ben wir mit dem Frühstück nur 400 Umsatz gemacht«, sagt sie zu Floyd, der zufrieden ist, daß die Unkosten damit gedeckt sind. Sie sind eben Aktivisten, und mangels politischer Möglichkeiten stecken sie ihre Ideen und Energie in die alternative Okonomie, die freilich, wenn sie so schnell weiterwächst, ihre politischen und moralischen Ansprüche auf ganz hinterhältige Weise zerfressen könnte. Noch sind sie keine alternativen Geschäftemacher, sonst hätten sie Sunshine, die am nächsten Tisch sitzt, schon rausgeschmissen. Sie beschimpft wie üblich die ganze Welt, redet ins Leere, mehr mit sich selbst als mit der türkischen Familie, die leicht irritiert an ihr vorüberzieht. Dann springt sie hektisch auf, dürr, ungewaschen, barfuß, dutzendweise Reifen und Ketten um die knochigen Arm- und Fußgelenke, ein gehetztes, verletztes Gesicht. Sie ist aus der Psychiatrie abgehauen und schlägt sich seitdem in besetzten Häusern durch. Sie hat 'ne Macke, aber sie wird akzeptiert, weil sie in ihrer Kaputtheit nicht nur abstoßend ist, sondern auch faszinierend, zumindest ehrlich und schließlich ein Opfer. Daß Hausbesetzer, besonders wenn sie, auf einer Straße wie der Potsdamer ihre eigene Alternativkultur aufbauen, sozialintegrativ wirken, haben sogar schon ein paar intelligente Polizisten erkannt, wenngleich sie mit solchen Ansichten in ihren Reihen noch eindeutig in der Minderheit sind. Sie rechnen damit, daß die bezähmte Besetzerszene zu einer Barriere gegen Kriminalität und die weitere Verslummung der Straße heranwächst. Dafür müßte freilich das Transparent, das in schönster Selbstironie über unseren Köpfen vom Balkon hängt, noch Wirklichkeit werden. Legal, illegal, scheißegal, das Motto kämpferischerer Tage ist draufgepinselt - der Entwicklung angepaßt sind das zweite und dritte Wort dick durchgestrichen. Etwas zu dick aufgetragen, denn legal ist ihre Existenz in den Häusern noch lange nicht. Zwar haben sie mit der Neuen Heimat einen Pachtvertrag unterschrieben, dem der Senat jedoch seine Zustimmung verweigert. Diese seit über einem Jahr versuchte Legalisierung der Besetzungen hat eine ebenso lange wie jämmerliche Geschichte. Als sich Herr Buschmann - von der Neuen Heimat Berlin als Sonderbotschafter in Besetzerfragen aus der Hamburger Zentrale importiert - am 10. Mai 82 zum ersten Mal an den Verhandlungstisch setzte, wurde noch um 29 Häuser gefeilscht. Herr Buschmann erklärte jovial: »Ich bin hierhergekommen in dem Bewußtsein, ich bin Sozialdemokrat, und ich bilde mir auch ein, daß ich irgendwie sozial da auch so 'nen kleinen Touch habe und daß wir mit den Hausbesetzern besser, menschlicher umgehen.« Mittlerweile sind vierzehn Häuser des Gewerkschaftsunternehmens geräumt worden, eines gaben die Besetzer freiwillig auf, legalisiert wurde keines. Als die Nachbarn aus ihrem Block in der Steinmetzstraße dran waren, hatten Anni und Tommi ein galgenhumoriges Transparent aus dem Fenster gehängt: Trotz Räumung und Bullenterror - Wir renovieren weiter. Es hing nur ein paar Stunden, dann nahm es ein anderer aus Angst vor einer Hausdurchsuchung wieder ab. Der aufrechte Gang fällt ohnehin schwer', wenn man am Tag zuvor mit dem Bausenator zusammengesessen hat, um der Legalisierung näherzukommen. Diese Treffen zwischen der Neuen Heimat, dem Bausenator, der Schöneberger Bezirksbauverwaltung, den Besetzern und ihren Unterhändlern sind inzwischen zu einer provinziellen Ausgabe der Genfer Abrüstungsverhandlungen geworden. Der Teil der Runde, der Anzüge trägt, beteuert unablässig und formelhaft die Bereitschaft zu einer vertraglichen, friedlichen Lösung, macht aber nicht den Eindruck, als würde er jemals nur von einer seiner zahlreichen kleinen Interessen abrücken. Herr Kunkel, der Schöneberger CDU- und Baustadtrat, will den Besetzern unbedingt eine Zentralheizung einbauen, und auf einen Durchbruch der Hinterhäuser für eine Feuerwehrdurchfahrt kann er auch nicht verzichten. Die Neue Heimat will eigentlich nur eines: Geld. 900 000 Mark hat sie nach eigener Rechnung bisher für die beiden Häuser ausgegeben. Grundstückserwerbskosten, Planungskosten, Bauvorbereitungskosten und jede Menge Zinsen natürlich. Sie hat im letzten Jahr in Berlin 51 Millionen Minus gemacht und würde das Geld jederzeit vom Bausenator nehmen, wie es die Besetzer vorschlagen. Doch dessen Ziel ist vor allem, nichts zu tun, was ihm von seinen Parteifreunden angekreidet werden könnte. Also hält er sich seit Monaten bedeckt, und Floyd wiederum kommt das nicht ungelegen. »Gut, daß wir noch immer keine Miete bezahlen müssen ... « Während der Chor der Brigade Bullerbüh im Walzertakt dezent ooh und aah klagt, rezitiert Anni die zweite Strophe des letzten Walzer mit parodierter Weinerlichkeit: »Ihr wißt doch, wir haben diese Häuser besetzt, weil wir einen Platz gesucht haben, um zusammen zu leben, um zusammen ein bißchen glücklich zu sein. Das ist nicht einfach, wir haben viele Probleme, aber wir mögen uns doch so sehr. Und deshalb wollen wir auch zusammenbleiben. Schaut uns an, sind wir nicht nette junge Leute? Bitte gebt uns eine Zentralheizung. Wir wollen alles bezahlen, wir werden alles unterschreiben und wir werden auch nie mehr so böse sein wie früher. Wir werfen keine Steine mehr, und wir essen jeden Tag unser Müsli, das versprechen wir euch. Und ihr müßt uns dafür auch was versprechen... Bitte räumt uns nicht, o bitte, ihr könnt uns doch nicht einfach auf die Straße setzen, das wär' doch wirklich gemein. Nein, nein, bitte räumt uns nicht ... « <- back |