Die neunziger Jahre sind bestimmt von einem
gigantischen ökonomischen Deregulierungs- und
Flexibilisierungsprozeß, der im größer gewordenen Deutschland
seit dem Zusammenbruch der DDR schlagartig vollzogen wird. Der in
Ostdeutschland durchgeführte Deindustrialisierungsprozeß setzt
Millionen von ArbeitnehmerInnen frei und hat ohne Zweifel auch
eine experimentelle Funktion für die gesamte BRD.
Die aus regulären Arbeitsverhältnissen ausgegliederten Menschen
sind entweder von staatlichen Sozialleistungen, die jedoch immer
weiter reduziert werden, abhängig, oder sie versuchen ihr Glück
auf dem sprunghaft größer werdenden Sektor der
KleinunternehmerInnen und ‘neuen Selbständigen’. Allerdings
muß ein Großteil von ihnen ihre neu gegründete Existenz schon
rasch wieder aufgeben.
Da die neoliberale Deregulierungspolitik vor allem im Osten der
Republik zu massenhafter Arbeitslosigkeit, Verarmung bzw.
Abhängigkeit von unsicheren staatlichen Sozialtransfers geführt
hat, kommt nach einer relativ kurzen Phase von ‘Wiedervereinigungs-Euphorie’
bei vielen Menschen Wut auf, die sich zunächst in Protesten
gegen die Politik der konservativen Bundesregierung artikuliert.
Auch deshalb wird vor allem von den Parteien der
Regierungskoalition die rassistische ‘Asyl-Diskussion’ in der
Öffentlichkeit forciert.
Hand in Hand mit dem ab 1991 eskalierenden neofaschistischen
Terror vor allem gegen Flüchtlinge und ArbeitsmigrantInnen -
aber auch gegen Obdachlose, Linke etc. - erklären CDU/CSU/FDP,
aber zunehmend auch SPD-PolitikerInnen, das ‘Boot sei voll’.
Der Artikel 16 des Grundgesetzes, nach dem politisch Verfolgte
Asylrecht in der BRD genießen, wird auf dem Höhepunkt der
faschistischen Morde und Pogrome - bei denen große Teile der
Bevölkerung oft applaudierend danabensteht - von einer
Zwei-Drittel-Mehrheit des Bundestages abgeschafft.
Es ist die Zeit des Rückzugs und des Niedergangs der linken und
sozialen Bewegungen. Der konservative ‘roll-back’, begonnen
in den Achtziger, wird mit ungeheurem Druck weiter betrieben.
Zwar entsteht in dem ‘Umbruch-Jahr’ der DDR (als viele noch
darauf hoffen, die ‘friedliche Revolution’ hätte auch
positive Auswirkungen auf die gesamte BRD) so etwas wie ein ‘Vorwärtsschub’
für BürgerInnen- und soziale Bewegungen. Davon ist jedoch
bereits ab Mitte 1990 nicht mehr viel zu spüren.
Auch die HausbesetzerInnenbewegung im Osten, die zunächst einige
hundert Häuser in ihren Besitz bringen kann, wird nach der
Übernahme bundesdeutscher Gesetze und ökonomischer
Funktionsprinzipien mit zunehmendem Druck konfrontiert. Etliche
Häuser werden nach dem 3. Oktober 1990 geräumt, das bekannteste
Beispiel ist die brutale Eroberung eines ganzen Straßenzuges,
der Mainzer Straße, in Ostberlin im November 1990 durch
überwiegend westdeutsche Polizeieinheiten. Andere Häuser, etwa
in Leipzig-Connewitz, erhalten zeitlich befristete Verträge,
nach deren Ablauf die Räumung der ehemals besetzten Häuser
droht.
Im Westen sieht die Situation anders aus. Zwar ändert sich nach
der ‘Wiedervereinigung’ auch hier vieles, doch die
Änderungen sind für die Mehrzahl der Menschen bei weitem nicht
so extrem und weitgehend wie für die BürgerInnen im Osten.
Hausbesetzungen gibt es zwar weiterhin in allen größeren
Städten Westdeutschlands, sie haben aber längst die politische
Sprengkraft der frühen Achtziger verloren. Sie werden meist
getragen von recht kleinen, überschaubaren linken ‘Szenezusammenhängen’,
die nicht über allzuviel Rückhalt in der Bevölkerung
verfügen. Interessant ist allerdings die Entwicklung eines ‘Überbleibsels’
der Häuserkämpfe der Achtziger - die Hafenstraße in Hamburg,
die mit beachtlicher Zähigkeit und vielen Widerständen zum
Trotz noch immer existiert.
