Im Fadenkreuz


 Drei Mitglieder der Sanitäter-Gruppe über sich selbst

Wenn Pflastersteine fliegen und Polizeiknüppel tanzen, dann sind sie dabei: die Sanitäter der Hausbesetzerszene, Sie tragen feste Kleidung: Motorradhelme, Lederjacket und eine Sanitasche mit Verbandszeug und Zitronen. Weißße Lätzchen auf Brust und Rücken mit rotem Kreuz und geballter Faust kennzeichnen sie als »Sanis«.

Heide: Früher hat es hier schon einmal so etwas wie »Schwarzkreuz« und »Blaukreuz« gegeben. Das war um 68 herum und später, als das Georg-von-Rauch-Haus besetzt wurde. Von damals sind einige übriggeblieben. Wiedergegründet hat sich die Sani-Gruppe vor etwa vier Jahren bei Demonstrationen in Westdeutschland, in Brokdorf zum Beispiel. In Berlin hat es damals so gut wie gar nicht geknallt. Wir haben uns um alles, was bei Demonstrationen anfällt, gekümmert, um Fußblasen, um alles.

Inti: Wir waren zum Beispiel beim Gorleben-Treck dabei und haben wirklich hauptsächlich Fußblasen verarztet. Wir wollten damals prinzipiell auf jeder Demonstration sein, soweit wir das kräftemäßig packen konnten. Das gab anfangs eine Menge Schwierigkeiten, weil wir so eine Art Uniform trugen und man uns deshalb so eine Art Ordnerfunktion geben wollte. Das konnten und wollten wir natürlich nicht. Aber ein Sani mußte halt wissen, wo die Demonstration hingeht und was noch alles passiert.

Heide: Inzwischen gibt es in Westberlin an die 70 bis 80 Sanis, die mehr oder weniger regelmäßig mitmachen. Die meisten davon sind entsprechend ausgebildet: als Sanitäter, als. Krankenschwestern, Ärzte oder Medizinstudenten.

Inti: Wir wollten uns von Anfang an so ausrüsten, daß wir auf alle denkbaren Situationen eingestellt sind. Das geht mit, Verbandszeug los, dann Zitronensaft, schon für einen selbst, damit man wenigstens noch Luft kriegt, wenn man durch Tränengas latscht. Zusätzlich sterile Instrumente, um Wunden zu säubern, Kompressen. Ich renn inzwischen weniger mit Verbandszeug rum als mit sterilen Kompressen, die ich den Leuten dann in die Hand drücke und sag: Hier, nimm das Ding in die Hand und drück es auf die Wunde und sich zu, daß du wegkommst. Die Leute von uns, die etwas mehr von Medizin verstehen, haben auch noch Medikamene dabei oder alle möglichen Utensilien, um Augenverletzungen behandeln zu können. Das heißt: Eine Augen-Spülflasche haben wir prinzipiell alle dabei.

Hinzu kommt die Ausrüstung für uns selber. Wir haben von vornherein gesagt: Wir haben keinen Bock, uns die Schädel einschlagen zu lassen, und deshalb gehen wir nur mit Helm.

Das hat anfangs einigen Zoff gegeben.

Es hieß, wir seien ein Stirrlmungsbarometer und wir würden durch unsere Helme ein völlig verkehrtes Bild von der Demonstration vermitteln. Es hat da Demonstrationen gegeben, auf denen die Leute mit T-Shirts und Söckchen und Kleidchen spazierengegangen sind, und wir sind da mit unseren Helmen und Lederjacken aufgetreten. Aber aus gutem Grund macht uns deshalb heute kaum noch einer an.

Christian: Das hat sich neulich in Berlin am Winterfeldplatz ganz deutlich gezeigt, wie nötig ein Helm ist. Da hat es einen Schwerverletzten gegeben, mit mehreren Platzwunden am Kopf, und später hat sich herausgestellt, daß er auch noch eine Gehirnblutung hatte. Das war das Ergebnis eines Schlagstockeinsatzes der Polizei. Ich bin sicher: Wenn der Typ einen Helm aufgehabt hätte, dann wäre er glimpflicher davongekommen. So hat er lange in Lebensgefahr auf der Intensivstation gelegen, man hat ihm durch eine Operation ein Blutgerinnsel aus dem Gehirn entfernen müssen. Inzwischen geht es ihm wieder etwas besser.

Heide: Der wird aber noch satte Folgen davon haben. Er ist seitdem epilepsiegefährdet, darf sich nicht mehr anstrengen. Kopfverletzungen sind sowieso im Augenblick die gängigen Verletzungen bei Demonstrationen. Am Winterfeldplatz, da bin ich zum Beispiel selbst mit drei anderen Sanitätern von der Polizei zusammengewichst worden. Wir haben d kleine oder größere Blutergüsse davongetragen, mehrere zumeist, Striemen am ganzen Körper. Aber wir haben Helme getragen und zum Teil Nierenschutzgurte. Ich lag auf dem Boden und hab gedacht: So, jetzt zerspringt der Helm, und wenn der'kaputt ist, dann kriegst du den Schädel eingehauen. Aber der Helm hat gehalten, und ich war hinterher vollkommen benebelt.

Also, Sanitätsdienst zu machen ohne Helm, das ist reiner Selbstmord.

Inti: Die Sani-Gruppe in dieser Form gibt es etwa seit dem 12. Dezember 1980, als es im Anschluß an die Räumung des besetzten Hauses am Fraenkelufer zu einer Straßenschlacht kam. Seitdem gibt es diesen großen Bedarf an Sanitätern. Vorher haben wir mit ungefähr 15 bis 20 Sanitätern die zumeist friedlichen Demonstrationen abgedeckt. Aber im Augenblick haben wir einen richtigen Boom. Die 70 bis 80 Sanitäter, die es im Augenblick gibt, sind natürlich nicht alle draußen. Viele von ihnen arbeiten in Krankenhäusern im Schichtdienst. Aber bei größeren Demonstrationen haben wir im Durchschnitt etwa 30 bis 50 Sanitäter im Einsatz, und die werden auch gebraucht.

Es gibt in Berlin mehrere Sanitäter-Gruppen, die in Kontakt miteinander stehen, damit man immer weiß, wer an einem Abend Zeit hat und einsatzbereit ist und wer nicht. Wir sind zum Teil auch in den Telefonketten drin, die nach dem Schneeballsystem ablaufen, wenn etwas los ist.

