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Ein Brief von Christian Müller, Pfarrer für die Seelsorge Nichtseßhafter, an Herrn Bischof Kruse:

"Sehr geehrter Herr Bischof, als Augenzeuge der Ereignisse, die sich um die Räumung des Hauses Bülowstr. 89 in Schöneberg heute abspielten, wende ich mich an Sie, um Sie davon zu informieren und mit der Bitte, Ihren ganzen Einfluß geltend zu machen, damit sich Ähnliches nicht wiederholt. Im Haus Bülowstr. 89 wohnten seit Anfang März auch einige Obdachlose. Von daher bin ich mit der Entwicklung im Haus vertraut. Doch ich will mich hier nicht zu der Frage der Hausbesetzungen äußern, sondern zu den heutigen Vorgängen. In der Beratungsstelle des Diakonischen Werkes in der Levetzowstraße erfuhr ich heute vormittag, daß die Bülowstr. 89 geräumt werde. Daraufhin fuhr ich dorthin. Die Situation war dort ruhig. Die eine Fahrbahn war durch Polizei abgesperrt. Nach und nach wurden Besetzer und Paten aus dem Haus geführt, ihre Personalien aufgenommen und dann freigelassen. Nach deren Aussagen verlief auch die Räumung im Haus relativ ruhig. Jede Gewaltanwendung von Seiten der Bewohner unterblieb. Einige ließen sich heruntertragen. Dabei sei die Polizei nicht gerade zimperlich vorgegangen. In zwei Situationen kam es zu einer gereizten Stimmung. Einmal fuhr ein Wasserwerfer auf der anderen Straßenseite vorbei, der mit der Räumung der Bülowstraße nichts zu tun hatte und richtete total unmotiviert seinen Wasserstrahl auf die Leute, die unter der Hochbahn standen.Das zweite Mal wurde einer der Bewohner, der nicht laufen wollte, von zwei Polizisten quer über den Bürgersteig geschleppt bis hinter die Absperrung. Insgesamt aber eine äußerst ruhige und nicht aggressive Stimmung. Der letzte Bewohner war eben aus dem Haus gebracht, da, ich traute meinen Augen nicht, tauchte Herr Lummer mit Fernsehkameras und Presseleuten vor dem Haus auf und ging in das Haus. Dies empfand ich wie alle Umstehenden als eine einzige Provokation. Man konnte Herrn Lummer ab und zu durch die Fenster des Hauses sehen, Fernsehleute gingen auf den Balkon und filmten die Menschenmenge, die sich nun hinter der Absperrung sammelte. Es gab Sprechchöre, jedoch kam es zu keinerlei Gewalttätigkeiten; es flogen keine Steine. Allerdings holte die Polizei nun auch wieder die Hunde hervor, die sie vor dem Auftauchen des Herrn Lummer eingeschlossen hatten. Ich stand recht dicht von der Polizeikette entfernt (ca. 2 m), als plötzlich ohne jede Vorwarnung und ohne daß ein Grund ersichtlich war, die Polizei mit Schlagstöcken auf uns zustürmte und uns auf die nicht abgesperrte Gegenfahrbahn trieb. Die Folge war, daß eine kleine Panik ausbrach, die Menschen teilweise übereinanderstürzten und vor den anstürmenden Polizisten in Richtung Potsdamer Straße flohen. Da der Fahrzeugverkehr nicht gestoppt war, sahen sich plötzlich hunderte von Menschen zwischen den fahrenden Autos. Ein BVG-Bus, der anfangs noch jenseits der Kreuzung in der Potsdamer Straße gestanden hatte, versuchte noch durch die Menschenmenge auf die andere Seite zu kommen. Einige vereinzelte Steine flogen nun auch in Richtung der herankommenden Polizisten. Folge dieser Panik: ein Mensch wurde von dem Bus überrollt, nach Auskunft von Leuten, die unmittelbar in der Nähe waren, wurde der Verletzte noch einige Meter mitgeschleppt und soll tot sein. Beim Bus wurden einige Fenster durch Steine eingeworfen. Mir geht es
 

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