Was soll das, fragt Manuela matt. Es geht nicht, antwortet Jochen. Das
erste Singen der ersten Drosseln. »Warum nicht?« - »Weil
ich es nicht schaffe« - »Du schaffst es« - »Weil
ich es nicht will.«
In den Gärten beginnen die Vögel zu zwitschern, der Himmel wird
von den Rändern her hell. Die Dämmerung, denkt Manuela und fragt:
Warum nicht? und denkt: Er ist schwach. Geliebt wirst du einzig, wo du
schwach dich zeigen darfst, ohne Stärke zu provozieren. Und auf der
Rückbank des Wagens liegt jetzt der Kleine und lächelt und sagt
überhaupt nichts mehr.
Und erst nach einiger Zeit sagt Jochen: Weil es Scheiße ist. Weit
entfernt rasselt ein Zug. Weil sich nur ein seltnes Arschloch, du als
Frau, sagt Jochen bitter, weit entfernt rattert der Zug, so was, so eine
Scheiße, überhaupt ausdenken kann.
Und während sie nebeneinandersitzen und durch die beschlagene Autoscheibe
auf die grauen Kastanien stieren und während Manuela zwischen den
plötzlich pochenden Schläfen ihre eigene Stimme flüstern
hören kann, färbt sich das feuchte Buckelpflaster im stetig
wechselnden Licht der langsam beginnenden Dämmerung erst blau und
später an einigen Stellen wie Lackmus in Sprudel rosa.
Aber erst als wenig später in einem der Gärten ein Hahn kräht
und gleich darauf ein Hund anschlägt, sagt Manuela müde: Du
irrst dich - du irrst dich, Jochen, schon wieder. Denn Scheiße sind
nicht wir, sondern die vom Krankenhaus. Oder die Bullen, sagt sie, davor.
Die auf die Verletzten warten. Oder die Bürger an den Fenstern, die
uns verraten. Oder die Ärzte da drin in der Klinik, riech mal, es
riecht nach Rosen, die mit den Bullen kollaborieren, Schweine sind nicht
wir, sondern die da.
Trotzdem, antwortet Jochen leise, der Kleine auf der Rückbank rappelt
sich zurecht und stöhnt.
Es gibt kein Trotzdem, sagt Manuela, es wird vor anderen Krankenhäusern
auf keinen Fall anders sein.
Und während der Duft der Rosen noch zunimmt in der Dämmerung,
sagt sie: Wir lassen ihn da vorne vor dem Kunstturnzentrum liegen und
rufen später von weiter weg an.
Und als Manuela anfährt, macht Jochen keinen Versuch, sie zu hindern,
und als Manuela bremst und Ihn anstößt - er solle den Kleinen
vom Rücksitz heben und ihn dort auf die Parkbank neben der Grünanlage
legen, neben das Kunstturnzentrum -, handelt Jochen, ohne zu zögern,
wenn auch wie eine Blechfigur, die man grad aufgezogen hat, hievt er den
Kleinen, grob fast, aus dem Auto und setzt ihn auf die taubeglänzte
Bank.
Und auch, als der Kleine erst langsam, fast wirkt es wie beabsichtigt,
dann schneller auf die Seite kippt, läßt Jochen ihn so liegen.
Rutscht rasch auf den Rücksitz, murrt mürrisch: Mach hinne,
beugt sich nach vorn zum Handschuhfach und fischt nach seiner Brille.
Und als sich Manuela, ehe sie den Wagen startet, unwillkürlich nach
ihm umschaut, wirken seine eng stehenden Augen hinter den gewölbten
Gläsern nicht, wie erwartet, verschwommen, sondern kalt und klar.
Doch erst als der Kleine anfängt zu rufen, schließlich, dort
auf der Parkbank, zu brüllen, sagt Jochen leise: Nun fahr schon.
Und trotz der Schärfe in seiner Stimme meint Manuela hören zu
können, daß etwas, das für ihn bedeutend war, nunmehr
verloren ist.
* *
Kai hat das Mädchen angestarrt, der Punk ist, »tschüß
dann«, losgewetzt, der Zivi wurde blaß und hat gemurmelt: Gefangenenbefreiung,
Bedrohung von Beamten, jetzt fehlt noch, daß du schießt. Kai
hat sich ruhig abgewandt und ist, der ausgerissene Ärmel hing lose
von seiner Schulter herab, über einen Schulhof an der Pallasstraße,
in den Park hinter dem Kontrollratsgebäude, durch die Langenscheidtstraße
bis hoch an die Brücke - sie haben die Jacke, ich ihre Pistole - und
auf das S- Bahn-Gelände geflohn. Rechts 'ne Eiche, links 'ne Eiche,
inner Mitte 'ne Pferdeleiche. Er hat sich, erst als er sich dabei ertappt
hat, wie er die durch den Abstand der Schwellen unregelmäßigen
Tritte durch zusätzliches Beinnachziehn noch einmal unterstreicht,
neben die rostigen Schienen gesetzt. Er hat an seinen Ausweis gedacht, der
in der Jacke, dem Anorak geblieben ist, und hat
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