Wir sind dann nicht die ersten am Ort, aber doch ziemlich frühzeitig. Das ist nicht ganz exakt organisiert, aber man macht so seine Erfahrungen und kann ganz gut abschätzen, wieviele Sanitäter bei einer Demonstration gebraucht werden. Wenn es zum Beispiel zu einer Aktion der »grünen Radler« kommt, dann wird es vermutlich ruhig bleiben, und, es reicht, wenn fünf Sanis sich aufs Fahrrad schwingen und mitfahren. Bei einer solchen Fahrrad-Demo ist im letzten Jahr ein betrunkener Autofahrer in ein paar Radler reingefahren. Dabei hat es mehrere Schwerverletzte und einen Toten gegeben. Meistens dauert es sehr lange, bis die offiziellen Rettungsdienste kommen. Unsere Aufgabe ist es dann, die Leute erst einmal vor Ort zu versorgen.

Diese offiziellen Rettungsdienste, etwa der Malteser-Hilfsdienst oder der Arbeiter-Samariter-Bund, schicken ihre Wagen nur zu größeren angemeldeten Demonstrationen. Aber sie halten sich zumeist abseits und greifen nur ein, wenn sie gerufen werden. Genauso ist es mit dem Unfallwagen der Feuerwehr oder dem Notarzt-Wagen. Die haben, etwa bei einer Straßenschlacht, die Anweisung, erst einzugreifen, wenn sich die Lage beruhigt hat.

In Kreuzberg, wo sich die Auseinandersetzungen manchmal vier bis fünf Stunden hinziehen und wo sich die Lage eben zwischendurch nicht beruhigt, kann man damit rechnen, daß ein Verletzter manchmal vier bis fünf Stunden in einem Hauseingang läge, wenn wir nicht eingreifen würden. Wir müssen also mitten im Getümmel Erste Hilfe leisten. Das ist vor allem bei Augenverletzungen wichtig. Und die offiziellen Rettungsdienste werden oft von der Polizei überhaupt nicht durchgelassen.

Christian: Am Ku-Damm hat neulich, am 15. Dezember, die Polizei nicht einmal den Unfallwagen der Feuerwehr durchgelassen. Da lag eine Frau mit Schock in so einem Hamburger-Laden. Davor standen Bullen-Ketten, und die haben die Feuerwehr nicht durchgelassen.

Inti: Ich hab das am 12. Dezember auch erlebt. Da fuhr ein Polizeiwagen in eine Gruppe rein. Und einem Typ, der gerade vor einem Betonkübel stand, wurden von dem Einsatzwagen die Beine zerquetscht. Ein paar Leute haben ihn daraufhin erst einmal notdürftig versorgt. Schließlich kam die Feuerwehr und hat ihn auf die Trage gepackt. Gerade als die Feuerwehrleute ihn wegtragen wollten, hat die Polizei Tränengas in ihre Richtung geschossen. Ich hab mit einem Typen gesprochen, der direkt daneben stand, und der sagte, daß die Feuerwehrmänner tierisch sauer waren, weil sie nichts mehr sehen konnten. Die waren durch das Tränengas halb blind und mußten den Verletzten wegbringen.

Dabei gibt es eine Dienstanweisung innerhalb der Polizei, daß die Beamten sich nach dem Schlagstockeinsatz um Verletzte zu kümmern haben. Aber in Wirklichkeit läuft das natürlich nicht. Die knüppeln, und entweder springen sie dann gleich wieder in ihre Mannschaftswagen und fahren weiter, oder sie räumen die Straße und riegeln ab. Wer verletzt ist wird meistens liegengelassen oder festgenommen Der liegt dann praktisch im Niemandsland, in einem von Menschen geräumten Gebiet. Die Polizei schickt fast nie jemanden dorthin, der sich um den Verletzten kümmert. Und auch wir haben oft Schwierigkeiten, durchgelassen zu werden. (Das sprechen manche Polizisten ganz offen aus.) Es gibt zum Beispiel eine Gruppe »Junge Polizei«, von denen hat neulich jemand gesagt: »Wir verhaften nicht mehr. Wenn wir jemanden festnehmen, dann kommt der ja sowieso bald wieder raus. Für uns ist die Devise: draufknüppeln, damit sie ihre Quittung kriegen.« Das haben die in einem ganz offiziellen Interview gesagt.

Christian: Und so machen die das auch. Ich hab neulich aus einem Haus, in dem wir praktisch eingeschlossen waren, beobachtet, wie ein Polizist eine Frau zusammengeschlagen hat. Der hat bestimmt 20- bis 30mal mit seinem Knüppel auf die eingeschlagen. Das dauerte ewig lang, und ich hatte das Gefühl, er schlägt die tot.

Inti: Die Taktik der Polizei in den letzten Monaten ist so: Wo Leute rumstehen, da fahren Mannschaftswagen vor, die Polizisten springen raus und dreschen ohne Warnung auf die Leute ein. Wer nicht mehr schnell genug wegrennen kann, wer eingekeilt ist, der bekommt eine mörderische Senge. Wenn die Arbeit erledigt ist, springen die Polizisten wieder in ihre Wannen und brausen ab.

(Und die Verletzten bleiben liegen.)

In diesem Fall hatte die Polizei die Straße nach zwei Seiten hin abgeriegelt, so daß man nicht mehr wegkam. Die Frau hat sich an eine Hauswand gestellt und ihre Hände hochgehalten. Ein einzelner Polizist ist dann auf sie zugegangen und hat auf sie eingeschlagen, endlos, mehrere Minuten, es schien, als wolle er überhaupt nicht wieder aufhören.

Die Frau hat ungeheuer viel Glück gehabt, daß sie keine schwereren Verletzungen davongetragen hat. Der Polizist hatte nämlich noch so einen alten Gummiknüppel und nicht den neuen Holzknüppel, mit dem die Polizei heute fast durchgehend ausgerüstet ist. Deshalb hatte sie »nur« schwere Prellungen und einen Schock.

Wir haben später das Mädchen befragt, und da hat sich herausgestellt, daß sie noch nicht einmal zu den Demonstranten oder den Hausbesetzern gehörte. Sie wollte nur einen Freund besuchen, der zufällig in der Straße wohnte.

Neulich gab es einen Schwerverletzten, der hatte eine Gehirnblutung. Auch er war völlig unbeteiligt, er hatte nur einen Bekannten besuchen wollen, als er in die Auseinandersetzung geriet. Das ist nicht untypisch. Wir haben in der letzten Zeit sehr oft Leute versorgt, die eigentlich unbeteiligt waren. Etwa Passanten, oder Leute, die aus Kneipen kamen, sich irgendwo in der Drehe aufhielten und noch nicht einmal gecheckt hatten, was lief. Die Leute, die wirklich an den Sachen beteiligt sind, die sich gegen die Polizei zur Wehr setzen, die wissen inzwischen, wie sie mit der Polizei umzugehen haben. Die wissen nämlich: Wenn jetzt die Mannschaftswagen, also die »Wannen« um die Ecke biegen, dann stoppen die gleich, und die Polizisten springen raus und prügeln auf alles ein. Da hält man besser Distanz, haut also schnellstens ab. Und die Leute, die keine Ahnung haben, bleiben stehen. Und die trifft es dann meistens. Daher kommt es auch, daß die Leute, die heute auf Demonstrationen zusammengeschlagen werden, allzuoft völlig Unbeteiligte sind.

