Wie die meisten Besetzungen in Düsseldorf zuvor,
geht auch die Besetzung der Volmerswerther Str. 41 primär von
StudentInnen aus. Von der V 41 gehen so starke Impulse aus, daß
in ihrer Folge zahlreiche Häuser im ganzen Stadtgebiet besetzt
werden. Alleine im Zeitraum zwischen dem 13. Februar 1981, dem
Tag der ersten Besetzung der Volmerswerther Str. 41 und dem 10.
Juni, dem Tag ihrer Räumung, werden in Düsseldorf mindestens 10
Häuser besetzt. Mit dieser regelrechten Hausbesetzungs-Welle
verändert sich schon bald die Zusammensetzung der BesetzerInnen.
Die Düsseldorfer HausbesetzerInnenbewegung ist zu Beginn
achtziger Jahren “ eine sehr heterogene Gruppe. ”[1176] Diese Heterogenität
innerhalb der Bewegung setzt sich auch innerhalb der einzelnen
Häuser fort. “ Mit der Zeit wurde das Leben im Haus für
den/die einzelne(n) immer schwieriger, weil wir uns einerseits
kaum kannten und außerdem überhaupt nicht klar war, mit welchen
Ansprüchen jede(r) von uns in dieses Haus gekommen war. ”[1177]
Unterschiedliche politische Standpunkte und Ausdrucksformen sind
ein Spiegelbild der Vielschichtigkeit der BesetzerInnen. Es gibt
“ Feministinnen, Lesben, Schwule, Punks, Alternative,
Autonome [1178] und
AntiimperialistInnen [1179],
aber auch No-Future-Leute, Fixer und Alkoholiker. ”[1180] Bei allen Unterschieden
lassen sich jedoch einige Hauptströmungen erkennen:
Bei einer Betrachtung der Düsseldorfer Presse
jener Zeit fällt auf, daß die HausbesetzerInnen dort, den
Strömungen entsprechend, mit sehr unterschiedlichen Begriffen
belegt werden, wie die drei folgenden Beispiele zeigen:
Die Einteilung in verschiedene Kategorien von
BesetzerInnen durch die Medien wird oft von PolitikerInnen
übernommen. Sie wird benutzt, um das Phänomen Hausbesetzungen
zunächst ‘einsortierbar’ zu machen. Der artikulierte soziale
(zum Teil antikapitalistische) Protest wird aufgespalten in ‘gute’
und ‘böse’ Formen, in ‘Jugendprotest/Wohnungsnot’ und
‘Punkerkrawalle’.
Insbesondere bei der Volmerswerther Str. 41 und
der Neusser Straße 77 wird im weiteren Verlauf zunehmend von ‘Punk-Häusern’
gesprochen. [1184]
Einerseits ist es richtig, daß ab einem bestimmten Zeitpunkt die
BewohnerInnen dieser Häuser zu einem immer größeren Teil aus
der Punk-Szene kommen. Das ist damit zu erklären, daß zu Beginn
der achtziger Jahre auch die bundesdeutsche ‘Punk-Welle’ auf
ihrem Höhepunkt angelangt ist. “ Düsseldorf entwickelt
sich zum ‘Punker’-Zentrum mit Treff in der Altstadt. ”[1185] Die Ratinger Straße,
insbesondere der ‘Ratinger Hof’, avanciert zum
überregionalen PunkerInnen-Treff. Dieser erreicht mit seinen
Konzerten [1186] schnell den
internationalen Ruf eines Szenelokals, über das seinerzeit
selbst der Spiegel einen ausführlichen Artikel schreibt. [1187]
Andererseits wird mit der Bezeichnung ‘Punk-Häuser’ eine
Politik der Ausgrenzung betrieben. Die Punks sind bei
einflußreichen Teilen der Düsseldorfer Bevölkerung [1188] keine gern gesehenen
Gäste. Die Düsseldorfer Presse beginnt ab Juni 1981, sich
systematisch auf die ‘gewaltbereiten Punker’ einzuschießen. [1189] Von da an spielen
Gründe und Ziele der meisten Hausbesetzungen keine große Rolle
mehr in den Medien. Es wird fast ausschließlich über ‘Terroranschläge’,
‘Drogenkonsum’ und ‘Gewalt’ berichtet.
