Die gesellschaftliche und wirtschaftliche
Entwicklung ist geprägt von den Auswirkungen des ersten
Weltkrieges und des Versailler Vertrages.
Die während des Krieges betriebenen Rüstungsausgaben [203] haben die Möglichkeiten
der öffentlichen Hände entscheidend eingeschränkt und
notwendige Sozialreformen verhindert. “ An seinem Ende stand
ein wirtschaftlich verarmtes, verschuldetes und
inflationsbedrohtes Deutschland ”.[204]
Als Folge des Versailler Vertrages verliert Deutschland alle
Kolonien, wichtige wirtschaftliche Gebiete wie das Saarland,
Teile West- und Ostpreußens sowie Oberschlesiens. Außerdem
verlangen die Alliierten Reparationszahlungen in Höhe von
zunächst 269 Mrd. Goldmark [205].
Weitere lähmende Belastungen sind Ausgaben für die Demobilisierung der Truppen, Aufwendungen für die Kriegsopferversorgung, Erwerbslosenfürsorge und die Wiedereingliederung von 6 Millionen demobilisierter Soldaten, sowie 3 Millionen RüstungsarbeiterInnen.
“Die ökonomischen Belastungen und vor allem
die Weigerung der ökonomisch Herrschenden in Industrie und
Banken, einen Beitrag zur Schuldenbegleichung zu leisten, und die
Schwäche der republikanischen Regierung, diesen Beitrag zu
erzwingen, führte dann zu einer verheerenden Inflation, die die
sozial Schwächsten in namenloses Elend stürzte und große Teile
des selbständigen Mittelstandes ruinierte. Die größten
Kriegstreiber und Kriegsgewinnler wurden jetzt auch noch die
Nutznießer der Inflation .”[207]
Die Hyperinflation von 1923 vernichtet die Ersparnisse von
ArbeiterInnen, Angestellten und RentnerInnen genauso wie von
unzähligen wohlhabenderen BürgerInnen, Beamten und mittleren
Angestellten.
Erst durch die Einführung der ‘Rentenmark’ und massive
Kapitalflüsse vor allem aus den USA kann der wirtschaftliche
Abwärtstrend ab 1924 gestoppt werden [208]. Mit Hilfe des ausländischen Kapitals
wird der “seit zehn Jahren heruntergekommene
Produktionsapparat völlig erneuert, und 1929 verfügte
Deutschland über den technisch fortgeschrittensten
Produktionsapparat Europas.” [209]
Die sogenannte Weltwirtschaftskrise - beginnend mit dem New Yorker Börsenkrach im November 1929 - versetzt der deutschen Wirtschaft nochmals einen herben Rückschlag. Die Zahl der Arbeitslosen steigt von 22,7% der erwerbsfähigen Bevölkerung (1929) auf 44,4% (1932). Im Februar 1932 sind bei den Arbeitsämtern 6,13 Millionen Arbeitslose gemeldet. [210] Für die Jahre nach 1923 ist auf Grund von amtlichen Zahlen “ein Existenzminimum, wie es sich nach offizieller, also nicht etwa gewerkschaftlicher, Ansicht gestalten sollte, berechnet und mit den Durchschnittslöhnen verglichen worden:” [211]
Auch die Ernährungssituation in den ersten
Jahren der Weimarer Republik ist für die Mehrheit der
Bevölkerung problematisch bis katastrophal: “Während im
Weltkrieg der Konsum von Nahrungsmitteln vor allem wegen
Warenmangels rapide zurückgegangen war, war er in den
Inflationsjahren vor allem wegen der mangelnden Kaufkraft der
Werktätigen so abgesunken.” [213]
Die Situation ist dermaßen angespannt, daß eine regelrechte “Flucht
zu den Nahrungsmittelproduktionsstätten - von der Stadt also auf
das Land - einsetzte und Diebstahl von Nahrungsmitteln wie in den
vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts zu einer ‘natürlichen
und notwendigen Ergänzung’ des Haushalts wurde.” [214]
Eins der Hauptprobleme nach den Krieg ist die
Wohnungssituation. Während des ersten Weltkriegs hatte die
Bautätigkeit immer mehr nachgelassen. Das hat nun zur Folge,
daß die Wohnverhältnisse, die sich bis 1913 leicht gebessert
hatten, in den Jahren 1918/19 für eine große Zahl von
ArbeiterInnen und kleinen Angestellten unerträglich sind. Für
1925/26 gibt eine amtliche Schätzung des
Reichsarbeitsministeriums ein Defizit von 600.000 Wohnungen an.
Das statistische Reichsamt errechnet sogar, daß “etwa eine
Million selbständiger Haushaltungen ohne eigene Wohnung waren .”[215] Nach einer Wohnungszählung
im deutschen Reich vom 16. Mai 1927 sind in Gemeinden über 5.000
EinwohnerInnen 6,4% aller Haushalte ohne eigene Wohnung. In
Großstädten beträgt diese Zahl sogar 10,3% [216].
[203] Ca. 165 Milliarden Goldmark.
[204] Ripper, W., Weltgeschichte im Aufriß, S.242.
[205] 1921 einigten sich die Alliierten schließlich auf 132
Mrd.Goldmark.
[206] Reichsmark/Rentenmark im Verhältnis zum US-Dollar,
vgl. Hug, W., u.a., Geschichtliche Weltkunde, Band 3, S.74.
[207] Scharrer, M., Kampflose Kapitulation, S. 10.
[208] Z.B. in Form der sog. “Dawes-Anleihe”, durch die
US-Kapital nach Deutschland floß und das Land wieder in die
kapitalistische Weltwirtschaft eingegliedert werden sollte.
Gleichzeitig wurde der sowjetische Markt Deutschland zur
Realisierung von Profiten überlassen, mit denen u.a. die
Reparationen an Frankreich und England gezahlt werden sollten.
Vgl. auch: Kuczynski, J., Geschichte des Alltags des deutschen
Volkes, Band 5,
S. 20 ff.
[209] Kuczynski, J.,Geschichte des Alltags des deutschen
Volkes, Band 5, S. 22
[210] Ebenda, S. 93 ff.
[211] Ebenda, S. 361
[212] Ebenda, S. 361.
[213] Ebenda, S. 373
[214] Ebenda, S. 375
[215] Jachmann, H., Düsseldorf in der Weltwirtschaftskrise,
S. 207.
[216] Vgl. ebenda, S. 207 ff.