Heide: Neulich gab es so einen Fall, ein etwa 50jähriger Mann, den ich aus der Arztpraxis kenne, in der ich gearbeitet habe. Der Mann ist Bluter. Auf dem Weg nach Hause ist er zusammen mit seiner Frau in eine Auseinandersetzung zwischen Demonstranten und Polizei hineingeraten und ist von der Polizei zusammengeprügelt worden. Er hat dabei eine ziemlich große Platzwunde am Kopf davongetragen, die war so groß, daß sie fast über den ganzen Schädel reichte. Kopfplatzwunden aber bluten unheimlich stark. Der Mann hat das Bewußtsein verloren, und die Frau ist natürlich völlig ausgeflippt. Sie hat herumgebrüllt: »Ihr macht ihn tot, ihr Schweine. Mein Mann ist Bluter.« Da ist der Bulle kreideweiß geworden und ist weggerannt, weil er wahrscheinlich in dem Moment auch dachte, der Mann verreckt auf dem Pflaster.

Christian: Ich glaube, die Polizisten werden in ihrer Ausbildung dazu angehalten, möglichst hart zuzuschlagen. Das hat sich ja auch in Brokdorf gezeigt. Da werden erst einmal Horrormärchen verbreitet, um die Polizisten stimmungsmäßig vorzubereiten. In Brokdorf ist, soweit ich weiß, einer Hundertschaft erzählt worden, einer ihrer Kameraden sei mit einer Axt erschlagen worden. Man kann sich vorstellen, daß Polizisten dann wie Berserker dreinschlagen.

Ich hab das einmal an eigenem Leib erfahren. Ich war auf der Gegendemonstration gegen die türkische Faschisten-Demo. Diese Gegendemonstration ist am Kurfürstendamm/ Ecke Uhlandstraße aufgelöst worden. Das lief so ab: Die Demonstranten, vielleicht 150, sind von Polizisten eingekreist worden, ganz blitzschnell. Wir waren in dem Kessel und haben uns den Polizisten deutlich als Sanitäter zu erkennen gegeben. Wir hatten uns sogar vorher beim Einsatzleiter der Polizei angemeldet und trugen unsere weißen Lätzchen mit dem schwarzen Kreuz. Bei der Anmeldung hatte uns die Polizei noch zugesichert, wenn wir uns neutral verhielten, dann würde sich auch die Polizei neutral verhalten; In dem Bewußtsein sind wir in den Kessel reingegangen. Dann kam über Megaphon die Durchsage: »Dies ist eine verbotene Versammlung, bitte lösen Sie sich auf.« Unmittelbar darauf haben die Polizisten losgeprügelt. Es gab gar keine Möglichkeit, rauszukommen. Wir waren völlig eingekesselt. Da haben wir dann die Fresse vollbekommen und zwar reichlich. Ich hab ein dickes Auge davongetragen und eine angebrochene Nase. Anschließend habe ich Strafanzeige erstattet und Schadenersatz verlangt. Aber es ist völlig klar, daß nichts dabei herauskommt.

Das Ganze ist jetzt über einen Monat her, und ich habe noch nicht einmal ein Aktenzeichen.

Es waren damals unheimlich junge Polizisten, die erst aufgehört haben zu prügeln, als ein älterer Polizeioffizier sie zurückgedrängt hat.

Diese Polizisten haben so auf die Leute eingeprügelt, daß dabei zwei Fahrräder zerdrückt worden, daß ein paar weibliche Touristen ohnmächtig geworden sind, als sie diese Knüppeleien beobachteten. Sie sind umgekippt, einfach vom Zusehen.

Das waren ganz, ganz junge Bullen, die hatten so richtig ihr Prügelfest, ihre Einweihung.

Heide: Was die auch für ein Bild von uns haben! Als ich neulich festgenommen wurde, haben sich die Beamten noch ziemlich korrekt benommen, sie haben mich also nicht zusammengeschlagen und in der Wanne auch nicht auf den Boden geschmissen, was sie sonst gern tun. Ich durfte mich in der Wanne richtig hinsetzen. Als ich meinen Helm absetzte, hat einer mit seinem Knüppel auf den Helm gehauen, wohl um meine Reaktionsweise zu testen. Nachdem die erste Anspannung vorbei war, entwickelten die Polizisten eine unheimliche Neugier. »Hat die einen Ausweis dabei? Gib mal her. Hat die Kinder? Tatsächlich? Gibt's denn sowas?«

Da wurde mir plötzlich klar, warum die so prügeln. Die wissen überhaupt nicht, mit wem sie es zu tun haben. Man könnte die auch auf Marsmenschen loslassen. Ich möchte aber noch auf einen anderen Punkt eingehen. Wir machen den Sani-Dienst auch, um den Leuten eine Verhaftung zu ersparen. Wir bringen Verletzte weg und sehen zu, daß sie nicht der nächsten Zivilstreife vor oder im Krankenhaus in die Hände fallen. Wir wissen von dem Krankenhaus hier in der Nähe, daß dort ständig Polizisten drinnen oder draußen Posten bezogen haben.

Bei Augenverletzungen, Kopfplatzwunden, Knochenbrüchen usw. leichterer Art bringen wir die Leute meistens in Krankenhäuser, die etwas weiter entfernt liegen. Das hat die Polizei natürlich nicht so gerne.

Die Feuerwehr dagegen ist verpflichtet, grundsätzlich die Personalien von Verletzten an die Polizei herauszugeben. Deshalb hat die Polizei natürlich die Feuerwehr als Transporteur am liebsten. Bei den Rettungsdiensten ist es verschieden. Wir wissen von einigen Rettungsdiensten, daß sie schon denunziert haben. Wir wissen aber auch von einzelnen offiziellen Sanitätern, daß sie selbst nicht denunzieren wollen.

Es ist also völlig klar, warum die Polizei etwas gegen uns hat. Wir nehmen ihnen einfach eine ganze Reihe von Strafverfahren weg.