Ende Mai 1981 stellt die CDU im Rat die Anfrage:
“ Welche Maßnahmen werden ergriffen, um im Zusammenwirken
mit der Polizei die genannten Mißstände abzustellen? ”[1190]
Polizeipräsident Liskens und der Chef der Schutzpolizei, Otto
Gbureck, stehen den PolitikerInnen am 4. Juni 1981 ‘Rede und
Antwort’. Auf das ‘Punker-Problem’ angesprochen, erklärt
Gbureck: “ Seine Abteilung habe keine Erkenntnisse gewinnen
können, die auf eine gewalttätige Gruppe schließen lasse.
(...) Zwar habe es in der Vergangenheit mehrfach Einsätze seiner
Beamten gegeben, doch seien dabei ‘Punker’ in vielen Fällen
von Bürgern provoziert worden. [1191]
Liskens plädiert für ‘mehr Gelassenheit’ im Umgang mit den
HausbesetzerInnen. [1192]
Die CDU-Ratsfraktion und die Düsseldorfer Presse greifen das
polizeiliche Deeskalationskonzept scharf an und schieben den “ Polizeipräsidenten
in [die] Schußlinie.”[1193] Liskens Analysen werden als ‘verharmlosend’
kritisiert und es wird behauptet, daß selbst “ der
Streifenpolizist den eigenen Chef nicht mehr versteht. ”[1194]
Mit der Aussage, “ es ist an der Zeit, daß die Polizei sich
endlich zu einer ehrlichen Standortbeschreibung aufrafft ”[1195] wird die gesamte ‘Düsseldorfer
Linie’ in Frage gestellt. Diese auf Deeskalation ausgerichtete
Polizeitaktik, beschreibt Liskens so: “ Wo man problemoffen
miteinander redet, ist kein Raum für die Annahme einer ‘verwerflichen’
Gewaltanwendung ”.[1196]
Daß der Sozialdemokrat Liskens von dieser Linie überzeugt ist,
wird in einem von ihm verfaßten Bericht über ‘Protest und
Polizei’ deutlich.
“Die Bewahrung des inneren Friedens bei uns beruht
maßgeblich auf der Offenheit unserer Verfassungsordnung für
alternative Ideen und Lebensweisen, auf dem Legitimationszwang
für staatliche Eingriffe in die Freiheit, auf der Bereitschaft
der Bürger zum Widerspruch gegen jede Intoleranz. Die Um- und
Abwege der Gesetzgebung und Rechtsprechung bei der Behandlung von
anderen Minderheiten, etwa bei Ausländern,
Kriegsdienstverweigerern aus Gewissensgründen, Angehörigen
extremistischer Parteien etc., sollten uns warnen, für unbequeme
Demonstranten ähnliche stigmatisierende Rechtsregeln
aufzustellen. Es gilt auch hier (...) mit Mut zum Risiko und mit
der Mühsal der Toleranz zu leben. ”[1197]
Liskens, soviel ist klar, unterstützt mit dieser Polizeilinie
das deeskalierende und integrative Konzept der
Krisenbewältigung, das die sozialdemokratische Mehrheit im
Rathaus zusammen mit ‘ihrem’ Sozialdezernenten Ranz
durchzusetzen bemüht ist. Oberstes Ziel ist dabei, die ‘Ruhe’
in der Stadt wieder herzustellen.
Daß diese ‘Düsseldorfer Linie’ zwei Seiten hat, zeigen die
folgenden Beispiele:
[1176] Weidenhaupt, H., Kleine Geschichte der Stadt
Düsseldorf, 10. Aufl., S. 247.
[1177] Die InstandbesetzerInnen der Neusserstr. 77 in:
Sägespan, Nr.11, 1981, S. 10.
