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Erstes Urteil: 14 Monate Knast "Vom Bullenexzeß zur Justizorgie"

TAZ 2.2.81 Ein wesentliches Merkmal der Klassenjustiz ist und bleibt der ihr immanente Zwang, ihre Opfer zu sogenannten Straftätern hochstilisieren zu müssen. Die weitere Verwandlung des konstruierten Täters zum Monster besorgen dann in trauter Einmütigkeit die Medien. Kaum war Guido Weitz, der als erstes Opfer der Bullenüberfälle in Kreuzberg vor Gericht gezogen wurde, mit dem Terrorurteil von 14 Monaten "ohne Bewährung" im Knast verschwunden, gaben sich Presse, Rundfunk und TV alle Mühe, ihn als "Steinewerfer, Hausbesetzer, Krawallmacher, Randalierer, Körperverletzer" u.ä. zu bezeichnen. Kein Wort über die Pervertiertheit des Prozesses, kein Wort über den politischen Charakter der Masken Möllenbrock und Panneck (Staatsanwalt und Richter), keine Silbe über die über das farcenhafte Zusammenspiel von Richter und Staatsanwalt erhabene Verteidigung. Die allerdings ließ sich von dem Schauspiel der Staatsmacht im Saal 701 des Sicherheitstrakts Moabit, nicht beeinflussen.

Der erste Prozeßtag, Freitag 23.1., begann mit der üblichen Versicherung des Richters, daß keine Kopie der Besucherausweise gemacht und falls eine gemacht worden sei, diese vernichtet würde. Bei den Schleuseneinlaßkontrollen ging derweil munter-bierselig faschistoide Anmache ab; kaum oben angekommen, lehnte der Richter die Verlegung des Gerichts in einen "normalen" Saal ab. Die Schöffen: eine Frau und ein gepflegter Mittvierziger. Zur demonstrierten Biederkeit gehörte das infantile Mondgesicht des Herrn Vorsitzenden, der so tat, als sei er doppelt da. Einmal gar nicht und zum anderen, was ihm bisweilen peinlich erscheinen mußte, als Richter. Und als solcher war er sichtlich überfordert, mußte er doch hier im Saal krampfhaft Souveränität demonstrieren, was ihm oft nur mit gequältem Seitenblick auf den Staatsanwalt gelang. Über den wenigstens brauchte sich keiner Illusionen zu machen: so einen Anwalt braucht so ein Staat. Diese Figur war sich immerhin so sicher, daß sie es fertigbrachte, den vom Lande angereisten Eltern weiszumachen, daß er nichts dafür könne, wenn ihr Sohn jetzt ohne Haftverschonung wieder einfährt, weil er hier, sozusagen zufälligerweise durch seine Person vertreten, die Rolle des Staatsanwaltes zu spielen habe, was aus dem Zuhörerraum mit dem ungeahndeten Wort "Henkermentalität' quittiert wurde. Möllenbrock ist politischer Staatsanwalt, einer, der sich schon oft bewährt hat. Filbinger hat den Beginn seiner NS-Karriere einmal mit den Worten umschrieben, ihm hatte sich die Frage gestellt, Hammer oder Amboß zu sein. Wofür Filbinger sich entschieden hatte, wissen wir. Den Hammer, der sich gegenüber seinem geschundenen Opfer ausagiert, sich im Haß der Zuhörer suhlt und sich an der Verzweiflung der Verteidigung weidet, diesem Werkzeug der Herrschaft setzte die Verteidigung, Rechtsanwalt Panka, Phantasie, Leben, leidenschaftliches Engagement, sprühende Lebendigkeit entgegen. Sie entlarvte das Schauspiel, verlor sich keine Sekunde im prozessualen Ritual. Die Farce begann mit dem Auftritt der Herren Rahn, Striegel & Schelske sowie Lorenzen. Alles Bullen, wie man sich denken kann.

Rahn, 20jähriger Weddinger, wird sich über kurz oder lang nach einem anderen Job umsehen müssen. Da er sich an nichts mehr erinnern konnte, hielt ihm Möllenbrock seine Aussage vor der Kripo vor, verbunden mit der Drohung, er mache sich strafbar wenn er hier davon abweichend eine falsche Aussage mache. Sei er bei seiner damaligen Aussage von seinen Kollegen beeinflußt worden, so könne er hier die Aussage verweigern, weil er sich nicht selbst zu belasten brauche. Rahn verweigerte die Aussage und schlich von dannen, vielleicht zum Arbeitsamt? ... Rahn, mit Zivilcourage oder nur jung, noch nicht ganz drin in der Rolle des gröbsten Werkzeugs der Herrschaft, war ehrlich. Ein Prügeleinsatz mit wahllosen Festnahmen. Schelske und Striegel wollen den Angeklagten festgenommen und unabhängig voneinander gesehen haben. Sie saßen in verschiedenen Wannen und haben Wunder vollbracht. Sie sind gleichzeitig ausgestiegen, abgesessen, und saßen bereits in den Wannen drin, als sie den Angeklagten festnehmen. Kompliment. Lorenzen der Star, will den Angeklagten stundenlang beobachtet haben, bevor er ihn festnahm. Allen Bullen ist gemeinsam, daß sie ein falsches Halstuch als das identifizierten, das der Angeklagte getragen haben soll. Ein Schlag ins Wasser für den Staatsanwalt, wäre das absurde Theater keine Klassenjustiz. Die Maske des Staates war am Morgen eine Stunde zu spät gekommen. Sie setzte alles daran, die Beweisanträge der Verteidigung erst zu einem Zeitpunkt entgegenzunehmen, an dem eine Beendigung des Prozesses am gleichen Tag rechtlich unmöglich geworden war. Um 19.30 Uhr wurden die Zuhörer "geräumt" - MöIlenbrock wies den Richter in seine Schranken. Der, begleitet von resignativer Gestik, lehnte den Haftverschonungsantrag der Verteidigung wiederum mit gequältem Seitenblick auf die Staatsanwaltschaft und aufgrund deren prompter Beschwerde ab. Guido in die Zelle, alle, die's angeht, in Wut und Enttäuschung, die Masken mit Personenschutz in die Familie und Rechtsanwalt Panka ins Krankenhaus: er bekam am Wochenende einen Herzanfall. Schlechte Vorzeichen für den zweiten Verhandlungstag.

