4. Zusammenfassung und Fazit

 

4.1 Zusammenfassung

Die Nachkriegsjahre in der BRD sind - vor dem Hintergrund von ‘Wirtschaftswunder’ und steigenden Reallöhnen - geprägt von einer relativ hohen Identifikation eines großen Teils der ArbeitnehmerInnen mit dem wirtschaftlichen und politischen System der BRD. Von den Herrschenden werden alle Überreste linker Opposition, die den Faschismus überlebt haben, während der repressiven, von Antikommunismus geprägten Adenauer-Ära mit massenhafter Kriminalisierung verfolgt. Außenpolitisch versuchen die zum großen Teil schon während des Faschismus herrschenden BRD-Eliten mit beinahe allen Mitteln, die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges zu revidieren. Im Kalten Krieg ist die BRD, als ‘Frontstaat’ gegenüber den sozialistischen Ländern, auf Integration in das westliche Bündnis bedacht. Der neu entstandene zweite deutsche Staat, die DDR, soll vor allem mit ökonomischem Druck in die Knie gezwungen werden.
Vor dem Hintergrund der ersten Rezession in der BRD kommt es ab 1967 zu schärfer werdenden Verteilungskämpfen. Bei den ‘wilden Streiks’ 1969 kündigen ArbeiterInnen - gegen den Willen der Gewerkschaftsführungen - den ‘sozialen Burgfrieden’ der fünfziger und sechziger Jahre auf.
Gleichzeitig herrscht am Ende der sechziger Jahre eine Aufbruchstimmung unter StudentInnen, Intellektuellen und dem linken bis liberalen Teil des BürgerInnentums. Vor allem dieser Teil der Gesellschaft beginnt nun, der Großen Koalition Druck zu machen und die während der restaurativen Nachkriegszeit nicht in Angriff genommenen Reformprojekte einzufordern. Die Zeit der modernisierungsfeindlichen Regierungen, die nicht willens oder in der Lage sind, die auch objektiv notwendig gewordenen Reformen durchzuführen, ist endgültig abgelaufen. Das in den vergangenen zwei Jahrzehnten aufgetürmte soziale Konfliktpotential beginnt, sich in dieser Situation zu entladen.
Besonders deutlich wird dies im Bereich der Wohnungspolitik. Die von CDU und FDP betriebene Politik zugunsten von HauseigentümerInnen und gegen die Interessen der MieterInnen hat, unter anderem durch die starke Reduzierung des sozialen Wohnungsbaus, zu einer katastrophalen Situation auf dem Wohnungsmarkt geführt. Sowohl Bodenpreise als auch Mieten haben sich zwischen 1960 und 1970 fast verdoppelt. Die MieterInnen beginnen ab 1969/70, ihre Proteste öffentlich zu artikulieren. Die ersten sich formierenden BürgerInnenbewegungen treffen Anfang der siebziger Jahre auf die Überreste des studentischen Teils der APO. Nach der Auflösung des SDS 1969 versuchen Teile der StudentInnenbewegung, in die Produktionssphäre einzudringen und in den Betrieben die ArbeiterInnen zu agitieren. Dieser politische Ansatz erweist sich jedoch ziemlich rasch als gescheitert. Nunmehr verlagert sich die politische Arbeit - vor allem des undogmatischen, spontaneistischen Teils der Bewegung - in einen als zentral erkannten Bereich der Reproduktion: das Wohnen. Bereits 1969/70 kommt es zu ersten Hausbesetzungen durch StudentInnen. Und siehe da: “ Was Rudi Dutschke vergeblich erhoffte, was dem SDS nie gelang, schaffen zur Zeit protestierende Studenten fast mühelos: Den Beifall des Bürgers, die Solidarisierung von Arbeitern, Angestellten und Beamten .”[798]
Allerdings sind viele StudentInnen nicht primär auf der Suche nach einem neuen revolutionären Arbeitsfeld. Ein wichtiger Faktor für das studentische Engagement bei den Protesten gegen Umstrukturierung und Wohnraumvernichtung ist die rasch wachsende Wohnungsnot unter StudentInnen selbst. Durch den Ausbau der Universitäten und die forcierte Gründung von Fachhochschulen wächst die Anzahl der Studierenden in den meisten Städten der BRD sprunghaft an. Angesichts des völlig vernachlässigten Baus von StudentInnenwohnheimen und öffentlich geförderten Wohnungen drängen die meist mit geringen finanziellen Mitteln ausgestatteten Studierenden auf den freien Wohnungsmarkt, der ihre Nachfrage nach preiswertem Wohnraum nicht befriedigen kann.
Im Zuge des ständig anwachsenden Bildungsniveaus kommt es auch zu zunehmenden Individualisierungstendenzen. Diese führen unter anderem zu einer Neudefinition kultureller Werte. Es entstehen neue politische und kulturelle Ausdrucksformen. Andere Formen des Zusammenlebens, jenseits der Normen der bürgerlichen Kleinfamilie, werden ausprobiert. So bilden sich - nicht nur in besetzten Häusern - Wohngemeinschaften und Kommunen mit mehr oder weniger weitgehenden Ansprüchen an kollektives Leben, Arbeiten und politische Aktivität.
