3.4 Die Theodorstraße

3.4.1 Die Abrißpläne

Neben der Kiefernstraße überdauert mit der Theodorstraße ein zweiter Straßenzug die AWN.
Die Häuser auf der Theodorstraße werden um die Jahrhundertwende erbaut und überleben weitgehend unbeschadet die beiden Weltkriege. Geplant als ArbeiterInnenviertel im Stadtteil Rath erklären die “ Nazis im Jahre ’39 (...) das Gebiet zum reinen Industriegebiet. [1282] Mit dem Ende der Hitlerdiktatur werden auch weitere Expansionspläne der schon seit 1905 in Rath ansässigen Mannesmann-Werke [1283] zurückgestellt. Die Häuser auf der Theodorstraße bleiben erst einmal stehen.
1978 kauft die Stadt die Häuserzeile auf und kündigt fast allen MieterInnen. Die Stadt will mit einer neuen Straßenführung der Theodorstraße die Firma Mannesmann unterstützen, “ ihre 1939 nicht vollzogene Erweiterung wieder auf den Plan [1284] zu bringen. In den Abrißhäuser werden in der Folgezeit zahlreiche Wohnungen von der AWN genutzt. “ Da es für viele neue Bewohner der Straße nur eine vorübergehende Wohnlösung war, zerfielen die alten Lebenszusammenhänge. Der Lebensmittelladen machte zu, dem Kneipenwirt war schon vorher gekündigt worden, die Nachbarschaftskontakte brachen ab; Vereinzelung und Ghetto-Bildung waren die Folge. Auch äußerlich verkamen die Häuser immer mehr. Der äußere Eindruck war Abbild der allgemeinen Perspektivlosigkeit, bezüglich des Wohnens auf der Theodorstraße. [1285]
Da über einen langen Zeitraum keine Umsetzung der Abrißpläne erkennbar wird, wächst bei den BewohnerInnen “ das Bedürfnis, aus der vorübergehenden Wohnsituation mit ständig drohendem Abriß, ein zu Hause zu machen. [1286] Es entsteht ein neues Lebens- und Verantwortungsgefühl auf der Theodorstraße. “ Im Laden ist eine Lebensmittel-Coop gegründet worden und ein Café. Ein Garten wurde angelegt und Bäume wurden gepflanzt. [1287]
Fünf Jahre nach der Kündigung der alteingesessenen MieterInnen, stellt die Stadt am 17. April 1983 einen neuen Bebauungsplan vor, der den Abriß der Häuser und die Ansiedlung von Industrien vorsieht. Diesmal sind die “ Argumente der Planer zur Begründung des Abrisses (...): Insellage [und] zu starke Lärm- und Schmutzbelastung.
Die BewohnerInnen gründen “ aus dem neuen Gefühl zu den Häusern”[1288] die ‘Initiative gegen den zufälligen Abriß der Theodorstraße’.
Ihre Hauptforderungen sind:


