VI) Der 22. September

Solch eine Bewegung hat keine "längerfristige Perspektive" in diesem Land und in dieser Zeit. Auch die Welle des öffentlichen Interesses und der Sympathie ist ein windiger Bündnispartner. Auf die Dauer setzt nicht Power, sondern Gewohnheit sich durch. Wer die Macht im Staate hat das war eine von Bürgerangst an die Macht gehievte CDU sich schuldig - ; zeigt der neue Innensenator Lummer den Besetzern und ihren Unterstützern am 22. September '81. Aus acht besetzten Häusern läßt er insgesamt mehr als 1200 Personen von der Polizei als Hausfriedensbrecher abtransportieren: Besetzer, liberale Professoren, linke Post-, Bank- und Senatsangestellte, solidarische Arbeiter, Krankenschwestern, Pfarrer, Lehrer und Eltern, die zu ihren besetzenden Kindern gehalten hatten. Denn nach dem "Wechsel" hat die gesamte linksliberale Szene der Stadt zum Schutze der Besetzer sogenannte "Patenschaften" für besetzte Häuser übernommen, um sie gegen die erwartete "große Abräume" der Reaktion in Schutz zu nehmen.

Sie alle können die Räumungen nicht verhindern.

Als Innensenator Lummer in einem frisch geräumten Haus in Siegerpose eine Pressekonferenz abhält, brüllen die angesichts der Übermacht eher friedlichen Demonstranten vor dem Haus in ohnmächtiger Wut. Sie werden mit Knüppeln und Hunden die Straße hinuntergejagt. Einer von ihnen wird dabei in einen BVG-Bus getrieben und stirbt unter den Rädern. Die Polizei räumt mit Wasserwerfern und Tränengas die Todesstelle, Stiefel zertreten die Blumen, die auf die Blutlache gelegt wurden. Am Abend demonstrieren über 20 000, und in der unvermeidlichen, brutalen Schlacht nehmen viele zum ersten Mal seit '68 wieder einen Stein in die Hand. Das allgemeine Erschrecken in den Tagen danach, die Betroffenheit, Krisensitzung zum Erhalt des inneren Friedens, schwere Vorwürfe gegen den "blutigen lnnensenator" können letztlich nicht darüber hinwegtäuschen, daß dieser Tag eine entscheidende Niederlage für die Bewegung ist. Ein Mythos ist gebrochen, der 12. 12. hat seine grausame staatliche Revance erlebt, der Aufbruchsstimmung folgt unwiderruflich das Rollback, und zwischen den Fronten liegt ein Toter: Klaus-Jürgen Rattay.

VII) Abgesang?

Der zwingenden Logik der Staatsräson kann sich freilich auch der CDU-Senat nicht entziehen. Und die Staatsräson gebietet nicht den totalen Krieg gegen die Bewegung, sondern ihre Integration, zumindest teilweise. Räumungen verursachen unnötige Kosten: Der leeren Staatskasse kommt die Instandsetzung in Selbsthilfe sehr entgegen. Die sozialen Kosten, die "frustrierte" und aus ihren selbstgeschaffenen Zusammenhängen gerissene Jugendliche verursachen, denen man in der Krise ohnehin kaum eine Perspektive bieten kann, wären immens. Nach dem Paukenschlag verzichtet der Senat auf weitere Spektakel, räumt, um kein Oberwasser aufkommen zu lassen, zuweilen ein Haus, bemüht sich aber gleichzeitig um Verhandlungen und Legalisierung besetzter Häuser. Die Strategie lautet: abwarten und spalten.

Tatsächlich ist es kein Pappenstiel, nun schon fast zwei Jahre unter ungesicherten Verhältnissen in Baustellen, teilweise auch Ruinen zu wohnen, das neue Zusammenleben zu orga-

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