3.8 Die Besetzung(en) der Kaiserswerther Straße 290

Als klar wird, daß Schleußer dennoch bei seiner Position bleiben wird, besetzen am 4. Februar 21 Leute, darunter auch einige Mitglieder der ‘Initiative Kaiserswerther Straße’, das Haus Kaiserswerther Str. 290. Sie forderten den Erhalt aller vier Häuser und die Zurverfügungstellung für ein selbstverwaltetes Wohnprojekt - zu Mieten, die für StudentInnen, SchülerInnen, Auszubildende, Arbeitslose und Familien bezahlbar sind. Um der schnell anwesenden Polizei ein Eindringen zu erschweren, wird das Haus verbarrikadiert. Die Verantwortlichen werden zu Gesprächen aufgefordert und der friedliche Charakter der Aktion betont. Dennoch stellt der anwesende Vertreter der Landesregierung Strafanzeige. Nach nur sieben Stunden dringt über eine Leiter ein schwergepanzertes Sondereinsatzkommando (SEK) der Polizei in den ersten Stock des Hauses ein, prügelt und tritt die überraschten BesetzerInnen zu Boden und fesselt sie mit Kabelbindern. Fünf BesetzerInnen werden bei der Erstürmung des Hauses so schwer verletzt, daß sie sich später im Krankenhaus behandeln lassen müssen: Ein gebrochener Mittelhandknochen, eine Platzwunde am Kopf und mehrere schwere Prellungen werden von ÄrztInnen attestiert. Noch am Boden liegende BesetzerInnen werden von SEK-BeamtInnen geschlagen und getreten. [1576]
Ein einziger Polizist ‘verletzt’ sich dabei, als er mit Kampfschrei durch eine geschlossene Balkonfensterscheibe in das Haus springt und sich dabei einen kleinen Schnitt am Unterarm zuzieht. Daraus wird später in der Anklageschrift gegen einige der BesetzerInnen der Anklagepunkt ‘gefährliche Körperverletzung’ konstruiert werden. [1577] Anke Kronemeyer, als Reporterin der Rheinischen Post Augenzeugin der Räumung des Hauses, schildert die Ereignisse so: “Er [der polizeiliche Einsatzleiter; d.V.] wiederholte die Aufforderung [zur Räumung] einmal, zweimal. Noch während er sprach, wurden die Wohnungen von hinten gestürmt. Rund 60 Beamte des Spezialeinsatzkommandos - Dienst hatten die Kölner - waren blitzschnell über eine Leiter in die erste Etage geklettert. Die 21 Hausbesetzer reagierten überrascht, sangen riefen, leisteten aber keinen Widerstand .”[1578]
Alle 21 BesetzerInnen erhalten wenige Wochen nach der Besetzung Anklagen wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung, die von der Polizei auf 25.000 DM geschätzt wird. [1579]
Aber trotz allem ist die Besetzung ein politischer Erfolg: Die Aufmerksamkeit von Öffentlichkeit und PolitikerInnen ist jetzt endgültig geweckt. Die Proteste, sogar innerhalb der SPD, nehmen derart zu, daß Finanzminister Schleußer schließlich ‘einknickt’ und die Häuser der Stadt Düsseldorf für drei Mio. DM zum Kauf anbietet. [1580]
Die Stadt kündigt daraufhin an, in den Häusern Sozialwohnungen mit einer Kaltmiete von rund neun DM/qm einzurichten. [1581] Die Initiative Kaiserswerther Straße und die BesetzerInnen, ohne die die Häuser wahrscheinlich nicht mehr existieren würden, sind auf einmal außen vor und dürfen sich nun mit Anklagen und Prozessen herumschlagen.
Dies alles geschieht in der ‘heißen Phase’ des NRW-Landtagwahlkampfes [1582], bei dem die SPD um ihre absolute Mehrheit, die Grünen um ihre Regierungsbeteiligung und die CDU um eine stärkere Rolle in der Opposition kämpfen. Von SPD und CDU wird der Wahlkampf mit dem ebenso simplen wie populistische Thema (innere) Sicherheit geführt - verbunden mit dem Schüren von Angst vor ‘Kriminalität’. Bei der SPD haben auch soziale Themen noch einen gewissen Stellenwert, ansonsten ist die Kampagne stark auf die integrierende Person des Ministerpräsidenten Johannes Rau zugeschnitten. Wahrscheinlich ist es deshalb auch von einigem Gewicht, daß relativ bekannte SPD-KommunalpolitikerInnen, wie der ehemalige SPD-Oberbürgermeister Klaus Bungert, sich unter dem Druck der stärker werdenden öffentlichen Debatte in der Frage des Erhalts der ‘Engländer-Wohnungen’ direkt an ‘Landesvater’ Johannes Rau wenden. Die SPD wendet sich schließlich und macht nach der Entscheidung, daß die Häuser für ‘soziales Wohnen’ erhalten bleiben sollen, sogar offenen Wahlkampf mit diesem Thema.
Am 1. Mai wird die Kaiserswerther Str. 290 zum zweiten Mal besetzt - vor allem, um die viel zu hohen Sozialmieten anzuprangern und der Forderung nach einem selbstverwalteten Wohnprojekt Nachdruck zu verleihen. [1583] Die Besetzung dauert diesmal nur 15 Minuten, dann wird wieder geräumt. Diesmal setzt die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift sogar noch eins drauf: ‘Landfriedensbruch’ statt ‘Hausfriedensbruch’ [1584] wird den BesetzerInnen jetzt vorgeworfen, obwohl alle ohne jeden Widerstand verhaftet worden waren. Vor dem Hintergrund von einigen tausend freiwerdenden ‘Engländer-Wohnungen’ im Besitz der öffentlichen Hand soll hier offensichtlich ein Exempel statuiert und vor Nachahmungen gewarnt werden. In Veröffentlichungen geben die BesetzerInnen die erwarteten Kosten für Prozesse, Anwälte, mögliche Schadensersatzforderungen etc. mit bis zu 80.000 DM an. [1585]