Das Ganze hat natürlich auch zur Folge, daß immer große Zahlen von verletzten Polizisten bekanntgegeben werden, während die Zahl der verletzten Demonstranten nicht oder jedenfalls nicht so schnell bekannt wird. Wir versuchen dem zu begegnen, indem wir den Ermittlungsausschuß über die Zahl der verletzten Demonstranten informieren. Wir sagen auch immer, Verletzte sollen sich dort melden. Bei der Schlacht am Winterfeldplatz haben sich ungefähr 50 Verletzte beim Ermittlungsausschuß gemeldet. Aber ein großer Teil von den Leuten, die wir versorgt haben, ist gar nicht erst hingegangen. Die sagen dann oft: »Was soll das? Wenn ich mich irgendwo melde, dann kriege ich doch nur ein Ermittlungsverfahren. «

Christian: Im Grunde haben wir überhaupt keine Öffentlichkeit, wenn wir die Zahlen von verletzten Demonstranten bekanntgeben. Wer glaubt schon den autonomen Sanitätern?

Inti: Auf der anderen Seite kann man auch den »offiziellen« Sanitätern von irgendwelchen Rettungsdiensten nicht immer trauen. Ich hab das zum Beispiel auf einer friedlichen Demonstration erlebt. Da lief ein Sanitäter mit einer Armbinde des Roten Kreuzes herum. Ich hab ihn gefragt: »Bist du wirklich vom Roten Kreuz?« Er schlug daraufhin seine Brieftasche auf und zeigte mir seinen Rotkreuz-Ausweis. Auf der anderen Seite hatte er aber einen Ausweis von der Freiwilligen Polizeireserve, die es in Berlin gibt. Der Typ war so Mitte Zwanzig, und er hatte - als Rettungssanitäter - einen Gummiknüppel dabei. Ich hab ihn dann gefragt, was er mit dem Gummiknüppel will. Er antwortete: »Falls ich angegriffen werde.«

Das ist natürlich totaler Quatsch. Mir ist bis jetzt nicht bekanntgeworden, daß irgend jemand, der beim Roten Kreuz ist, von Demonstranten angegriffen wurde.

Vielleicht hatte er den Gummiknüppel ja auch dabei, um bei einem verletzten Demonstranten eine örtliche Betäubung vorzunehmen.

Umgekehrt werden wir, obwohl wir als Sanitäter gekennzeichnet sind, oft von der Polizei besonders aufs Korn genommen. Mir ist es einmal bei einer Demonstration passiert, daß mir ein Polizist einen Gummiknüppel ins Gesicht schlug, als ich mich gerade um einen Verletzten kümmerte. Das hat mich zwei Schneidezähne gekostet. Der Polizist hat sich damit entschuldigt, daß er sagte: »Ich hab nicht gesehen, daß du Sanitäter bist.« Das war natürlich eine lächerliche Ausrede, denn ich war ganz deutlich als Sanitäter gekennzeichnet.

Neulich war ich auch als Sanitäter dabei, als einige Leute das Cafe Kranzler »besetzt« hatten. Das war diese Tortenschlacht. Draußen auf dem Kurfürstendamm hat die Polizei Leute gejagt. Mit ein paar anderen Sanitätern zusammen habe ich einen Verletzten weggebracht. Plötzlich kam eine Gruppe von Polizisten auf uns zu, und mit den Worten »ihr treibt euch ja immer noch hier rum« hat mir der ältere seinen Knüppel über den Oberschenkel gezogen, was eine ziemlich üble Prellung hervorgerufen hat.

Ich hab aber auch schon andere Sprüche gehört. Bei einer friedlichen Demonstration wollte ich zum Einsatzleiter gehen, um mich darüber zu beschweren, daß wir bei unserer Arbeit behindert wurden. Dazu mußte ich an einer langen Polizeikette vorbei. Ich habe einen Polizisten gefragt, wo ich den Einsatzleiter finden könnte. Darauf er: »Das sage ich dir nicht. Und außerdem, mach mal lieber dein Fadenkreuz ab.« Ich hab natürlich gesehen, daß ich wegkam.

Früher haben wir versucht, mit der Polizei ins Gespräch zu:, kommen. Als ich noch beim »Schwarzkreuz« war, vor einigen Jahren, da gab es bei der Polizei die sogenannte »Gruppe 47«. Das war eine Einheit, die mit den Demonstranten diskutieren sollte. Es waren extra ausgebildete Polizisten, die sich auch mit Marxismus beschäftigt hatten, um mit den Demonstranten zu reden. Wir haben bei denen angerufen und uns als die Sanitätsgruppe »Schwarzkreuz« gemeldet. Sie waren auch bereit, sich mit uns an einem neutralen Ort zu treffen.

Drei Mann kamen dann in die »Kleine Weltlaterne« in der Leibnizstraße. Aber die ganze Gegend wimmelte von Zivilbeamten. In der Kneipe haben wir mit den Leuten von der »Gruppe 47« geredet, Getränke auf Spesen, und sind so mit ihnen verblieben, daß wir in Ruhe gelassen werden, wenn wir uns bei Demonstrationen vorher anmelden.

Das lief eine Zeitlang auch ganz gut. Es wurden keine Sanitäter mehr festgenommen oder zusammengeschlagen.

Als zum Beispiel 1971 das Bethanienhaus besetzt wurde, bin ich zusammen mit ein paar anderen Sanitätern zum polizeilichen Einsatzleiter gegangen und habe gesagt: »Guten Tag, Schwarzkreuz. Wir möchten gern ins Haus, um helfen zu können, falls es bei der Besetzung zu irgendwelchen Verletzungen gekommen ist oder es zu einer Räumung kommt.« Da haben uns die Polizisten sogar eine Leiter besorgt, so daß wir ins Haus klettern konnten. Drinnen haben wir zwei Räume als Sanitätsräume deklariert. So lief das damals. Die Beamten, mit denen wir gesprochen haben, waren meistens vom Staatsschutz; von denen ist immer die Koordination des Polizeieinsatzes gemacht worden. Das ging eigentlich ganz gut. Die wußten, wer wir waren, und wir wußten auch, an wen wir uns zu wenden hatten.

