Die Häuserkämpfe, die zu Beginn der achtziger
Jahre in Düsseldorf stattfanden, werden manchmal heute noch mit
einem verklärten oder erschreckten Blick - je nach Standpunkt -
betrachtet. Dies betrifft vor allem die Größe der Bewegung und
ihre Entschlossenheit zu militanten Reaktionen.
Wir glauben, daß diese Betrachtung so nicht haltbar ist.
Es ist richtig, daß vor allem im Jahre 1981 zahlreiche Häuser
besetzt wurden. In der ersten Hälfte des Jahres waren es
mindesten vierzehn. Die Anzahl der besetzten Häuser läßt
jedoch keine direkten Rückschlüsse über die tatsächliche
Größe der Bewegung zu. Bei genauerer Betrachtung fällt auf,
daß viele Häuser von denselben Leuten besetzt wurden. Verfolgt
man den Verlauf der einzelnen Besetzungen und vergleicht die
Zeitpunkte von Räumungen und Neubesetzungen, so bleiben
lediglich fünf Hauptgruppen übrig:
Ein weiteres Indiz dafür, daß die Bewegung eher
überschaubar war, ist die Größe ihrer Demonstrationen. [1300] Es fällt auf, daß
trotz der relativ großen Anzahl von besetzten Häuser in der
Regel kaum mehr Menschen mobilisiert werden konnten, als etwa
nach der Räumung der Kaiserswerther Straße im Jahre 1995.
Ein Unterschied zu den Hausbesetzungen der siebziger und
neunziger Jahre liegt allerdings in der Entschlossenheit etlicher
HäuserkämpferInnen, auf Räumungen oder Verhaftungen mit
Militanz zu reagieren. Ab 1981 wurden Räumungen mit nächtlichen
Aktionen beantwortet, bei denen zum Teil erheblicher Sachschaden
an ‘exklusiven’ Geschäften auf der Königsallee, Banken und
Gerichtsgebäuden angerichtet wurde. Auch die Bereitschaft zu
Militanz bei Demonstrationen war zum Teil vorhanden. Dies führte
zu erschrockenen Reaktionen bei PolitikerInnen und
Geschäftsleuten. Die EigentümerInnen leerstehender Häuser
mauerten diese aus Angst vor Besetzungen zu. Sozialdezernent Ranz
appellierte an die privaten EigentümerInnen dieser Häuser, sie
doch bis zum Umbau oder Abriß der AWN zur Verfügung zu stellen.
Die zuvor eher nebenbei mit einigen städtischen Häusern
bedachte AWN wurde in dieser Situation zum Vorzeigemodell für
die Stadt. Sowohl SpekulantInnen als auch HausbesetzerInnen
sollte signalisiert werden: ‘Seht her, es geht doch auch
anders. Vertragt Euch also wieder.’ Das hat bekanntermaßen
nicht funktioniert. Die ‘alte’, auf Kooperation mit der Stadt
bedachte AWN wurde Mitte 1981 beerdigt, die mutig gewordenen
HäuserkämpferInnen wollten diese Art von Kompromissen nicht
mehr eingehen.
Wie kam es, daß eine Bewegung, die nicht wesentlich größer war
als andere vor oder nach ihr, eine kurze Zeit lang relativ
offensiv und selbstbewußt auftrat und damit für einigen ‘Wirbel’
in der Presse, im Rathaus, bei SpekulantInnen und der
Düsseldorfer Geschäftswelt sorgen konnte?
Die Düsseldorfer HäuserkämpferInnen fanden sich nach Jahren,
in denen es in der Stadt relativ ruhig geblieben war, ziemlich
schlagartig in einer Situation wieder, in der die Häuserkämpfe
bundesweit ‘explodierten’. In Berlin veröffentlichte die ‘Tageszeitung’
zu dieser Zeit jeden Tag Listen, auf denen die neu besetzten
Häuser aufgeführt wurden und in vielen Städten ließ die
Bewegung ‘die Puppen tanzen’. Man sah sich in einer Position
der Stärke und glaubte, mit Hausbesetzungen ein Mittel gefunden
zu haben, in kurzer Zeit große Erfolge im Kampf gegen
SpekulantInnen, Verwaltungen und PolitikerInnen zu erzielen.
Nicht zuletzt war das Leben in besetzten Häusern ein
Ausbruchversuch aus der Enge bürgerlicher Lebensnormen und den
dazugehörigen Wohnverhältnissen.
