Die Nachkriegsjahre in der BRD sind - vor dem
Hintergrund von ‘Wirtschaftswunder’ und steigenden
Reallöhnen - geprägt von einer relativ hohen Identifikation
eines großen Teils der ArbeitnehmerInnen mit dem
wirtschaftlichen und politischen System der BRD. Von den
Herrschenden werden alle Überreste linker Opposition, die den
Faschismus überlebt haben, während der repressiven, von
Antikommunismus geprägten Adenauer-Ära mit massenhafter
Kriminalisierung verfolgt. Außenpolitisch versuchen die zum
großen Teil schon während des Faschismus herrschenden
BRD-Eliten mit beinahe allen Mitteln, die Ergebnisse des Zweiten
Weltkrieges zu revidieren. Im Kalten Krieg ist die BRD, als ‘Frontstaat’
gegenüber den sozialistischen Ländern, auf Integration in das
westliche Bündnis bedacht. Der neu entstandene zweite deutsche
Staat, die DDR, soll vor allem mit ökonomischem Druck in die
Knie gezwungen werden.
Vor dem Hintergrund der ersten Rezession in der BRD kommt es ab
1967 zu schärfer werdenden Verteilungskämpfen. Bei den ‘wilden
Streiks’ 1969 kündigen ArbeiterInnen - gegen den Willen der
Gewerkschaftsführungen - den ‘sozialen Burgfrieden’ der
fünfziger und sechziger Jahre auf.
Gleichzeitig herrscht am Ende der sechziger Jahre eine
Aufbruchstimmung unter StudentInnen, Intellektuellen und dem
linken bis liberalen Teil des BürgerInnentums. Vor allem dieser
Teil der Gesellschaft beginnt nun, der Großen Koalition Druck zu
machen und die während der restaurativen Nachkriegszeit nicht in
Angriff genommenen Reformprojekte einzufordern. Die Zeit der
modernisierungsfeindlichen Regierungen, die nicht willens oder in
der Lage sind, die auch objektiv notwendig gewordenen Reformen
durchzuführen, ist endgültig abgelaufen. Das in den vergangenen
zwei Jahrzehnten aufgetürmte soziale Konfliktpotential beginnt,
sich in dieser Situation zu entladen.
Besonders deutlich wird dies im Bereich der Wohnungspolitik. Die
von CDU und FDP betriebene Politik zugunsten von
HauseigentümerInnen und gegen die Interessen der MieterInnen
hat, unter anderem durch die starke Reduzierung des sozialen
Wohnungsbaus, zu einer katastrophalen Situation auf dem
Wohnungsmarkt geführt. Sowohl Bodenpreise als auch Mieten haben
sich zwischen 1960 und 1970 fast verdoppelt. Die MieterInnen
beginnen ab 1969/70, ihre Proteste öffentlich zu artikulieren.
Die ersten sich formierenden BürgerInnenbewegungen treffen
Anfang der siebziger Jahre auf die Überreste des studentischen
Teils der APO. Nach der Auflösung des SDS 1969 versuchen Teile
der StudentInnenbewegung, in die Produktionssphäre einzudringen
und in den Betrieben die ArbeiterInnen zu agitieren. Dieser
politische Ansatz erweist sich jedoch ziemlich rasch als
gescheitert. Nunmehr verlagert sich die politische Arbeit - vor
allem des undogmatischen, spontaneistischen Teils der Bewegung -
in einen als zentral erkannten Bereich der Reproduktion: das
Wohnen. Bereits 1969/70 kommt es zu ersten Hausbesetzungen durch
StudentInnen. Und siehe da: “ Was Rudi Dutschke vergeblich
erhoffte, was dem SDS nie gelang, schaffen zur Zeit
protestierende Studenten fast mühelos: Den Beifall des Bürgers,
die Solidarisierung von Arbeitern, Angestellten und Beamten .”[798]
Allerdings sind viele StudentInnen nicht primär auf der Suche
nach einem neuen revolutionären Arbeitsfeld. Ein wichtiger
Faktor für das studentische Engagement bei den Protesten gegen
Umstrukturierung und Wohnraumvernichtung ist die rasch wachsende
Wohnungsnot unter StudentInnen selbst. Durch den Ausbau der
Universitäten und die forcierte Gründung von Fachhochschulen
wächst die Anzahl der Studierenden in den meisten Städten der
BRD sprunghaft an. Angesichts des völlig vernachlässigten Baus
von StudentInnenwohnheimen und öffentlich geförderten Wohnungen
drängen die meist mit geringen finanziellen Mitteln
ausgestatteten Studierenden auf den freien Wohnungsmarkt, der
ihre Nachfrage nach preiswertem Wohnraum nicht befriedigen kann.