3.4.2 Das ‘Selbstverwaltete Wohnprojekt Theodorstraße e.V.’

Am 14. März 1985 einigen sich SPD und Grüne, daß die Häuser “ bis zur Erweiterung der Mannesmann-Werke im nächsten Jahrtausend (...) stehenbleiben. [1290]
Zur Verwaltung der 3.500 m² Wohnfläche und um der Forderung nach dauerhaftem Erhalt der Wohnungen einen Rahmen zu geben, wird im gleichen Jahr der Verein ‘Selbstverwaltetes Wohnprojekt Theodorstraße e.V.’(SWT) gegründet. [1291]
Die Stadt hebt 1989 die Abrißgenehmigung für die Häuser an der Theodorstraße, die bislang lediglich zurückgestellt worden war, auf. Diese Entscheidung wird vor dem Hintergrund getroffen, daß Mannesmann gegen Mitte/Ende der achtziger Jahre in einer wirtschaftlichen Krise steckt. Die “ Aufträge nach Rohrlieferungen für Ölfelder, Bohrinseln und Gastransporte [1292] gehen zurück. 1.700 Belegschaftsangehörige verlieren in den Jahren 1987/1988 ihren Arbeitsplatz und 3.300 ArbeiterInnen produzieren im Rather Werk nur noch auf Abruf. [1293]
“...Über einen Vertrag mit dem Liegenschaftsamt der Stadt Düsseldorf wurde eine Kooperation vereinbart, die die Selbsthilfe der Mieter, Beschäftigungsinitiativen durch den Verein, sowie Modelle preiswerter Wohnrauminstandhaltung beinhaltet. [1294]
Durch die Aufhebung des Abrißbeschlusses für die Häuser verändert sich die Zielsetzung des Vereins SWT. Der Kampf um den Erhalt des Wohnraumes und dessen Bewirtschaftung wird abgelöst von der Planung und Durchführung eines Wohnprojektes und der dauerhaften Instandhaltung und Modernisierung der Häuser. Soziale Projekte werden mehr und mehr in die Theodorstraße integriert. “ Heute ist der SWT der Träger sozialer Arbeit in Nordrhein-Westfalen, der in vielfältigen Bereichen die Verbindung von ‘Wohnen, Leben und Arbeiten’ realisiert und dabei gleichzeitig die Integration gesellschaftlicher Randgruppen fördert .”[1295] Der Verein arbeitet unter dem Motto ‘Arbeit gegen Armut’ methodisch nach den Prinzipien der Gemeinwesenarbeit, der Selbsthilfe und der Netzwerkarbeit. Dabei geht er, beispielsweise mit Betreuungsangeboten, auf die BewohnerInnenstruktur ein, die geprägt ist durch einem großen Anteil von Alleinerziehenden, Arbeitslosen, SozialhilfeempfängerInnen und AusländerInnen.
Die Finanzierung des ‘Selbstverwalteten Wohnprojektes Theodorstraße e.V.’ setzt sich aus Mitteln der Stadt Düsseldorf, des Europäischen Sozialfonds, der Arbeitsverwaltung und des DPWV zusammen. Hinzu kommen Spenden und Vereinsbeiträge. [1296]
Eine Zeitlang scheint es, als existieren mit der Theodor- und der Kiefernstraße zwei Straßenzüge, die sich wie zwei verfeindete Brüder verhalten, weil sie sich nicht einigen können, wohin der zukünftige Weg gehen soll. [1297]Während sich die meisten Vereinsbewohner der Rather Theodorstraße inzwischen entschlossen haben, in das alte Vereinsdilemma zurückzufallen, sich ein Selbstverwaltetes Wohnprojekt e.V. mit Vorstand, Geschäftsführer, Kassenwart und einer dahindämmernden Basis zu wählen, ist auf der Kiefernstraße (...) die selbstbestimmte ‘Direkte Aktion Wohnungsnot’ entstanden, wo Bewohner mit städtischen Mietverträgen, Haus- und Wohnungsbesetzer ohne jedes Papier und die alten AWN-Häuser ohne Vereinsstruktur weiterleben können. [1298] Neue wohnungspolitische Impulse gehen jedoch heute von keiner der beiden Straßen mehr aus.


[1282] Starkes Stück, 6/83, S. 7.
[1283] Mannesmann war im 2. Weltkrieg einer der führenden Rüstungskonzerne.
[1284] Viertausend, 4/85, S. 5.
[1285] Starkes Stück, 6/83, S. 7.
[1286] Ebenda, S. 7.
[1287] Starkes Stück, 6/83, S. 7.
[1288] Ebenda, S. 7.
[1289] Vgl. Starkes Stück, 6/83, S. 7.
[1290] Viertausend, 4/85, S. 5.
[1291] Achten, U. (Hrsg.), Düsseldorf zu Fuß, S.162.
[1292] Ebenda, S. 162.
[1293] Vgl. ebenda, S. 162 ff.
[1294] SWT, S. 1.
[1295] Ebenda, S. 1.
[1296] Vgl. ebenda, S.3.
[1297] Fandango e.V., Stadtbuch Düsseldorf 1988, S. 67.
[1298] Der Text ist aus dem Jahre 1988. Heute haben auch die BesetzerInnen auf der Kiefernstraße Mietverträge. Fandango e.V., Stadtbuch Düsseldorf 1988, S.67 ff.


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