Die Bewegung entwickelte außerdem eine gewisse Eigendynamik. Die
Besetzung der Vollmerswerther Str. 41 hatte eine starke ‘Sogwirkung’,
in deren Folge etliche Häuser besetzt wurden. Man sah, daß
durch Kreativität und Entschlossenheit etwas zu erreichen war.
Diese Erfolge hatten natürlich eine starke Ausstrahlung auf
andere Gruppen. Hausbesetzen war attraktiv geworden.
Die Bewegung ebbte allerdings fast genauso rasch ab, wie sie
aufgekommen war. Keines der besetzten Privathäuser konnte
letztlich gehalten werden. Die meisten Häuser wurden bis
spätestens 1982/83 geräumt. Etliche wurden abgerissen.
Wie kam es zum schnellen Ende der Häuserkämpfe in Düsseldorf?
Bei der Betrachtung des Verlaufs der Bewegung ist auch im Bezug
auf ihr Ende eine Parallelität zu den Ereignissen in Berlin
nicht zu übersehen. Dort war nach der Wahl des CDU-Senats die
Bewegung ins Stocken geraten und befand sich ab April/Mai 1981 in
der Defensive.
Auch wenn die Auseinandersetzungen in Düsseldorf bei weitem
nicht so gewalttätig ausgetragen wurden wie in Berlin, waren ab
Mitte des Jahres auch hier gewisse Verschleißerscheinungen zu
beobachten. Einige Leute waren nach Demonstrationen, Räumungen
und nächtlichen ‘Entglasungsaktionen’ verhaftet worden.
Kurzfristig ‘verstärkt wurden die BesetzerInnen im Frühjahr
noch einmal durch eine größere Anzahl von PunkerInnen, die sich
vor allem an den Besetzungen der Neusser Str. 75 und 77 sowie der
Vollmerswerther Str. 41 beteiligten. Ansonsten war das Potential
an AktivistInnen ausgeschöpft, es stießen kaum noch neue Leute
hinzu.
Dazu kamen die Auswirkungen der polizeilichen und politischen
Strategie, die mit einer wohldosierten Mischung aus Repression
und ‘Gesprächs-bereitschaft/Deeskalation’ auf die
Häuserkämpfe reagierte.
Die Bewegung hatte es versäumt, ab einem bestimmten Punkt in ‘die
Breite’ zu gehen. Es wurden zu wenig Versuche unternommen, die
Besetzungen durch die Gewinnung von BündnispartnerInnen
abzusichern und gemeinsam mit anderen sozialen Bewegungen und
Initiativen zu überlegen, wie man über das Erreichte hinaus,
einen Schritt nach vorne kommen konnte. Stadtteilarbeit und die
Zusammenarbeit mit BürgerInnenitiativen waren - anders als bei
der AWN ab 1976 - nur in Ansätzen vorhanden. Im Zusammenhang
einigen Hausbesetzungen kam es sogar zu gewalttätigen
Auseinandersetzungen mit Jugendlichen aus dem Stadtteil.
“So wurde die Zusammenarbeit und inhaltliche
Auseinandersetzung mit der Bevölkerung nicht konsequent und
kontinuierlich gesucht. Vielmehr herrscht ein arrogantes Gehabe
vor, das sich z.B. in der verächtlichen Bezeichnung der
Arbeiterjugendlichen als ‘Prolls’ ausdrückt. In den
Flugblättern der Hausbesetzer wird zumeist eine Sprache der
radikalen Phrase gepflegt, die vielen unverständlich ist und
abstoßend wirkt. Dies trägt dazu bei, daß die
Arbeiterjugendlichen (...) für Aktionen, wie die Angriffe auf
besetzte Häuser zu gewinnen sind. (...) Die Hausbesetzer sind
gefordert, dem entgegenzuwirken, indem sie sich endlich mit
diesen Menschen inhaltlich auseinandersetzen. ”[1301]
Die verschiedenen BesetzerInnen-Gruppen hatten sehr
unterschiedliche politische Vorstellungen, die nicht erkennen
ließen, wohin ‘die Reise’ eigentlich gehen sollte und ob es
bei dieser Reise überhaupt gemeinsame Ziele gab. Auch der
ausgeprägte Subjektivismus und die Dominanz subkultureller
Strömungen, führten teilweise zu einer Abgrenzung von ‘Normalos’
und förderten nicht gerade die Ausdehnung der Bewegung und die
Erarbeitung einer poltischen Strategie.
