JETZT REDET DAS RADIO VON RÄUMUNG, während der zweite Wecker
hellgelb zu schnarren beginnt.
Doch auf ihrem Schoß hatte sich Erich an die Haig-Demo erinnert
- vielleicht war das der Höhepunkt der Kämpfe in den Straßen,
hatte er überlegt. Vielleicht, vielleicht, hatte Vera gelispelt und
ihre schlanken, harten Finger, die spitzigen Fingernägel auf Erichs
große Lippen gelegt.
Er hatte gedacht: Na ja, was weiß ich schon. Und hatte sich an ihre
Flucht erinnert, durch einen muffigen Treppenaufgang, mit dem Geruch geschälter
Kartoffeln, die zu lang im Wasser lagen, die Gruppe hatte den Dachboden,
ein atemloser Pulk, erreicht. Einer hatte die Tür eingetreten, alle
hatten gedrängelt. »Ej, du Arsch, bleib locker!« jemand
hatte einen Tisch unter die Dachluke geschoben. Das Holz war mürbe.
Die Teerpappe lose. Erich war gestolpert. Und mit dem rechten Fuß
umgeknickt. Manchmal bist du so ungeschickt. Er hatte ihr durch die Luke
geholfen. Er hatte auf der Planke gestanden und sich am Schornstein festgehalten
und versucht, nicht hinunter auf die schwankende Straße zu sehen.
Ein Bild ohne feste Ränder, »ich kann so etwas nicht«.
Die Bullen warn schon im Treppenhaus mit Schilden und Stiefeln zu hören
gewesen. Ich schaff das nicht, hatte Erich gesagt. Mit mir, hatte sie
geflüstert, kannst du das, los, halt dich fest.
DAS RADIO REDET VON RÄUMUNG.
So hatte er auf ihrem Schoß gesessen. Sie hatte ihn zwischen den
Beinen gestreichelt. Sein Kopf war innen wie wundgerieben und wollte und
wußte gar nichts.
DAS RADIO REDET UNDEUTLICH VON ANHALTENDEN UNRUHEN am Winterfeldtplatz
in Schöneberg und auf der Potsdamer Straße.
Aber alles war einfach gewesen. Sie waren zu ihr rausgefahren. Sie waren
mit ihrem Auto gefahren. Es war eine ziemlich große WG. In einem
ziemlich großen Haus. Von einem kirchlichen Verein. Von der katholischen
Kirche. Aha, hatte Erich gesagt.
Sie hatten niemanden angetroffen. Er hatte sich die zwei Wecker gestellt.
Sie hatte das Bett zurückgeschlagen. Er hatte die Vorhänge zugezogen.
Sie hatte die Vorhänge aufgezogen. Er hatte sich nackt aufs Bett
gelegt. Und dabei nach billigem Essen gerochen. Obwohl er gar nichts gegessen
hatte. Trotzdem hatten sie ihre Zungen einander in die Münder gesteckt.
Im Radio war Musik gewesen. Er hatte sich seiner Pickel geschämt.
Sie hatte ihn auf sich rauf gezogen. Sein Kopf war innen, warum ich? rauh
wie eine Nagelfeile. Im Sack, da hab ich Wackersteine. Mein Schwanz, der
ist aus Eisenerz. Sie hatte ihn vorn mit Spucke befeuchtet. Sie hatte
ihn in sich reingesteckt. Er hatte sich aus ihr rausgezogen. Sich mit
einer Hand auf dem Ellenbogen halb aufgestützt. Mit der anderen Hand
seinen Stengel, den steifen, der vorne schon ganz glasig wurde, vorsichtig
in ihren Hintern geschoben. Sie hatte die Luft angehalten. Nur einen kurzen
Augenblick. Als ob sie in der Badewanne in einem Schaumbad untertaucht.
Um sich die Haare naß zu machen. Er hatte an Pfefferminzbonbons,
Vivil gibt sympathischen Atem, gedacht. Und sich sachte vor- und zurückbewegt.
Die kühle Hand im Nacken, die Augen ein zerrißnes Netz. Ich
glaube, hatte sie gesagt, ich mag das nicht.
Danach hatten sie beleinandergelegen. Hatten nicht miteinander geredet.
Er hatte ihre Hände, die Nase, eine sehr große Nase, und einen
Koalabären aus hellrotem Stoff, ihr Plüschtier, betrachtet.
Im Radio lief leise ein sehr altes Lied.
Sylvie's mother said, Sylvie is busy, too busy to come to the phone.
Sylvie's mother said, Sylvie is marrying, she's goin' to leave just my
home.
An den Fenstern hatten Gardinen gehangen. Mit braunen, fusseligen Bommeln.
Es gab eine Unzahl Zimmerpflanzen. Manchmal war ein Geräusch zu hören.
Ein Auto. Oder ein Vogel. Oder ein raschelndes Tier.
Sie hatte gesagt: Du, weißt du, ich mag dich. Er hatte gedacht:
Was wird denn das jetzt? Sie hatte gesagt: Du mußt jetzt nichts
sagen. Er, Erich, Pickel wie Minigolfbälle, hatte sich beinahe wohl
gefühlt. Hatte ein selten sattes Gefühl zwischen den trockenen
Beinen gehabt. Hätte sich fast auf die Schenkel geklopft. Hätte
sich fast auf den Bauch gedreht. Sieh doch mal nach meinen Pickeln.
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