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Tod von Olaf, Hamburg '80

Über ein Jahr ist vergangen, seitdem in Hamburg der 16-jährige Olaf Ritzmann unter ähnlichen Umständen in den Tod getrieben wurde, wie jetzt Klaus-Jürgen Rattay in Berlin. Olaf war zusammen mit anderen im Anschluß an die Anti-Strauß-Demo am 25. August 1980 vor einer Hundertschaft Polizei geflohen, die knüppelschwingend in den S-Bahnhof Sternschanze stürmte. Vor dem Bahnhof war einige Zeit zuvor die Demonstration beendet worden, die Demonstranten befanden sich auf dem Heimweg. Die eintreffende Hundertschaft der "Alarmabteilung" der Hamburger Polizei verfolgte die flüchtenden Demonstranten bis zum oberen Teil der Treppe zum Bahnsteig. In panischer Angst flüchteten etliche Demonstranten auf die Gleisanlagen. Auf dem Rückweg zum Bahnsteig wurde Olaf Ritzmann von einer S-Bahn erfaßt und tödlich verletzt. Auf einen Wink der Polizei hin wurde sein Leben noch Tage künstlich verlängert, um "Krawallen" vorzubeugen. Seine Leiche wurde beschlagnahmt.

Nur Polizei, Senat und Springer-Presse war von Anfang an klar: Mit dem Tod von Olaf Ritzmann hatten sie nichts zu tun. Zuerst wurde die Anwesenheit von Polizei am Bahnhof vor dem tödlichen Unfall ganz bestritten. Aus der Flucht auf die Gleise wurde jugendlicher Obermut: "Nach übereinstimmenden Berichten von Polizei und Bahnpolizei tobten die zum Teil jugendlichen Demonstrationsteilnehmer dann über die Gleise in Richtung Altona weiter" (HA, 2.8.1980). Insgesamt viermal veränderte die Polizei die offizielle Version und reagierte auf die Veröffentlichungen des Ermittlungsausschusses. Die BamS faßte die bürgerliche Sicht der Dinge so zusammen: "Der 16-jährige Olaf Ritzmann war am Freitag an seinen Verletzungen gestorben, Zusammen mit anderen Demonstranten war er in einen Bahnhof gestürmt und dabei vor einen Zug gestürzt" (BamS, 31.8.1980).

Da wundert es nicht, daß jetzt in Berlin die Version verbreitet wurde, Klaus Jürgen Rattay sei auf die Stoßstange des BVG-Busses gesprungen und bei dem Versuch, dessen Scheibe einzuschlagen unter die Räder geraten.

Daß überhaupt die Polizeiversion erschüttert und in der Öffentlichkeit ein wahrheitsgetreues Bild der Geschehnisse verbreitet werden konnte, ist auf die Tätigkeit des Ermittlungsausschusses zurückzuführen, der sofort nach dem 25. August 1980 Augenzeugenberichte sammelte, die schon wenige Tage später ein präzises Bild des tatsächlichen Ablaufs der Ereignisse ermöglichten. Auf der Grundlage von über 100 Augenzeugenberichten wurde Anzeige gegen die Verantwortlichen für den Polizeieinsatz an der Sternschanze gestellt, zu deren Unterstützung 1.500 Unterschriften gesammelt wurden. Aufgrund dieser Anzeige wird nun seit einem Jahr von der Hamburger Polizei und Staatsanwaltschaft ermittelt. Die Ermittlungsakten sind auf 300 Seiten angewachsen, ohne faßbare Ergebnisse hervorgebracht zu haben. Die polizeilichen Ermittlungen verfolgen das Ziel, die sattsam bekannte Polizeiversion zu untermauern. Nur unwesentlich Neues kam dabei zutage. In den Ermittlungsakten stehen sich die Aussagen von Polizisten einerseits und Demonstranten, Passanten und Rote-Kreuz-Sanitätern andererseits gegenüber. Auftretende Widersprü-

 

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