4. Zusammenfassung und Fazit

 

4.1 Zusammenfassung

Die neunziger Jahre sind bestimmt von einem gigantischen ökonomischen Deregulierungs- und Flexibilisierungsprozeß, der im größer gewordenen Deutschland seit dem Zusammenbruch der DDR schlagartig vollzogen wird. Der in Ostdeutschland durchgeführte Deindustrialisierungsprozeß setzt Millionen von ArbeitnehmerInnen frei und hat ohne Zweifel auch eine experimentelle Funktion für die gesamte BRD.
Die aus regulären Arbeitsverhältnissen ausgegliederten Menschen sind entweder von staatlichen Sozialleistungen, die jedoch immer weiter reduziert werden, abhängig, oder sie versuchen ihr Glück auf dem sprunghaft größer werdenden Sektor der KleinunternehmerInnen und ‘neuen Selbständigen’. Allerdings muß ein Großteil von ihnen ihre neu gegründete Existenz schon rasch wieder aufgeben.
Da die neoliberale Deregulierungspolitik vor allem im Osten der Republik zu massenhafter Arbeitslosigkeit, Verarmung bzw. Abhängigkeit von unsicheren staatlichen Sozialtransfers geführt hat, kommt nach einer relativ kurzen Phase von ‘Wiedervereinigungs-Euphorie’ bei vielen Menschen Wut auf, die sich zunächst in Protesten gegen die Politik der konservativen Bundesregierung artikuliert. Auch deshalb wird vor allem von den Parteien der Regierungskoalition die rassistische ‘Asyl-Diskussion’ in der Öffentlichkeit forciert.
Hand in Hand mit dem ab 1991 eskalierenden neofaschistischen Terror vor allem gegen Flüchtlinge und ArbeitsmigrantInnen - aber auch gegen Obdachlose, Linke etc. - erklären CDU/CSU/FDP, aber zunehmend auch SPD-PolitikerInnen, das ‘Boot sei voll’. Der Artikel 16 des Grundgesetzes, nach dem politisch Verfolgte Asylrecht in der BRD genießen, wird auf dem Höhepunkt der faschistischen Morde und Pogrome - bei denen große Teile der Bevölkerung oft applaudierend danabensteht - von einer Zwei-Drittel-Mehrheit des Bundestages abgeschafft.
Es ist die Zeit des Rückzugs und des Niedergangs der linken und sozialen Bewegungen. Der konservative ‘roll-back’, begonnen in den Achtziger, wird mit ungeheurem Druck weiter betrieben. Zwar entsteht in dem ‘Umbruch-Jahr’ der DDR (als viele noch darauf hoffen, die ‘friedliche Revolution’ hätte auch positive Auswirkungen auf die gesamte BRD) so etwas wie ein ‘Vorwärtsschub’ für BürgerInnen- und soziale Bewegungen. Davon ist jedoch bereits ab Mitte 1990 nicht mehr viel zu spüren.
Auch die HausbesetzerInnenbewegung im Osten, die zunächst einige hundert Häuser in ihren Besitz bringen kann, wird nach der Übernahme bundesdeutscher Gesetze und ökonomischer Funktionsprinzipien mit zunehmendem Druck konfrontiert. Etliche Häuser werden nach dem 3. Oktober 1990 geräumt, das bekannteste Beispiel ist die brutale Eroberung eines ganzen Straßenzuges, der Mainzer Straße, in Ostberlin im November 1990 durch überwiegend westdeutsche Polizeieinheiten. Andere Häuser, etwa in Leipzig-Connewitz, erhalten zeitlich befristete Verträge, nach deren Ablauf die Räumung der ehemals besetzten Häuser droht.
Im Westen sieht die Situation anders aus. Zwar ändert sich nach der ‘Wiedervereinigung’ auch hier vieles, doch die Änderungen sind für die Mehrzahl der Menschen bei weitem nicht so extrem und weitgehend wie für die BürgerInnen im Osten.
Hausbesetzungen gibt es zwar weiterhin in allen größeren Städten Westdeutschlands, sie haben aber längst die politische Sprengkraft der frühen Achtziger verloren. Sie werden meist getragen von recht kleinen, überschaubaren linken ‘Szenezusammenhängen’, die nicht über allzuviel Rückhalt in der Bevölkerung verfügen. Interessant ist allerdings die Entwicklung eines ‘Überbleibsels’ der Häuserkämpfe der Achtziger - die Hafenstraße in Hamburg, die mit beachtlicher Zähigkeit und vielen Widerständen zum Trotz noch immer existiert.
