr auf die Straße. Und da hab ich auch die Entwicklung durchgemacht, daß ich zuerst nur auf die friedlichen Demos gegangen bin. Und dann wußte ich aber, jetzt ist das und das angesagt, und bin mit Leuten gegangen, wo ich echt ein total gutes Gefühl hatte. Wo ich auch wußte, daß ich getragen und nicht im Stich gelassen werde. Da hab ich das erste Mal in meinem Leben einen Pflasterstein geworfen. Und wir sind unheimlich gewetzt. Und ich hab das bis jetzt noch nicht wieder auf die Reihe gekriegt, weil ich unheimlich Angst hab, obwohl ich mich ständig in die Gefahr begebe. Es ist nicht so, daß ich nicht mehr auf Straßenschlachten gehe. Bloß will ich mir halt zugestehen, daß ich das schrittweise mache und daß diese Militanz mir eben schon aufgezwungen wird. Daß ich so eine Wut entwickeln kann, daß ich dann eben auch so komische Sachen mach wie Schaufenster einschmeißen, wo ich mir nicht so im klaren bin, ob sie überhaupt Konsequenzen haben.

So eine Weiterentwicklung in die Militanz liegt auch an der politischen Situation. Wenn die jetzt weiter so machen, sobald du dich auf der Straße triffst, daß die dich zusammenknüppeln, dann gibt es halt zwei Möglichkeiten: Entweder du machst nichts mehr oder du machst andere Aktionsformen, die eine Weiterentwicklung in die Militanz sind. Also ich möchte das bewußt machen, ich möchte da nicht so reinrutschen. Ich möchte nicht in so Zwangsläufigkeiten reingeraten wie die RAF-Geschichte. Daß da Aktionen gezielt gegen Computer gegangen sind, um den Krieg in Vietnam zu stören, das ist eine Sache, wo ich vom Gefühl voll dahinterstehen würde. Dann fahren deine Leute ein, mit denen du zusammen bist, und dann wird noch viel stärker als jetzt schon Gefangenenbefreiung ins Spiel kommen. Und die Gefangenen rauszuholen, da hast du ganz wenig Möglichkeiten; es bietet sich halt an, Gegengefangene zu nehmen, und dann kommst du irgendwo darein, wo dich keiner mehr versteht, wo du einfach nicht mehr vermittelbar bist. Dann bist du irgendso ein Monster, das sich jetzt so einen Typen krallt, und da kommen soviel Zwangsläufigkeiten, in die ich einfach nicht reingeraten will. Und bei solchen Sachen möchte ich mir den Raum nehmen, so was ganz bewußt zu machen oder eben nicht zu machen.

Zum Beispiel Straßenschlachten, das betrachte ich auch als Öffentlichkeitsarbeit. Denn die ganzen lieben Leute, die hier wohnen, die kriegen das ja voll mit, was hier an Aufgebot herrscht. Wenn so 50 Hanseln auf der Straße rumhüpfen, und da kommen so 15 Wannen angefahren und die machen den totalen Aufmisch. Da haben die auch mal mitgekriegt, mit was für Methoden vorgegangen wird.

Da kommen die schon ein bißchen ins Nachdenken, was das bedeutet mit der Polizeigewalt, wie die angewendet wird. Und daß sie sich Fragen stellen, in welchem Verhältnis das eigentlich steht. Da sind ein paar Leute, die besetzen Häuser und die werden mit solchen Mitteln unterdrückt und kleinzukriegen versucht. Ich glaub, ohne die bürgerliche Öffentlichkeit wären wir überhaupt nicht so weit, wie wir sind. Als wir damals die vier Bullen zusammengewichst haben, sind wir gelaufen, weil eine Hundertschaft hinter uns herkam, und auf einmal ging ein großes Tor auf: »Hier rein, hier rein!« Da standen Oma und Opa, Kinder, Eltern, und die meinten zur Polizei: »Da oben sind sie lang.« Und zu uns: »Stellt euch hinter uns.« Und dann: »Macht so weiter« und haben uns wieder entlassen, als die Bullen vorbei waren. So Sachen passieren. Oder daß Leute oben am Fenster stehen und ganz cool meinen: »Es kommt alles wieder.« Also ich glaub, ohne das wären wir echt nicht so weit. Und damals hat mir das schon Kraft gegeben, weiter dazubleiben. Ich wollte nach dem Gewichse echt nach Hause gehen, denn für mich war das eine Nummer zu groß, für mich, die ich noch nie einen Stein in die Hand genommen habe, und das erste, was ich mache, ich wichs Bullen zusammen. Da hatte ich so einen leichten Nervenknacks. Aber dadurch, daß die Leute so eine moralische Unterstützung gegeben haben, dadurch, daß sie die Tür aufgemacht haben, bin ich weiter dageblieben. Und das hat mir echt was gebracht.

Diese Unterstützung bei den Leuten versteh ich so: Wenn eine militante Aktion ist, soll das eine Ausführung von dem sein, was eigentlich an Gefühl bei den Leuten, die da leben, da ist, also zum Beispiel hier bei den Betroffenen in Kreuzberg. Wo eigentlich wir, dadurch daß wir aus so Familienkisten raus sind, aus verschiedenen Zwängen draußen sind, damit so einen unausgesprochenen Wunsch auszuführen. Also irgendwo mit dem Rückhalt der Bevölkerung. Das ist ziemlich unterschiedlich, aber grade in den Betroffenenbezirken ist der einfach da. Das äußert sich auch darin, daß von den Fenstern Blumentöpfe auf die Bullen geschmissen werden, wenn die angreifen. Oder daß einfach Türen aufgehen und dich die Leute reinzerren und unter ihren Betten verstecken. Oder daß Opa einfach nachts um vier aufsteht, sich in seinen Diesel setzt, und wenn die Wannen kommen, den vor denen absterben läßt, daß die nicht an uns rankommen. Das sind Sachen, da merkst du, du bist jetzt nicht im Leerlauf, du bist nicht in einer Blase, sondern der Bezug ist noch da. Und der ist wahnsinnig wichtig.