[1178] “ Die Autonomen können als ein ‘Entmischungsprodukt
aus verschiedenen (Teilbereichs-) Bewegungen, so der Spontis und
Stadtindianer, der Stadtteil- und Knastinitiativen, der
Hausbesetzer- und der Anti-KKW-Bewegung’ (Manrique 1992)
bezeichnet werden. Beeinflußt wurden sie von der ‘Autonomia’
in Italien Mitte der 70er Jahre und dem dort geprägten Begriff
der Autonomie’. ” - Nagel, T., Die Häuser gehören uns,
S. 150. Die in der Öffentlichkeit oft nur als ‘Schwarzer Block’
bei Demonstrationen wahrgenommenen ‘Autonomen’ sehen “im
Häuserkampf die Möglichkeit (...), Zusammenhänge der
Teilbereiche klarzukriegen und aus der Erfahrung der letzten
Jahre des entfremdeten Nebeneinanderherarbeitens rauszukommen und
auf dieser Grundlage zu einer klaren Strategie und Taktik hier in
der Metropole BRD zu kommen. (...) Die Häuser können die Nester
sein, von denen aus der Widerstand zusammenhängend gegen den
Imperialismus organisiert und praktisch wird. Wir im Haus als
autonomes, kämpfendes Kollektiv, das muß das Ziel sein!!!”, Sägespan
Nr. 11, 1981, S. 31. Konkret heißt das: Häuserkampf ist das
zentrale Mittel zum Zweck - nämlich Angriff und (perspektivisch)
Zerstörung des imperialistischen Systems.
[1179] “ Die AntiimperialistInnen, oder auch ‘Antiimps’,
haben ihren geschichtlichen Hintergrund in der Gefangenenarbeit.
Dies ist auch heute noch ein Schwerpunkt, was sich z.B. in
Initiativen zur Zusammenlegung der politischen Gefangenen
ausdrückt. Anderer Schwerpunkt ist ein
Internationalismusverständnis, welches sich in der Solidarität
zu Befreiungsbewegungen ausdrückt. In den letzten Jahren werden
AntiimperialistInnen zunehmend als ‘legaler Arm’ der RAF
kriminalisiert und einige wurden bis zu 10 jährigen Haftstrafen,
(wegen § 129a / Mitgliedschaft in einer terroristischen
Vereinigung) verurteilt, ” Nagel, T., Die Häuser gehören
uns, S. 150.
[1180] Ebenda, S. 10.
[1181] Sägespan, Nr. 11, 1981, S. 32.
[1182] Vgl. BT, 25.4.81.
[1183] Vgl. NRZ, 6.4.81.
[1184] Vgl. u.a. RP, 30.5.81.
[1185] RP, 30.6.81.
[1186] Im ‘Ratinger Hof’ spielten viele (Punk-) Bands von
internationalem Ruf. Düsseldorf erlebte zu dieser Zeit auch
seine musikalische ‘Blütezeit’. Bands wie ‘Kraftwerk’,
die ‘Toten Hosen’, ‘Harakiri Whoom’, ‘La Düsseldorf’,
‘DAF’, ‘Nichts’, ‘Akte Krüll’, ‘Östro 430’, ‘Krupps’,
‘der Plan’, und viele mehr, kamen zu dieser Zeit aus
Düsseldorf. vgl. Fandango e.V., Stadtbuch Düsseldorf 1988, S.
149 ff.
[1187] Vgl. ebenda, S. 149.
[1188] U.a. beschweren sich die EigentümerInnen renomierter
Gastronomiebetriebe über die Punks, vgl. RP, 10.6.81.
[1189] “ Punker-Terror auf der Kö! ”, Bild,
11.6.81, “ Schon wieder Punker-Terror! ”, Bild,
12.6.81.
[1190] Als schwerwiegenden Mißstand bezeichnet die CDU die
Belästigung von AnwohnerInnen durch Punks. Es wird vermutet,
daß auf der Volmerswerther Str. 4 “ Minderjährige
aufgenommen und zu Drogenkonsum, sexuellen Handlungen und
Alkoholmißbrauch angehalten werden ”, RP, 30.5.81.
[1191] RP, 5.6.81.
[1192] Vgl. ebenda.
[1193] RP, 10.6.81.
[1194] Ebenda.
[1195] Ebenda.
[1196] Dr. H. Liskens, Protest und Polizei, in: Düsseldorf
und die Polizei, 1984, S. 96.
[1197] Ebenda, S.99.