Wir finden auch in Düsseldorf Gruppen, die in den Häusern ‘Nester’
sahen, “von denen aus der Widerstand zusammenhängend gegen
den Imperialismus organisiert und praktisch wird .”[1302] In anderen besetzten
Häusern waren die Leute primär an billigem Wohnen und/oder der
Verwirklichung ihrer Vorstellungen von kollektivem Leben
interessiert. Wieder andere wollten gegen Wohnungsnot und den
Abriß der Häuser protestieren. Zwar gab es häufig
Vermischungen der verschiedenen Interessen, es wurde jedoch keine
gemeinsame Strategie entwickelt. Stagnation und defensive Politik
bedeuteten jedoch im Falle der besetzten Privathäuser
letztendlich: Räumung.
Nach der Räumung etlicher Häuser kam es schon ab dem Herbst
1981 zu einem Rückzug eines Teils der BesetzerInnen in die
städtischen Wohnungen auf der Theodorstraße und der
Kiefernstraße.
Zunächst muß bei der Betrachtung der
wechselvollen Geschichte dieser Straße einmal festgestellt
werden: Es gibt sie immer noch!
Es ist gelungen, die städtischen Umstrukturierungs-/Abrißpläne
zu verhindern. Ein Wohngebiet, das sich im Eigentum der
öffentlichen Hand befindet, konnte erhalten werden. Nicht nur
die ehemaligen BesetzerInnen wohnen hier sehr billig. Auch für
die übrigen MieterInnen sind die Mieten immer noch wesentlich
niedriger, als in den meisten anderen innenstadtnahen Bezirken.
Auch in Bezug auf die Kiefernstraße existieren noch heute die
Überreste eines ‘Mythos’, der besagt, daß es den
BesetzerInnen gelang, der Stadt eine Art ‘befreites Gebiet’
abzutrotzen. Dieser ‘Mythos’ gründete sich hauptsächlich
darauf, daß die besetzten Häuser auf der Straße nicht geräumt
wurden. Dabei spielt auch die Anwendung von Militanz bei der
Verteidigung zweier Häuser im Jahre 1986 eine Rolle.
Wir glauben jedoch, daß die Kiefernstraße heute nicht mehr
existieren würde, wenn sie nicht eine Funktion im Rahmen der
städtischen Befriedungspolitik gehabt hätte.
Die Kiefernstraße wurde schon früh zum Sammelbecken für
Linksradikale, Ex-HäuserkämpferInnen, Punks und natürlich:
soziale Problemfälle. Diese Entwicklung wurde vom städtischen
Sozialdezernat und der SPD-Ratsfraktion - mit Rückendeckung
durch die Düsseldorfer Polizei und das NRW-Innenministerium -
über Jahre gefördert. Ziel dieser Politik war immer die soziale
Befriedung der als soziale und/oder politische ‘Problemgruppen’
angesehenen BewohnerInnen der Häuser. Angestrebt war ab einem
bestimmten Zeitpunkt der Abschluß regulärer Mietverträge.
Dafür wurden auch die ursprünglichen Planungen für das Gebiet
kurz-/mittelfristig zurückgestellt und später geändert.
Die Vermutung drängt sich auf, “ daß die Kiefernstraße
als Sammelbecken diente, als ein Raum, der ‘gut’ zu
kontrollieren war, sozusagen eine Marginalisierungs- und
Ghettofunktion hatte. ”[1303]
Für die HäuserkämpferInnen wurde ein ‘Schlupfloch’
offengelassen, in das sie sich zurückziehen konnten. Eine
auffallend ähnliche Politik betrieb auch der Berliner Senat. Die
‘Kiefernstraße Berlins’ war allerdings ein bißchen größer
und hieß Kreuzberg.
Ein Resultat der Städtischen Befriedungsstrategie sowie der
letztlich defensiven Politik der BewohnerInnen war eine über
Jahre relativ konstante Fixierung auf die ‘Szene’. Es wurde
kaum ein Versuch gemacht, über den eigenen Tellerrand zu schauen
und sich anderen Gruppen und Initiativen zu öffnen/zu nähern.
Was den Einsatz bzw. die Androhung von Militanz zur Durchsetzung
politischer Ziele angeht, so ist im Zusammenhang mit der
Kiefernstraße festzustellen, daß dieser in bestimmten Situation
- z.B. bei den brennenden Barrikaden 1986 - half, eine Räumung
zu verhindern. Wir wagen allerdings zu behaupten, daß dieses
Konzept angesichts der eigenen, relativ schwachen Kräfte und den
Auseinandersetzungen, die solche Aktionen auf der Straße
auslösten, nicht funktioniert hätte, wenn Stadt und Polizei von
ihrem ‘Deeskalationskonzept’ abgewichen wären.
