10Erklärung der BI SO 36:Auch bis zum 12.12.80, jenem Tag, der nicht nur Berlin so in Aufregung versetzte, wurden schon Steine in den Kreuzberger Straßen geschmissen. Und zwar seit Jahren. Doch von diesen "Steineschmeißern" wollte und sollte sich niemand distanzieren. Denn es handelte sich um von privaten Spekulanten und senatseigenen Wohnungsbaugesellschaften angeheuerte Abrißfirmen, die billigen und guten Wohnraum zerstörten. Stein für Stein. Und in aller Regel bezahlt aus öffentlichen Steuergeldern. "Jeder Stein, der abgerissen, wird von uns zurückgeschmissen", war damals oft zu hören - von denen, die diese Wohnungen dringend benötigt hätten und die der Zerstörung voller Wut zuschauen mußten. Wollte man diesen Ausspruch ernstnehmen, dann müßte es auf Jahre hinaus jeden Abend unzählige Steinwürfe geben. Etwas haben die erbitterten Straßenschlachten in Kreuzberg und danach am Kudamm sicher gebracht: Sie haben einer großen Öffentlichkeit nicht nur in Berlin deutlich gemacht, daß es ein breites Bündnis in Kreuzberg gibt, das sich gegen die weitere Zerstörung des Stadtteils aktiv wehrt. Diesen Widerstand darf man nicht nur an den "Straßenkämpfen" ablesen,sondern auch an der sehr breiten Sympathie und Unterstützung für die Instandbesetzungen. Diese Sympathie reicht bis weit hinein in das "bürgerliche Lager". Jahrelang gab es gerade von unserer Bürgerinitiative sehr viele Versuche, zum einen gegen die sinnlose Zerstörung billigen Wohnraums anzukämpfen, zum anderen die Vermietung der vielen leeren Wohnungen zu erreichen. Das Engagement war zwar groß, der Erfolg aber gering. Als wir sahen, daß mit "legalen" Methoden nicht sehr viel zu erreichen war, entschlossen wir uns im Februar 79 zur Selbsthilfe: "lnstandbesetzung" lautete die neue Zauberformel. Eine leerstehende Wohnung im Haus Görlitzer St. 74 wurde zusammen mit den an der Wohnung interessierten "instandbesetzt". Es dauerte nur kurze Zeit, bis der geforderte Mietervertrag ausgehändigt wurde. Ein erster Schritt war getan, der Begriff Instandbesetzung war geboren. Heute sind wir zwei Jahre weiter, fast 40 Häuser hauptsächlich in Kreuzberg sind instandbesetzt. Und es wurde einiges durch diese Selbsthilfeaktionen erreicht. Sei es, daß vorgesehene Planungen durch Instandbesetzungen verhindert wurden (wie z.B. im Block 33), oder sei es, daß Häuser vor dem weiteren Zerfall bzw. Abriss gerettet wurden. Alles Erfolge, die mit "legalen" Methoden nie erzielt worden wären. Und mittlerweile ist u. E. durch diese Aktionen auch ein Druck entstanden, der grundsätzliche Änderungen der Sanierungs- und Wohnungsbaupolitik erwarten Iäßt. Nicht überraschend daher, daß versucht wird, durch gezielte Kriminalisierung den Widerstand zu brechen. Und einige wurden auch durch die brutalen Polizeieinsätze, durch die vielen Verletzten und Verhafteten abgeschreckt. Aber für viele bislang noch Unentschlossene ist seit dem 12.12.80 auch klar, daß man zusammen mit Mieterinitiativen und Instandbesetzern den Widerstand verstärken muß, daß man für die Durchsetzung unser aller Interessen kämpfen muß. Und vor allem, daß wir es nicht zulassen dürfen, daß einzelne im Gefängnis einsitzen und andere mit Strafverfahren mundtot gemacht werden sollen. Denn der "Landfrieden" wurde nicht von uns gebrochen, sondern der war am 12.12. schon Iängst durch rücksichtslose Eigentümer, Wohnungsbaugesellschaften, Polizeieinsätze und eine verfehlte Sanierungspolitik gebrochen. Wir alle sind gerne zu Gesprächen mit den Politikern bereit. Aber nicht, solange Leute von uns im Gefängnis sitzen. Es war schon in undemokratischen Zeiten üblich, daß bei einem Regierungswechsel die Leute aus dem Knast entlassen wurden. Berlin hat jetzt gerade einen Regierungswechsel hinter sich, doch die Leute sitzen noch und die ersten Prozesse laufen. Es wäre angesichts der Hintergründe, die zu den Straßenschlachten führten, kein Akt der Gnade, wenn die Leute freigelassen werden, sondern ein Akt der Selbstverständlichkeit! Deshalb fordern wir, wie viele anderen schon seit Jahren in SO 36 tätigen Gruppen, Freilassung der Inhaftierten und Einstellung aller Strafverfahren. Und für die Erfüllung dieser Forderung werden wir weiter kämpfen. Genauso wie wir uns weiterhin für eine Verbesserung der Lage in unserem Kiez einsetzen. Je mehr Gruppen und Menschen sich in diesem Kampf unterstützen, desto näher rückt unser Ziel: ein Stadtteil, in dem die hier Wohnenden bestimmen, was geschieht. Und nicht auswärtige Spekulanten oder senatseigene Gesellschaften das Sagen haben. Berlin SO 36, den 24.1.81 Bürgerinitiative S0 36 Sorauer Str. 28 1000 Berlin 36
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