4.2 Fazit

4.2.1 Die Häuserkämpfe zu Beginn der Achtziger

Die Häuserkämpfe, die zu Beginn der achtziger Jahre in Düsseldorf stattfanden, werden manchmal heute noch mit einem verklärten oder erschreckten Blick - je nach Standpunkt - betrachtet. Dies betrifft vor allem die Größe der Bewegung und ihre Entschlossenheit zu militanten Reaktionen.
Wir glauben, daß diese Betrachtung so nicht haltbar ist.
Es ist richtig, daß vor allem im Jahre 1981 zahlreiche Häuser besetzt wurden. In der ersten Hälfte des Jahres waren es mindesten vierzehn. Die Anzahl der besetzten Häuser läßt jedoch keine direkten Rückschlüsse über die tatsächliche Größe der Bewegung zu. Bei genauerer Betrachtung fällt auf, daß viele Häuser von denselben Leuten besetzt wurden. Verfolgt man den Verlauf der einzelnen Besetzungen und vergleicht die Zeitpunkte von Räumungen und Neubesetzungen, so bleiben lediglich fünf Hauptgruppen übrig:

  1. Die BesetzerInnen der Vollmerswerther Str. 41,
  2. Der ‘Dresdner Pank’,
  3. die ‘Wohnungsrettungsgesellschaft’ in der Suitbertusstraße,
  4. die BesetzerInnen der Neusser Straße und
  5. Die Besetzungen, die von AWN- Mitgliedern ausgingen,