In der letzten Zeit aber sieht es so aus, daß wir uns nicht mehr anmelden. Das ist ein Beschluß der verschiedenen Gruppen. Der Grund dafür ist, daß es immer wieder zu Übergriffen gegen Sanitäter, ähnlich wie am Winterfeldplatz, gekommen ist. Als wir es doch noch einmal versucht haben, uns anzumelden, hat ein leitender Beamter zu einer Sani-Frau gesagt: »Ihr kriegt heute eure Quittung. Wenn ihr noch hierbleibt, dann kriegt ihr es genauso wie die anderen.«

Christian: Uns haben sie gesagt: »Ihr seid heute nacht dran.« Das war auch am Winterfeldplatz. Da haben wir so eine Wannenbesatzung gefragt, wo der Einsatzleiter ist. Darauf haben die uns geantwortet: »Es gibt keinen Einsatzleiter, denn es gibt ja auch keinen Einsatz.«

Einer der Beamten hat noch gesagt: »Da könnte ja jeder kommen. Und von dir würde ich mich sowieso nicht behandeln lassen. Du hast ja Salmonellen an den Fingern.« Und dann hat er mir noch erklärt, wir seien ja sowieso die Rädelsführer, und wir würden heute nacht ganz besonders die Fresse vollkriegen. Da haben wir gesagt: »Gut, danke schön«, und sind wieder gegangen.

Heide: Anderen gegenüber haben sie das noch in soweit präzisiert, daß sie mit ihren Holzknüppeln zuschlagen würden. Das ist dann auch genauso eingetreten. Wir sind später zu viert zusammengewichst worden. Ein anderer Sanitäter ist noch auf die Polizisten zugegangen, aber der ist dann mit den Worten »du bist auch so ein Rot-Kreuz-Schwein« zusammengehauen worden.

Das läuft eigentlich immer ganz unterschiedlich ab. Manchmal, vor allem bei angemeldeten Demonstrationen, haben wir uns bei der Polizei doch noch gemeldet. Dann ließ man uns auch manchmal höchst freundlich mit »bitte sehr« und so durch. Dann wieder, trotz Anmeldung, überhaupt nicht. Im Getümmel haben sie nie Rücksicht genommen, aber damit haben wir auch nicht gerechnet.

Die Tendenz geht aber eindeutig in Richtung auf eine Verschärfung. Inzwischen ist es Jacke wie Hose, ob wir uns anmelden oder nicht. Prügel kriegen wir allemal, ich hab sogar den Eindruck, daß sie es besonders auf uns abgesehen haben.

Es gibt ja auch kaum noch eine Koordination der Polizeieinsätze. Irgendwie liegt es an jedem kleinen Polizisten selbst, ob er nun losprügelt oder nicht, je nach seiner individuellen Hemmschwelle. Und die wird immer niedriger.

Offenbar wollen die Bullen von möglichst vielen Sanis die Personalien feststellen, möglichst viele Sanis verprügeln, möglichst viele Sanis festsetzen.

Inti: Dabei gibt es so etwas wie eine Proforma-Zusage der Polizeiführung, daß Sanitäter nicht behindert werden sollen. Aber das ist offenbar nicht bis zu den einzelnen Gruppenführern, geschweige denn zu den einzelnen Polizisten durchgesickert. Für die stellen wir ein ganz klares Feindbild dar, weil wir uns um diejenigen Leute kümmern, die demonstrieren.

Wir sind natürlich auch keine Hilfsorganisation im klassischen Sinne. Das wollen wir auch nicht sein. Wir begreifen uns genauso als Demonstranten. Aber wir beteiligen uns nicht am Steineschmeißen und am Barrikadenbauen. Wir leisten keinen aktiven Widerstand, und wir wehren uns auch nicht gegen Festnahmen. Es müßte der Polizei dabei eigentlich klar sein, daß wir nichts machen, daß wir darüber hinaus jedem Verletzten helfen: jedem Demonstranten und auch jedem Polizisten. Das kommt nämlich vor. Nach der Durchsuchung des besetzten Hauses in der Adalbertstraße zum Beispiel war abends wieder Auseinandersetzung in der SO 36. Dabei ist ein Polizist von einem Steinwurf verletzt worden, und zwei unserer Leute haben versucht, diesen Polizisten zu versorgen. Daraufhin sind sie von zwei anderen Polizisten verprügelt worden. Da war nichts von wegen »danke schön« oder »ist ja korrekt«, sondern da war ein ganz klares Feindbild.

Heide: Wobei der verletzte Polizist sich sogar helfen lassen wollte. Er hatte einen Stein gegen das Bein bekommen. Unser Typ hat gefragt: »Eh, soll ich dir helfen?« Und der Polizist hat geantwortet: »Ja, ja, da und da tut es weh«. Das tut auch wirklich sehr weh. Einen Stein ans Schienbein zu kriegen. Der Sanitäter beugt sich runter, und da kriegt er auch schon von hinten was mit dem Knüppel. Da haben die natürlich gemacht, daß sie wegkamen. Das ist doch Wahnwitz.

Grundsätzlich haben wir beschlossen, daß wir verletzten Bullen natürlich auch helfen.

Inti: Nun hat die Polizei auch ihre eigenen Sanitäter, die mit einer Armbinde mit einem grünen Kreuz gekennzeichnet sind. Die müßten eigentlich nach der gesetzlichen Lage auch verletzte Demonstranten versorgen. Das tun sie aber in Wahrheit nie. Diese Polizeisanitäter sind auch mit Schlagstock usw. ausgerüstet, und die prügeln auch munter mit.

Christian: Ich hab manchmal auch schon Bock, meine SaniZeichen hinzuschmeißen. Ich hab nämlich keine Lust, mir die Fresse vollhauen zu lassen, bloß für mein Sani-Zeichen.

Das ist aber meine persönliche Meinung, nicht die der Gruppe. In manchen Situationen ist es nämlich so, daß wir erstens nicht an die Verletzten herangelassen werden, und zweitens kriegen wir als Sanitäter erst recht die Fresse voll. Wir haben wirklich so etwas wie ein Fadenkreuz auf dem Rücken. Und deshalb habe ich manchmal solch eine Wut, daß ich selbst mit zulangen möchte.

Mittlerweile ist das so schlimm geworden, und wir sind so zur Zielscheibe geworden, daß ich manchmal ausßippen könnte. Bei dieser Türken-Demo sind wir so zusammengeprügelt worden, ohne daß es irgendeinen Grund dafür gab, daß ich, wenn die anderen Sanis nicht dabeigewesen wären, meine Abzeichen hingeschmissen hätte und hinter den Bullen hergelaufen wäre. Das war richtig so ein Übungsprügeln. Die waren nicht cool, die Bullen, sondern denen lief der Geifer, denen hat das Spaß gemacht.

Heide: Man muß das ganz klar sagen: Die Sanigruppen haben eine Absprache, daß sich Sanitäter grundsätzlich nicht an militanten Auseinandersetzungen beteiligen.

Das ist auch ganz logisch. Wir haben keinen Bock, denen einen Vorwand zu liefern, daß sie uns angreifen können.

Das tun die sowieso, da wollen wir ihnen nicht auch noch die Rechtfertigung dafür liefern.