( ...) Die Zeugen der Verteidigung machen im wesentlichen klar, daß die Bullen Prügelorgien veranstalteten und willkürlich verhafteten. Der Mieter einer Wohnung des Hauses, in dem Guido gnadenlos zusammengeprügelt worden war, schilderte den Ablauf. Anstelle des erkrankten Panka fungiert Anwalt Elfferding neben Anwalt Scholz. Längst Ist allen Beteiligten klar, daß hier einer einfährt, weil einer einfahren soll. Einer der ersten. In der Mittagspause fragen sich die Menschen nur noch: Bewährung oder nicht. Gedrückte Stimmung, Verzweiflung, Ohnmacht, schwarz-eloxierte MP´s. Das Personal im Sicherheitstrakt ist wieder in Fetenstimmung, einer davon schmeißt ein Desinfektionsmittel in den Vorderraum. ( ...)

Nach der Mittagspause

Das Plädoyer des Staatsanwalts: ebenso banale wie arrogante Demonstration seiner und der Macht schlechthin: wie üblich kein politischer' Prozeß, sondern immense kriminelle Intensität des zur Vernichtung anheim gegebenen. Die Zeugen voreingenommen; Bullen im Freudschen Versprecher Kollegen. Für den unbefangenen Beobachter erscheint das auszugsweise Vorlesen eines Zeugenaufrufs der Zeitschrift "radikal" durch MöIlenbrock zusammenhangslos: für die Wissenden ist es sein nächstes Vorhaben, seine eigentliche Stoßrichtung. (....)

Die Arroganz der Macht hat es nötig, das Wort "Voreingenommenheit" dreimal zu erwähnen, um die Zeugen der Verteidigung, die sie unter massivem Strafdruck überhaupt erst zugelassen hat, ebenfalls zu kriminalisieren. Das ist die Fortsetzung der Strategie beim Prozeß gegen Manne. Und es ist auch die gleiche Routine: ein Jahr und acht Monate plus drei Monate wegen Widerstand (Widerstand ist gleichzusetzen mit der Platzwunde an Guidos Kopf), mit Rabatt sind das 21 Monate. Fast unnötig zu sagen, daß die vorausgegangenen Beweisanträge der Verteidigung, Polizeipräsident Hübner, den Kommentator vom "Abend" zum 12./13., Gerhard Schmidt von der GEW Thomas Müller und Michael Wilke - Journalisten, die in jener Nacht verhaftet wurden -, Siegfried Scheiske zur Darstellung der Springerscheiße und Rüdiger Heese, der von der Wanne B-3530 fast getötet worden war, in trauter Einmütigkeit von Richter und Staatsanwalt abgelehnt wurden.

Als erster redet Scholz im Plädoyer der Verteidigung. Er sagt, was zu sagen ist. Das ist gut, entlarvt er doch das vorprogrammierte Schauspiel. Von den Masken hört ihm kaum noch einer zu. Möllenbrock schreibt eifrig mit. Als Scholz "bewußt von einem notwendigen Ausmisten des (Polizei-)Saustalls" spricht, für´s Ehrengerichtsverfahren. Scholz aber weiß, was er tut. Elfferding bringt 13 neue Beweisanträge, die den gesamten Hintergrund des Geschehens aufzuhellen in der Lage sind. Anschließend zerlegt er auf der Ebene der Beweispflicht des Anklägers die Unstimmigkeit der Bullenaussagen. Freispruch, was sonst.

Die Guillotine wurde noch nie umsonst aufgestellt

Zwei Stunden Prozeßpause. Nach neuerllcher Einlaßschikane Urteilsverkündung. Ende des absurden Theaters: die Masken werden aktiv. Sieg Heil und Tränen. Aber auch eine Wut, die nicht einsam ist, rausgelassen wurde. Die reduzierte Öffentlichkeit wird von jenen Kräften den Turm heruntergedrängt, die mit sadistischer Geilheit die Knebelkette schwingend endlich das tun darf, woran sie Immer denkt, wenn sie stundenlang passiv und pervers der Perversion beisitzen muß.

Danach

Was danach Iief, ist aus der weiteren taz-Berichterstattung ablesbar. ( ... ) Guido, dessen Name wir deshalb kennen, weil er einer der Herausgegriffenen ist, und weil er DER ERSTE ist, der exemplarische, Guido ist jetzt Mensch im Knast. (...) Keiner von uns jammert, niemand wird vergessen. "Hände weg von ..." ist eine Parole aus der traurigen Realität der K-Gruppen. 1, 2, 3 - laßt die Leute frei war nie eine Parole, die auf die Beeinflußbarkeit dieser im Prinzip und ihrer Geschichte nach zu bewertenden Justiz abzielte. Amnestie als Ergebnis des politischen Kampfes: Instandbesetzung, massenhaft.

Die Wütenden

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