Ein weiteres Indiz dafür, daß die Bewegung eher überschaubar war, ist die Größe ihrer Demonstrationen. [1300] Es fällt auf, daß trotz der relativ großen Anzahl von besetzten Häuser in der Regel kaum mehr Menschen mobilisiert werden konnten, als etwa nach der Räumung der Kaiserswerther Straße im Jahre 1995.
Ein Unterschied zu den Hausbesetzungen der siebziger und neunziger Jahre liegt allerdings in der Entschlossenheit etlicher HäuserkämpferInnen, auf Räumungen oder Verhaftungen mit Militanz zu reagieren. Ab 1981 wurden Räumungen mit nächtlichen Aktionen beantwortet, bei denen zum Teil erheblicher Sachschaden an ‘exklusiven’ Geschäften auf der Königsallee, Banken und Gerichtsgebäuden angerichtet wurde. Auch die Bereitschaft zu Militanz bei Demonstrationen war zum Teil vorhanden. Dies führte zu erschrockenen Reaktionen bei PolitikerInnen und Geschäftsleuten. Die EigentümerInnen leerstehender Häuser mauerten diese aus Angst vor Besetzungen zu. Sozialdezernent Ranz appellierte an die privaten EigentümerInnen dieser Häuser, sie doch bis zum Umbau oder Abriß der AWN zur Verfügung zu stellen. Die zuvor eher nebenbei mit einigen städtischen Häusern bedachte AWN wurde in dieser Situation zum Vorzeigemodell für die Stadt. Sowohl SpekulantInnen als auch HausbesetzerInnen sollte signalisiert werden: ‘Seht her, es geht doch auch anders. Vertragt Euch also wieder.’ Das hat bekanntermaßen nicht funktioniert. Die ‘alte’, auf Kooperation mit der Stadt bedachte AWN wurde Mitte 1981 beerdigt, die mutig gewordenen HäuserkämpferInnen wollten diese Art von Kompromissen nicht mehr eingehen.
Wie kam es, daß eine Bewegung, die nicht wesentlich größer war als andere vor oder nach ihr, eine kurze Zeit lang relativ offensiv und selbstbewußt auftrat und damit für einigen ‘Wirbel’ in der Presse, im Rathaus, bei SpekulantInnen und der Düsseldorfer Geschäftswelt sorgen konnte?
Die Düsseldorfer HäuserkämpferInnen fanden sich nach Jahren, in denen es in der Stadt relativ ruhig geblieben war, ziemlich schlagartig in einer Situation wieder, in der die Häuserkämpfe bundesweit ‘explodierten’. In Berlin veröffentlichte die ‘Tageszeitung’ zu dieser Zeit jeden Tag Listen, auf denen die neu besetzten Häuser aufgeführt wurden und in vielen Städten ließ die Bewegung ‘die Puppen tanzen’. Man sah sich in einer Position der Stärke und glaubte, mit Hausbesetzungen ein Mittel gefunden zu haben, in kurzer Zeit große Erfolge im Kampf gegen SpekulantInnen, Verwaltungen und PolitikerInnen zu erzielen. Nicht zuletzt war das Leben in besetzten Häusern ein Ausbruchversuch aus der Enge bürgerlicher Lebensnormen und den dazugehörigen Wohnverhältnissen.
Die Bewegung entwickelte außerdem eine gewisse Eigendynamik. Die Besetzung der Vollmerswerther Str. 41 hatte eine starke ‘Sogwirkung’, in deren Folge etliche Häuser besetzt wurden. Man sah, daß durch Kreativität und Entschlossenheit etwas zu erreichen war. Diese Erfolge hatten natürlich eine starke Ausstrahlung auf andere Gruppen. Hausbesetzen war attraktiv geworden.
Die Bewegung ebbte allerdings fast genauso rasch ab, wie sie aufgekommen war. Keines der besetzten Privathäuser konnte letztlich gehalten werden. Die meisten Häuser wurden bis spätestens 1982/83 geräumt. Etliche wurden abgerissen.
Wie kam es zum schnellen Ende der Häuserkämpfe in Düsseldorf?
Bei der Betrachtung des Verlaufs der Bewegung ist auch im Bezug auf ihr Ende eine Parallelität zu den Ereignissen in Berlin nicht zu übersehen. Dort war nach der Wahl des CDU-Senats die Bewegung ins Stocken geraten und befand sich ab April/Mai 1981 in der Defensive.