Inti: Der Haß der Polizisten auf uns hat einen ganz klaren Grund. Die haben Angst, daß wir ihnen ihre Verhaftungen vermiesen. Deswegen nehmen sie jetzt auch ihre eigenen Sani-Fahrzeuge mit Arzt und so mit. Die wollen die Verletzten selbst einsacken, also festnehmen. Daß verletzte Demonstranten sich nicht gern von denen helfen lassen, ist auch ganz klar. Wenn ich von einem Polizisten was über die Rübe kriege, im Schock daliege, und ein Uniformierter kommt, ein mit Schlagstock bewaffneter Polizist, und sagt: »Ich will dich jetzt ärztlich versorgen«, dann ist doch logisch, daß ich mich erstmal mit Händen und Füßen dagegen wehre.

Heide: Das muß auch ganz klar sein: Wir sind nicht neutral, so wie das Rote Kreuz zu irgendwelchen linken Demonstrationen geht, und vielleicht schon etwas lieber zu irgendwelchen rechten Demonstrationen. Wir sind Demonstranten. Wir gehen dahin, weil wir die Sache unterstützen, um die es da geht. Wir stecken ziemlich dick z. B. in der ganzen Hausbesetzerszene drin. Wir haben in verschiedenen anderen politischen Auseinandersetzungen gesteckt oder stecken da drin. Aus dem Grunde machen wir das. Wir haben nicht nur so einen humanitären Anspruch, so »helfen-lieben-heilen«, so Florence-Nightingale-Geschichten oder so.

Inti: Und wir machen auch nicht die Verletzten für die Polizei transportfähig. Wir versuchen, die Verletzten von der Straße herunterzubringen, damit sie nicht noch was über die Rübe kriegen, und außerdem wollen wir verhindern, daß die Verletzten dann auch noch ein Strafverfahren kriegen. Jeder, den sie irgendwo auf der Straße packen, kriegt sein Strafverfahren.

Inti: Neulich gab es auch wieder so eine tolle Geschichte. In der Naunynstraße sollte ein Haus geräumt werden, und einige Sanitäter sind dorthin gefahren. In der Nähe des Springer-Hauses sind sie in ihrem Auto von einer Zivilstreife angehalten worden. Aber irgendwie wußten die Polizisten gar, nicht so recht, was sie mit den Leuten anfangen sollten. Sie standen etwas verlegen herum, bis einer von ihnen auf den: Gedanken kam, das Radio anzuschalten. Er drehte an der Skala herum und bekam plötzlich den Polizeifunk zu hören. Daraufhin rückten immer mehr Polizeiwagen an, und es, hieß, das Fahrzeug sei beschlagnahmt und alle vier Sanitäter im Wagen seien vorübergehend festgenommen. Sie wurden zur Gefangenensammelstelle gebracht, und bei dreien von ihnen, die noch nicht erkennungsdienstlich behandelt waren, wurde das jetzt nachgeholt. Dann kam glücklicherweise ein Bediensteter der Post, der das Radio untersuchen sollte. Der Postbeamte stellte fest, daß am Radio nicht herummanipuliert worden war, um den Polizeifunk abhören zu können. Es war ein ganz normales Autoradio, an dem nichts verstellt war. Dadurch, daß der Wagen aber von mehreren Polizeifahrzeugen umgeben war, hatte sich eine Art Funkbrücke gebildet, die dazu führte, daß aus dem stinknormalen Radio plötzlich der Polizeifunk ertönte. Daraufhin wurde die Anschuldigung des illegalen Abhörens des Polizeifunks fallengelassen, und die Sanis wurden auf freien Fuß gesetzt. Aber durch diese Aktion sind wieder drei weitere Sanitäter erkennungsdienstlich behandelt worden.

Heide: Mir kommt das immer wie eine Machtdemonstration vor, wenn die Polizisten uns ohne irgendeinen Grund festnehmen, durchsuchen, erkennungsdienstlich behandeln. Irgendwie scheint das für die Typen eine sehr genüßliche Geschichte zu sein. Wenn sie dir die Arme abgrabbeln, dann behalten sie ihre Handschuhe an, aber wenn sie dir die Brust abgrabbeln, dann ziehen sie die Handschuhe vorher aus. Schlimm geht es auch bei den Durchsuchungen besetzter Häuser zu. Da wütet die Polizei richtig. Neulich haben sie bei einer Durchsuchung in den Wohnungen, vorzugsweise in den besonders ordentlichen Zimmern, alles durcheinandergeworfen. Da haben sie zum Beispiel Zahnpasta in die Haarbürsten geschmiert und Tampons in die Hydrokulturen geworfen, Farbe an die frisch gestrichenen Fenster gekippt, Wasser auslaufen lassen, Aschenbecher in den Betten ausgeleert und so weiter. Ein paar Zimmer, die völlig chaotisch waren, die haben sie nicht angerührt.

Dann haben sie z. B. in der Reuterstraße die legalen Stromzähler au'sgebaut; die hat die Bewag dann nachmittags wieder eingesetzt.

In einigen Wohnungen hat die Polizei die Stromkabel zu handlichen Stücken zerschnitten, so, daß man sie nicht mehr benutzen konnte. Stereoanlagen werden bei solchen Einsätzen besonders gern demoliert. Und in der Reuterstraße 45 haben sie in einer Wohnung einen Topf Stecknadeln ins Müsli geschüttet und umgerührt.

Insgesamt scheint die Taktik der Polizei im Augenblick darin zu bestehen, daß sie die gesamte Szene auflisten will. Die haben bestimmt schon Hunderte von Leuten erkennungsdienstlich behandelt. Das alles steht niemals irgendwo in der Presse, höchstens noch mal in der »Taz«. Und auch die Hausbesetzer selbst haben sich schon fast daran gewöhnt, das gehört irgendwie inzwischen dazu.

Auch an das, was die Polizisten so ablassen, wenn sie in den Wohnungen herumlaufen. In einem Haus haben sie sich die dort wohnenden Mädchen angeguckt und dann Sprüche losgelassen, mit welchen sie es nun am liebsten treiben würden und auf welche Weise. Dazu kam dann wieder so eine Neugierde: Wie sind die denn überhaupt und wie sehen die denn aus? Die ist doch ganz hübsch, wenn sie bloß nicht die Haare lila hätte.

Inti: Das Dollste, was ich bisher erlebt habe, das war diese Schlacht am Winterfeldplatz. Es sollte ein besetztes Haus in der Goltzstraße geräumt werden. Das ging mittags los. Einige Mannschaftswagen fuhren vor das Haus, die Polizisten stiegen aus und kriegten sofort ziemliche Senge.

