ließen sie ihren Haß auf der Straße an Schaufensterscheiben oder Uniformierten aus, später schlug er auf sie selbst zurück oder traf die ehemaligen Kampfgefährten, die Boulevardbesetzer. Eigentlich haben sie sich weniger verändert als die Bewegung, wenn auch heute das Exotisch-Wilde verblaßt und dafür das öde Hoffnungslose hervorgetreten ist.

Während die Bewegung dahinsiechte, begann Tommi zusammen mit einem fünfköpfigen Kollektiv aus der 157/159 die Parolen im K.O.B. zu übertünchen, zum Unmut der Punks, denen die renovierte und neue Gäste anlockende Atmosphäre zu dezent, chic und damit widerlich war. Sie begannen einen Kleinkrieg, den Tommi nur zwei Monate durchhielt, dann schloß das K. 0. B. wieder. Tommi hat ein widersprüchliches Verhältnis zu den Punks: »Es gibt ja die vollen sozialen Unterschiede zwischen den verschiedenen besetzten Häusern. Manchen geht es finanziell ganz gut, aber die Punks sind absolut auf Null und No Future. Für sie sind wir alle Verräter, Kapitalisten, weil sie überhaupt keine Knete haben. Gleichzeitig sind viele von ihnen absolut auf Alk, die fangen vor dem Frühstück mit dem Saufen an. Aber zu deinen Feinden kannst du sie nicht erklären, sie gehören irgendwie zu dir, obwohl sie dich mit kaputt machen. Wenn du auf sie wirklich eingehst, gehst du selber mit unter.«

Tommi sieht allerdings überhaupt nicht so aus, als ob er kurz vor dem Untergang stünde. Seine noch frische Gesichtsfarbe und sein fränkischer Akzent, der mit dem Berliner Besetzerslang eine lustige Liaison eingegangen ist, verraten, daß er noch nicht lange auf der Potsdamer Straße lebt. Trotz seiner strubbeligen blonden Haare ist er kein Punk, eher ein Linker oder Alternativer. Als er vor anderthalb Jahren, gerade mal 18, aus Coburg nach Berlin emigrierte, war er einer von jenen »Reisechaoten«, die der Intimfeind der Hausbesetzer, Innensenator Heinrich Jodokus Lummer, am liebsten sofort wieder ausgewiesen hätte. Was Tommi angezogen hatte, war der Aufruhr und der von den Medien verbreitete Mythos von Freiheit, Kampf und Abenteuer in den Straßen. Mit ein paar Freunden wollte er sich »die ganze Sache mal reinziehen«, und da der Innensenator gerade acht Häuser auf einen Schlag räumen lassen wollte, geriet Tommi unversehens in das, was bei Besetzern schlicht der Zwoundzwanzigste Neunte ist und bei den übrigen Anwohnern als »Rattaytag« zum stehenden Begriff wurde - Höhe- und Wendepunkt der Bewegung.

»Zwei Tage vorher war ich auf einer großen Demo gegen die Räumungen, und da hieß es, wer Bock hat, soll in die bedrohten Häuser reingehen.« Er hatte Bock, die Demonstration endete wie viele am Winterfeldtplatz, dem damaligen Kristallisationspunkt sommernächtlicher Ausgelassenheit und der Heimspiele gegen die Bullen: mit 14 besetzten Häusern rundherum eine Hochburg der Unruhe, von der nach diversen Räumungen ein sozialpädagogisches Jugendprojekt, ein Frauencafe und zwei legalisierte Hinterhäuser übriggeblieben sind. Tommi mußte nur ein paar hundert Meter die Winterfeldtstraße in Richtung Potsdamer Straße gehen, bis er vor einem besetzten Haus stand, auf dessen Fassade eine leuchtende Sonne unter einem bleichen Vollmond prangte: Die Nr. 20, jahrzehntelang Domizil der Familie Scheurich, von der Neuen Heimat aufgekauft, entmietet, über ein Jahr lang leer, dem Verfall preisgegeben und schließlich besetzt. »Zwei Tage später«, erinnert sich Tommi, »war's vorbei, da haben uns die Bullen rausgeschleppt.« In der Winterfeldtstraße brannten Barrikaden, drei Stunden später war Klaus-Jürgen Rattay tot. »Ich bin auf der Stelle gesessen, wo er gestorben ist, und wollte nicht aufstehn. Da bin ich gleich das erste Mal für ein paar Stunden eingefahren.«

Tommi hatte sich schon in der bayerischen Provinz in der Politik versucht, zum Beispiel mal eine Friedensdemonstration von knapp hundert Leuten organisiert und sich damit prompt ein Strafverfahren eingehandelt. »Ich hab die Demo wie geplant am Friedhof aufgelöst, aber dann sind wir noch zusammen in die Kneipe gegangen, weil's so arschkalt war, und da haben sie mir vorgeworfen, ich hätte die Demonstration illegalerweise in die Kneipe weitergeführt.« Er war Beamtenanwärter bei der Post, wo er in die Pakethalle strafversetzt wurde; einer Freundin verbot ihr Vater den Um-

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