Auch wenn die Auseinandersetzungen in Düsseldorf bei weitem nicht so gewalttätig ausgetragen wurden wie in Berlin, waren ab Mitte des Jahres auch hier gewisse Verschleißerscheinungen zu beobachten. Einige Leute waren nach Demonstrationen, Räumungen und nächtlichen ‘Entglasungsaktionen’ verhaftet worden. Kurzfristig ‘verstärkt wurden die BesetzerInnen im Frühjahr noch einmal durch eine größere Anzahl von PunkerInnen, die sich vor allem an den Besetzungen der Neusser Str. 75 und 77 sowie der Vollmerswerther Str. 41 beteiligten. Ansonsten war das Potential an AktivistInnen ausgeschöpft, es stießen kaum noch neue Leute hinzu.
Dazu kamen die Auswirkungen der polizeilichen und politischen Strategie, die mit einer wohldosierten Mischung aus Repression und ‘Gesprächs-bereitschaft/Deeskalation’ auf die Häuserkämpfe reagierte.
Die Bewegung hatte es versäumt, ab einem bestimmten Punkt in ‘die Breite’ zu gehen. Es wurden zu wenig Versuche unternommen, die Besetzungen durch die Gewinnung von BündnispartnerInnen abzusichern und gemeinsam mit anderen sozialen Bewegungen und Initiativen zu überlegen, wie man über das Erreichte hinaus, einen Schritt nach vorne kommen konnte. Stadtteilarbeit und die Zusammenarbeit mit BürgerInnenitiativen waren - anders als bei der AWN ab 1976 - nur in Ansätzen vorhanden. Im Zusammenhang einigen Hausbesetzungen kam es sogar zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Jugendlichen aus dem Stadtteil.
So wurde die Zusammenarbeit und inhaltliche Auseinandersetzung mit der Bevölkerung nicht konsequent und kontinuierlich gesucht. Vielmehr herrscht ein arrogantes Gehabe vor, das sich z.B. in der verächtlichen Bezeichnung der Arbeiterjugendlichen als ‘Prolls’ ausdrückt. In den Flugblättern der Hausbesetzer wird zumeist eine Sprache der radikalen Phrase gepflegt, die vielen unverständlich ist und abstoßend wirkt. Dies trägt dazu bei, daß die Arbeiterjugendlichen (...) für Aktionen, wie die Angriffe auf besetzte Häuser zu gewinnen sind. (...) Die Hausbesetzer sind gefordert, dem entgegenzuwirken, indem sie sich endlich mit diesen Menschen inhaltlich auseinandersetzen. [1301]
Die verschiedenen BesetzerInnen-Gruppen hatten sehr unterschiedliche politische Vorstellungen, die nicht erkennen ließen, wohin ‘die Reise’ eigentlich gehen sollte und ob es bei dieser Reise überhaupt gemeinsame Ziele gab. Auch der ausgeprägte Subjektivismus und die Dominanz subkultureller Strömungen, führten teilweise zu einer Abgrenzung von ‘Normalos’ und förderten nicht gerade die Ausdehnung der Bewegung und die Erarbeitung einer poltischen Strategie.
Wir finden auch in Düsseldorf Gruppen, die in den Häusern ‘Nester’ sahen, “von denen aus der Widerstand zusammenhängend gegen den Imperialismus organisiert und praktisch wird .”[1302] In anderen besetzten Häusern waren die Leute primär an billigem Wohnen und/oder der Verwirklichung ihrer Vorstellungen von kollektivem Leben interessiert. Wieder andere wollten gegen Wohnungsnot und den Abriß der Häuser protestieren. Zwar gab es häufig Vermischungen der verschiedenen Interessen, es wurde jedoch keine gemeinsame Strategie entwickelt. Stagnation und defensive Politik bedeuteten jedoch im Falle der besetzten Privathäuser letztendlich: Räumung.
Nach der Räumung etlicher Häuser kam es schon ab dem Herbst 1981 zu einem Rückzug eines Teils der BesetzerInnen in die städtischen Wohnungen auf der Theodorstraße und der Kiefernstraße.