Die Rezession in der BRD macht auch vor Düsseldorf nicht halt. Die Stadt, die mittlerweile den Ruf hat, ‘Schreibtisch des Ruhrgebiets’ zu sein, reagiert auf die Konjunkturverschlechterung mit Investitionsanreizen. Neue Handels- und Bankbetriebe siedeln sich in den Randbereichen der Düsseldorfer Innenstadt in ehemaligen Wohngebieten an. Für die BürgerInnen werden als Ersatz neue Stadtteile in der Peripherie aus dem Boden gestampft. Der Stadtrat stellt in der Folgezeit fest, daß immer mehr Besserverdienende aus den innenstadtnahen Wohnbereichen abwandern, um sich ‘im Grünen’ anzusiedeln. Zurück bleiben überalterte Stadtteile mit hohem SozialhilfeempfängerInnen- und AusländerInnenanteil. Diese ‘unattraktiven’ Wohnviertel passen nicht in das mühsam aufgebaute Image der Handelsmetropole Düsseldorf. Im Zuge des Finanzreformgesetzes, das für die Kommunen ein verstärktes Ansiedeln einkommensstarker Bevölkerungsschichten erforderlich macht, werden Stadtteilsanierungsprogramme erstellt, die die innenstadtnahen Wohnbereiche aufwerten sollen.
Die geplante Stadtteilsanierung löst eine Welle der Spekulation mit Wohnraum aus. Vor dem Hintergrund der globalen Aufwertung ganzer Gebiete kaufen in der Folgezeit SpekulantInnen hunderte von Altbauten auf, entmieten und modernisieren diese bzw. reißen die Häuser für Neubauten ab. Die so entstandenen Luxuseigentumswohnungen werden anschließend mit Millionengewinn verkauft.
Eine weitere MieterInnenvertreibung findet durch einen hauptsächlich von der Wirtschaft geforderten Ausbau der vorhandenen Infrastruktur - vor allem durch Straßen- und Flughafenausbau - statt. Mehrere hundert Wohnhäuser fallen dem Ausbau und der Erweiterung vorhandener Verkehrswege zum Opfer.
In beiden Fällen bleibt vielen alteingesessenen MieterInnen nur die Wahl, entweder in die neuen Trabantenstädte abzuwandern oder den Kampf gegen SpekulantInnen und Stadt aufzunehmen, die sowohl die Stadtteilsanierung ins Rollen gebracht hat als auch die verkehrsplanerischen Konzepte durchsetzen will. Diejenigen, die sich nicht mit ihrer Verdrängung abfinden wollen, formieren den Widerstand vor allem in Form von BürgerInneninitiativen.
In Düsseldorf sind in den siebziger Jahren ca. 20.000 Menschen als wohnungssuchend gemeldet. Insbesondere die Studierenden der in Düsseldorf rasch wachsenden Universität und der Fachhochschule haben große Schwierigkeiten, auf dem freien Wohnungsmarkt eine billige ‘Bude’ zu finden.
Bereits 1970 bildet sich die ‘Aktionsgruppe Studentische Wohnungsnot’. Nach überwiegend erfolglosen Verhandlungen mit der Stadt über die Herausgabe von leerstehenden Häusern wird von StudentInnen 1972 das Haus Kronprinzenstr.113 besetzt. Dabei spielen die Asten der Düsseldorfer Hochschulen - zunächst vor allem der Kunstakademie und der Universität, später auch der Fachhochschule - eine bedeutende Rolle. Im Anschluß an die Besetzung wird der Verein ‘Aktion Wohnungsnot’ (AWN) gegründet, der von der Stadt in den folgenden Jahren Abbruchhäuser zur Verfügung gestellt bekommt, in denen StudentInnen, SchülerInnen und andere Menschen mit geringem Einkommen mietfrei wohnen können.
In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre kommt es zur Verknüpfung der Arbeit der AWN mit den BürgerInnenprotesten, die sich bereits seit Mitte der siebziger Jahre gegen städtische Planungen richten. So schafft es die AWN beispielsweise in den Jahren 1977/78, durch ihre maßgebliche Beteiligung am Aufbau der BürgerInneninitiative ‘Rettet Bilk’ dem wachsenden Unmut der Stadtteilbevölkerung einen organisatorischen Rahmen zu geben. Die Arbeit von ‘Rettet Bilk’ spielt eine wichtige Rolle beim partiellen Scheitern der städtischen Umstrukturierungspläne.
Viele Menschen erfahren im Verlauf dieser konstruktiven Zusammenarbeit ganz praktisch, wie städtische PlanerInnen und private SpekulantInnen bei der Vertreibung alteingesessener MieterInnen zusammenarbeiten. Sie erkennen, daß die Stadt nicht für alle BürgerInnen ‘gleich gut’ plant, sondern sich primär an Besserverdienenden und Unternehmen orientiert.
Trotz der teilweise guten Stadtteilarbeit und dem stetigen Anwachsen des ‘Hausbestandes’ kommt es innerhalb des Vereins AWN zu politischen ‘Erstarrungserscheinungen’. Allen Dezentralisierungs- und Reanimationsversuchen zum Trotz schlafen die politischen und vereinsorganisatorischen Aktivitäten eines großen Teils der HausbewohnerInnen ein.
Ab 1978/79 nehmen die Aktivitäten gegen wohnraumvernichtende städtische Planungen und die Machenschaften von SpekulantInnen gleich auf mehreren Ebenen wieder zu:

Ab diesem Punkt verschärfen sich die Auseinandersetzungen mit der Polizei. Nach der gewaltsamen Vertreibung der ‘Wohnungsamt-BesucherInnen’ wird kurz nach den Kommunalwahlen 1979 das Haus Kronprinzenstr. 90 geräumt.
Auch dies kann als Indikator dafür betrachtet werden, daß die eher ‘netten, kooperativen’ siebziger Jahre zu Ende gehen, in denen Hausbesetzungen [799] im Kampf gegen Wohnungsnot und Umstrukturierung nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Im Fazit werden wir deshalb die ‘Aktion Wohnungsnot’ ins Zentrum unserer Betrachtungen stellen.


[798] RP, 30.9.70.
[799] In den Jahren von 1968 bis 1970 hatte es vermutlich mehrere, spektakuläre Hausbesetzungen gegeben, die in erster Linie symbolischen Charakter gehabt haben dürften. Jedenfalls ist uns nicht bekannt, das eins dieser Häuser über einen längeren Zeitraum besetzt gewesen wäre. Auch über die von uns erwähnten ‘schleichenden’ Besetzungen von Häusern in Lohausen und auf der Theodorstraße in Rath im Jahre 1979 besitzen wir keine genauen Informationen. Sämtliche Hinweise auf diese Haus- bzw. Wohnungsbesetzungen stammen aus dem Interview mit Willi Nodes, der keine exakten Angaben über Datum und Ort - Straßenname bzw. Hausnummer - machen konnte. Mit Ort und Datum lassen sich lediglich drei Besetzungen belegen:
1. Das städtische Haus Kronprinzenstr. 113 am 9. Mai 1972,
2. das Privathaus Neusser Tor 4 im Dezember 1975, sowie
3. das Privathaus Kronprinzenstr. 90 am 19. September 1979.


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