Dieses Konzept war das Resultat von jahrelangen, bis in die
siebziger Jahre zurückreichenden Erfahrungen bei der Eindämmung
von Protesten. Die Düsseldorfer Sozialdemokratie befürchtete,
daß bei einer Räumung stadtweit nicht nur neue Häuser besetzt
worden wären, sondern auch die Ruhe von Banken, Kaufhäusern und
Königsallee nachhaltig gestört werden könnte. Die Erinnerung
an die sich über die ganze Stadt ausbreitenden Häuserkämpfe im
Jahre 1981 war noch frisch. Ein Wiederaufflackern der
Auseinandersetzungen und die Wiederkehr der ‘Scherbennächte’
sollte auf jeden Fall vermieden werden.
Eine besondere Rolle spielte über mehrere Jahre die
Kriminalisierung eines Teils der BewohnerInnen, der
AntiimperialistInnen. Die Verhaftung mehrerer
Kiefernstraßen-BewohnerInnen und ihre spätere Verurteilung
schuf in der Öffentlichkeit das Bild eines ‘Terrornests
Kiefernstraße’. Für etliche Bewoh-nerInnen bedeutete die
Kriminalisierung ein Leben unter ständiger Anspannung, Angst vor
Durchsuchungen und weiteren Verhaftungen. Auf die
sozialdemokratische Befriedungsstrategie hatten die Verhaftungen
jedoch keinen entscheidenden Einfluß. Sie verstärkten
allerdings - unter anderem wegen der von CDU und einem Teil der
Presse inszenierten Diffamierungskampagne - den Druck auf die
BewohnerInnen und verschärften die Spannungen zwischen den
verschiedenen Gruppen auf der Straße. Letztlich beschleunigten
sie nur einen Prozeß, an dessen Ende mit einer gewissen
Zwangsläufigkeit der Abschluß von Mietverträgen stand.
Diese ‘Zwangsläufigkeit’ resultiert allerdings auch aus der
Verschiedenartigkeit von Menschen und Interessen auf der
Kiefernstraße.
Die BewohnerInnen der Straße stellten alles andere als eine
homogene Gruppe dar. Die politischen Ziele und Vorstellungen von
Wohnen und Leben konnten kaum unterschiedlicher sein. Einige
wollten dort ‘nur’ billig wohnen - sie hatten deshalb
natürlich kein Interesse an Konflikten mit der Stadt oder der
Polizei. Andere stellten hohe Anforderungen an Kollektivität und
hatten revolutionäre Ziele. “Die einen wollten ihren
Freiraum gestalten und das Haus bedeutete einen ‘Mittelpunkt’.
Die anderen sahen die Häuser als einen Ausgangspunkt für ihre
politische ‘Arbeit’. ‘Die einen wollten ihr Kunststudium
beenden, die anderen träumten von der Revolution’ (...). ”[1304]
Vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen, zum Teil
diametralen Interessen der BewohnerInnen hätte nicht mehr
erreicht werden können, als der Abschluß von Verträgen, die
billige Mieten bedeuteten und die Entscheidungsbefugnis über
NachmieterInnen weitgehend in den Händen der jeweiligen Häuser
- bzw. deren SprecherInnen - beließen.
Heute herrscht ‘Frieden’ zwischen der Stadt und der ‘Kiefern’.
Wohl niemand würde heute mehr von der Straße behaupten, daß
sie ein ‘Hort des Terrorismus’ wäre. Und politische Impulse
für die gesamte Stadt - oder wenigstens die ‘Restlinke’ bzw.
die ‘Szene’ - gehen von ihr, von wenigen Ausnahmen abgesehen,
nicht mehr aus.
Falls es in einigen Jahren im Zusammenhang mit IHZ und
VKW-Bebauung zum Abriß oder zur Modernisierung der Häuser
kommen sollte, wird sich zeigen, ob die BewohnerInnen und andere
Gruppen in der Stadt stark genug sein werden, diese Entwicklungen
zu verhindern.
[1300] Uns ist eine Demonstration bekannt, an der ca. 700
Leute teilnahmen. Alle anderen Demonstrationen waren kleiner.
[1301] Vgl. Starkes Stück, 9/82, S.3.
[1302] Sägespan Nr. 11, 1981, S. 31.
[1303] Nagel, T., Die Häuser gehören uns, S. 133.
[1304] Ebenda, S. 136.