Christian: Da gab es auch schon Barrikaden. Als die etwa dreißig Polizisten ausstiegen, gab es einen solchen Steinhagel, daß sie an das Haus nicht herangekommen sind. Sie haben noch nicht einmal geschafft, die Barrikaden abzubauen. Dabei mußte das Haus an diesem Tag geräumt werden, weil am nächsten Tag Markttag war, an dem man ja nur schlecht räumen konnte, und am folgenden Tag lief die Abrißgenehmigung für das Haus ab.

Heide: Die Abrißgenehmigung ist aber inzwischen verlängert worden. Es war praktisch das erste Mal seit langer Zeit, daß direkter Widerstand gegen eine Räumung geleistet wurde, und nicht erst einige Stunden später, mitten in der Nacht, Randale gemacht wurde.

Am selben Tag war schon ein anderes Haus geräumt und sofort abgerissen worden. Die Polizisten haben gesagt: »Spätestens um 18 Uhr ist hier sowieso alles leer.« Aber die Leute haben Barrikaden gebaut, so fest und dick und ordentlich hab ich die noch nie gesehen. Autos, Autoreifen, Plakatwände wurden da mannshoch aufgetürmt.

Inti: Da war ein Auto, ein Schrottauto. Nicht, daß das Gerücht auftaucht, es sei ein Privatwagen gewesen. Das Auto war abgemeldet und schon völlig kaputt.

Heide: Die Situation war so: Das ist ein riesiger Platz mit einer Kirche. Das besetzte Haus liegt praktisch gegenüber. Man braucht also die Straße nur rechts und links abzusperren, dann kommt niemand mehr an das Haus heran. Und das ist dann auch passiert. Die haben rechts und links Barrikaden errichtet. Alle Plakatwände, die in der Nähe herumstanden, wurden dafür benutzt, Wahlplakate, Marlboro-Plakate, was weiß ich. Dann sind Unmengen Steine, also schöne große von den Gehwegen, und aller mögliche Müll aufgeschichtet worden.

Christian: Müllcontainer auch. Die haben einen zwei Tonnen schweren Müllcontainer quer über die Straße gestellt. Mir ist schleierhaft, wie sie das gemacht haben. Das war wirklich stabil. Und dann haben die Bullen absolut nicht damit gerechnet, daß da abends 1000 Leute rumlaufen würden.

In der Nacht hat es so eine Randale gegeben, und die Leute haben sich so gewehrt, daß die Polizisten kein Land gesehen haben. Die haben über Funk immer nach Polizeireserve gerufen, aber es gab keine.

Heide: Die Leute haben sich einfach gesagt, dieses Haus schützen wir jetzt. Wir wollen nicht immer nur auf eine Räumung reagieren, wir wollen die Räumung verhindern. Und das ist im Endeffekt auch geschafft worden.

Am Nachmittag war die Situation noch etwas unübersichtlich. Kurz nach sechs Uhr hat ein Vertreter der »Alternativen Liste« den gutgemeinten Versuch unternommen, mit der Polizei zu verhandeln. Die Polizei hat ihm gesagt: »Wenn Sie jetzt eine Demonstration anmelden, dann werden wir die auch genehmigen. Wir räumen das Haus auch nicht. Verlassen Sie bloß die Barrikaden.«

Das hat der AL-Vertreter auch mitgeteilt. Da waren die Leute schon etwas sauer, so wegdirigiert zu werden. Aber die Bewohner des besetzten Hauses waren dafür, sich darauf einzulassen. Die wollten eine Räumung des Hauses nicht provozieren.

Die Leute haben dann gesagt: Gut, dann machen wir eben eine Demonstration, und sind sofort losgerannt, ohne darauf zu warten, daß die AL die Demonstration anmeldete. Wir haben darum gewettet, daß die Demonstration es nicht vier Blöcke weit schafft. In Wahrheit hat sie es auch nur drei Blöcke geschafft. In der Potsdamer Straße fing das Geknüppel an. Es ging dann Richtung Winterfeldplatz zurück, und dort begann eine stundenlange Schlägerei. Die Polizei war offenbar nur aufs Draufhauen aus, ich glaube, die haben an diesem Abend nur fünf Leute festgenommen.

Inti: Am nächsten Tag gab es eine große Schlagzeile: »105 Polizisten verletzt.« Davon waren 10 dienstunfähig und einer im Krankenhaus.

Heide: Bei den Demonstranten gab es ca. 100 Verletzte, darunter, wie schon gesagt, einen mit Gehirnblutung und einen mit Lungenriß. Insgesamt war das eine Auseinandersetzung, die sehr heftig geführt wurde. Die Leute, die Bescheid wußten, haben sich gesagt: Wir lassen die Polizei nicht an uns herankommen. Deshalb sind da viele Steine geworfen worden. Von der Polizeiseite aus wurde nur drauflos geknüppelt, wo immer es ging. Es war für uns unheimlich schwer, überhaupt an Verletzte heranzukommen. Sonst war es manchmal möglich, irgendwo durch die Reihen durch oder hintenrum oder so an Verletzte heranzukommen. Das, war am Winterfeldplatz fast unmöglich. Man mußte sich so, in Deckung halten, daß man möglichst überhaupt nicht gesehen wurde. Unser Sani-Zeichen war an diesem Abend, wirklich das Fadenkreuz, die Zielscheibe.

Christian: Das war wirklich Bürgerkrieg. Wir hatten gehört, daß es in der Kneipe »Ruine« Verletzte geben sollte. Wir sind gelaufen wie die Hasen, um überhaupt in die Kneipe zu kommen. Es stellte sich heraus, daß in der Kneipe ein Zuckerkranker war, der dringend eine Insulinspritze brauchte. Nun krieg mal jemanden bei so einer Art Bürgerkrieg aus der Kneipe raus. Wir haben dann ein Motorrad organisiert. Der Fahrer hat den Typen durch die Reihen durchgebracht. Wir mußten den Weg aus der Kneipe zurückgehen zu dem Haus, aus dem wir gekommen waren. Ich hab noch nie so Angst gehabt wie da. Wir waren auch noch nie so kaputt anschließend. Wir saßen dann zusammen, mehr oder weniger eingeschlossen in einem Haus, und haben zugeguckt, wie die Bullen die Leute zusammengehauen haben.

Inti: Über Stunden haben die Leute Gegenwehr geleistet. Überall, wo die Polizeifahrzeuge auftauchten, haben unheimlich viele Leute mit Steinen geworfen.

Jeder wußte eben: Wenn ich mir hier jetzt nicht mit Steinen Luft verschaffe, dann kann ich nicht einmal mehr die Kurve kratzen.

