März 1989 |
Draußen diskutierten jetzt verschiedene Leute, ab wir im Knast politische Gefangene waren oder nicht oder wer außer uns denn noch, aber das war mir ziemlich egal. Sie würden noch viel diskutieren, dieses und jenes, und rumzanken und Berge kreißen lassen und wichtige Papiere und Stellungnahmen verfassen und am Ende genausoweit sein wie vorher. Das hielt wenigstens den Geist auf Trab. Ich war ja auch so einer, diskutierte, was das Zeug hielt, redete mir den Kopf heiß und war oft nicht so sicher, ob die Dinge hinterher klarer waren als vorher. Das würde mir jetzt für eine Weile erspart bleiben, immerhin, eine gute Seite des Knastes: Hier war die Ruhe, mit sich selbst ins reine zu kommen, nachzudenken, die eigenen Gedanken nicht im Feuer der Diskussionen zu verheizen.
Die schlechten Seiten des Knastes überwogen allerdings.
Das Essen war beschissen, auch wenn man das Kommiß-Graubrot gegen Weißbrot tauschen konnte, welches wenigtens kein Sodbrennen verursachte. Ich überlegte mir schon, zum Islam überzutreten: Da sah die Speisekarte entschieden besser aus. Zuerst aber wollte ich mal den zuständigen Pfaffen kennenlernen. Knastpfarrer konnten manchmal ganz vernünftig sein (je vernünftiger sie waren, desto kürzer blieben sie im Amt). Und es war im Knast eine der wichtigeren Beschäftigungen, Gesprächspartner zu finden. Ich dachte daran, daß die Leute, die lange im Knast waren, oft so leise und langsam sprachen, so, als müßten sie sich erst wieder daran gewöhnen, daß jemand sie hören konnte. Wie sollte es auch anders sein. Und nun die Isolation: Wir unterlagen nicht dem ganzen Programm der Isolationshaft, wie es an den Gefangenen der RAF exekutiert wurde, doch es blieb für uns genug Unangenehmes übrig. Einzelhofgang, Einzelduschen, Ausschluß von Gemeinschaftsveranstaltungen, häufige Durchsuchungen der Zelle, all das ohne offiziellen Beschluß (jedenfalls kriegte ich keinen). Menschen sah ich, abgesehen von den Schließern, nur entfernt, auf den Gängen manchmal, oder auf dem Hof, wenn ich mich am Fenstergriff hochgezogen hatte und unten eine Station gerade Hofgang hatte. Und die Besucher, die Freunde von draußen, fast schon fremd, die dünnen Fäden in die andere Welt der Menschen, aus der ich weggeholt worden war. Meine Besucher, die eigentlich »drinnen« waren, während ich »draußen« war: herausgerissen aus Leben und Alltag, in ein fremdes Land mit fremder Sprache verschlagen. Die Trennscheibe steigerte es ins Absurde. Wer saß nun im Aquarium, ich oder sie? Die Sprechanlage war kaputt oder absichtlich schlecht, und wir mußten uns fast anbrüllen. Panzerglas, wie es sein mußte: glatt, durchsichtig harmlos, vernichtend.
Dieses Glas trotzte jeder Gewaltfantasie. Hier würde alles abprallen. Da mußten Hämmer her, die noch nicht geschmiedet worden waren, oder Pulver, die noch niemand gemischt hatte. Je dünner das Glas war, desto gewalttätiger erniedrigte es die Menschen diesseits und jenseits. Irgendwann würde es dünn wie ein Molekül sein, und uns würde der Atem davor vergehen. Was sollten da noch Steine? Sie würden niemals ankommen.
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