nur jeschimpft un jemacht un jetan, un wir schimpftn ja nich, un wir
machtn ja nich, hatte ja allet keen Zweck.«
Er hat nichts begriffen, hat Jochen gesagt. Obwohl er sich immerhin bemüht
hat, mich macht das immer nur traurig, ich weiß nicht, ob du das
verstehst. Meine Großmutter, hat Jochen gesagt, macht mich nur ärgerlich.
Manuela hat ihn angefaßt und hat versucht, ihn zu streicheln. Denn
sein Gesicht ist wie ein Gasluftballon in der zu großen Kälte
klein und verknittert und elend wie Winternächte geworden, doch er
hat ihre Hand, die vorsichtigen Finger, nur ärgerlich abgewehrt.
Hier, hat er gesagt, hör zu, und hat den alten Kassettenrecorder
vor sie hingestellt. Ein Tick, hat Manuela gedacht, sein Tick, das mit
der Vergangenheit, noch ehe Jochen die Abspieltaste mit einem angespitzten
Holz im Gehäuse des Recorders festgeklemmt hat.
Doch gleich darauf rauschte die Membran des noch verbliebenen Lautsprechers,
knarrte das billige Band mit einer müden Frauenstimme und knisterte
dabei etwas.
»Nach'm Krieg mußte ick arbeetn. Wir mußtn ja wat essen.
Ick war denn Schließerin im Knast. Frauenknast, inner Kantstraße
war dit damals, weeßte. Un eenes Nachts sin wa jekomm un ham kontrolliert,
weeßte. Un da war die Zelle offen, weeßte, vonner Todeskandidatin
da, hatte jeplündert oder so wat, weeß ja ooch nich. Also weeßte,
da, ehrlich jesacht, da hat ick ja'n bißchen Herzbummern, weeßte.
Ja, da hab ick meene Kollejin an't Telefon jeschickt, damit se anner Pforte
anrufen konnte, vorsichtshalber, ick saje: Jehn Se an't Telefon, ick weeßja
nu nich, wat ma da drinne allet empfangen tut! Un habe nu uffjemacht die
Tür, un die lach un lach un schlief selich. Un hat dit ja nich mitjekricht!
- also jedenfalls hab ick zujeschlossen, un die Sache war erledicht.«
Und während die Großmutter redete, im leiernden Recorder, leuchteten
an der Kaserne gegenüber die graugesichtigen Fenster. Und Manuela
drückte sich an Jochen, denn er hat geweint.
Und während er sich jetzt um den Kleinen kümmert, der auf der
Rückbank keucht, denkt Manuela an die Geschichte von Jochens SPD-Opa.
Wie der bei der Gestapo seinen zwölf Genossen, die aufgeflogen waren,
gegenübergestellt wurde. »Der Vorwärts kam damals über
Böhmen, aus der Tschechoslowakei«, und keiner hatte geredet,
so daß er als einziges Mitglied der Gruppe - die anderen waren erschossen
worden - den Weltkrieg überleben konnte, »Jetzt wird er sicher
bald sterben«.
Weil, sagte Jochen, und jedesmal klang dieses Weil wie zweimal unterstrichen,
bei ihm als einzigem kein Material gefunden worden war. Weder zu Hause
noch in der Laube, meinte Jochen, mit Nachdruck: Weil er vorsichtig war.
Damals, setzte Jochen erbost hinzu, waren die heutigen Kleingärten
noch die Hochburgen des kommunistischen Widerstands.
Manuela hatte niemals etwas auf das Weil erwidert, dachte nur: Dein Opa
war doch in der SPD und nicht in der KPD, die kämpfte. Jetzt denkt
sie, solange Jochen den Kopf des Kleinen hochlegt, an die Auseinandersetzung
vor einigen Monaten im Haus - »Wenn der Kleine geredet hat, ist
er auch ein Schwein. Selbst wenn, was er erzählt hat, alles nur Scheiße
war«.
Ich weiß nicht, hat Jochen damals gesagt, und sein Kopf hat genau
bis an das >B< des Sprühspruchs: BULLENTOD LÖST WOHNUNGSNOT
gereicht, und währenddessen hat sich Manuela, zwischen den Sperrmüllstühlen
an Jochens SPD-Opa erinnert, und an das Weil und an die Geschichte und
an die zwölf Genossen mit dem durchschossenen Genick.
Als Jochen sich umdreht, er knackt mit den Knöcheln, noch immer Papier
kaut, die Beifahrertür dabei vorsichtig zuzieht, kippelt, weit hinter
dem Ausgang der Straße, der Uhrturm am Rathaus, das rote, tote Auge
des geblendeten Kyklopen, einer brüllt: Niemand bin ich.
Die abgesengten Brauen und Lider, das ruckende Hüpfen der goldenen
Zeiger, fünf Minuten vor voll.
Als Jochen den Kleinen vorsichtig zudeckt, sagt Manuela sehr leise: Wir
werden ihn liegen lassen, denn anders geht es nicht.
Und Jochen sagt, während er sie ansieht, überrascht, nicht böse:
Du Sau!
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