Und als sie sich erst in der Bülow-, fast schon Ecke Steinmetzstraße, eingekeilt zwischen zwei Wagen, hinter einer Imbißbude, endlich umdrehn, sehn sie Kai: kalt, ein aufgereckter Körper, mitten auf der Kreuzung - Jochen, Manuela: beide sehn sich an.

Sehn, wie Kai, schon weit entfernt - »komm!« - von ihnen, auf der Kreuzung sieht, was sie nur ahnen können - kaum drei Meter neben ihm sieht Kai kühle, klare Bilder einer ausgestanzten Welt, karg und überschaubar.

Wie der junge - RAFft euch auf, rot: RAFft euch zusammen - hochsteigt vorn am Doppeldecker, denn, sieht Kai, ihn hetzen Bullen, wie die lasche Lederjacke halb herabhängt, jetzt sieht Kai, wie der Zigarettendreher, wie die Hand, wie seine Finger vorne vor der Scheibe tasten, wie die Füße, seine Zehen, das ist nicht zu sehen, zappeln, wie der Bus noch immer anfährt, wie die Fingernägel kratzen, vorn am Glas nach einem Halt - wie der Bus noch einmal Gas gibt, wie die Finger, nun die Kuppen langsam rutschen, jetzt die Nägel zerren an der großen Scheibe, knicken am getönten Glas - um und brechen, wie der Fahrer, Fuß am Gas und dick wie Diesel, mit zurückgezurrten Lippen langsam anfängt zu begreifen, seitlich weg weht weiß Reklame -WENN SIE WEIHNACHTEN NICHT AUF DEN WEIN ACHTEN - Kai hört neben sich die ersten leise erst, dann lauter schreien, sieht vom Fahrer nur den Mund, die verkniffnen Augen. Sicht, daß keiner sich bewegt, bis auf die Knüppel der Bullen.

Als der Bus noch einmal Gas gibt, rutscht der Typ vorn von der Scheibe, vorn am fugenlosen Kühler ab, und an der planen Haube runter, wird vom Vorderrad festgehalten, Punkt, Punkt, Strich - fertig ist das Mondgesicht, fortgeschliffen, Kai muß kotzen, überfahren und zerquetscht - die blauen Dragoner, sie reiten mit klingendem Spiel durch das Tor, Fanfaren sie begleiten hell zu den Hügeln empor.

* *

Dahlem, 13 Uhr 31. Er ist tot, sagt Kai und guckt hilflos, während das Mädchen - ich heiße Corinna, nenn mich Chanel - bedächtig den beinahe braunen Naturschwamm über die Alles ist-echt-du-und-Sonne-Sommersprossenhaut blonder Brüste runter zum Bauch wandern läßt, sie fragt: Wer?

»Du warst nicht da?« Kai grinst verwirrt, bückt sich am Waschbecken zum Hahn, gurgelt und spuckt: noch immer Schleim, und sie versinkt sehr langsam im Fichtennadelschaum. Der Schaum schillert müde im Milchglaslicht einer gerippten Scheibe. Habt ihr, fragt Kai, was zu essen? - Es gibt, sagt sie, knapp sechzehneinhalb Jahre alt, bei uns im Kühlschrank nie etwas, das nicht verdorben wäre, dann wird sie unsichtbar.

Als sie den lindgrünen Wasserstrahl lässig zwischen der Zahnlücke hindurch, an Kai vorbei, der zaghaft auf dem gesprungenen Wannenrand sitzt, gegen gesprungene Kacheln spritzt - »Delfter, ham meine Eltern aus einer Kirchenspielpogtei nahe bei Brokdorf, Norddeutschland, is aber schon was länger her« -, zuckt Kai zusammen, gefärbte Strähnen! weil sie ihm mit nassen Fingern vorn in die Hose fährt.

Laß das! denkt Kai und schüttelt sich, oben das trübe Trippeln der Mutter mit weißem Wein am weichen Mund - kein Bock, sagt Kai und legt die Hand, ein kleines Tier aus Schaumgummi, sorgfältig auf den Wannenrand und denkt, als sie ihn ansieht - »Was hast du heute bloß?« - an ihren Spruch: »die klatschen wir, die Bullen im Rechts-links-Spalier« - die sind, hat sie zu Kai gesagt, genauso wie die Austern, die kleinsten sind die besten, danach hat sie gelacht.

Ich kenn mich da, hat Kai gegrient, mit angezognen Lippen sich noch geschämt, bei Austern - nicht so sehr aus, hat er gesagt und sich gedacht: Ich rede, und warum rede ich? »Das macht nix, das macht gar nichts!«, ihr klitzekleines Kichern, ihr klitzekleiner Kuß.

So einfach, denkt Kai jetzt, so schwer, ich kann nicht dauernd kichern, denkt Kai, bevor er aufsteht, »bis gleich«, und geht zur Tür.

Und als er, kaum später, die Kühlschranktür öffnet, stinkt es im Innern nach fauligem Fisch. Die Mundwinkel fallen ein Stückchen herab. Es gibt Krabben, aber die Krabben werden von sämtlichen Seiten her grün. Es gibt Lachs, aber der Lachs schillert, wie immer - hellrosa Fleisch auf einer Platte aus Weißgold

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