105

Meinungen zu den Krawallen       
Die Leitung der evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg sagte, die Hausbesetzungen wiesen auf schwerwiegende Mängel in der Wohnungsversorgung. Die dabei auftretenden sozialen Spannungen seien nur mit politischer Vernunft zu überwinden. Die Landesvertretung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) verurteilte den "brutalen Polizeieinsatz". Sie erklärte sich mit den Instandbesetzern solidarisch und kritisierte die Wohnungspolitik, die auf Vernichtung billigen Wohnraums hinauslaufe. Die GEW forderte den Senat auf, derartige Probleme nicht mit dem Polizeiknüppel zu lösen. Die Alternative Liste wandte sich gegen Versuche, die "Instandbesetzer" von der Berliner Bevölkerung zu isolieren , um ein brutales Vorgehen der Polizei zu rechtfertigen.
Ost-Berliner Zeitungen berichteten gestern ausführlich über die Auseinandersetzungen. Das "Neue Deutschland" und die "Berliner Zeitung" schrieben über "mehrere Hundertschaften bürgerkriegsmäßig ausgerüsteter Bereitschaftspolizei. Junge Hamburger schlugen am Montagabend rund 20 Schaufensterscheiben in Hamburg-Altona ein.   S.L. (Abend 17.12.80)

Blockade der Pfarrer
"Eins, zwei, drei, laßt die Leute frei." Diese Forderung rufend, blockierten gester nachmittag von 15 Uhr an für rund eine Stunde etwa 100 Studenten des TU-Fachbereichs für Stadt- und Regionalplanung die Dovestraße vor ihrem Institut. Sie demonstrierten ihre Solidarität mit den Instandbesetzern und forderten die Freilassung der bei den Auseinandersetzungen der letzten Tage verhafteten Demonstranten.
"So sehr wir die gewaltsamen Auseinandersetzungen bedauern, so sehr sehen wir ihre Ursachen in der Wohnungsnot und dem unangemessenem Vorgehen der Polizei," erklärten die Stadtplaner in einem Flugblatt. Dort schildern sie auch die Wohnungsnot: "Allein 80 000 Berliner besitzen einen Wohnberechtigungsschein. Weit mehr als 100 000 suchen eine Wohnung. Zur Zeit stehen laut Senat 7000 Wohnungen leer. Die Dunkelziffer ist wesentlich höher. Bis 1990 sollen nach Senatsplänen zusätzlich 180 000 billige Wohnungen vernichtet werden."    B.R. (Abend, 19.12)

Eine Reihe prominenter Berliner Theologen und Sozialdemokraten hat den Senat aufgefordert, die anstehenden Prozesse gegen Hausbesetzer zu "stornieren" und damit einen Beitrag zur Entschärfung des Konflikts um die Kreuzberger Hausbesetzungen zu leisten. Polizeimaßnahmen taugten hierzu nicht, heißt es in einem Appell, der u. a. von Helmut GolIwitzer und Kurt Scharf, Carl-Heinz Evers, Prof. Fritz Eberhard und Ingeborg Drewitz unterzeichnet ist. Man habe vielmehr den Eindruck, daß junge und unerfahrene Polizisten durch Entscheidungen überfordert wurden, "deren Betroffene sie dann bedauerlicherweise geworden sind". Im Moltke-Saal in der Polizeidirektion City in der Kruppstraße fand gestern nachmittag eine Einsatzbesprechung mit etwa 100 meist höheren Polizeibeamten statt. Dem VOLKSBLATT wurde ge- (Spandauer Volksblatt 20.12.80)

"Volle Sympathie" haben die "Instandbesetzer nach Meinung des Superintendenten des evangelischen Kirchenkreises Kreuzberg, Gustav Roth, bei der Bevölkerung in seinem Bezirk. Ein DDR-Journalist soli bei der Straßenschlacht am Montag von einem Polizisten mit einem "Kampfschild" niedergestoßen und verletzt worden sein, meldete die amtliche DDR-Nachrichtenagentur gestern abend. BR. (Abend 18.12.80)

Gestern haben sich elf Professoren von TU und FU gemeinsam mit zwei Studentenpfarrern, der Schriftstellerin Ingeborg Drewitz, dem Rechtsanwalt und FDP-Politiker Harald Loch und der katholischen Studentengemeinde solidarisch mit der wohnungspolitischen Zielsetzung der Hausbesetzer-Gruppen erklärt. Wegen der großen Wohnungnot in Berlin sei dieses Verhalten "legitim und moralisch verantwortbar". (Spandauer Volksblatt 14.1.81)

Freilassung aller Inhaftierten gefordert
In einer Pressemitteilung hat die Alternative Liste (AL) die sofortige Freilassung auch der übrigen Instandbesetzer gefordert. Der Senat trage die vollle Verantwortung für alle Konsequenzen, die sich aus dieser Entscheidung der Justiz ergeben würden. Die Alternative Liste appellierte In diesem Zusammenhang an die evnagelische Kirche, die Weihnachtandacht der nächsten Tage auch dazu zu nutzen, auf die Ihrer Ansicht nach verfehlte Miet- und Baupolitik der Stadt aufmerksam zu machen. (Tsp/dpa) Tagesspiegel 24.12.80

<- back | next ->