Christian: Da sind Sondereinsatzkommandos der polizei gerannt wie die Hasen. Bullen-Einsatzkommandos, SEK, die sind gerannt. Und ich hab zum ersten Mal gesehen, wie die Leute auf die Polizisten zugegangen sind.

Heide: Aber wir sind auch lange nicht so gerannt. Auch Journalisten, vom »Tagesspiegel« und von der »Taz« haben an dem Abend was auf die Fresse gekriegt von der Polizei.

Christian: Deshalb hatten wir auch eine ganz gute Presse. Wenn die Journalisten selbst etwas auf die Fresse kriegen, dann schreiben sie positiv.

Inti: Ich bin da auch mit ein paar anderen Sanitätern zusammen in so eine Situation geraten. Wir hatten eine verletzte Frau aufgesammelt, sozusagen zwischen den Fronten. Und wir standen da: auf der einen Seite die brennende Barrikade und auf der anderen Seite die Polizeikette. Auf die Polizei konnten wir nicht zugehen, weil wir mit Sicherheit Prügel bezogen hätten, auch die Frau, die eine ziemlich blutende Platzwunde am Kopf hatte. Wir sind zurückgegangen und haben uns vorsichtig durch eine Lücke in der brennenden Barrikade abgesetzt.

Die Polizei hat versucht, mit etwa zwei Hundertschaften die brennende Barrikade zu stürmen, was ihr auch teilweise gelang. Und eine Gruppe von etwa 30 Polizisten ist auf die andere Seite der Barrikade gelangt, und als sich ihre Kollegen dann wieder zurückzogen, waren diese 30 Mann völlig abgeschnitten zwischen den Fronten. Die standen plötzlich im Vakuum. Und es war reiner Zufall und viel Glück, daß sie da wieder rausgekommen sind.

Die Polizei hatte am Winterfeldplatz auch zum ersten Mal seit dem 12. Dezember wieder Wasserwerfer eingesetzt. Aber es ist ihnen nicht einmal gelungen, mit ihren Wasserwerfern die brennenden Barrikaden zu löschen.

Christian: Das war das erste Mal, daß die Polizisten richtig die Muffe gekriegt haben. Augenzeugen haben mitgekriegt, wie Einsatzleiter der Polizei ihre Leute aufgefordert haben, aus den Wannen auszusteigen, und die Polizisten haben sich einfach geweigert, die sind einfach nicht ausgestiegen, weil sie Angst hatten. Und später gab es eine Szene, da sind die Bullen von der einen Seite der Straße anmarschiert gekommen, mehrere Reihen stark. Mit ihren Helmen und Schildern und Schlagstöcken sahen sie aus wie die alten Römer bei einer Feldschlacht. Sie haben dann langsam und gleichmäßig mit ihren Knüppeln auf die Schilde getrommelt: tack, tack. Und von der anderen Seite her sind die Demonstranten gekommen, auch in mehreren Reihen, Und die hatten Pflastersteine in den Händen und haben die aneinander geschlagen: tack, tack, tack. Aus einem der Häuser tönte laute Rock- und Punk-Musik. Und fast automatisch sind die Polizisten in den Takt der Musik verfallen und haben im Rhythmus ihre Knüppel auf die Schilde gehauen. Und die Demonstranten sind auch in den Takt eingefallen und haben im selben Rhythmus ihre Steine aneinander gehauen. Das war, als würden zwei feindliche Heere aufeinander zumarschieren... Und wir waren mitten drin.

Heide: Das verändert Leute, die an solchen Auseinandersetzungen teilnehmen, natürlich ziemlich. Es gibt eine ganze Reihe von Leuten, die ursprünglich Gewalt abgelehnt haben, sich zumindest selbst nicht daran beteiligen wollten. Und dann haben sie plötzlich den ersten Knüppel abgekriegt, und dann sieht das alles ganz anders aus. Daraus haben viele die Konsequenzen gezogen. Nun sagen sie: Jetzt wehr ich mich auch. Oder andere, die sich an militanten Auseinandersetzungen nicht aktiv beteiligen wollen, sind auf diese Weise zum Sanidienst gestoßen.

Aus der Auseinandersetzung mit der Polizei hat sich für viele auch ein völlig neues Verhältnis zum Staat ergeben. Manch einer fragt sich: Was willst du eigentlich mit dem Verein zu tun haben? Du kannst dich natürlich nicht in ein Getto zurückziehen, aber es stellt sich doch die Frage, ob du noch weiterhin Bafög kassierst oder Sozialhilfe. Ich kenne eine ganze Reihe von Leuten, die sagen, das machen sie nicht mehr mit. Die verdienen sich halt ihren minimalen Lebensunterhalt, indem sie soviel wie gerade nötig arbeiten gehen, aber diese ganzen staatlichen Geschichten wollen sie nicht mehr. Aber das ist natürlich die Minderheit. Die Mehrheit holt sich schon das, was zu holen ist.

Insgesamt geht es im Augenblick darum, daß bestimmte Freiräume verteidigt werden. Für viele, die in besetzten Häusern leben, ist das fast eine Existenzfrage. Was sollen die machen, wo sollen die wohnen, wenn die Häuser geräumt werden? Vor allem können sie in den besetzten Häusern so wohnen, etwa mit anderen zusammen, wie sie es bisher getan haben. Das ist schon irgendwie eine soziale Bewegung, wobei niemand so recht weiß, wie es im Augenblick weitergehen soll. Die Bewegung hat halt auch ihre Grenzen. Welche von den jetzt eroberten Freiräumen auf längere Sicht zu erhalten sind, ist unklar.

Auf jeden Fall glaube ich nicht, daß sich diese Hausbesetzerbewegung auf Jahre hinaus halten wird. Ich befürchte, daß der Staat einen kleinen Teil der Leute einlullen wird, dadurch daß man ihnen Mietverträge gibt, ihre Wohnverhältnisse legalisiert, sie an bestimmten Modernisierungen beteiligt, in einzelnen Fragen auf sie eingeht. Aber andere werden nicht wissen, wohin sie sollen. Darüber hinaus wird ein großer Teil der Szene kriminalisiert, die Leute werden noch über Jahre mit ihren Prozessen zu tun haben.

Man kann auch nicht jeden Abend Randale machen. Letztlich ist der Staat stärker. Meiner Ansicht nach ist es wichtig, sich mit den Nachbarn, den normalen Mietern, zusammenzutun, mit denen z. B. gemeinsam etwas gegen den drohenden Abriß zu tun. Auf diese Weise müssen wir unsere Basis verbreitern.

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