SPRAYATHEN UPSIDE DOWN

es ist spätsommer 1982. 'berlin ist immer noch die hauptstadt der hausbesetzer', stand vor zwei wochen im 'volksblatt'. 123 häuser in berlin, weitere 46 im bundesgebiet sind - noch - besetzt. mitte mai '81 waren es in berlin 168 häuser. das war der höchste stand. von den zahlen her sieht das gar nicht so schlecht aus. ende februar 1981 hielten wir in berlin gerade bei 100 häusern. aber wie anders die stimmung damals war! ich lese einen alten 'witz des tages' in der 'b.z.' vom 12.2.81

GESPRÄCH ZWISCHEN JUNGEN LEUTEN
GEHEN WIR AM SONNABEND INS KINO
ODER BESETZEN WIR EIN HAUS
LASST UNS LIEBER EIN HAUS BESETZEN
ICH WÜSSTE DA AUCH SCHON EINS
ES STEHT BEI MIR AM MEHRINGDAMM &
SIEHT NOCH GANZ GUT AUS
NEE LIEBER NICHT
DIE GEGEND IST MIR ZU LAUT

das war die zeit als der spd-übergangssenat verlauten ließ: sinnlos, besetzte häuser zu räumen, es stehen so viele häuser leer, daß die geräumten besetzer gleich wieder woanders besetzen würden. 'vogel arbeitet für berlin'-plakate von der spd sahst du damals überall. auch gegenplakate: 'arbeiter, vögelt für berlin - spd' oder ' vogel vögelt für berlin - spd'. und an hauswänden, gesprüht: 'der senat hat einen vogel' und: 'wir haben noch jeden vogel abgeschossen'.

ich sitze an der schreibmaschine. macht mir seit langer zeit wieder spaß. und es tut sich nicht mehr so viel, was mich davon abhalten würde. im gegenteil: es drängt mich eher, möglichst schnell meine gedanken aufzuschreiben. hab so ein Gefühl, die bewegung fällt immer mehr in sich zusammen. dieses gefühl ist, nicht nur meins und es ist auch ncht neu. schon vor 1 1/2 jahren, im märz 1981, kam der ruf nach 'mehr fantasie' auf und ist seitdem nicht mehr verstummt. auf jeder vollversammlung konntest du das hören. auch damals schon, als der im januar zusammengebrochene senat voll in der defensive war, täglich ein neues haus besetzt wurde und die bewegung im mittelpunkt öffentlicher beachtung stand. damals schrieb ich an eine freundin:

die zahl der besetzten häuser hat noch mehr zugenommen, bald 120. keiner hat mehr den überblick. ... zwei räumungen, gegendemo, viele festnahmen (ca. 50). wenn es so weitergeht, gibt es bald wieder einen ohnesorg. einen verhafteten haben sie so zusammengeschlagen, daß er kaum je wieder laufen wird können. große aufregung über die neuesten geschehnisse. und springer hetzt wie in alten zeiten. in den nächsten tagen wird es viel krach geben. ... heute war ich auf der besetzer-vollversammlung. es wurde wild diskutiert. sehr gegensätzlich. aber gleichzeitig in einer undogmatischen atmosfäre, die mich an '68 erinnert hat. damals gab es auch solche diskussionen, ungeheuer hektisch und bestimmt durch das gefühl, hier und jetzt entscheidungen treffen und doch zugleich experimentieren zu müssen. erst später gab's dann diese fraktionierungen, als sich ganze weltanschauungen als geschlossene systeme gegenübertraten. ob das auch bald wieder so werden wird? ich hoffe nicht, mußte aber doch sehr daran denken. also besetzer-vv: da sprachen die einen für dezentrale aktionen, die anderen für offene straßenschlachten. die männer waren in 'hau-drauf'-stimmung, drei frauen dagegen verbanden mit 'offensive' was anderes als bloß kaputte fenster und verlangten spaß-aktionen.. eine schlug vor, aus der gemäldegalerie des schlosses charlottenburg ein bild zu klauen und es in ein besetztes haus zu schaffen. 'kunstwerke', die eh keiner ansieht, zum räumungsschutz zu verwenden. oder aber das schloß charlottenburg zu besetzen. es war ein gewisses unbehagen erkennbar an dem zirkel 'gewalt-gegengewalt-verhaftungen' usw.. wieder von vorn. obwohl aber dieses bedürfnis nach mehr spaß in den auseinandersetzungen besteht, wird auf der anderen seite doch sehr in gewaltkategorien gedacht. weshalb dann die jokes als b l o ß ein joke angesehen werden.

hat sich also gar nichts verändert? doch. die innere müdigkeit der bewegung hat zugenommen. vollversammlungen wie die beschriebene gibt es kaum mehr.

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