Im Zuge des ständig anwachsenden Bildungsniveaus kommt es auch
zu zunehmenden Individualisierungstendenzen. Diese führen unter
anderem zu einer Neudefinition kultureller Werte. Es entstehen
neue politische und kulturelle Ausdrucksformen. Andere Formen des
Zusammenlebens, jenseits der Normen der bürgerlichen
Kleinfamilie, werden ausprobiert. So bilden sich - nicht nur in
besetzten Häusern - Wohngemeinschaften und Kommunen mit mehr
oder weniger weitgehenden Ansprüchen an kollektives Leben,
Arbeiten und politische Aktivität.
Die Rezession in der BRD macht auch vor Düsseldorf nicht halt.
Die Stadt, die mittlerweile den Ruf hat, ‘Schreibtisch des
Ruhrgebiets’ zu sein, reagiert auf die
Konjunkturverschlechterung mit Investitionsanreizen. Neue
Handels- und Bankbetriebe siedeln sich in den Randbereichen der
Düsseldorfer Innenstadt in ehemaligen Wohngebieten an. Für die
BürgerInnen werden als Ersatz neue Stadtteile in der Peripherie
aus dem Boden gestampft. Der Stadtrat stellt in der Folgezeit
fest, daß immer mehr Besserverdienende aus den innenstadtnahen
Wohnbereichen abwandern, um sich ‘im Grünen’ anzusiedeln.
Zurück bleiben überalterte Stadtteile mit hohem
SozialhilfeempfängerInnen- und AusländerInnenanteil. Diese ‘unattraktiven’
Wohnviertel passen nicht in das mühsam aufgebaute Image der
Handelsmetropole Düsseldorf. Im Zuge des Finanzreformgesetzes,
das für die Kommunen ein verstärktes Ansiedeln
einkommensstarker Bevölkerungsschichten erforderlich macht,
werden Stadtteilsanierungsprogramme erstellt, die die
innenstadtnahen Wohnbereiche aufwerten sollen.
Die geplante Stadtteilsanierung löst eine Welle der Spekulation
mit Wohnraum aus. Vor dem Hintergrund der globalen Aufwertung
ganzer Gebiete kaufen in der Folgezeit SpekulantInnen hunderte
von Altbauten auf, entmieten und modernisieren diese bzw. reißen
die Häuser für Neubauten ab. Die so entstandenen
Luxuseigentumswohnungen werden anschließend mit Millionengewinn
verkauft.
Eine weitere MieterInnenvertreibung findet durch einen
hauptsächlich von der Wirtschaft geforderten Ausbau der
vorhandenen Infrastruktur - vor allem durch Straßen- und
Flughafenausbau - statt. Mehrere hundert Wohnhäuser fallen dem
Ausbau und der Erweiterung vorhandener Verkehrswege zum Opfer.
In beiden Fällen bleibt vielen alteingesessenen MieterInnen nur
die Wahl, entweder in die neuen Trabantenstädte abzuwandern oder
den Kampf gegen SpekulantInnen und Stadt aufzunehmen, die sowohl
die Stadtteilsanierung ins Rollen gebracht hat als auch die
verkehrsplanerischen Konzepte durchsetzen will. Diejenigen, die
sich nicht mit ihrer Verdrängung abfinden wollen, formieren den
Widerstand vor allem in Form von BürgerInneninitiativen.
In Düsseldorf sind in den siebziger Jahren ca. 20.000 Menschen
als wohnungssuchend gemeldet. Insbesondere die Studierenden der
in Düsseldorf rasch wachsenden Universität und der
Fachhochschule haben große Schwierigkeiten, auf dem freien
Wohnungsmarkt eine billige ‘Bude’ zu finden.