Auch an Düsseldorf sind die bundesweiten Entwicklungen nicht
vorbeigegangen. Als aufstrebende (Außen)Wirtschafts- und
Handelsmetropole entwickelt sich die Stadt, unter dem zunehmenden
Konkurrenzdruck des EG-Binnenmarktes, vor allem in ihren
innerstädtischen Bereichen immer mehr zu einer gigantischen
Großbaustelle für Büros. Maßgeblich gefördert wird diese
Entwicklung von einer städtischen Planungs- und
Subventionspolitik, die beinahe vollständig auf den Zuzug von
Dienstleistungsunternehmen ausgerichtet ist.
Das Wohnen und Leben in der City wird immer teurer. Vor allem
Geringverdienende müssen dem Druck von SpekulantInnen,
MaklerInnen und Immobilienfirmen sowie - in ihrem Gefolge -
zahlungskräftigen Singles, ManagerInnen etc. ausweichen. So
werden immer mehr Menschen an die Ränder der Stadt gedrängt -
oder in Stadtteile, in denen die Modernisierung noch nicht so
weit fortgeschritten ist. Konsequenterweise stellt Bau- und
Planungsdezernent Dr. Küppers bereits Ende der achtziger Jahre
das Wohnen in der Innenstadt generell in Frage und weist auf
Wohnmöglichkeiten in den Umlandgemeinden hin. [1592]
In vielen Stadtteilen, die von Umstrukturierungsmaßnahmen
betroffen sind, regt sich Widerstand der betroffenen
Bevölkerung, der allerdings quantitativ hinter den
Protestbewegungen der siebziger und achtziger Jahre
zurückbleibt. In BürgerInneninitiativen, Aktions- oder
alternativen Planungsgruppen protestieren auch in den neunziger
Jahren Menschen gegen die städtischen Planungen, die überall
den Neubau von großen Flächen Büroraum, teilweise in Form von
Hochhäusern, vorsehen. Allen Gruppen ist gemein, daß sie von
den PolitikerInnen und StadtplanerInnen eine stärkere
Konzentration auf die Bedürfnisse der BürgerInnen nach
preiswertem Wohnen, Grün- und Erholungsflächen sowie einer
Reduzierung des ausufernden Individualverkehrs fordern.
Gegen die finanzstarken Interessen der Unternehmen und die
entsprechenden Planungen der Stadt können die meisten
Initiativen allerdings kaum Erfolge erringen. Wenn Projekte nicht
oder nur zum Teil realisiert werden, wie das IHZ, hängt das in
erster Linie von anderen Entwicklungen - etwa einem Überangebot
an Büroraum und/oder einer sich verschlechternden Konjunkturlage
- ab.
Vielversprechende Bestrebungen, die Arbeit der verschiedenen
Gruppen zu koordinieren und durch die Bündelung zu
effektivieren, verlaufen nach relativ kurzer Zeit wieder im
Sande.
Parallel zu der Arbeit der Initiativen kommt es vor allem 1990 zu
einigen Hausbesetzungen in Düsseldorf, die jedoch alle nach
relativ kurzer Zeit wieder beendet werden. Über Düsseldorf
hinaus bekannt wird das im November/Dezember 1990 für drei
Wochen besetzte Haus Alt Pempelfort 15. Nach dieser kurzen ‘Hoch-Phase’
passiert jedoch über drei Jahre lang wenig: Nur wenige der 1990
aktiven Gruppen beweisen einen ‘langen Atem’ - die
ökonomischen und politischen Interessen von Unternehmen und
Stadt erweisen sich als mächtiger als die Protestbewegungen.
Erst 1994/95 sind im Zusammenhang mit der Gründung der
(überwiegend) studentischen Initiative ‘Kaiserswerther Straße’
wieder nennenswerte Aktivitäten zu verzeichnen. Durch
kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit erreicht die Initiative
mit ihren Forderungen einen relativ hohen Bekanntheitsgrad.
Die Besetzung des Hauses Kaiserswerther Str. 290 am 4. Februar
1995 dauert zwar nur 7 Stunden, ist aber trotz der auffällig
brutalen polizeilichen Räumung ein politischer Erfolg, da
erreicht werden kann, daß mehrere ehemalige ‘Rheinarmee-Häuser’
in Düsseldorf vom Land nicht an Privat verkauft und abgerissen,
sondern als Sozialwohnungen erhalten bleiben. Ein Versuch der
Initiative, die ‘Koordinierung der Düsseldorfer
Wohnungsinitiativen’ zu reanimieren, scheitert jedoch.
[1592] Vgl. Die Grünen, Die Stadt für wen?, 11/1990, S. 6.