Auf einer Pressekonferenz spricht sich der neue NRW-Wohnungsbauminister Michael Vesper (Bündnis 90/Die Grünen) gegen die Kriminalisierung der BesetzerInnen aus. Die Besetzung sei eine Form “von zivilem Ungehorsam [1586] gewesen. Auch die Presse zeigt sich überwiegend verständnisvoll. In seinem Kommentar “Da riß die Hutschnur [1587] schreibt der ansonsten eher als konservativer Pressevertreter bekannte Ludolf Schulte am 9. September in der Rheinischen Post: “In Kürze werden junge Leute vor Gericht stehen, weil sie die Häuser besetzt hatten. Ihnen war angesichts behördlicher Inkompetenz die berühmte Hutschnur gerissen. Wie wird das Urteil lauten? (...) Seine [Vespers; d.V.] Einschätzung drückt vielmehr aus, was viele gerade an dieser Stelle empfinden mögen: Guten Gewissens kann niemand diese Hausbesetzer hart bestrafen und gleichzeitig verleugnen, daß hochangesehene Bundes- wie Landesbehörden fahrlässig einen Anlaß zu dem Übergriff gegeben haben. Von schlechtem Gewissen muß auch die Städtische Wohnungsgesellschaft gewesen sein, als sie ‘vorsorglich’ ein Bauschild zur Abwehr einer weiteren Besetzung aufstellen ließ, ohne im Besitz von Umbaurecht zu sein .”[1588]
Am 8. September 1995 erklärt Vesper, die vier Häuser würden vom Land für 4,35 Millionen DM an die Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) verkauft. Da der ursprünglich angestrebte Verkaufspreis von 3 Millionen DM nicht zu halten gewesen sei, habe die Städtische Wohnungsbaugesellschaft einen Rückzieher machen müssen. Laut Vesper wäre ein “niedrigerer Kaufpreis (...) aus rechtlichen Gründen nicht möglich gewesen .”[1589] Eine Mitarbeiterin der Ratsfraktion der Grünen erklärt gegenüber einem Mitglied der Initiative Kaiserswerther Straße , daß es zu keinem Zeitpunkt schriftlich fixierte Kaufvereinbarungen zwischen Stadt und Land bezüglich der vier Häuser gegeben habe. Sie vermutet, daß die im Februar 1995 ausschließlich von SPD-PolitikerInnen aus Stadt und Land getroffenen Abmachungen während der heißen Wahlkampfphase in erster Linie dazu gedacht waren, die kritische Öffentlichkeit zu beruhigen.
Am 29. September 1995 werden die ersten vier von insgesamt 21 BesetzerInnen vor dem Düsseldorfer Amtsgericht wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch zu jeweils 1.000 DM Geldstrafe verurteilt. [1590] Der Prozeß gegen die 21 BesetzerInnen ist unseres Wissen nach der größte, der jemals in Düsseldorf wegen einer Hausbesetzung geführt wurde. Auch auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen Anfang der achtziger Jahre wurden zu keinem Zeitpunkt derart viele Menschen wegen der Besetzung eines einzigen Hauses angeklagt. [1591]


[1576] Vgl. Reader Kaiserswerther Straße, S. 32 ff.
[1577] Vgl. ebenda, S. 56.
[1578] RP, 6.2.95.
[1579] “Mensch lasse sich das mal auf der Zunge zergehen: ‘Sachbeschädigung’ an einem Haus zu verüben, das eigentlich abgerissen werden soll! Und zum ‘Hausfriedensbruch’: Stören Bagger und Abrißbirne den ‘Frieden’ eines Hauses nicht ein bißchen nachhaltiger?” , vgl. SoWe-ErstsemesterInnen-Info 1995, 9/95, S. 19.
[1580] Vgl. RP, 22.2.95.
[1581] Vgl. ebenda.
[1582] Die Wahlen finden am 15. Mai 1995 statt: Die SPD verliert ihre absolute Mehrheit und geht, nach langwierigen Verhandlungen, eine Koalition mit den Grünen ein, die ihren Stimmenanteil auf über 10% verdoppeln konnten. Die Grünen werden mit nur zwei MinisterInnenposten ‘abgespeist’: Das Umwelt- und das Wohnungsbauministerium.
[1583] Vgl. NRZ, 2.5.95.
[1584] Vgl. Reader Kaiserswerther Straße, S. 62.
[1585] Vgl. ebenda, S. 62.
[1586] RP, 9.9.95.
[1587] Ebenda.
[1588] Ebenda.
[1589] NRZ, 9.9.95.
[1590] Vgl. RP, 30.9.95.
[1591] Am 5. Dezember 1995, einige Wochen nach der Fertigstellung dieser Arbeit, beginnt vor dem Düsseldorfer Amtsgericht der Prozeß gegen die restlichen 17 BesetzerInnen. Alle werden wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung angeklagt, zwei BesetzerInnen außerdem wegen gefährlicher Körperverletzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Wir haben keinen Zweifel daran, daß auch die übrigen 17 Angeklagten verurteilt werden. Die unnachgiebige Staatsanwaltschaft, die schon im ersten Prozeß ein großes Interesse an der Verurteilung der BesetzerInnen gezeigt hat, wird selbst der/dem ‘verständnisvollsten’ Richter(in) kaum eine andere Wahl lassen.


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