Bereits 1970 bildet sich die ‘Aktionsgruppe Studentische
Wohnungsnot’. Nach überwiegend erfolglosen Verhandlungen mit
der Stadt über die Herausgabe von leerstehenden Häusern wird
von StudentInnen 1972 das Haus Kronprinzenstr.113 besetzt. Dabei
spielen die Asten der Düsseldorfer Hochschulen - zunächst vor
allem der Kunstakademie und der Universität, später auch der
Fachhochschule - eine bedeutende Rolle. Im Anschluß an die
Besetzung wird der Verein ‘Aktion Wohnungsnot’ (AWN)
gegründet, der von der Stadt in den folgenden Jahren
Abbruchhäuser zur Verfügung gestellt bekommt, in denen
StudentInnen, SchülerInnen und andere Menschen mit geringem
Einkommen mietfrei wohnen können.
In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre kommt es zur
Verknüpfung der Arbeit der AWN mit den BürgerInnenprotesten,
die sich bereits seit Mitte der siebziger Jahre gegen städtische
Planungen richten. So schafft es die AWN beispielsweise in den
Jahren 1977/78, durch ihre maßgebliche Beteiligung am Aufbau der
BürgerInneninitiative ‘Rettet Bilk’ dem wachsenden Unmut der
Stadtteilbevölkerung einen organisatorischen Rahmen zu geben.
Die Arbeit von ‘Rettet Bilk’ spielt eine wichtige Rolle beim
partiellen Scheitern der städtischen Umstrukturierungspläne.
Viele Menschen erfahren im Verlauf dieser konstruktiven
Zusammenarbeit ganz praktisch, wie städtische PlanerInnen und
private SpekulantInnen bei der Vertreibung alteingesessener
MieterInnen zusammenarbeiten. Sie erkennen, daß die Stadt nicht
für alle BürgerInnen ‘gleich gut’ plant, sondern sich
primär an Besserverdienenden und Unternehmen orientiert.
Trotz der teilweise guten Stadtteilarbeit und dem stetigen
Anwachsen des ‘Hausbestandes’ kommt es innerhalb des Vereins
AWN zu politischen ‘Erstarrungserscheinungen’. Allen
Dezentralisierungs- und Reanimationsversuchen zum Trotz schlafen
die politischen und vereinsorganisatorischen Aktivitäten eines
großen Teils der HausbewohnerInnen ein.
Ab 1978/79 nehmen die Aktivitäten gegen wohnraumvernichtende
städtische Planungen und die Machenschaften von SpekulantInnen
gleich auf mehreren Ebenen wieder zu:
Ab diesem Punkt verschärfen sich die
Auseinandersetzungen mit der Polizei. Nach der gewaltsamen
Vertreibung der ‘Wohnungsamt-BesucherInnen’ wird kurz nach
den Kommunalwahlen 1979 das Haus Kronprinzenstr. 90 geräumt.
Auch dies kann als Indikator dafür betrachtet werden, daß die
eher ‘netten, kooperativen’ siebziger Jahre zu Ende gehen, in
denen Hausbesetzungen [799] im
Kampf gegen Wohnungsnot und Umstrukturierung nur eine
untergeordnete Rolle spielen.
Im Fazit werden wir deshalb die ‘Aktion Wohnungsnot’ ins
Zentrum unserer Betrachtungen stellen.
[798] RP, 30.9.70.
[799] In den Jahren von 1968 bis 1970 hatte es vermutlich
mehrere, spektakuläre Hausbesetzungen gegeben, die in erster
Linie symbolischen Charakter gehabt haben dürften. Jedenfalls
ist uns nicht bekannt, das eins dieser Häuser über einen
längeren Zeitraum besetzt gewesen wäre. Auch über die von uns
erwähnten ‘schleichenden’ Besetzungen von Häusern in
Lohausen und auf der Theodorstraße in Rath im Jahre 1979
besitzen wir keine genauen Informationen. Sämtliche Hinweise auf
diese Haus- bzw. Wohnungsbesetzungen stammen aus dem Interview
mit Willi Nodes, der keine exakten Angaben über Datum und Ort -
Straßenname bzw. Hausnummer - machen konnte. Mit Ort und Datum
lassen sich lediglich drei Besetzungen belegen:
1. Das städtische Haus Kronprinzenstr. 113 am 9. Mai 1972,
2. das Privathaus Neusser Tor 4 im Dezember 1975, sowie
3. das Privathaus Kronprinzenstr. 90 am 19. September 1979.