4.2.2 Die Kiefernstraße

Zunächst muß bei der Betrachtung der wechselvollen Geschichte dieser Straße einmal festgestellt werden: Es gibt sie immer noch!
Es ist gelungen, die städtischen Umstrukturierungs-/Abrißpläne zu verhindern. Ein Wohngebiet, das sich im Eigentum der öffentlichen Hand befindet, konnte erhalten werden. Nicht nur die ehemaligen BesetzerInnen wohnen hier sehr billig. Auch für die übrigen MieterInnen sind die Mieten immer noch wesentlich niedriger, als in den meisten anderen innenstadtnahen Bezirken.
Auch in Bezug auf die Kiefernstraße existieren noch heute die Überreste eines ‘Mythos’, der besagt, daß es den BesetzerInnen gelang, der Stadt eine Art ‘befreites Gebiet’ abzutrotzen. Dieser ‘Mythos’ gründete sich hauptsächlich darauf, daß die besetzten Häuser auf der Straße nicht geräumt wurden. Dabei spielt auch die Anwendung von Militanz bei der Verteidigung zweier Häuser im Jahre 1986 eine Rolle.
Wir glauben jedoch, daß die Kiefernstraße heute nicht mehr existieren würde, wenn sie nicht eine Funktion im Rahmen der städtischen Befriedungspolitik gehabt hätte.
Die Kiefernstraße wurde schon früh zum Sammelbecken für Linksradikale, Ex-HäuserkämpferInnen, Punks und natürlich: soziale Problemfälle. Diese Entwicklung wurde vom städtischen Sozialdezernat und der SPD-Ratsfraktion - mit Rückendeckung durch die Düsseldorfer Polizei und das NRW-Innenministerium - über Jahre gefördert. Ziel dieser Politik war immer die soziale Befriedung der als soziale und/oder politische ‘Problemgruppen’ angesehenen BewohnerInnen der Häuser. Angestrebt war ab einem bestimmten Zeitpunkt der Abschluß regulärer Mietverträge. Dafür wurden auch die ursprünglichen Planungen für das Gebiet kurz-/mittelfristig zurückgestellt und später geändert.
Die Vermutung drängt sich auf, “ daß die Kiefernstraße als Sammelbecken diente, als ein Raum, der ‘gut’ zu kontrollieren war, sozusagen eine Marginalisierungs- und Ghettofunktion hatte. [1303]
Für die HäuserkämpferInnen wurde ein ‘Schlupfloch’ offengelassen, in das sie sich zurückziehen konnten. Eine auffallend ähnliche Politik betrieb auch der Berliner Senat. Die ‘Kiefernstraße Berlins’ war allerdings ein bißchen größer und hieß Kreuzberg.
Ein Resultat der Städtischen Befriedungsstrategie sowie der letztlich defensiven Politik der BewohnerInnen war eine über Jahre relativ konstante Fixierung auf die ‘Szene’. Es wurde kaum ein Versuch gemacht, über den eigenen Tellerrand zu schauen und sich anderen Gruppen und Initiativen zu öffnen/zu nähern.
Was den Einsatz bzw. die Androhung von Militanz zur Durchsetzung politischer Ziele angeht, so ist im Zusammenhang mit der Kiefernstraße festzustellen, daß dieser in bestimmten Situation - z.B. bei den brennenden Barrikaden 1986 - half, eine Räumung zu verhindern. Wir wagen allerdings zu behaupten, daß dieses Konzept angesichts der eigenen, relativ schwachen Kräfte und den Auseinandersetzungen, die solche Aktionen auf der Straße auslösten, nicht funktioniert hätte, wenn Stadt und Polizei von ihrem ‘Deeskalationskonzept’ abgewichen wären.
Dieses Konzept war das Resultat von jahrelangen, bis in die siebziger Jahre zurückreichenden Erfahrungen bei der Eindämmung von Protesten. Die Düsseldorfer Sozialdemokratie befürchtete, daß bei einer Räumung stadtweit nicht nur neue Häuser besetzt worden wären, sondern auch die Ruhe von Banken, Kaufhäusern und Königsallee nachhaltig gestört werden könnte. Die Erinnerung an die sich über die ganze Stadt ausbreitenden Häuserkämpfe im Jahre 1981 war noch frisch. Ein Wiederaufflackern der Auseinandersetzungen und die Wiederkehr der ‘Scherbennächte’ sollte auf jeden Fall vermieden werden.
Eine besondere Rolle spielte über mehrere Jahre die Kriminalisierung eines Teils der BewohnerInnen, der AntiimperialistInnen. Die Verhaftung mehrerer Kiefernstraßen-BewohnerInnen und ihre spätere Verurteilung schuf in der Öffentlichkeit das Bild eines ‘Terrornests Kiefernstraße’. Für etliche Bewoh-nerInnen bedeutete die Kriminalisierung ein Leben unter ständiger Anspannung, Angst vor Durchsuchungen und weiteren Verhaftungen. Auf die sozialdemokratische Befriedungsstrategie hatten die Verhaftungen jedoch keinen entscheidenden Einfluß. Sie verstärkten allerdings - unter anderem wegen der von CDU und einem Teil der Presse inszenierten Diffamierungskampagne - den Druck auf die BewohnerInnen und verschärften die Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppen auf der Straße. Letztlich beschleunigten sie nur einen Prozeß, an dessen Ende mit einer gewissen Zwangsläufigkeit der Abschluß von Mietverträgen stand.
Diese ‘Zwangsläufigkeit’ resultiert allerdings auch aus der Verschiedenartigkeit von Menschen und Interessen auf der Kiefernstraße.
Die BewohnerInnen der Straße stellten alles andere als eine homogene Gruppe dar. Die politischen Ziele und Vorstellungen von Wohnen und Leben konnten kaum unterschiedlicher sein. Einige wollten dort ‘nur’ billig wohnen - sie hatten deshalb natürlich kein Interesse an Konflikten mit der Stadt oder der Polizei. Andere stellten hohe Anforderungen an Kollektivität und hatten revolutionäre Ziele. “Die einen wollten ihren Freiraum gestalten und das Haus bedeutete einen ‘Mittelpunkt’. Die anderen sahen die Häuser als einen Ausgangspunkt für ihre politische ‘Arbeit’. ‘Die einen wollten ihr Kunststudium beenden, die anderen träumten von der Revolution’ (...). [1304]
Vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen, zum Teil diametralen Interessen der BewohnerInnen hätte nicht mehr erreicht werden können, als der Abschluß von Verträgen, die billige Mieten bedeuteten und die Entscheidungsbefugnis über NachmieterInnen weitgehend in den Händen der jeweiligen Häuser - bzw. deren SprecherInnen - beließen.
Heute herrscht ‘Frieden’ zwischen der Stadt und der ‘Kiefern’. Wohl niemand würde heute mehr von der Straße behaupten, daß sie ein ‘Hort des Terrorismus’ wäre. Und politische Impulse für die gesamte Stadt - oder wenigstens die ‘Restlinke’ bzw. die ‘Szene’ - gehen von ihr, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht mehr aus.
Falls es in einigen Jahren im Zusammenhang mit IHZ und VKW-Bebauung zum Abriß oder zur Modernisierung der Häuser kommen sollte, wird sich zeigen, ob die BewohnerInnen und andere Gruppen in der Stadt stark genug sein werden, diese Entwicklungen zu verhindern.


[1300] Uns ist eine Demonstration bekannt, an der ca. 700 Leute teilnahmen. Alle anderen Demonstrationen waren kleiner.
[1301] Vgl. Starkes Stück, 9/82, S.3.
[1302] Sägespan Nr. 11, 1981, S. 31.
[1303] Nagel, T., Die Häuser gehören uns, S. 133.
[1304] Ebenda, S. 136.


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