geiwirtschaft im eigenen Lager. Ein Senatskopf nach dem anderen rollt unter unwürdigen Umständen, bis schließlich der interne Heckmeck im Sturz des Bürgermeisters Dietrich Stobbe endet.

Derart mit sich selbst beschäftigt, läßt der Staatsapparat um des lieben Friedens willen die Zügel schleifen. Und die Bewegung läßt die Puppen tanzen. Innerhalb von drei Monaten werden mehr als hundert leerstehende Häuser besetzt. Was vor kurzem noch ein Wagnis für Beherzte war, wird zum allgemeinen Volkssport der jüngeren Generation. Längst sind die Besetzungen aus Kreuzberg nach Schöneberg, Moabit, Charlottenburg, Wedding und Neukölln geschwappt. Selbst im feinen Zehlendorf hängt plötzlich aus der einen oder anderen Villa ein Transparent.

Nachbarn stiften alte Möbel und stecken Geld in Spendenbüchsen. Langsam wird das Angebot an besetzbaren Häusern knapp. Teilweise von den verbliebenen, sanierungsbedrohten Mietern selbst geholt, werden auch noch halbbewohnte Häuser besetzt. Die Polizei verhindert eher zufällig ab und an eine Neubesetzung. Wenn die Transparente erst mal aus dem Fenster hängen, beschränkt sie sich dar auf, das "Objekt" in ihre immer länger werdende Liste einzutragen. Nur in unmittelbarer Nachbarschaft der Moabiter Gerichts- und Gefängnisburg versteht sie keinen Spaß. Im "Sicherheitsbereich" wird grundsätzlich geräumt. Die dortigen Richter und Staatsanwälte verstehen sich als letztes Bollwerk gegen das Chaos und verhängen drakonische Urteile wegen "schweren Landfriedensbruches". Die Scene reagiert darauf erneut mit Steinen. Die Forderung nach Amnestie wird auch von Linksliberalen erhoben. Doch die reaktionäre Moabiter Richter- und Staatsanwaltschaft bleibt stur. Sie strengt im Gegenteil Verfahren gegen mehrere Senatoren und den Polizeipräsidenten an, da diese ihrer Meinung nach durch politische Weigerungen, Häuser räumen bzw. durchsuchen zu lassen, sich der "Strafvereitelung im Amt" schuldig gemacht hätten.

Springer und die CDU jammern und hetzen lauthals mit über die "kriminellen Chaoten" und spöttischen Verächter des Rechtsstaates, gegen die gleichwohl kein Kraut gewachsen ist.

V) Rechtsfreie Räume - Schönheit & Stolz

Während die Obrigkeit also uneins und die Polizei ratlos ist und die Öffentlichkeit sich mehr oder weniger wohlwollend an die Besetzer zu gewöhnen beginnt, entwickeln diese eine neue politische und soziale Kultur in den dank des Machtvakuums eroberten "rechtsfreien Räumen". "Legal, illegal, scheißegal!" heißt die Programmatik und "Macht aus dem Staat Gurkensalat". Nicht wenige halten dies aufgrund der offensichtlichen Erfolge und im wohligen Gefühl dessen, der im Mittelpunkt des Interesses steht, durchaus für machbar - wie, das wird man schon noch sehen. "Vor einem Jahr hätte auch keiner geglaubt, daß wir 130 Häuser besetzen können", erklärte mir damals ein Besetzer, "warum sollen die Arbeiter denn nicht anfangen, die Fabriken zu besetzen und die Schüler ihre eigene Schule machen oder am besten gar keine? Es geht doch, wie man sieht." Allerdings sofort und alles! Denn die Perspektive, wenn du unbedingt fragen mußt, ist "no future" und "Deutschland, Deutschland, alles ist vorbei!" - Ist doch klar, daß hier demnächst die Pershings losgehen oder sonst das Plastik- und Beton-System sich selbst verseuchen, vergiften und uns alle dabei vernichten wird.

Der kompromißlose Kampf gegen das "Schweinesystem" wird nicht für eine bessere Zukunft geführt, schon gar nicht zwecks Eroberung der Macht und Etablierung einer anderen, besseren Gesellschaftsform. Ja, "Anarchie ist machbar, Frau Nachbar!", aber nur hier und jetzt, im Kampf, in dem wir lieben und leben und hassen mit "Gefühl & Härte".

Was verspräche mehr Glück und Freiheit als die Intensität der action, der lauthals lachende Sieg der Frechheit, der Stolz des Fighters in dem Moment, in dem sich die Angst in Triumph verwandelt?

Was sprechen sie von Farben, die Realpolitiker und Sozialtechniker? Sie müssen blind sein. Die Realität ist grau und die Zukunft schwarz. Nur in unseren Träumen des Glückes und der Wut aber schillern alle Farben des Regenbogens, wenn das Licht sich darin bricht.

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