Erst sind sie über die Mauer gestiegen und durch ein Tor auf die Straße gelaufen, kein Bulle zu sehen, das grüne Kreuz über der Apotheke hat unregelmäßig geblinkt. Dann hat Manuela gesagt: Gehn wir zuerst noch in den Imbiß. Ein Zahnloser ohne Oberhemd hat sich beim Bestellen behutsam an ihrer Hüfte gerieben und hat nach kurzem Zögern geflüstert: Bitte, zieh dich nackt aus.

Sie hat den Halbnackten von sich gestoßen, mit spitzen Fingern zur Seite geschoben, Jochen hat nur zugesehen. Neben einem Hocker hat, mit angezogenen Knien - der Kopf pendelt, sobald er greint - der Kleine, verdrückt in den Schatten der Theke, gekauert, das Gesicht voll Blut, die Finger verkrallt im Furnier.

Eine Frau mit entzündeten Lidern, die neben ihm am Boden des Imbisses gesessen hat, hat ihm mit mildem Lächeln nachsichtig übers Haar gestrichen, das Haar war vom verschorften Blut verklebt, hing wirr herunter. Und weil auf der Straße vor dem Imbiß eine Wanne mit abgeblendetem Licht langsam an Jochen und Manuela vorbeigefahren ist, haben sie den Kleinen durch eine Baulücke und eine Baugrube auf den Lagerzeltplatz gebracht und ihn dort in ein Sofa, das kaum verkohlt war, gesetzt. Beim Anblick der sandigen Hügel und beim Geruch der Feuer hat Jochen, mit rissigen Lippen, gemeint, er schmecke das Meer.

Ich weiß es nicht, sagt Jochen jetzt, und Manuela schweigt. Während die alte Frau weiterhin im vergessenen Glascontainer nach noch vollen Flaschen angelt, richtet sich der Kleine auf dem abgestellten Sofa auf, so weit es ihm gelingt, stützt sich mit dem Ellenbogen auf die angefressene Lehne, lallt: Laßt mich hier liegen... Verpißt euch! Haut schon ab...

Zwischen den gerüstverstellten Fassaden der aufgemeißelten Altbaurückfronten, den ersten, noch Rohbau, Neubauklötzen, ausgebrannten Zeltdorfresten, Bausandmugeln, kleinen Gruben kläfft, schüchternes Schnappen, ein vereinzelter Hund. Die drei geräumten Häuser tippen tumb an dunklen Himmel, der Mond kriecht, rosa Marshmallow, am Dachfirst kümmerlich vorbei, kippt zwischen die ausgebrannten Gestelle, Stangen auf dem leeren Platz, vorne wartet die Wanne, ein dösendes Tier nach der Jagd.

Der Rest von einem Lagerzeltplatz, hinten, hinterm Winterfeldtplatz, Jochen schaut sich mißmutig um. Zwei Feuer kokeln in einer Grube, der Hund hat sich verkrochen, der Rauch macht die Nachtluft beißend und schwer. Ringsum die Höfe sind jetzt ruhig, bis auf das Wimmern des Kleinen, sobald er sich bewegt. Jeder liebt den Verrat, keiner liebt den Verräter. Weit entfernt faucht eine Katze. Was ist mit ihm, fragt Manuela, während sie unbehaglich an ihren hellen Haaren dreht. Weiß nich, sagt Jochen und bückt sich hinunter zu dem Kleinen, der auf dem Sofa liegt.

»Erkennst du ihn?«, ein kleines Knurren - Natürlich, mümmelt Jochen, erkenne ich ihn noch.

An der abgestellten Couch klebt ein trockner Kaffeefilter neben einer Knackwurstpelle. Er ist, sagt Manuela, ein Verräterschwein. Ich weiß es nicht, murrt Jochen, während er dem Kleinen unwillig das Blut abwischt. Was soll er sonst sein? faucht Manuela, einer, der etwas verrät, ist auch ein Verräter.

Und immer noch buddelt die Frau in teils umgekippten Tonnen, wühlt zwischen den Abfalltüten, gräbt aus Säcken Pfandwertflaschen. Vielleicht, sagt Jochen und räuspert sich heiser - ich kann nicht mehr, denkt er - und murmelt: Vielleicht aber auch nicht.

Was sonst? knurrt Manuela giftig, der Hund bellt zweimal kurz und jault, wieder der tiefe Ton des Diesels einer Wanne der Polizei.

Als wir, erwidert Jochen elend, gesagt haben, damals am Anfang, es muß sein, haben wir gesagt - der Zahnlose vom Imbiß wedelt im Licht der Durchfahrt aufgeregt mit den Händen - als wir, brummt Jochen angewidert, die ersten Steine in die noch unvergitterten Scheiben der Banken geworfen haben, haben die anderen unbehaglich die Augen niedergeschlagen und haben, wenn es hochkam, unsicher gelacht.

Die Frau bei den Tonnen hat etwas gefunden, der Zahnlose gur-

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