Also mich überrascht das. Bei 75 Prozent Springer-Presse in dieser Stadt sprecht ihr von einer moralischen oder konkreten Unterstützung der bürgerlichen Öffentlichkeit?

Das kriegst du in den Betroffenengebieten ganz stark zu spüren. Das sind die Leute, die von der Sanierung in Kreuzberg betroffen sind oder am Winterfeldplatz in Schöneberg. Da war auch eine unwahrscheinliche Unterstützung. Da war's ganz toll. Und da sind wir wieder bei den Minderheiten: Das sind eben Minderheiten, die Betroffenen. Die Leute, die in Zehlendorf oder in der City sitzen, die von dem ganzen Mist eigentlich nichts mitbekommen, die würden uns auch schlecht verstehen, und da ist es wahnsinnig schwierig, das Ding zu vermitteln. Aber die Leute, die wirklich in den Häusern sitzen, um die es geht, oder um die Häuser rum, ich glaub da versteht uns der größte Teil und steht auch dahinter. Den Leuten auf dem Kudamm, denen kannst du das überhaupt nicht vermitteln. Ich hab den Anspruch schon gar nicht mehr, daß ich denen vermitteln möchte, daß die Scheiße leben. Ich möchte denen nur vermitteln, daß die akzeptieren, daß es auch andere Lebensformen gibt. Wenn die Leute so leben wollen, sollen sie das, aber sie sollen nicht versuchen, mich auf ihren Trichter zu bringen.

Soweit kannst du sie aber nicht bringen, daß sie das akzeptieren. Weil du nämlich mit der Form, wie du jetzt leben willst, genau deren Interessen entgegenstehst. Und da wehren sie sich mit Händen und Füßen, mit der ganzen Staatsmacht. Und das ist für mich der Grund, daß ich jetzt klar gekriegt hab, daß ich nicht mehr durch »Love and Peace« und durch Blabla und Demos und Schreien was erreiche, sondern daß ich auch wirklich mal handgreiflich werden muß. Das geht einfach nicht in deren Köpfe rein, daß sie dich akzeptieren und dich leben lassen. Das Leben, das wir führen wollen, das müssen wir uns wirklich erkämpfen.

Also meine Eltern zum Beispiel, die waren auch total dagegen: Hausbesetzungen, das kannst du doch nicht machen, Illegalität und so weiter! Ich hab mich mit denen sehr lange auseinandergesetzt. Aber gestern haben sie angerufen, und als ich erzählt hab, daß ich im Knast gesessen hab, haben sie gemeint: »Jetzt können wir dich verstehen.« Meine Mutter war total entsetzt und meinte: »Ja, vielleicht hast du recht.« Aber im gleichen Atemzug meinte sie dann, sie würde nicht verstehen, warum wir die Bullen angreifen. Dann sollten wir zu den Leuten gehen, die die Staatsmacht direkt auf uns ausüben. Also ich glaub, dadurch daß ich mich mit denen sehr oft auseinandergesetzt hab über das, was mir im Kopf rumschwebt, wie ich leben will und daß ich eben nicht meine Füße unter meines Vaters Tisch haben will, verstehen die mich schon. Ich kann sagen, daß meine Eltern mich jetzt aktiv unterstützen, damit ich leben kann, wie ich will, und daß sie nicht immer versuchen, mich in ihre Lebensform reinzupressen, wie das die ganze Zeit war, als ich zu Hause gewohnt habe.

Aber so sind deine Eltern auch direkt Betroffene, weil du jetzt drinsteckst. Mein Vater hat auch wahnsinnig viel kapiert, der bezeichnet uns jetzt als Freiheitskämpfer.

Ich hab ihm ein ganzes Paket mit Büchern geschickt, die er lesen wollte, aber da ist eben so eine Betroffenenseite da, weil ich irgendwo drinsteck. Also meinem Vater kann ich's vermitteln, aber am Kudamm einfach nicht, die würden mir

auch nicht zuhören. Ich sehe einfach, daß wir die Möglichkeit einer friedlichen Koexistenz nie haben werden. Ich hab den Leuten schon noch was zu sagen. Soll mir einer mal:, jemanden zeigen, der sagt, er ist zufrieden, er lebt gern so, wie er lebt, er geht gern in sein Büro und sitzt da seine zehn Stunden drin und geht dann heim, hockt sich vor den Fernseher und kauft sich dafür einen Sessel für 3000 Mark. Ich hab länger in der Fabrik gearbeitet, da war kein einziger, der gesagt hat, er lebt gern so. Das war eine totale Unzufriedenheit. Und wenn ich glaub, eine Ahnung davon zu haben, wie man besser leben kann, wie man echt zufrieden leben kann, und ich fühl mich gut - trotz allem Mist fühl ich mich wahnsinnig gut - dann hab ich schon irgendwo das Bedürfnis, das auch zu vermitteln.

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