Neben der Kiefernstraße überdauert mit der
Theodorstraße ein zweiter Straßenzug die AWN.
Die Häuser auf der Theodorstraße werden um die Jahrhundertwende
erbaut und überleben weitgehend unbeschadet die beiden
Weltkriege. Geplant als ArbeiterInnenviertel im Stadtteil Rath
erklären die “ Nazis im Jahre ’39 (...) das Gebiet zum
reinen Industriegebiet. ”[1282]
Mit dem Ende der Hitlerdiktatur werden auch weitere
Expansionspläne der schon seit 1905 in Rath ansässigen
Mannesmann-Werke [1283]
zurückgestellt. Die Häuser auf der Theodorstraße bleiben erst
einmal stehen.
1978 kauft die Stadt die Häuserzeile auf und kündigt fast allen
MieterInnen. Die Stadt will mit einer neuen Straßenführung der
Theodorstraße die Firma Mannesmann unterstützen, “ ihre
1939 nicht vollzogene Erweiterung wieder auf den Plan ”[1284] zu bringen. In den
Abrißhäuser werden in der Folgezeit zahlreiche Wohnungen von
der AWN genutzt. “ Da es für viele neue Bewohner der
Straße nur eine vorübergehende Wohnlösung war, zerfielen die
alten Lebenszusammenhänge. Der Lebensmittelladen machte zu, dem
Kneipenwirt war schon vorher gekündigt worden, die
Nachbarschaftskontakte brachen ab; Vereinzelung und
Ghetto-Bildung waren die Folge. Auch äußerlich verkamen die
Häuser immer mehr. Der äußere Eindruck war Abbild der
allgemeinen Perspektivlosigkeit, bezüglich des Wohnens auf der
Theodorstraße. ”[1285]
Da über einen langen Zeitraum keine Umsetzung der Abrißpläne
erkennbar wird, wächst bei den BewohnerInnen “ das
Bedürfnis, aus der vorübergehenden Wohnsituation mit ständig
drohendem Abriß, ein zu Hause zu machen. ”[1286] Es entsteht ein neues
Lebens- und Verantwortungsgefühl auf der Theodorstraße. “ Im
Laden ist eine Lebensmittel-Coop gegründet worden und ein Café.
Ein Garten wurde angelegt und Bäume wurden gepflanzt. ”[1287]
Fünf Jahre nach der Kündigung der alteingesessenen MieterInnen,
stellt die Stadt am 17. April 1983 einen neuen Bebauungsplan vor,
der den Abriß der Häuser und die Ansiedlung von Industrien
vorsieht. Diesmal sind die “ Argumente der Planer zur
Begründung des Abrisses (...): Insellage [und] zu starke
Lärm- und Schmutzbelastung. ”
Die BewohnerInnen gründen “ aus dem neuen Gefühl zu den Häusern”[1288] die ‘Initiative gegen
den zufälligen Abriß der Theodorstraße’.
Ihre Hauptforderungen sind:
Am 14. März 1985 einigen sich SPD und Grüne,
daß die Häuser “ bis zur Erweiterung der Mannesmann-Werke
im nächsten Jahrtausend (...) stehenbleiben. ”[1290]
Zur Verwaltung der 3.500 m² Wohnfläche und um der Forderung
nach dauerhaftem Erhalt der Wohnungen einen Rahmen zu geben, wird
im gleichen Jahr der Verein ‘Selbstverwaltetes Wohnprojekt
Theodorstraße e.V.’(SWT) gegründet. [1291]
Die Stadt hebt 1989 die Abrißgenehmigung für die Häuser an der
Theodorstraße, die bislang lediglich zurückgestellt worden war,
auf. Diese Entscheidung wird vor dem Hintergrund getroffen, daß
Mannesmann gegen Mitte/Ende der achtziger Jahre in einer
wirtschaftlichen Krise steckt. Die “ Aufträge nach
Rohrlieferungen für Ölfelder, Bohrinseln und Gastransporte ”[1292] gehen zurück. 1.700
Belegschaftsangehörige verlieren in den Jahren 1987/1988 ihren
Arbeitsplatz und 3.300 ArbeiterInnen produzieren im Rather Werk
nur noch auf Abruf. [1293]
“...Über einen Vertrag mit dem Liegenschaftsamt der Stadt
Düsseldorf wurde eine Kooperation vereinbart, die die
Selbsthilfe der Mieter, Beschäftigungsinitiativen durch den
Verein, sowie Modelle preiswerter Wohnrauminstandhaltung
beinhaltet. ”[1294]
Durch die Aufhebung des Abrißbeschlusses für die Häuser
verändert sich die Zielsetzung des Vereins SWT. Der Kampf um den
Erhalt des Wohnraumes und dessen Bewirtschaftung wird abgelöst
von der Planung und Durchführung eines Wohnprojektes und der
dauerhaften Instandhaltung und Modernisierung der Häuser.
