Bulle auf dem Hof zu sehn, die Nacht riecht noch nach Tränengas,
klappert an einem Baugerüst ein Eimer am losen Ende des baumellgen
Flaschenzugs, und Manuela duckt sich, und Jochen bleibt bloß stehn.
Nachdem die Bullen vor dem Haus in der Fußgängerzone ohne Licht,
aber mit hochtourendem Motor mehrfach auf und ab gefahren sind, ehe sie
begonnen haben, den Balkon und die Fassade systematisch auszuleuchten,
abzusuchen, mit zwei Halogenscheinwerfern anzufassen, abzutasten, hat
Jochen Manuela vorsichtig am Arm genommen, hat sich im Raum die Leute,
die sich aneinanderdrängten, angesehen, sie gemustert, hat an der
weißen Wand, schon verblaßt, den Spruch gelesen: DER MENSCH
IST EINE GANZ GEMEINE MARMELADE, hat schließlich Manuela, »komm
mal«, auf den Flur gezogen, hat durch ein dunkles Fenster ungenau
erkennen können, wie sich zwei mit schwarzen Tüchern auf dem
länglichen Balkon ducken, an die Brüstung pressen, um den Zeitpunkt
abzupassen, wenn der Lichtfinger vorbeirutscht, so daß sie die Seltersflaschen
mit der roten Hochglanzfarbe auf die Wannen werfen können, zweimal
Siegfried, einmal Fafnir, der Hort der Nibelungen ein halbzerfallnes Haus.
Laß uns nach hinten weg abhaun, hat Jochen geflüstert, obwohl
niemand sonst im Flur war. »Es kommt mir nur nicht richtig vor«,
Manuela hat die Augen zusammengekniffen und ihn mit schiefen Lippen im
dunklen Treppenflur fixiert. Was willst du hier noch machen, hat Jochen,
feine Schnute, matt gebrubbelt, nicht das mindeste läuft mehr hier
im Haus zusammen. Er hat, als sie ihn ansah, ich bin dein Tanzbär,
gegrinst. Trotzdem ist sie stehn geblieben, hat ihn blaß angeschaut,
bis Jochen sie behutsam bei den Schultern, sacht am Oberarm genommen,
hinaus in den Treppenaufgang, Wind in dickem Zellophan, sanft hinausgeschoben
hat. Elf Schläge, dann vier zur vollen Stunde, der Kirchturm eine
Nadel nah der Nacht.
Ein vielleicht fünfjähriger Junge deutet, vorbei an ihnen, auf
die Wand und legt altklug den Kopf in seinen Nacken: »Was is'n,
huh, ej, was is'n das da?« Sobald der tastende Suchscheinwerfer
durch die zerbrochenen Hausflurfenster, durch Maschendraht und halbe Scheiben
- gegen Tränengaskartuschen, denkt Jochen und lächelt schlapp
- wenn das Licht auf eine unverputzte, schwarz getünchte, halb verstellte
Flurwand fällt, ist an einer freien Stelle unter der gerißnen
Decke ein großes, mit phosphoreszierender Farbe gemaltes Bild einer
schwangeren Frau mit Punkfrisur und riesigen, rotgelben Brüsten,
die aufrecht auf einem Schemel hockt, undeutlich zu erkennen. »Eine
Fee?« ... »Nee, eine Hexe!«, Manuela zwinkert dem Jungen
gleichgültig zu. »Warum wohnt hier eine Hexe?«, rechter
Daumen in der Backe, Hemd leiert lose bis hinab zum Knie. Manuela reibt
sich ungeduldig beide Augen, bohrt etwas in der Nase. Du solltest, sagt
Jochen, ihm auch eine Antwort geben, denn er hat gefragt und will es wissen.
Ich weiß es nicht, hat Manuela, der Junge schwankt auf einem Bein,
erwidern wollen, als im Treppenflur das Fluchen und Brüllen der Posten
an den Fenstern beginnt.
Jetzt ist der Hof vom Eckhaus leer, und bloß in einer Wohnung brennt
noch ein schwaches Licht. Die Fahrräder im Fahrradständer stehen,
ein plumpes Krokodil, nur Gräten und Antennen, nah einer Schuppenwand.
Während Jochen Manuela aus dem Hausflurfenster hilft, denkt er, das
Wort für einen Mann, der den Viechern Haut abzieht, heißt Schinder.
Ein Wimpel an einem Fahrrad hat sich im Luftzug bewegt.
Aus einer halboffnen Erdgeschoßluke riecht es nach Safran. Nah einem
Spalt in der Mauer kann Jochen, wenn er den Kopf dreht, das Glasdach von
einem Lichtschacht erkennen. Manchmal hört man das Schnaufen der
Kühe am anderen Ende des Blocks.
Als Manuela sich unvermittelt, aber nur leicht an seinen Bauch lehnt,
ich bin auf der Hut, riecht er erschrocken den Duft ihres Körpers,
schmeckt er verblüfft den Geschmack ihrer Haut. Über einer Abzugöffnung
hängen die öligen Flusen und Flocken schwarz an der rußigen
Wand und winken, wenn die warme Luft vom Backen die Lamellen einer Klappe
wie ein Glockenspiel bewegt.
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