Auch an Düsseldorf sind die bundesweiten Entwicklungen nicht vorbeigegangen. Als aufstrebende (Außen)Wirtschafts- und Handelsmetropole entwickelt sich die Stadt, unter dem zunehmenden Konkurrenzdruck des EG-Binnenmarktes, vor allem in ihren innerstädtischen Bereichen immer mehr zu einer gigantischen Großbaustelle für Büros. Maßgeblich gefördert wird diese Entwicklung von einer städtischen Planungs- und Subventionspolitik, die beinahe vollständig auf den Zuzug von Dienstleistungsunternehmen ausgerichtet ist.
Das Wohnen und Leben in der City wird immer teurer. Vor allem Geringverdienende müssen dem Druck von SpekulantInnen, MaklerInnen und Immobilienfirmen sowie - in ihrem Gefolge - zahlungskräftigen Singles, ManagerInnen etc. ausweichen. So werden immer mehr Menschen an die Ränder der Stadt gedrängt - oder in Stadtteile, in denen die Modernisierung noch nicht so weit fortgeschritten ist. Konsequenterweise stellt Bau- und Planungsdezernent Dr. Küppers bereits Ende der achtziger Jahre das Wohnen in der Innenstadt generell in Frage und weist auf Wohnmöglichkeiten in den Umlandgemeinden hin. [1592]
In vielen Stadtteilen, die von Umstrukturierungsmaßnahmen betroffen sind, regt sich Widerstand der betroffenen Bevölkerung, der allerdings quantitativ hinter den Protestbewegungen der siebziger und achtziger Jahre zurückbleibt. In BürgerInneninitiativen, Aktions- oder alternativen Planungsgruppen protestieren auch in den neunziger Jahren Menschen gegen die städtischen Planungen, die überall den Neubau von großen Flächen Büroraum, teilweise in Form von Hochhäusern, vorsehen. Allen Gruppen ist gemein, daß sie von den PolitikerInnen und StadtplanerInnen eine stärkere Konzentration auf die Bedürfnisse der BürgerInnen nach preiswertem Wohnen, Grün- und Erholungsflächen sowie einer Reduzierung des ausufernden Individualverkehrs fordern.
Gegen die finanzstarken Interessen der Unternehmen und die entsprechenden Planungen der Stadt können die meisten Initiativen allerdings kaum Erfolge erringen. Wenn Projekte nicht oder nur zum Teil realisiert werden, wie das IHZ, hängt das in erster Linie von anderen Entwicklungen - etwa einem Überangebot an Büroraum und/oder einer sich verschlechternden Konjunkturlage - ab.
Vielversprechende Bestrebungen, die Arbeit der verschiedenen Gruppen zu koordinieren und durch die Bündelung zu effektivieren, verlaufen nach relativ kurzer Zeit wieder im Sande.
Parallel zu der Arbeit der Initiativen kommt es vor allem 1990 zu einigen Hausbesetzungen in Düsseldorf, die jedoch alle nach relativ kurzer Zeit wieder beendet werden. Über Düsseldorf hinaus bekannt wird das im November/Dezember 1990 für drei Wochen besetzte Haus Alt Pempelfort 15. Nach dieser kurzen ‘Hoch-Phase’ passiert jedoch über drei Jahre lang wenig: Nur wenige der 1990 aktiven Gruppen beweisen einen ‘langen Atem’ - die ökonomischen und politischen Interessen von Unternehmen und Stadt erweisen sich als mächtiger als die Protestbewegungen.
Erst 1994/95 sind im Zusammenhang mit der Gründung der (überwiegend) studentischen Initiative ‘Kaiserswerther Straße’ wieder nennenswerte Aktivitäten zu verzeichnen. Durch kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit erreicht die Initiative mit ihren Forderungen einen relativ hohen Bekanntheitsgrad.
Die Besetzung des Hauses Kaiserswerther Str. 290 am 4. Februar 1995 dauert zwar nur 7 Stunden, ist aber trotz der auffällig brutalen polizeilichen Räumung ein politischer Erfolg, da erreicht werden kann, daß mehrere ehemalige ‘Rheinarmee-Häuser’ in Düsseldorf vom Land nicht an Privat verkauft und abgerissen, sondern als Sozialwohnungen erhalten bleiben. Ein Versuch der Initiative, die ‘Koordinierung der Düsseldorfer Wohnungsinitiativen’ zu reanimieren, scheitert jedoch.


[1592] Vgl. Die Grünen, Die Stadt für wen?, 11/1990, S. 6.


Zur nächsten Seite

Zurück zum Inhaltsverzeichnis