Soziale Projekte werden mehr und mehr in die Theodorstraße
integriert. “ Heute ist der SWT der Träger sozialer Arbeit
in Nordrhein-Westfalen, der in vielfältigen Bereichen die
Verbindung von ‘Wohnen, Leben und Arbeiten’ realisiert und
dabei gleichzeitig die Integration gesellschaftlicher Randgruppen
fördert .”[1295] Der
Verein arbeitet unter dem Motto ‘Arbeit gegen Armut’
methodisch nach den Prinzipien der Gemeinwesenarbeit, der
Selbsthilfe und der Netzwerkarbeit. Dabei geht er, beispielsweise
mit Betreuungsangeboten, auf die BewohnerInnenstruktur ein, die
geprägt ist durch einem großen Anteil von Alleinerziehenden,
Arbeitslosen, SozialhilfeempfängerInnen und AusländerInnen.
Die Finanzierung des ‘Selbstverwalteten Wohnprojektes
Theodorstraße e.V.’ setzt sich aus Mitteln der Stadt
Düsseldorf, des Europäischen Sozialfonds, der Arbeitsverwaltung
und des DPWV zusammen. Hinzu kommen Spenden und Vereinsbeiträge.
[1296]
Eine Zeitlang scheint es, als existieren mit der Theodor- und der
Kiefernstraße zwei Straßenzüge, die sich wie zwei verfeindete
Brüder verhalten, weil sie sich nicht einigen können, wohin der
zukünftige Weg gehen soll. [1297]
“ Während sich die meisten Vereinsbewohner der Rather
Theodorstraße inzwischen entschlossen haben, in das alte
Vereinsdilemma zurückzufallen, sich ein Selbstverwaltetes
Wohnprojekt e.V. mit Vorstand, Geschäftsführer, Kassenwart und
einer dahindämmernden Basis zu wählen, ist auf der
Kiefernstraße (...) die selbstbestimmte ‘Direkte Aktion
Wohnungsnot’ entstanden, wo Bewohner mit städtischen
Mietverträgen, Haus- und Wohnungsbesetzer ohne jedes Papier und
die alten AWN-Häuser ohne Vereinsstruktur weiterleben können. ”[1298] Neue wohnungspolitische
Impulse gehen jedoch heute von keiner der beiden Straßen mehr
aus.
[1282] Starkes Stück, 6/83, S. 7.
[1283] Mannesmann war im 2. Weltkrieg einer der führenden
Rüstungskonzerne.
[1284] Viertausend, 4/85, S. 5.
[1285] Starkes Stück, 6/83, S. 7.
[1286] Ebenda, S. 7.
[1287] Starkes Stück, 6/83, S. 7.
[1288] Ebenda, S. 7.
[1289] Vgl. Starkes Stück, 6/83, S. 7.
[1290] Viertausend, 4/85, S. 5.
[1291] Achten, U. (Hrsg.), Düsseldorf zu Fuß, S.162.
[1292] Ebenda, S. 162.
[1293] Vgl. ebenda, S. 162 ff.
[1294] SWT, S. 1.
[1295] Ebenda, S. 1.
[1296] Vgl. ebenda, S.3.
[1297] Fandango e.V., Stadtbuch Düsseldorf 1988, S. 67.
[1298] Der Text ist aus dem Jahre 1988. Heute haben auch die
BesetzerInnen auf der Kiefernstraße Mietverträge. Fandango
e.V., Stadtbuch Düsseldorf 1988, S.67 ff.