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eine Kolonne von Wannen um die Ecke, fast in die sitzende Gruppe hinein. Viele springen in Panik auf, rennen Hals über Kopf davon. Langsam schwillt ein dumpfer Ruf an: "Mörder, Mörder."

Die B.... stoppen nur für die Zeit, die sie benötigen, um Mengen von Tränengas in die Gruppe der Sitzenden abzufeuern, die augenblicklich von einer dicken Nebelwolke umhüllt ist. Dann preschen die Fahrzeuge wieder vor und es bleibt nichts als die wilde Flucht. Blind vom Tränengas renne ich zur Kurfürstenstraße hin, wo ich kurz vor der Kreuzung zwei Sanitätswagen bemerke. Dort will ich hin, um mir ein Mittel gegen das beißende Tränengas zu holen, doch ich laufe ahnungsvoll auf den Fußweg zurück und da schießen sie auch schon um die Ecke, stoppen mitten auf der Potsdamer und entlassen eine Flut von B... mit Sturzhelmen, Schutzschilden und hocherhobenen Schlagstöcken. Ein Aufschrei geht durch die Passanten, Menschen versuchen, sich in Hauseingängen in Sicherheit zu bringen, rütteln an verschlossenen Türen, klettern über drei Meter hohe Drahtzäune, nur schnell weg, damit einen der Hieb eines Schlagstockes nicht trifft. Schluchzend und wie betäubt stehe ich da, einer meiner Begleiter greift meinen Arm und reißt mich fort, er rennt mit mir zur Kurfürstenstraße, dorthin, wo jetzt keine B.. mehr sein können. Wie durch ein Wunder kommen wir an ihnen vorbei und durch sie hindurch, ohne daß uns ein Schlag trifft, rennen noch ein paar hundert Meter, bis wir verschnaufen müssen. Wir treffen die Versprengten unserer kleinen Gruppe wieder und erstatten einander Bericht, hocken uns auf den Fußweg, mir versagen fast die Beine. Von der Potsdamer her hören wir eine Lautsprecherdurchsage: Die Polizei fordert die Demonstranten auf, den Schauplatz des Geschehens zu verlassen, sie werde in acht Minuten mit der Räumung der Straßen beginnen. Einige Minuten später wird die Durchsage wiederholt und etwas wie Schießbefehl dabei laut. Wir ziehen uns auf den Hinterhof eines Altenheimes zurück, schließen die eisernen Torflügel hinter uns und verbarrikadieren sie mit Müllcontainern. Hinten ist der Hof mit Büschen bepflanzt, durch die wir uns hindurchkämmen, bis zu einem Zaun, über den wir klettern, um zum nächsten Hinterhof zu gelangen. Der jedoch öffnet sich zur Potsdamer, wo es zu gefährlich ist. Über eine etwa sechs Meter hohe Brandmauer, die einen weiteren Hof abtrennt, klettert eine Gruppe von ca. 30 Leuten, die ebenfalls von B... verfolgt wird. Wir gehen den gleichen Weg wieder zurück, hoffen, wir kommen über den ersten Hinterhof rechtzeitig weg. Doch als wir die Toreinfahrt erreichen, steht schon die ganze Straße voll Wannen und die B... dringen in die Höfe ein. Wir machen sofort halt, rennen in Panik auf die Büsche zu, werfen uns geradezu hinein, bis zum äußersten Winkel, wo wir uns umarmen und niederkauern, die Arme über den Kopf gelegt. Mein Herz klopft zum Zerspringen, und ich möchte am liebsten schreien, als ich die schweren Stiefel der B... näherkommen höre. Scheinwerferlicht streift suchend durch die Büsche: "Da müssen sie sein. Los, rauskommen, oder wir holen euch." Rund um mich geht der Tumult los, ich höre, wie die Leute aus dem Gebüsch gezerrt werden, höre dumpfe Schläge, hoffe, daß wir drei, die wir dicht aneinandergedrängt dahocken, nicht entdeckt werden. "Los, systematisch durchsuchen. Da ist noch einer." Da saust ein Knüppel auf den Rücken meines Begleiters nieder, der schützend die Arme um mich gelegt hat. Wir werden grob hochgerissen, vorwärtsgeschubst, daß wir zu Fall kommen und wieder

 

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