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Meinungen zu den Krawallen
Die Leitung der evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg sagte,
die Hausbesetzungen wiesen auf schwerwiegende Mängel in der Wohnungsversorgung.
Die dabei auftretenden sozialen Spannungen seien nur mit politischer
Vernunft zu überwinden. Die Landesvertretung der Gewerkschaft
Erziehung und Wissenschaft (GEW) verurteilte den "brutalen
Polizeieinsatz". Sie erklärte sich mit den Instandbesetzern
solidarisch und kritisierte die Wohnungspolitik, die auf Vernichtung
billigen Wohnraums hinauslaufe. Die GEW forderte den Senat auf, derartige
Probleme nicht mit dem Polizeiknüppel zu lösen. Die Alternative
Liste wandte sich gegen Versuche, die "Instandbesetzer"
von der Berliner Bevölkerung zu isolieren , um ein brutales Vorgehen
der Polizei zu rechtfertigen.
Ost-Berliner Zeitungen berichteten gestern ausführlich über
die Auseinandersetzungen. Das "Neue Deutschland" und die "Berliner
Zeitung" schrieben über "mehrere Hundertschaften
bürgerkriegsmäßig ausgerüsteter Bereitschaftspolizei.
Junge Hamburger schlugen am Montagabend rund 20 Schaufensterscheiben
in Hamburg-Altona ein. S.L. (Abend 17.12.80)
Blockade der Pfarrer
"Eins, zwei, drei, laßt die Leute frei."
Diese Forderung rufend, blockierten gester nachmittag von 15 Uhr an
für rund eine Stunde etwa 100 Studenten des TU-Fachbereichs für
Stadt- und Regionalplanung die Dovestraße vor ihrem Institut.
Sie demonstrierten ihre Solidarität mit den Instandbesetzern und
forderten die Freilassung der bei den Auseinandersetzungen der letzten
Tage verhafteten Demonstranten.
"So sehr wir die gewaltsamen Auseinandersetzungen bedauern, so
sehr sehen wir ihre Ursachen in der Wohnungsnot und dem unangemessenem
Vorgehen der Polizei," erklärten die Stadtplaner in einem
Flugblatt. Dort schildern sie auch die Wohnungsnot: "Allein 80
000 Berliner besitzen einen Wohnberechtigungsschein. Weit mehr als 100
000 suchen eine Wohnung. Zur Zeit stehen laut Senat 7000 Wohnungen leer.
Die Dunkelziffer ist wesentlich höher. Bis 1990 sollen nach Senatsplänen
zusätzlich 180 000 billige Wohnungen vernichtet werden." B.R.
(Abend, 19.12)
Eine Reihe prominenter Berliner Theologen und Sozialdemokraten
hat den Senat aufgefordert, die anstehenden Prozesse gegen Hausbesetzer
zu "stornieren" und damit einen Beitrag zur Entschärfung
des Konflikts um die Kreuzberger Hausbesetzungen zu leisten. Polizeimaßnahmen
taugten hierzu nicht, heißt es in einem Appell, der u. a. von
Helmut GolIwitzer und Kurt Scharf, Carl-Heinz Evers, Prof. Fritz Eberhard
und Ingeborg Drewitz unterzeichnet ist. Man habe vielmehr den Eindruck,
daß junge und unerfahrene Polizisten durch Entscheidungen überfordert
wurden, "deren Betroffene sie dann bedauerlicherweise geworden sind".
Im Moltke-Saal in der Polizeidirektion City in der Kruppstraße fand
gestern nachmittag eine Einsatzbesprechung mit etwa 100 meist höheren
Polizeibeamten statt. Dem VOLKSBLATT wurde ge- (Spandauer Volksblatt 20.12.80)
"Volle Sympathie" haben die "Instandbesetzer
nach Meinung des Superintendenten des evangelischen Kirchenkreises
Kreuzberg, Gustav Roth, bei der Bevölkerung in seinem
Bezirk. Ein DDR-Journalist soli bei der Straßenschlacht am Montag
von einem Polizisten mit einem "Kampfschild" niedergestoßen
und verletzt worden sein, meldete die amtliche DDR-Nachrichtenagentur
gestern abend. BR. (Abend 18.12.80)
Gestern haben sich elf Professoren von TU
und FU gemeinsam
mit zwei Studentenpfarrern, der Schriftstellerin Ingeborg Drewitz, dem
Rechtsanwalt und FDP-Politiker Harald Loch und der katholischen Studentengemeinde
solidarisch mit der wohnungspolitischen Zielsetzung der Hausbesetzer-Gruppen
erklärt. Wegen der großen Wohnungnot in Berlin sei dieses Verhalten
"legitim und moralisch verantwortbar". (Spandauer Volksblatt
14.1.81)
Freilassung aller Inhaftierten gefordert
In einer Pressemitteilung
hat die Alternative Liste (AL) die sofortige Freilassung auch der übrigen
Instandbesetzer gefordert. Der Senat trage die vollle Verantwortung für
alle Konsequenzen, die sich aus dieser Entscheidung der Justiz ergeben
würden. Die Alternative Liste appellierte In diesem Zusammenhang
an die evnagelische Kirche, die Weihnachtandacht der nächsten Tage
auch dazu zu nutzen, auf die Ihrer Ansicht nach verfehlte Miet- und Baupolitik
der Stadt aufmerksam zu machen. (Tsp/dpa) Tagesspiegel
24.12.80
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